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Rezensionen zu
Im Morgen wächst ein Birnbaum

Fikri Anıl Altıntaş

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In seinem Debüt „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ reflektiert Fikri Anıl Altıntaş seine Familiengeschichte, das Heranwachsen als türkisch-muslimischer Mann in einem von Rassismus durchzogenen Deutschland und die elterlichen Erwartungen. Im Zentrum steht dabei die feinfühlige und einfühlsame Auseinandersetzung mit der Männlichkeit.   Als Sohn türkischer Eltern – seine Mutter ist Reinigungskraft, sein Vater Türkischlehrer – wächst Fikri Anıl Altıntaş in den 90ern im Sozialwohnblock einer hessischen Kleinstadt auf. In jungen Jahren sieht er in seinem Vater ein Vorbild für Männlichkeit, dem er bewusst oder unbewusst nacheifert. Doch mit Abstand und Reife wird ihm die Last auf seinen Schultern immer deutlicher bewusst und er erkennt, dass das väterliche Bild von Männlichkeit nicht zu ihm passt. Die Geschichte und Erwartungen seiner Eltern entsprechen nicht seinen eigenen, und daher gestaltet er schließlich ein neues Verständnis dafür, was Männlichkeit für ihn bedeutet.   Während ich Anıls Worten gelauscht habe, hat mich die einfühlsame Sprache tief berührt. Im Buch und auch auf der Lesung in Heidelberg, an der ich teilnehmen durfte, begegnete er seinen Eltern mit Liebe, Respekt und Achtung. Es war so schön zu erleben, wie viel Verständnis und Dankbarkeit Anıl seinen Eltern gegenüber zeigt und gleichzeitig weiß, Dinge jetzt und zukünftig anders handzuhaben und seine eigene Geschichte eigenständig fortzuschreiben.

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Wenn Anil in den Ferien mit seinen Eltern in der Türkei ist, betrachtet er den Birnbaum, den sein Vater damals gepflanzt hat, um Anil daran zu erinnern: wer er ist, wohin er gehört und wohin er wachsen soll. Sein Vater floh 1980, nach dem Militärputsch nach Deutschland. Seine älteste Tochter ließ er zurück. Er fand bald ein Anstellung als Türkischlehrer. Abends spielte er auf der Saz, sang die Lieder über Liebe, Sehnsucht und Freiheit und weinte dabei. Er fand keine Wohnung für seine kleine Familie. Sobald die Leute sahen, dass sie nicht von hier waren, schlugen sie ihm die Türe vor der Nase zu, also blieben sie zuerst einmal im Plattenbau. In den Sommermonaten waren sie am liebsten in ihrem Schrebergarten in Wetzlar, doch nach einigen Einbrüchen, hatte jemand Hakenkreuze an die Türen gesprüht. Statt sich zu wehren schwiegen sie laut, die Angst war größer, als das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Anil verkauft in der Schule, für 70 Cent das Stück, die Lamacun, die seine Mutter buk. Sein Vater sagt ihm streng, er bekäme ab morgen Geld, um sich am Kiosk etwas kaufen zu können, er solle nichts mehr verkaufen, die Lehrer hätten ihn gesehen. Für mich war es ein unbedeutsamer Versuch, ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Für ihn war es das bittere Eingeständnis, seinem Sohn und dessen Wünschen nicht gerecht zu werden. S. 60 Während Anil heranwächst, versucht er seinen Vater zu verkörpern. Er versteckt seine Tränen, wie sein Vater, spricht nicht über Dinge, die ihm unangenehm sind, wie er. Erst als er seinen eigenen Weg geht und sich Hilfe sucht, um seine tiefe Traurigkeit zu überwinden, spürt er das Gewicht, der elterlichen Erwartungen. Doch er ist nicht bereit zu heiraten, Familie zu gründen, ein Haus in Deutschland, und eins in der Türkei zu bauen. Fazit: Fikri Anil Altinas hat mich berührt. Er hat mir einen Blick auf seine Türkischen Wurzeln gewährt, mir etwas über seine Kultur erzählt. Ich mag die Idee, dass Männer ihre Vorstellung des Männlichseins hinterfragen, sehr. Die Welt wäre ein friedvollerer Ort, würden das mehr praktizieren. Er hat mir verständlich machen können, wie schwierig es ist, seine Heimat verlassen zu müssen und sich einem völlig anderen Kulturkreis anzupassen. Die Zerrissenheit und Einsamkeit, die diese Entwurzelung mit sich bringt sitzt tief und wird an die nächsten Generationen weitergegeben. Die Liebe zu den Eltern und Achtung vor dem Alter berührt mich ebensosehr, weil es etwas ist, das in meinem Land verloren gegangen ist. Ich mag den Schreibstil, der zu Anfang mit ganz einfachen Sätzen daher kommt, und ab Mitte des Buches so wundervoll eigen und blumig wird. Es geht darum, sich jeden Moment zu fragen, ob wir uns in der Unschärfe finden können, oder ob wir ihr entfliehen und loslassen wollen, um uns von dem Gewicht, nie fertig erzählt zu sein, zu befreien. S. 138

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Verletzlichkeit ist die Grundvoraussetzung um Veränderung herbeizuführen und Fikri Anil Altintas schafft mit seinem Debüt eine starke Reflektion über das eigene migrantische Heranwachsen und wie sein Männlichkeitsbild geprägt wurde. Fikri Anil Altintas selbst in Deutschland geboren, aufgewachsen in Hessen beschreibt wie der in den 90er Jahren in Deutschland aufgewachsen ist und wieviel Rassismus ihm und seinen Eltern widerfahren ist. Er schlägt den Bogen gekonnt dazu was Migration mit den Kindern macht, wie sie die starke Prägung des Erlebten der Eltern indirekt an die eigenen Kinder weitergibt. Sein Vater ist klar im Fokus, da die Aufarbeitung der Männlichkeit im Mittelpunkt steht. Er geht im Buch in den Dialog mit seinem Vater, reflektiert Erlebtes und sinniert über den Mann, der ihn am meisten prägte. Ambivalent, sehr sensible und dann doch auf die Außenwirkung bedacht. Einhalten der „Standards“ und damit an selbst so oft an die eigenen Grenzen kommend. Beim Lesen spürt man die große Liebe des Sohnes gegenüber seinen Eltern. Die Mutter kommt kaum vor im Buch, sie bleibt im Hintergrund. Wobei die Mutter direkt angesprochen wird, fast schon eine Briefform. Der Titel „Im Morgen wächst ein Birnenbaum“ ist Teil einer Geschichte, die auch im Buch vorkommt. Der Vater pflanze zur Geburt des Sohnes einen Birnenbaum am Ferienhaus in der Westtürkei. Mit Wurzeln in der Türkei, sollte es dem Sohn immer ein Sehnsuchtsort bleiben. Welch schöne Geste. Ich bin beeindruckt von diesem Debüt. Fikri Anil Altintas hat ein sehr persönliches Buch mit einer hohen gegenwärtig gesellschaftlichen Relevanz geschrieben, dass wir es alle lesen sollten. Ein Buch voller Aufarbeitung, ein Buch, dass über Männlichkeit reflektiert, Rassismus und Migration aufzeigt, Sehnsucht und Verletzlichkeit in sich trägt. Stark! Fazit: Mut zur Verletzlichkeit bringt uns alle weiter.

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«Ich bin mehr als die Projektion der anderen.» Dieser Roman ist letztlich eine Autobiografie, in der Fikri Anýl Altýntaş Stereotypen der Männlichkeit untersucht und sich Stück für Stück von seinem kulturellen Erbe löst. Er wächst als Sohn türkischer Eltern in einer hessischen Kleinstadt auf. Sein Vater war bereits als Lehrer in der Türkei tätig, arbeitet in Deutschland als Türkischlehrer, seine Mutter als Reinigungskraft, bzw. sie ist Hausfrau. Es ist eine Kindheit inmitten von Sozialwohnblocks, später mit dem eigenen Haus, geprägt von dem drängenden Wunsch, «deutsch» zu sein und der bitteren Enttäuschung über die Realität in Deutschland. Ein Wechselbad der Kulturen – auf der einen Seite das «Deutsche» anzunehmen, doch im Haushalt durfte nur Türkisch gesprochen werden und auch sonst wurde sehr traditionell die türkische Kultur zelebriert. In Fikri Anýl Altýntaş wächst die Sehnsucht, gesehen zu werden und einen eigenen Weg als türkisch-muslimischer Mann zu finden. Es ist aber auch eine Geschichte über Diskriminierung und Rassismus. «Ich habe auch mit 14 und 15 Jahren gedacht, o.k., irgendwie werde ich nicht als 'deutsch' und nicht als 'weiß' wahrgenommen, das heißt ich muss auch irgendeine Selbstsicherheit in mir finden. Das hat natürlich dazu geführt, dass ich irgendwann gedacht habe, ich will der Typ sein, der krasse Rap Musik hört und einen Bling Bling Ohrring trägt. Das hat damals auch eine Berechtigung gehabt, weil ich da zum ersten Mal eine Sicherheit in meinem eigenen Sein und in meiner eigenen Sozialisation gefunden habe.» Der Vater war immer sein Vorbild. Aber will er Sohn den Weg des Vaters gehen? Er fragt sich: Was bedeutet Männlichkeit überhaupt und wie kann sie jenseits der Klischees verstanden und gelebt werden? Radikal ehrlich blickt er auf sich und seine Familiengeschichte zurück, um die Gegenwart besser zu verstehen. Es ist keine Abrechnung, sondern eine zärtliche Annäherung an den Vater, an seine Sehnsüchte und die Verletzungen, die er erfahren musste, im fremden Land, wie später auch im eigenen. Ein tiefer Einblick in eine typisch muslimische Einwandererfamilie, die sich nicht angenommen fühlt, Kinder, die sich mit doppelter Kultur konfrontiert sehen. Familiengeschichte und Identität – wie prägt sich Männlichkeit, und inwiefern ist auch das Leben in zwei Kulturen damit zusammenzubringen? Fragen, die sich der Autor stellt. «Ah be, baba. Hätte ich gespürt, dass du so viel Trauer in dir trägst, hätte ich sie zusammen mit dir getragen. Du hättest mir gesagt, wohin es geht. Ich hätte keine Sekunde gezögert und das getan, was du von mir wolltest, damit du nicht weinst. Ich wusste, dass du heimlich weinst, auch wenn du es nicht vor uns getan hättest.» Will ich dem Rollenbild meines Vaters entsprechen?, fragt sich der Autor: zu viel Gewalt, Frauenverachtung und Rassismus. Er kann sich mit dem patriarchalischen Führungsstil des Vaters nicht identifizieren. «Meine Mutter entschied, was es bei uns zu essen gab. Mein Vater, ob es schmeckte.» Er will sich von toxischer Männlichkeit lösen, weg von Dominanzstreben, von dem Glauben, dass Männer in der Gesellschaft wertvoller sind, mehr Gewicht haben. Er hat die Unsicherheit und Verletzlichkeit an seinem Vater wahrgenommen, ihn im Verborgenen weinen sehen – aber anstatt dies zuzulassen, hat der Baba dies männlich dominant überspielt. Für Fikri Anil Altintas geht es darum, Gefühle zuzulassen, das System der Männlichkeit zu hinterfragen, die «Macht» mit den Frauen zu teilen, in einem gleichberechtigten Gesellschaftssystem zu leben. Auf zweierlei Ebenen ein interessantes Buch, weil es einerseits eine migrantische Familiengeschichte darstellt und auf der anderen Seite als Auseinandersetzung mit der Männlichkeit ein anderes Gesellschaftsbild fordert. Literarisch knirscht es hier und da ein wenig – und dann kommen Stellen, die sehr berühren. Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch! «Ah be, baba. Du willst nicht, dass die Heimat dir mit Wut begegnet. Sich von dir entfernt und deinen Namen aus dem Gedächtnis streicht. Wie soll sie das auch, wenn du ihren Namen jeden Tag im Munde führst? Ihn pflegst wie die Bäume im Garten, den du in der Türkei hast? Ah be, baba. Du sagst, du bist nicht einer von hier geworden, dabei haben wir doch uns, reicht dir das nicht, baba? Fikri Anil Altintas, geboren 1992 in Wetzlar, studierte Politikwissenschaften, Ethnologie und Osteuropastudien in Tübingen, Istanbul und Berlin und arbeitet als politischer Bildner und freier Autor. Er schreibt unter anderem für der Freitag, taz und pinkstinks. de. In seinen Texten, Vorträgen und Workshops, u.a. für den Gropius Bau und das ZDF, beschäftigt er sich mit Männlichkeit und Rollenbildern, Privilegien und der (De)-Konstruktion von nicht-weißen, muslimisch gelesenen Männlichkeiten in Deutschland. Auf Instagram schreibt er unter @_faanil über Rollenbilder und bricht mit Sehgewohnheiten und ist ehrenamtlich als #HeForShe Deutschland Botschafter von UN Women Deutschland aktiv.

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„Ich will von Veränderungen erzählen. Von den geteilten, den gemeinsamen, den notwendigen. Von meiner Familie und meiner Kindheit. Und davon, wie ich jetzt, mit dreißig, als muslimisch-türkischer Mann in Berlin ein anderes Leben jenseits von Klischees führe. Wie ich zu dem Mann wurde, der ich heute bin – mit und durch meinen Vater, wegen und trotz Deutschland“ (S. 9). Eindrücklich blickt Fikri Anıl Altıntaş in „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ auf sich, Momente seiner Kindheit und auf seine Familie zurück. Vor allem sein Vater spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dieser wird im Buch als Mann ohne Schwäche und Emotionen beschrieben und gilt für den Autor als Richtschnur. „Ich tat etwas, was ihnen [den Eltern] gefiel. Ihre Erziehung was erfolgreich, weil ich jenes Verhalten an den Tag legte, das ihnen schon in ihrer eigenen Kindheit Orientierung gegeben hatte“ (S. 109). Doch für Fikri Anıl Altıntaş wird es mit zunehmenden Alter immer schwieriger seinem Vater nachzueifern. Diese Art der Männlichkeit lässt sich nicht mit seiner eigenen Identität vereinbaren. An vielen Stellen des Buches wird deutlich, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt. „Ich suchte Sicherheit in der Sprache, nach Sicherheit in Gesten, in Klamotten, in Farben manchmal sogar in männlichem Stolz. Ich setzte mich in der Metro so hin, wie sich die Männer dort hinsetzten. Warf meine Hände in die Luft beim Reden, sprach lauter“ (S. 91/92). Für mich ist „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ ein interessanter und stark autobiographischer Entwicklungsroman, der in leisen Tönen ganz eindrücklich die Prozesse einer Selbstfindung beschreibt und einen kritischen Blick auf familiäre Traditionen und festgefahrene Strukturen legt. Ein unglaublich starker Debütroman, der mich auch nach dem Lesen noch beschäftigt hat. Ein herzliches Dankeschön geht raus an @penguinbuecher und das @bloggerportal, für die Zusendung dieses Leseexemplars. CN: Rassismus

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Ich werde versuchen diesem Buch gerecht zu werden, jedoch eine wohl eher schwierige Aufgabe. Denn ich spüre da steckt noch viel mehr darin als ich es wiedergeben vermag. Fikri Anil Altintas beschäftigt sich in seinem Debütroman mit der Frage: “Was ist ein richtiger Mann? ” Doch aufgepasst, hier geht es zum einen um toxische Männlichkeit die sich zum Beispiel durch Dominanz, Stärke, beruflichen Erfolg doch auch durch Machterhalt in der Gesellschaft bis hin zur Gewalt an Frauen definiert. Der Vater von Fikri Anil Altinta, kam in den 1980 Jahren nach Deutschland. In der Türkei war er ein Lehrer und Aktivist und musste fliehen. In Deutschland arbeitet er als Türkischlehrer und engagiert sich auch hier politisch. Die Mutter arbeitet stundenweise als Reinigungskraft, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Fikri Anil Altintas wird in Deutschland geboren und wächst inmitten Sozialwohnblocks auf. Sein Vorbild ist sein Vater, jedoch flammt sein innigster Wunsch > deutsch < zu sein immer wieder auf und wird auch immer wieder eines Besseren belehrt. Seine erste Freundin beendet die Beziehung, da ihr Vater keine Türken mag. Sein Mut sollte mein Mut werden. In den Geschichten über seine Migration fand ich Zuversicht. Ich hoffte irgendwann auch einmal so stark zu werden wie er. Irgendwann genauso viel zu erleben, ohne ängstlich zu sein. Dass ich ihn zum Vorbild nahm, war mein kleines Geheimnis, das ich nie aussprechen, ja mir so lange nicht eingestehen wollte. Seite 43 In der Türkei fragte man mich oft, ob ich es hier oder in Deutschland besser fände. Ich sagte immer, dass man das nicht miteinander vergleichen könne. In Deutschland war ich geboren. In die Türkei kehrte ich in meinen Gedanken zurück, weil ich mich nach Halt sehnte. Die Sehnsucht gab mir Sicherheit. Ich dachte an meinen Birnbaum. Seite 54 Fikri Anil Altintas schreibt über die Tränen, die unterdrückt oder verschämt im geheimen geweint wurden. Der Vater der weinte, aber auch er selbst. Das betraf nicht nur mich, sondern alle die so aussahen wie ich. Die mit den schwarzen Haaren, mit den Namen, die sie nicht aussprechen konnten. Und wir mussten ihnen erst mal beweisen, dass wir kein Problem waren. Seite 136 Dieser Roman hat mich so berührt, bei manchen Zeilen musste ich innehalten um nachzuspüren. Fikri Anil Altintas erhebt seine Stimme, um einen anderen Blick auf das Patriachart der Männlichkeit zu werfen. Er sieht die dringende Notwendigkeit einer Reform, weg von den Klischees. Geschickt blickt er auf die Vergangenheit zurück, um die Gegenwart besser zu verstehen. Das allein schon empfinde ich als sehr wertvoll. Jedoch die Thematik über die Migration, die er klar und unaufgeregt definiert überragt für mich alles. Als ich das Buch zuklappte war mein erster Gedanke : >Dieses Buch sollte Schullektüre werden. < So wünsche ich > Im Morgen wächst ein Birnbaum < eine große Leserschaft. Lest das Buch und gebt es weiter!

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Eingesperrte Tränen

Von: Ninis_weltderbuecher

25.06.2023

'Inmitten von festgefahrenen Narrativen rund um Männlichkeit und Zugehörigkeit sucht Fikri Altintaş nach Zwischentönen. Radikal ehrlich blickt er auf sich und seine Familiengeschichte zurück, um die Gegenwart besser zu verstehen." (Klappentext) Ein Birnbaum schenkt der Vater seinem Sohn, der im familiären Sommerhaus in der Türkei steht und als Schutz für diesen Sohn im Alltag physisch nicht zu greifen ist, ihn aber mental durch diesen begleitet. Als symbolische Kraft kreist er tragend durch die Psyche und den Geist des neugierigen Jungen, des zweifelnd suchenden Heranwachsenden sowie des sich positionierenden jungen Mannes. Ein Birnbaum, der zum festhalten einlädt, wenn die Diskrepanz zwischen der deutschen und türkischen Kultur zu nervenaufreibend mächtig wird, wenn ein modernes Verständnis von der Welt familiär ins Archiv verlegt werden soll, eben wenn der Drang Konstrukte zu sprengen Explosionen auslöst. Ein Birnbaum, der zum anlehnen einlädt, wenn der Zeitpunkt kommt, an dem man schmerzende, unterdrückte Tränen nicht mehr für sich behalten kann sowie wenn Freunde und Familie distanzlos übergriffig einen unreif wie eine Birne vom Baum pflücken. Ein starkes narratives Billd ist dieser Birnbaum - gewollt oder ungewollt, das erscheint mir gleichgültig in Anbetracht der klaren Nüchternheit der autofiktionalen Erzählstimme, die mich teilweise Hin- und Hergerissen zurückließ. Hingerissen mitgenommen von zahlreichen Metaphern für die erwartungsvolle Hingabe von Eltern, wie z.B. "Ihren Stolz hätten sie am liebsten in einen Rahmen gespannt und im Wohnzimmer über den Fernseher gehängt. Niemand sollte es übersehen."102 Hergerissen zurückgehalten teilweise vom Textaufbau, der stellenweise an einen Auftrag für eine reine Nacherzählung erinnert und das eigentliche literarische Können von @_faanil in einen Koffer presst, der aber auf den letzten Seiten pompös platzt und Buchstabenkreationen à la bonne heure in die Zirkulation befreit. Lieben Dank an den @btb_verlag und an @bloggerportal für das #rezenensionsexemplar

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Ein Rückschau auf die Eltern, auf all das, was sie einem mitgegeben haben, an Liebe und Fürsorge, auch an Erwartungen und Ballast, erweist sich selten als leicht. So auch für Anıl. Als Sohn türkischer Eltern wächst er in Hessen heran, in einer Kleinstadt, die vor allem für seinen Vater ein Symbol für Hoffnung und Perspektive darstellt, eine „bessere Zukunft“ verspricht. Er, der Lehrer, versucht, sich einen Platz in der neuen Gesellschaft zu suchen. Für Anıl hingegen, für den die Türkei hauptsächlich das Ziel der jährlichen Familienurlaube ist, heißt es, sich zu behaupten in der Orientierungslosigkeit zwischen den Kulturen, Nationalitäten, Sprachen, Religionen. In einem beständigen Dazwischen bahnt sich Anıl einen eigenen Weg der Abgrenzung und Eigenständigkeit. Gerade in Bezug auf das Männerbild, das er von seinem Vater vorgelebt bekommt, stellt er sich Fragen, stellt dieses konkret IN Frage, um sich als Individuum neu zu positionieren. Doch genau diese Autonomie konfrontiert ihn mit Hürden, kostet Kraft, um die eigene Verortung stetig voranzutreiben. So sinniert er: Wo gehöre ich eigentlich hin in dieser Welt? „Er wusste nicht, wie es war, mit meinem Vater aufzuwachsen. Mann zu sein hieß für mich früher auch, Worte einfach anzunehmen“ (S. 84) Mit „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ widmet sich Fikri Anıl Altıntaș der Verquickung zweier Themen, die literarisch gerade in aller Munde sind, hier aber in ihrem Aufeinanderprallen eine ganz neue Dynamik erzeugen: Männlichkeit und kulturelle Heimatlosigkeit. Am Beispiel seiner Familiengeschichte geht Altıntaș seinen Prägungen auf den Grund, dem, was ihn zu dem Mann gemacht hat, der er heute ist, und was seine eigenen Motivationen und Triebfedern waren und sind. Eine beständige Suche nach Orientierung prägt das Heranwachsen des ich-erzählenden Autoren in einer Welt, die nicht bereit scheint für eine multikulturelle Offenheit. Vom niederschmetternden Ende einer Jugendliebe berichtet Altıntaș, das der Vater der Freundin mit der Aussage, er wolle keinen Türken als Freund für seine Tochter, besiegelte. Nirgendwo so richtig dazuzugehören, unter in der Türkei lebenden „Freunden“ als der in Deutschland lebende, „nicht echte“ Türke zu gelten, in der hessischen Heimat jedoch auch nie ganz vollwertiger Teil der Gesellschaft zu sein, dieser Schwebezustand bestimmt Altıntaș' Alltag, lässt ihn jedoch nie verzweifeln, sondern an den Herausforderungen wachsen. Früh erkennt er, dass er einen eigenen Weg gehen muss, sich selbst in den Mittelpunkt seiner Entwicklung zu stellen habe. Sein Vater wird dabei zu einem Role Model, das sich für Abgrenzungen mit liebevollem, wertschätzendem Blick anbietet. Altıntaș gelingt es hervorragend, seine Adoleszenz mit großem Respekt zu schildern, sich in seinem eigenen Verlorensein nicht in eine fokuslose Wut hineinzusteigern. Formal wählt er dabei eine Chronologie und Topographie der Fragmentierungen, indem er, Erinnerungsblitzen gleich, zwischen Erlebnissen aus seiner Kindheit, Jugend und dem Erwachsenenleben wechselt, die Türkei und Deutschland als Handlungsorte gleichwertig behandelnd. Sensibel und im positivsten Sinne wohlwollend ist die Literatur von Altıntaș, emotional und gleichzeitig mit phasenweise durchscheinender analytischer Nüchternheit, die seinem Text eine profunde, bisweilen psychologisch-soziologische Note verleiht. Es ist eine leise Betrachtung, die um so dringlicher unter die Haut geht, ein herausstechender Beweis, dass nicht immer die lautesten Stimmen diejenigen sein müssen, die im Gedächtnis bleiben, die zum Reflektieren wie hier über eigene Männlichkeitstopoi anregen. Alles hat seinen und ihren Platz, und Altıntaș beweist mit seinem „Birnbaum“, dass er seinen gefunden hat, mindestens: auf einem Hoffnung schenkenden Weg dorthin ist! Danke!

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