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Rezensionen zu
Über Menschen

Juli Zeh

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Juli Zeh: Über Menschen (Luchterhand) Braucht man in Corona-Zeiten auch noch einen Roman zu diesem Thema? Erst skeptisch konnte mich Juli Zehs neuer Roman dann doch von der ersten Seite an fesseln und begeistern: Die Protagonistin Dora flieht im Frühjahr 2020 vor dem Lockdown aus Berlin in die brandenburgische Provinz: sie braucht Ruhe, Abstand, Luft zum Atmen und möchte mich sich selbst ins Reine kommen. Doch auf dem Land ticken die Uhren anders, einige Dorfbewohner sind schwer zu durchschauen und es geschehen Dinge, die Dora nicht einordnen kann ... Ein Gegenwartsroman wie er aktueller kaum sein kann und eine literarische Auseinandersetzung mit der Pandemie, sehr unterhaltsam zu lesen und gleichzeitig berührt er all die Fragen um eine Welt, die vollkommen durcheinander geraten zu sein scheint und in der es umso wichtiger ist `Mensch` zu sein!! „Es geht nicht darum, wer was verdient hat. Nicht einmal darum, für oder gegen Nazis zu sein. Das Zauberwort heißt `trotzdem`. Trotzdem weitermachen, trotzdem da sein. Trotz allem liegt da drüben ein Mensch.“

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„Meistens besteht das Leben aus Trial and Error, und der Mensch kann viel weniger begreifen und kontrollieren, als er glaubt. Auf dieses Dilemma kann weder Nichtstun noch Aktionismus die richtige Antwort sein.“ (Zitat Seite 28) Inhalt Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin, als ihr im Home-Office des Corona-Lockdown nicht nur die gemeinsame Wohnung in Berlin, sondern auch das Leben mit Robert endgültig zu eng wird. Bereits im Dezember hatte sie heimlich das renovierungsbedürftige, alte Gutsverwalterhaus auf dem verwilderten Grundstück mit den großen Bäumen gekauft, in Bracken, einem kleinen Straßendorf irgendwo in Brandenburg. Jetzt, drei Monate später, ist sie emdgültig hierher übersiedelt. Mit ihrer Hündin Jochen, ohne Möbel, aber mit einem Nachbarn, der sich ihr als Gote, wie Gottfried, ich bin der Dorf-Nazi vorstellt, was zu seiner sauber geschorenen Glatze passt. Doch plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Treppenabsatz vor dem Haus stehen eines Tages Küchenstühle. Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora, vom Nachdenken zum Umdenken. Thema und Genre In diesem Roman geht es um Menschen, ihre Ängste, Sorgen, aber auch den Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart. Charaktere Dora muss in Bewegung sein, um sich ruhig zu fühlen. Sie hat eine eigene Meinung zu vielen Themen unserer Zeit, doch hier in Bracken erkennt sie rasch, wie sehr sie sich irrte, als sie überzeugt davon war, man könne doch Gut und Böse ganz einfach auseinanderhalten. Denn hier lernt sie alle möglichen Zwischenschattierungen in unterschiedlichster Form kennen. Handlung und Schreibstil Dieser Roman spielt in der Gegenwart in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Dora zieht sich aus ihrem Leben in Berlin zurück, um mit ihrer Hündin Jochen eine völlig andere Art Leben zu probieren, denn Home-Office geht überall. Einkaufen ohne Auto, mit einer Busverbindung mit hohem Seltenheitswert, Gärtnern mit theoretischen Anleitungen über YouTube. Dazwischen freie Zeit, auch das muss sie lernen, mit dieser freien Zeit umzugehen, die Natur in ihrer wunderbaren Vielfalt hilft ihr dabei. Doch jeder Tag bringt neue Herausforderungen und manchmal wünscht sich Dora weit weg von allem, am besten auf die Raumstation ISS, um Abstand zu gewinnen und Ruhe. Die Autorin erzählt einfühlsam, intensiv, bindet die drängenden Themen der Gegenwart mit ein, schafft unterschiedliche Figuren mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchtet die Standpunkte, lässt sie ruhen, nimmt sie in einem neuen Zusammenhang wieder auf. Sie lässt ihre Figuren nachdenken, umdenken und uns beim Lesen mit. Fazit Dies ist tatsächlich ein Roman über Menschen, ihre Ängste, Probleme, das tägliche Leben mit skurrilen, witzigen Szenen und nachdenklichen, sehr traurigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man miteinander umgeht, wenn die Meinungen stark auseinanderdriften. Es sind Figuren auf der Suche und man schließt jede einzelne der Figuren ins Herz, obwohl oder gerade weil jede so ihre Eigenheiten hat, authentisch, Menschen eben, und oft anders, als die anderen denken.

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Spannendes Stück Zeitgeschichte

Von: JuLi

29.03.2021

Mein erstes Buch von Juli Zeh konnte ich kaum aus der Hand legen. Ich habe schon viel positives über die Autorin gehört und kann mich ebenfalls diesem Urteil anschließen. Mit viel Witz kritisiert sie aktuelle Geschehnisse. Neben der interessanten Geschichten möchte ich vor allem auch den Schreibstill der Autorin hervor heben. Es machst Spaß zu beobachten, wie die Autorin mit den Wörter jongliert und dabei den Kontext nie aus den Augen lässt!

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Wir lernen die 36-jährige Werbetexterin Dora kennen, die während des Corona-Lockdowns recht überstürzt mit ihrer kleinen Hündin in die alte und heruntergekommene Bruchbude in dem brandenburgischen Dorf Bracken zieht, die sie sich vor kurzem gekauft hat. Sie hält es einfach nicht mehr länger auf so engem Raum mit ihrem neurotischen Freund Robert, einem Journalisten aus. Er ist ein besserwisserischer, verbissener und selbstgerechter Umwelt-Aktivist, der sich extrem mit der Coronathematik beschäftigt, sich gut damit auskennt, aber auch Angst hat und deshalb anfängt, Dora zu kontrollieren und ihr Vorschriften zu machen. Darüber hinaus fühlt sich Dora trotz gutem Job und schöner Wohnung schon seit längerem überfordert. Sie braucht Tapetenwechsel, hier ist alles zu eng. Vorher in Berlin-Kreuzberg, jetzt also auf dem Land und in der Natur. Sie will den verwilderten Garten bändigen und ein Gemüsebeet anlegen. Sie will zur Ruhe kommen. Ähnlich wie in „Unterleuten“ treffen wir in „Über Menschen“ auf Klischees, Bewertungen und Vorurteile, auf ein ostdeutsches Provinzkaff, das nicht Schritt halten konnte, auf rechts Gesinnte und auf linksliberale Städter. Wir lernen hier unterschiedliche Menschen mit problematischen Biographien und ein abgehängtes Dorf mit aussterbender Infrastruktur kennen. Und das alles vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die Juli Zeh in ihrem Roman mit all ihren verschiedenen Auswirkungen differenziert aufarbeitet. Wir lernen das schwule Paar Steffen und Tom mit dem grünen Daumen kennen sowie Heinrich, dem ständig Witze über Ausländer und die Corona-Krise einfallen. Doras kahlrasierter Nachbar Gote, ein alleinerziehender und hilfsbereiter Rechtsradikaler mit krimineller Vergangenheit stellt sich ihr ohne Umschweife als Dorfnazi vor. Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften bahnen sich an. Zugehörigkeitsgefühle und Gefühle von Zuhause und Familie stellen sich ein. Aber es ist nicht alles einfach, klar und unkompliziert. Vieles ist widersprüchlich und absurd. Und manches nervt, wie z. B. der Bus, auf den Dora nach dem Einkaufen drei Stunden lang warten muss, weil er nur zweimal am Tag fährt. Die 1974 in Bonn geborene Juli Zeh ist eine präzise Beobachterin, die uns ihre Figuren sehr nahe bringt und uns Einblicke in ihr Inneres erlaubt. Sie schreibt knapp, treffend und schnörkellos, psychologisch feinfühlig, unaufgeregt und poetisch und würzt das Ganze mit einer guten Portion Witz und Ironie. Sie regt, ohne jemals zu bewerten oder zu moralisieren, ihre Leser zum Mit- und Nachdenken an, denn nichts ist so eindeutig und klar, wie es auf den ersten Blick scheint. Es macht Spaß und ist interessant, in diesen lebendigen und vielschichtigen Mikrokosmos einzutauchen und einen Roman zu lesen, der die Pandemie literarisch anspruchsvoll in den Fokus stellt. Juli Zeh ist eine der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautorinnen und sie hat mit „Über Menschen“ nach „Unterleuten“ - welch’ hochamüsantes Wortspiel! - einen wunderbaren hochaktuellen Roman am Puls der Zeit geschrieben. Große Leseempfehlung!

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Über Menschen und Ängste in aktuellen Zeiten… Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht. (Quelle: Klappentext – Luchterhand Verlag) „Über Menschen“ ist der neue Roman von Juli Zeh und ziemlich aktuell: Denn die Handlung ist im Frühjahr 2020 angesiedelt, zu der Zeit, als der erste Lockdown und damit die große Unsicherheit und die Angst vor dem Corona-Virus gerade erst beginnt. „Es gibt jetzt so viele neue Begriffe. Social Distancing. Exponentielles Wachstum. Übersterblichkeit und Spuckschutzscheibe. Dora kommt schon seit Wochen nicht mehr mit. Vielleicht auch schon seit Monaten oder Jahren, aber durch Corona ist das Nicht-mehr-Mitkommen manifest geworden.“ – Seite 16, eBook Genau zu diesem Zeitpunkt entschließt sich die 36-jährige Dora, Berlin den Rücken zu kehren und aufs Land zu ziehen – in dem kleinen Dorf Bracken in Brandenburg hat sich vor einigen Monaten ein altes Gutshaus mit großem Grundstück am Dorfrand gekauft. Im ersten Drittel des Romans erfahren wir überwiegend, wie sich Doras Leben bisher entwickelt hat und welche Gründe sie hatte, fast Hals über Kopf aus der Großstadtwohnung zu fliehen – und vielleicht auch vor ihrem Freund Robert, der ihr immer fremder geworden ist. „Sie ließ nicht nur Robert hinter sich, sondern auch die Großstadt, die Enge, das Dauerfeuer der Informationen und Emotionen. Es fühlte sich an, als verließe sie die bekannte Welt, in einem Raumschiff auf dem Weg zu neuen Galaxien." – Seite 32, eBook Ein Halt in ihrem Leben ist ihre Hündin mit dem besonderen Namen Jochen-der-Rochen, die hier auch einen besonderen Platz einnimmt. Nach und nach lernt sie das Dorf kennen und auch deren Bewohner, die unterschiedlicher nicht sein können. Dora ist hin- und hergerissen: Muss sie Angst haben vor einigen – besonders vor ihrem direkten Nachbarn, der sich ihr als „der Dorf-Nazi“ vorgestellt hat? Gleichzeitig muss sie sich selbst wiederfinden und entscheiden, wie ihr zukünftiges Leben aussehen wird. Über allem schwebt natürlich die Corona-Krise – all die realen Ängste, Unsicherheiten und die Hilflosigkeit hat die Autorin hier klar eingefangen. „Die Räume riechen nach Desinfektionsmittel und Menschenleere.“ – Seite 203, eBook Neben vielen Momentaufnahmen -sowohl von den verschiedenen Schauplätzen, als auch Kleinigkeiten aus Doras neuem Alltag- werden hier auch die verschiedenen Charaktere mit ihren ebenso verschiedenen Meinungen ausführlich beschrieben. Interessant und überraschend ist, wie die Handlung sich entwickelt und in eine ganz andere Richtung führt als anfangs gedacht. Auch Doras Weg ist sehr gut zu verfolgen: Ihre Zweifel und Unsicherheit, in die sich manchmal Wut mischt, weil sie in manchen Momenten einfach nicht weiß, wie sie mit ihrem Nachbarn umgehen soll. Mein Fazit: Ein interessanter und sehr aktueller Roman, dessen Handlungsverlauf überrascht und mit großartigem Schreibstil überzeugt. Das Buch lässt sich flüssig und sehr gut lesen – detailreich und mit der Kunst, Kleinigkeiten und Momentaufnahmen sehr gut einzufangen ist Juli Zeh hier ein bemerkenswerter und nachdenklicher Roman gelungen. Spannend zu verfolgen und sehr lesenswert!

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Inhalt: Bracken, ein kleines, fiktives Dorf irgendwo in Brandenburg, Frühjahr 2020. Die sechsunddreißigjährige Dora entflieht Berlin und damit ihrem Freund Robert, den sie immer weniger versteht. Ihr neues Heim ist kein Schmuckstück, sondern eher eine Lebensaufgabe, der sich Dora ziemlich unvorbereitet und ganz allein stellt. Und dann muss sie auch noch den Schreck verarbeiten, dass ausgerechnet ihr direkter Nachbar sich als glatzköpfiger Rechter erweist, der eine klare Ansage macht, was er von Dora und ihrer kleinen Hündin hält. Meine Meinung: Ich habe nun schon einige Romane von Juli Zeh gelesen und bin jedes Mal aufs Neue begeistert. So schlage ich inzwischen bei Neuerscheinungen dieser Autorin blind zu, ohne zu wissen, worauf ich mich einlasse. Ich muss zugeben, dass ich dieses Mal mit dem Anfang meine Probleme hatte. Das Thema „Corona“ nimmt hier einen großen Raum ein, bietet mir aber nichts Neues, keine neuen Informationen, keine neuen Denkanstöße. Alles was zu diesem Thema hier gesagt wird, erlebe ich Tag für Tag selbst bzw. habe ich mit Freunden und Familie zur Genüge hin und her diskutiert. In diesem Punkt hat die Realität den Roman definitiv überholt. Doch im weiteren Verlauf konnte Juli Zeh mich auf jeden Fall wieder überzeugen. An der Seite von Dora habe ich mich in das kleine Dorf Bracken eingelebt, habe dessen bunte Bewohnerschar nach und nach kennen- und in gewisser Weise auch lieben gelernt. Juli Zeh verleiht den Figuren eine enorme Tiefe, brilliert durch präzise, detaillierte Beobachtungen, die das Kopfkino in Gang setzen. Sie erweckt die Menschen und die Landschaft zum Leben, lässt sie fast unmerklich sich verändern und entwickeln. Am Schluss kann man sich fragen, wie man eigentlich an diesen Punkt gelangt ist, wo die Ausgangslage doch eine ganz andere war. Die Antwort liegt in vielen kleinen Taten, die uns zu Menschen machen.

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Unterleuten 2020

Von: Sarita

27.03.2021

Die besondere Schreibweise der Autorin, der Bezug zu gesellschaftlich aktuellen Themen und die Szenerie der "neuen" Länder: Selbst wenn man es nicht wüsste wäre beim Lesen schnell klar, dass es sich um einen Roman der wirklich phantastischen Autorin Juli Zeh handelt. Die Szenerie ähnelt genau wie die Alltagsbeschreibung und die Schilderung der Sichtweise des Großstadtflüchtlings in vielerlei Hinsicht derer im bekannten Vorgänger "Unterleuten". Die gesellschaftspolitische Aktualität erinnert an den Roman "Leere Herzen". Wie der Titel schon andeutet kommt auch das Klischee des ostdeutschen Nazis nicht zu kurz. Und doch macht es sich die Autorin mit ihren Romanfiguren nicht zu einfach, sondern schildert sie in ihrem Milieu als Menschen aus Fleisch und Blut. Schon vor der Lektüre war ich Fan von Juli Zeh. Ich bin es geblieben.... Unbedingt lesen!

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Dora lebt mit ihrem Freund Robert zusammen in Berlin-Kreuzberg und arbeitet als Werbetexterin. Es ist Frühjahr 2020 und die erste Welle der Corona-Pandemie. Robert, der sich in den letzten Monaten zu einem extremen Klimaschützer und Anhänger Greta Thunbergs und der "Fridays for Future"-Demonstrationen entpuppt hat, stresst Dora nun auch noch mit seinen Prophezeiungen als selbst ernannter Epidemiologe. Das zeitgleiche Homeoffice wird unerträglich, Dora fühlt sie wie ein Fremdkörper in der gemeinsamen Wohnung, für ihre übertrieben häufigen Spaziergänge mit ihrem Hund wird sie kritisiert. Dora zieht die Reißleine und flüchtet in das alte Gutsverwalterhaus, das sie sich von dem Erbe ihre Mutter gekauft hat. Dort, im 284-Seelendorf Bracken, ticken die Uhren anders. Der Nachbar stellt sich als "Dorf-Nazi" vor, skandiert das Horst-Wessel-Lied, Ausländer werden abwertend als "Pflanzkanacken" bezeichnet, die Einwohner wählen die AfD und schimpfen auf "die in Berlin", die Infrastruktur ist ein Witz. Der Gegensatz Berlin und Provinz in Brandenburg ist überwältigend, sämtliche Vorurteile und Klischees scheinen sich zu bestätigen, so dass es Dora zeitweise Angst wird. Doch nicht alles ist Schwarz-Weiß, Dora lernt auch das andere Gesicht des Dorfes und seiner Bewohner kennen und beginnt ihr eigenes Leben neu zu sortieren. Wie schon bei "Unterleuten" ist auch "Über Menschen" ein treffender Titel für diesen Roman. Er handelt von allerlei skurrilen Charakteren, die einerseits bekannte Stereotypen darstellen und damit die Wirklichkeit zeichnen, wie man sich ein Leben in einem abgelegenen Dorf in Brandenburg vorstellt. Menschen, die sich von den Politikern "da oben" nicht wahrgenommen fühlen und dann auch noch durch eine Pandemie und den Lockdown verunsichert werden. Durch die linksliberale Dora, die diesen Menschen begegnet, erhält man einen Blick auf all diese Menschen und bei näherem Betrachten stellt man fest, dass es dort mehr als nur den arbeitslosen, rechtsradikalen, vorbestraften Dorf-Nazi, den resignierten AfD-Wähler oder die überforderte alleinerziehende Mutter gibt, die im Existenzminimum lebt. Es herrscht hier auch eine ungefragte Solidarität, Nachbarschaftshilfe und Zusammenhalt. Jeder kennt jeden und hilft, wo er kann. Auch Dora gelangt so unvermittelt zu neuen Möbeln, gestrichenen Wänden und einem bestellten Beet. Selbst wenn sie sich politisch korrekt lieber von diesen Menschen fernhalten möchte, fühlt sie sich doch zu ihnen hingezogen und wird ein Teil der Dorfgemeinschaft. Das Buch beschreibt den Alltag, wie sich die Großstädterin Dora in ihrem neuen Leben in der Provinz neu einfinden muss, ist durch ihre Begegnungen mit den Menschen vor Ort jedoch äußerst unterhaltsam, erschreckend, aber auch amüsant und immer wieder verblüffend. Die Lebenswirklichkeit in dem fiktiven Ort Bracken ist überspitzt beschrieben, enthält bei aller Ironie aber auch einen wahren Kern. Wie Dora schwankt man, ob man die Menschen verurteilen soll oder mögen darf. "Über Menschen" ist lebensnah und abwechslungsreich geschildert, unterhält durch die facettenreichen Figuren und die hintergründigen bewegenden Schicksale, die nachdenklich machen und ganz deutlich zeigen, dass man sich nicht von Vorurteilen lenken lassen, sondern sich stets ein eigenes Bild machen sollte.

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