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Rezensionen zu
Tage ohne Cecilia

Antonio Muñoz Molina

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Der Anfang: «Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten. Die Bedingungen könnten nicht besser sein.» Handwerker beaufsichtigen, die Wohnung einrichten, mit dem Hund die Stadt erkunden: Voller Vorfreude erwartet ein Mann die Ankunft seiner Frau in Lissabon. Während Cecilia, eine Neurowissenschaftlerin der Traumataforschung, die Verlegung ihres wissenschaftlichen Projekts in New York vorantreibt, organisiert er den Umzug. Das Paar, so erfahren wir aus seiner Schilderung, lässt ein Leben in New York hinter sich, das durch die Ereignisse des 11. September nachhaltig erschüttert wurde. Sie hatten sich in Lissabon verliebt, fern von der Hektik Big Apples. Dieser Mann, von einer New Yorker Bank von einem Tag auf den anderen während der Krise gefeuert, ist auch nicht gewillt, sich wieder von in der Tretmühle von Arbeitgebern zermalmen zu lassen, freut sich auf das entspannte Leben in diesem ruhigen Viertel von Lissabon. Doch je länger der verbitterte Mann wartet und aus der gemeinsamen Vergangenheit mit Celia erzählt, desto mehr drängt sich ein Verdacht auf, dass sein Warten vergeblich sein wird. «Der Weltuntergang findet häufig statt. Überall kann in diesem Augenblick die Apokalypse ausbrechen. In den tropischen Wäldern Südamerikas sind in kurzer Zeit Millionen gelber Frösche einem tödlichen Pilz zum Opfer gefallen, einem Pilz, der sich so rasch ausbreitet wie die europäischen Pocken, die im 17. Jahrhundert die indigene Bevölkerung dezimiert haben.» Der erste Satz läutet bereits ein Drama ein. Was zunächst nach einer Liebesgeschichte anmutet, ist der Versuch einer Reflexion mit etwas Vergangenem. Tief in eine Depression versunken, enttäuscht vom Leben, richtet er sich in seinem Museum ein. Als die Möbel ankommen, stellt er in der Wohnung exakt dem Vorbild in New York nach. Das Leben nah am Fluss, am Hudson, am Tejo … Celia war zu ihm gezogen, als sie nach 9/11 nicht mehr in ihrem Apartment leben konnte. Hier fragt man sich das erste Mal, ob es ein Wir oder ein Seins war; klar wird, wir haben es mit einem unzuverlässigen Erzähler zu tun. Aber natürlich geht es in der Geschichte nicht nur um das Scheitern einer Beziehung. Es ist eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Gesellschaft in viele Richtungen. Er schimpft auf den Finanzmarkt, der immer wieder die gleichen Fehler macht, das Spiel mit dem Geld, die Gier, Inflation und das Risiko, ie Möglichkeit der Geldentwertung. Das Zocken mit Papieren, in der Hoffnung, reich zu werden – die Klimakatastrophen machen ihm zu schaffen, Waldbrände, Überschwemmungen, Hurrikans. «Das Wasser der Meere steigt wie die Genesis.» Nachrichten über Kriege nehmen zu, immer mehr Menschen flüchten aus ihrer Heimat und reaktionäre politische Strömungen gewinnen an Macht. Die Nachrichten sind voller Katastrophen, so der Erzähler, und doch läuft die Welt einfach weiter, trotz der Shoa, trotz 9/11, trotz des Erdbebens, das das Zentrum von Lissabon zerstörte. Hier werden zeitgenössische und gesellschaftliche Schlüsselereignisse mit persönlichen Erfahrungen verwoben. «Weit von uns entfernt stieg am südlichen Ende der Insel noch immer die große schwarze Wolke mit dem Flammenrot in ihrem Innern genau an der Stelle des Horizonts auf, an der vor ein paar Tagen, und später dann vor Wochen, die beiden Türme gestanden hatten. In Cecilias Träumen näherten sich die Flugzeuge im Tiefflug und rasten in einen Turm und danach in den anderen inmitten eines Feuerballs, immer wieder, so wie man es im Fernsehen sah. Wir erlebten das Ende der Welt direkt am Bildschirm des Fernsehers.» Celia wohnte in der Nähe der Twin -Towers und hat mit 9/11 ein traumatisches Ereignis erlebt, forscht heute an posttraumatischen Belastungsstörungen. Ständig hält sie weltweit Vorträge, während er auf sie wartet. Nun richtet der Erzähler die Wohnung ein, wartet. Den Tisch deckt er regelmäßig für zwei Personen. Und immer wieder die Sätze, die darauf hinweisen, dass er auf das Ende der Welt wartet. Will sie mit ihm warten? Der Erzähler schwelgt in seinen Erinnerungen, das Weltgeschehen, zieht ihn herunter und er wirkt oft orientierungslos, lässt sich hineingleiten in seine Depression. Celia kommt weder an, noch ruft sie ihren Mann an, nimmt niemals Kontakt mit ihm auf. Das scheint ihn nicht zu stören. Sein persönlicher Weltuntergang ist nahe. Ein Einpersonenstück – ein Selbstgespräch letztendlich, ein Gedankenspiel zum Zustand der Welt. Eine literarische Perle, kraftvoll geschrieben! «Ich habe mich bemüht, alles in dieser Wohnung für unser Leben hier einzurichten, für Cecilias Rückkehr, für ein möglichst angenehmes Warten auf das Ende der Welt, das täglich näher rückt, vielleicht sogar für ein glückliches Überleben nach der Katastrophe.»

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Antonio Muñoz Molina erzählt in „Tage ohne Cecilia“ vom Abdriften eines unzuverlässigen Erzählers „Dank der Aplysia, eines behäbigen Tieres, das nur über fünfhundert Neuronen und höchstens siebentausend Synapsen verfügt, konnte der Große Chef von Cecilias Labor die molekularen Mechanismen zur Bildung von Kurz- und Langzeitgedächtnis entdecken. Cecilia hat mich gelehrt, meine genetischen Familienbande mit Riesenschnecken, weißen Ratten und Fruchtfliegen zu akzeptieren. In ihrer primitiven Trägheit reagiert die Aplysia auf Schmerz und lernt aus den Stromschlägen. Ich frage Cecilia, was die Schnecke in diesem Augenblick fühlt, wie sie die Welt wahrnimmt, was sie sieht, hört und fühlt und ob sie sich an Dinge erinnern kann, ob sie schläft oder wacht, ob sie träumt.“ Seine Nerven und Synapsen, sein Kurz- und Langzeitgedächtnis, kurz die komplexen Vorgänge seines Hirns machen der Hauptfigur in Antonio Muñoz Molinas Roman „Tage ohne Cecilia“ zu schaffen. Die innere Stimme des Protagonisten, erst am Ende erfahren wir seinen Namen, Bruno, reflektiert sein Erleben und Erinnern, seine Sehnsüchte und Träume. Es handelt sich um einen äußerst unzuverlässigen Erzähler, was im Laufe des Romans, der auf knapp 300 Seiten hohe Komplexität entfaltet, immer deutlicher wird. Neben der Frage, wo zum Teufel Cecilia bleibt, entsteht ein weiteres Spannungsmoment, denn bald fragt sich die Leserin, was zum Teufel mit diesem Bruno los ist. Zunächst klingt die Geschichte ganz harmlos. Ein Paar zieht um, von New York nicht nur in eine andere Stadt, sondern auf einen anderen Kontinent, nach Lissabon. Während die Neurowissenschaftlerin Cecilia erst ein Projekt in New York zu Ende bringen will, reist ihr Partner mit dem Hund voraus. Früh verrentet hat er Zeit für den Umzug und das Einrichten der neuen Wohnung. Er kümmert sich um Handwerker und Organisation, was ihm bald der „argentinische Alleskönner“ Alexis abnimmt, der auch die Putzfrau Candida besorgt. So hat Bruno während des Wartens auf Cecilia Zeit über vieles nachzusinnen. Der prekäre politische und klimatische Zustand der Welt begegnet dem Leser bereits auf der ersten Seite des Romans. Dass der Erzähler dies zunehmend als apokalyptische Bedrohung erlebt, erschließt sich im Verlauf. Es mag sein, daß der Anschlag auf die Twin Towers, den er und Cecilia miterlebten, diese Endzeitangst auslöste, ebenso wie dieses Ereignis, die Abkehr von New York verursacht haben könnte. Lissabon erscheint dem Erzähler als Inbegriff der Ruhe, die allerdings im nächsten Augenblick vom Lärm der über die Wohnung hinwegdonnernden Flugzeuge zerstört wird. Ist diese Art der Wahrnehmung ambivalent oder steckt etwas anderes dahinter, fragt man sich spätestens, wenn man die obsessive Suche des Erzählers nach Parallelen verfolgt. Fast wie in einer Beschwörung erlebt Bruno, während er mit dem Hund Luria durch Lissabon zieht, die Ähnlichkeiten von Fluss, Brücken, selbst von Kirchengeläut mit ihren Pendants in New York. Die neue Wohnung wird zur Replik der alten. Dieselben Möbel und Gegenstände werden in dergleichen Weise aufgestellt und angeordnet. Fast verrät nur der Fensterblick die Veränderung. Als Helfer bei der Verdoppelung dient ihm Alexis, der bei der Reinigung der Christusstatue von Rio half, deren kleine Kopie in Lissabon steht. Alexis scheint anfangs unabkömmlich, doch bald nimmt ihn der Erzähler als Bedrohung wahr. Neben den Beobachtungen der Umgebung, des Verhaltens von Alexis und insbesondere das des Hundes, gilt Brunos größte Aufmerksamkeit sich selbst. Die stete Introspektion führt zu Erinnerungen an Cecilia, ihr gemeinsames Leben in New York, ihre erste Reise nach Lissabon, einen Besuch in Cecilias Labor. Mit den immergleichen Vorbereitungen leitet er sein ritualisiertes Warten ein, das ihn immer zum gleichen Platz mit dem gleichen Blick aus dem Fenster führt. In diesem statischen Zustand des Wartens scheint die Zeit kaum zu vergehen. „Ich weiß nicht, welchen Tag wir heute haben. Die Tage vergehen alle so gleich, dass ich sie nicht unterscheiden kann.“ Mit Lektüren über Admiral Byrds Antarktis-Expedition, den Erfahrungen eines einsamen Mönches, von Joseph Conrad oder Montaigne will er sich vom Grübeln ablenken, doch „ohne Zeitbezug löste sich meine Biografie auf, in voneinander losgelöste Fragmente ohne Vorher und Nachher“. Dies spiegelt der Aufbau des Romans in kurze Kapitel, die den inneren Monolog des Erzählers sprunghaft folgen. Zuweilen wiederholen sich die Episoden, sie unterscheiden sich jedoch in Details wie ein „Finde-den-Fehler-Bild“. Antonio Muñoz Molina lässt seinen Helden nur selten dem qualvollen Warten entkommen. Er schickt ihn auf eine Party oder gewährt die Begegnung mit einer anderen Frau, doch diese Ereignisse irritieren in ihrer Surrealität. Mit dem Fortschreiten der Geschichte nehmen Brunos Probleme mit dem Gedächtnis und dem Verlust des Zeitgefühls zu, Verfolgungswahn und zwanghaftes Verhalten verstärken sich. Orientierungslos irrt er durch die Gassen der Stadt wie die Ratten durch Cecilias Labyrinth. Der spanische Original-Titel „Tus pasos en la escalera“ gibt vielleicht einen deutlicheren Hinweis auf eine Interpretation des Romanendes als der deutsche. Mir hat der vielschichtige Roman ein schönes offenes Ende gegönnt, da ich Cecilias Erkenntnis folge: „Du hast so oft gelogen, dass du gar nicht mehr unterscheiden kannst, was wahr ist und was du erfunden hast.“

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Was als genüssliche Erkundung einer neuen Heimat beginnt, entpuppt sich als flackerndes Bild, bei dem die Grenzen zwischen Erinnerungen und Gegenwart verschwimmen. Bruno schlendert den Tejo entlang, genießt, vergleicht – und sehnt sich zugleich unbändig nach seiner Frau. Gleichsam zur Ablenkung reflektiert er die Nachrichten über den Zustand unserer Welt, in der sich die Klimakrise mit immer neuen Facetten zeigt. Doch der Frührentner erweist sich als unzuverlässiger Erzähler, die von ihm auf Hochglanz polierte Gegenwart erscheint immer mehr als fragile Illusion. Jenseits der atmosphärischen Stadtspaziergänge handelt das Buch von einer sich bedrohlich wandelnden Welt, unseren privaten Ängsten und einem Abgrund zwischen dem, was wir uns selbst über unserem Leben erzählen, und der manchmal kaum zu ertragenden Realität. . Ein Buch, das in schillernder Unschärfe mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Bis auf das Ende, das für meinen Geschmack zu realistisch (und in gewisser Weise zu banal) ausfiel und gern offener hätte sein können.

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„Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten.“ So beginnt Antonio Muñoz Molina seinen Roman Tage ohne Cecilia. Ein Mann wartet. Und man beginnt früh zu ahnen, dass es ihm nicht viel anders ergehen wird als den berühmten Wartenden Estragon und Wladimir. Dennoch verfolgt man dieses Warten auf die Geliebte, Cecilia, mit großer Spannung und erfährt dabei einiges über den Ich-Erzähler, der einigermaßen unzuverlässig erscheint und den Leser:innen nicht alles zu offenbaren scheint, und sein Leben mit Cecilia. Kennengelernt haben sich die Beiden in New York, wo sie gearbeitet und gelebt haben.  Antonio Muñoz Molina hat selbst als Leiter des dortigen Instituto Cervantes gewirkt. Das Leben in Manhattan ist ihnen spätestens seit dem Terror von 9/11, den Cecilia beinahe hautnah miterlebt hat, verleidet. Die Angst, die Enge, der Schmutz - in einem Lissabonner Viertel haben sie sich eine Wohnung gekauft, in ihr wartet der Ich-Erzähler mit den schon eingetroffenen Möbeln ungeduldig auf seine Frau. Diese ist Neurowissenschaftlerin und forscht vor allem an Rattenhirnen. Sie sucht nach dem Sitz der Angst und erfahrener Traumata. Und diese teilweise unerträglich geschilderten Forschungen am Tier nehmen einen gewissen Teil des Romans ein. Für ihre Wissenschaft reist Cecilia durch die Welt, während der Erzähler von seiner New Yorker Bank vor die Türe gesetzt wurde. Die Weltwirtschafts- und Bankenkrise lässt grüßen. Nun sitzt er mehr oder weniger beschäftigungslos mit der Hündin Luria in der Lissabonner Wohnung, schaut auf den Tejo, streift durchs Viertel, sitzt in Cafés. Die tief und häufig auf ihrem Weg zum Flughafen über das Haus dröhnenden Flugzeuge sind erste Boten davon, dass das erhoffte Idyll mit Cecilia gefährdet sein könnte. Die sich andeutenden Klimakatastrophen und sich überstürzenden schlechten Nachrichten über Kriege, Fluchtbewegungen und reaktionäre politische Strömungen deuten für den Ich-Erzähler das Ende der Welt an. Es passiert wenig auf den 272 Seiten des Buches, und doch ist man als Leser:in sehr gespannt, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Man ahnt, dass Cecilia nicht so bald wie erhofft kommen wird, man stellt Mutmaßungen an. Wie der Roman dann schließlich endet, enttäuscht allerdings ein wenig. Bis dahin entwickelt Tage ohne Cecilia aber einen enormen Sog. Und ein großer Stilist und begnadeter Beobachter ist Antonio Muñoz Molina sowieso.

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Ein Roman, der das Zeug hat zum Klassiker zu werden. Denn er ist einerseits unserem Zeitgeist sehr nahe, aber doch so zeitlos wie ein guter Roman sein sollte. Alleine der erste Satz zieht einen in die Geschichte, wenn es da heißt: „Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten.“ Die Stadt von der hier die Rede ist, ist Lissabon. Übrigens ein elementarer Protagonist in diesem Roman ist die Stadt! Der alternde Mann in dessen Kopf wir fortwährend der Geschichte seiner Subjektivität folgen, zieht hier mit seiner jüngeren Frau Cecilia hin nachdem er in die Frührente aus New York entschwand. Im Grunde genommen hat ihn sein amerikanischer Arbeitgeber loswerden wollen und das Paar macht das Beste daraus. Sie, die titelgebende Cecilia, ist deutlich jünger und als Hirnforscherin hochaktiv und ständig auf Achse und so wird endlich das alte Klischee von Frau wartet auf Mann aufgebrochen und es heißt so schön: „Tage von Cecilia“, denn er wartet sehnsüchtig auf sie. Im Original ist der Roman auf Spanisch bereits 2019 erschienen und mir scheinen hier viele Erlebnisse des Autoren Antonio Muñoz Molina eingegangen zu sein, denn er lebt in Lissabon, der Wartende wohnt auch in seinem Viertel und Muñoz Molina leitete das Instituto Cervantes in New York bis 2006. Somit kennt er die Lebensrealität dieses Mannes sehr genau was die äußeren Bedingungen angeht. Ein Roman der sachte und atmosphärisch die Situationen erzählt, es werden Gerüche und Geräusche plastisch. Besonders eindringlich werden Personen beschrieben. Eine wahre literarische Freude dieses Buch zu lesen! Besonders da die Übersetzung von Willi Zurbrüggen sehr gelungen ist! Als Gastland 2022 der Frankfurter Buchmesse erhoffe ich diesem Titel eine besondere Aufmerksamkeit!

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"Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten." (S. 7) So beginnt der Ich-Erzähler seinen Bericht über eine Zeit des Wartens auf seine Frau Cecilia. Erst im vorletzten der 52 kurzen, wie Gedankenschnipsel durch Raum und Zeit schwebenden Kapitel erfahren wir seinen Namen: Bruno. Während einer Reise hatte das Paar sich in die Stadt Lissabon verliebt, eine Wohnung gekauft und sich nun zum Umzug entschlossen. Bruno ist vorausgefahren, beaufsichtigt die Renovierungsarbeiten, packt Kisten aus. Denn während er sich nach dem Verlust seines verhassten Jobs als Frührentner nur noch um Cecilias Wohlergehen kümmern will, arbeitet sie als Forscherin im neurologischen Labor eines Nobelpreisträgers in New York und möchte vor ihrem Wechsel in ein entsprechendes europäisches Institut ihre derzeitige Arbeit abschließen. Gerade sie, die an Ratten die Mechanismen von Erinnerung und Angst erforscht, leidet seit den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Albträumen, die in Lissabon der Vergangenheit angehören sollen. Realität oder Wunschtraum? So plausibel Brunos Erzählung zunächst klingt, so schnell schleicht sich bei der Lektüre Misstrauen ein. Während er zunächst mit den Arbeiten an der Wohnung beschäftigt ist und wenigstens mit dem vielseitigen Handwerker Alexis und der gesprächigen Putzfrau Cándida Umgang pflegt, kapselt er sich zunehmend in seiner mittlerweile fertigen Wohnung ein, einzig in Gesellschaft seiner Hündin Luria und seiner Bücher. Doch warum muss das neue Zuhause dem alten bis ins kleinste Detail gleichen? Wo ist Cecilia, für die er bei den Mahlzeiten ein Gedeck auflegt, wie ist es um ihre Beziehung wirklich bestellt? Warum gibt es keine Telefonate und vor allem: Wann kommt sie? All dies entfachte bei mir ein Kopfkino mit den aberwitzigsten Erklärungsvarianten, was dieses ruhige, fast lethargische Buch zumindest für mich zum psychologischen Spannungsroman machte. Je sicherer ich mir über die Unzuverlässigkeit des einsamen, immer stärker in Zeit und Raum desorientierten Ich-Erzählers wurde, desto drängender wurden meine Fragen. Das Ende Während ich Bruno bei Joggingrunden am Tejo, im Lesesessel bei der Lektüre ähnlich isolierter Protagonisten, auf einer aberwitzigen Party, beim Verfolgen apokalyptischer Weltnachrichten oder beim Zitieren von Cecilias Wissen zur Hirnforschung begleitete, wuchs meine Sorge, ob es überhaupt eine Auflösung geben würde. Umso beglückter war ich, als das Ende meine offenen Fragen zu beantworten schien – jedenfalls so lange, bis sich in meiner Leserunde ganz andere Interpretationsvarianten auftaten… Aber ist es nicht genial, wenn verschiedene, wohlgemerkt begründete Schlüsse möglich sind, über die sich trefflich diskutieren lässt? Ich jedenfalls bleibe bei meiner Auslegung, die ich hier natürlich nicht preisgebe, obwohl mich der spanische Originaltitel "Tus pasos en la escalera" (Deine Schritte auf der Treppe) erneut ins Grübeln brachte… Zwei Städte, zwei Flüsse, zwei Kulturen Der 1956 in Andalusien geborene Antonio Muñoz Molina zählt zu den wichtigsten Gegenwartsautoren seines Landes und macht Lust auf den Gastlandauftritt Spaniens bei der Frankfurter Buchmesse 2022. Sein Roman "Tage ohne Cecilia" von 2019, zu diesem Anlass nun von Willi Zurbrüggen übersetzt, hat mich durch den intensiven Erzählstil, Besessenheit und Kontrollverlust des Protagonisten, mitreißende Beschreibungen der sich allmählich zu einem Ort verdichtenden Städte Lissabon und New York, ironische Sicht auf zwei Kulturen, Widersprüche, Rätsel und Deutungsmöglichkeiten, elegante Sprache und einen raffinierten Spannungsbogen überzeugt.

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