Von:
@__exlibris
08.11.2021
Gunnar Bäumer hat vor Jahren seinen westfälischen Heimatort Dörrfeld geradezu fluchtartig Richtung Berlin verlassen. Nun soll er Haus, Garten und Teich der Eltern hüten. Doch genau in dieser Woche findet das berühmt-berüchtigte Schützenfest statt und Gunnar stehen nicht nur Treffen mit alten und neuen Bekannten, sondern vor allem die Auseinandersetzung mit seiner Identität bevor.
Die deutsche Provinz eignet sich hervorragend als literarischer Schauplatz - kann doch hier, wie unter einem Brennglas, das Große im Kleinen ganz genau betrachtet und seziert werden. U.a. Juli Zeh und Saša Stanišić haben dafür tolle Beispiele abgeliefert.
Dementsprechend groß war meine Vorfreude als ich zu diesem Roman griff, ich erhoffte mir einen bitter-süßen, manchmal bösen, aber grundsätzlich liebevollen Blick auf das Leben in der Provinz, wie z.B. bei Frank Goosen oder Heinz Strunk.
Doch leider wurden meine Erwartungen schon auf den ersten Seite enttäuscht. Einen richtigen Lesefluss konnte ich nicht aufbauen und Gunnar blieb - obwohl (auch stark betrunken) mit ständiger Selbstreflexion beschäftigt - seltsam konturlos. Dazu störten mich die vielen kleinen Unstimmigkeiten im Bild das von Dörrfeld, seinen Bewohnern und Gunnar gezeichnet wird.
Fazit: nach massiven Startschwierigkeiten haben mir dann einige Passagen dann doch ganz gut gefallen. Gunnar als Protagonist blieb mir - trotz endloser innerer Monologe über sich selbst - fremd und wenig greifbar. Die Erkenntnis, dass es auch ein vermeintlich bürgerliches Idyll Risse hat und dass die Großstadt nicht zwangsläufig ein glücklicheres Leben bereithält ist zu banal, um sie in ständiger Wiederholung zu lesen.
Auch den Bezug zu behinderten Menschen fand ich etwas arg konstruiert und wenig im Einklang mit der übrigen Handlung.
Irritierend finde ich im Übrigen, dass sich doch einige andere Leserinnen und Leser über die grobe Sprache (so grob ist sie nun auch wieder nicht) beschweren, aber andererseits offenbar keinerlei Problem damit haben, dass ein 40 jähriger mit einer knapp 18jährigen Schülerin sexuell intim wird. Das macht sie doch schon fast zu Figuren aus Dörrfeld - Hauptsache die Fassade stimmt.