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Rezensionen zu
Die Lichter von Barcelona

Pere Cervantes

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1945, Barcelona: Während sich die Stadt von den Folgen des Bürgerkriegs erholt, verdient sich der zwölfjährige Nil neben der Schule ein paar Peseten, indem er als Kurier Filmrollen von einem Kino zum nächsten bringt. Das Gehalt seiner Mutter reicht hinten und vorn nicht, um zu überleben. Hin und wieder schleicht er sich in die Vorführungen, um der Stimme seines Vaters David zu lauschen, der einst Synchronsprecher war, bevor er vor Jahren verschwand; gesucht als Republikaner, einer der Widerstandsgruppen. Als er eines Tages nach Hause kommt, stürzt ein Mann aus dem Hausflur und im Treppenhaus liegt ein schwer verletzter Mann. Er flüstert Nil «David» zu, drückt ihm ein Sammelbildchen in die Hand und stirbt. Der Roman geht zurück in die dunkle Zeit des diktatorischen Franco-Regimes, das erst 1977 sein Ende fand. Buchhändler Leo, der unter seinem kleinen Antiquariat im Keller auch ein geheimes Kino versteckt, gibt einem verzweifelten Kreis von Widerständlern, wie dem Filmvorführer Bernardo und seinem Lebensgefährten und Platzanweiser Paulino die Möglichkeit, verbotene Filme zu sehen und Bücher zu lesen, die auf dem Index stehen; aus der Realität zu flüchten. Es sind Freunde von David; auch der einarmige, filmverrückte Nil wird in diesen Kreis aufgenommen. Im Gefängnis von Montjuïc sind die Keller gefüllt mit ehemaligen Republikanern, Folterungen stehen an der Tagesordnung. «Die Zahl der unbescholtenen Bürger, die in den Gefängnissen einsaßen, hatte ungeahnte Ausmaße angenommen. In diesem düsteren Raum mit den von Feuchtigkeit zersetzten Wänden entkleideten die Wärter die Neuankömmlinge und untergruben ihre Moral, indem sie ihnen von Anfang an die Würde nahmen, was viel schlimmer war als der Kerker, der sie erwartete.» Das Sammelbild scheint einen Wert zu haben, dessen Geheimnis Nil ergründen möchte, denn plötzlich sind ein ehemaliger Gestapo-Kommandant, der in Barcelona wohnt, und der äußerst brutale Geheimdienstler Victor Valiente hinter dem Bild her. Der auktoriale Erzähler gibt dem Leser Informationen, die Protagonisten sind auf der Suche. Der Roman zeigt Barcelona, das durch die Folgen des Krieges zerstört wurde, verwundete Seelen, ein Regime, das unterjocht, das die Freiheit mit Polizei- und Militärstiefel zertritt, Sprache und Traditionen, die verboten sind. Katalanisch ist verboten. Selbst im Gefängnis dürfen sich Gefangene und Besucher nur auf Kastilisch unterhalten. Verbotene Musik, Bücher, Filme, Feste (jegliche eigene Kultur) – man unterhält sich nur flüsternd, immer auf der Hut vor Spitzeln – die Angst sitzt jedem im Nacken. «Sie lebt in einer Welt voller autoritärer, deprimierter oder abwesender Männer. Einer Welt, in der nur die Frauen in der Lage waren, das Elend auszuhalten, das die Männer angerichtet hatten.» Nach einem spannenden Anfang dauert es eine lange Zeit, bis der Roman wieder an Fahrt gewinnt und für meinen Geschmack schreitet die Geschichte zu langsam und ohne unerwartete Wendungen voran. An das literarische Niveau von Carlos Ruiz Zafón, der diese das Thema aufgegriffen hat, reicht Pere Cervantes leider nicht heran. Die Geschichte spielt in einem Armenviertel, in dem es ausschließlich Republikaner gibt, wenige Protagonisten füllen die Story. Frauen, die in dieser Zeit ums Überleben kämpfen, verschwundene oder verhaftete und depressive Männer. Ein Loch im Sozialgefüge. Die Falangisten sind ausnahmslos reiche Menschen und der Antagonist, Geheimdienstlers Victor Valiente, ist ein wirklich böses Exemplar Mensch, der sich nach einer persönlichen Abrechnung mit der Familie von Nil sehnt. Das ist ein wenig einfach dargestellt. Mir fehlen hier die Grautöne – denn die jeweilige politische Zugehörigkeit durchzog alle Gesellschaftsschichten. Die Guten hier, die Bösen dort. Die Charaktere sind für meinen Geschmack etwas klischeehaft und eintönig. Das letzte Kapitel macht einen Ausflug in 2021. Ich war irritiert. Das Kapitel hätte sich der Autor schenken können. Die Reflexionen über die Rolle der Frauen und Mütter in der Nachkriegszeit waren für mich eines der besten Elemente des Buches. Dort wo Gewalt, Hunger, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit die Geschichte durchdringen, kommt man ihr nahe; es gibt ziemlich brutale Szenen durch Polizeigewalt. Eine typische Diktatur: Korrupte Polizei, bestialische Verfolgung von Regimegegnern, Machtmissbrauch, Verrat, Erpressung, Unterdrückung, es herrscht ständige Angst in der Bevölkerung ... «Bedauerlicherweise ist Katalanisch in dieser Festung nicht erlaubt. Die Gefangenen dürfen sich nur in Kastilisch mitteilen, der einzigen Sprache des freien Spaniens.» Das Buch ist auch eine Hommage an den besonderen Zauber des Kinos, eine kinematografische Reise in diese Zeit. Die Menschen von damals flüchteten sich in die Filmpaläste, um all dem Elend und Schmerz zu entkommen, und es wurde zu ihrer großen Zuflucht. Insgesamt ist der historische Roman in Ordnung. Schade, dass der Originaltitel, der Junge mit den Filmrollen, nicht übersetzt wurde – es hätte besser gepasst. Er ist eher filmisch aufgezogen und verliert dadurch seine Kraft. Der große Wurf ist es nicht. Pere Cervantes, geboren 1971 in Barcelona, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften war er zunächst als Soldat für die UN im Kosovo und die Europäische Union in Bosnien-Herzegowina tätig. Zurück in Spanien, wandte er sich allerdings dem Schreiben zu. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet. «Die Lichter von Barcelona» ist Pere Cervantes‘ erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde.

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Spannender Unterhaltungsroman vor historischer Kulisse, aber mit Minuspunkten

Von: Buchbesprechung / Sigismund von Dobschütz aus Bad Kissingen

07.11.2022

Mit den ersten freien Wahlen endete 1977 das diktatorische Franco-Regime. Doch die Auswirkungen des Franquismus halten gesellschaftlich und politisch sogar bis heute an. Vergleichbar vor allem mit der deutschen Nachkriegsliteratur, sind deshalb in Spanien die Jahre der Franco-Diktatur noch immer ein für Autoren wichtiges Thema. Aktuelles Beispiel ist der im Juli im Limes Verlag veröffentlichte Roman „Die Lichter von Barcelona“ des mehrfach ausgezeichneten spanischen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Pere Cervantes (51). Die Handlung des Romans beginnt direkt nach dem Zweitem Weltkrieg im Jahr 1945 und setzt sich über 1947 bis 1949 fort. Diese Zeitspanne war einerseits die Zeit der Erholung vom Krieg, andererseits die düsterste Zeit der spanischen Diktatur in der Verfolgung des politischen Widerstands, eine Zeit gesellschaftlicher Unsicherheit, eine Phase der andauernden Bespitzelung. „Es war eine Art Waffenstillstand, während dem es verboten war, bei Tisch über Politik zu sprechen und die [Menschen] zu erwähnen, die nicht da waren, vor allem, wenn der Krieg und seine Folgen schuld daran waren.“ In dieser dunklen Zeit wächst der 13-jährige Nil Roig in der alleinigen Obhut seiner Mutter Soledad auf, denn Vater David lebt seit Jahren als Mitglied einer Widerstandsgruppe im Verborgenen. Nur des Vaters Stimme, der früher Hollywood-Filme synchronisierte, ist dem Sohn auf alten Filmrollen geblieben. Um den armseligen Lohn seiner Mutter aufzustocken, bringt der Junge mit seinem Fahrrad die jeweils benötigten Filmrollen von einem Kino zum anderen. Ansonsten entzieht sich Nil der Wirklichkeit des unbarmherzigen Alltags, indem er in die Traumwelt der Filme und verbotenen Bücher entflieht. Beides ermöglicht ihm Buchhändler Leo, der nicht nur ein kleines Antiquariat betreibt, sondern im Keller auch ein geheimes Kino. Väterliche Freunde sind zudem der Filmvorführer Bernardo und sein Lebensgefährte und Platzanweiser Paulino. Eines Tages wird Nil im heimischen Hausflur Zeuge eines Mordes. Der Sterbende steckt ihm noch ein Schauspieler-Sammelfoto zu und flüstert den Namen seines Vaters David. Bald bekommt Nil zu spüren, dass andere auf der Jagd nach diesem Foto sind. Nicht nur der Zeitrahmen der Handlung, das Gefängnis von Montjuïc und Leos Antiquariat mit verbotenen Büchern erinnern zwangsläufig an die ab 2001 erschienene vierbändige Bestseller-Reihe „Friedhof der vergessenen Bücher“ von Carlos Ruiz Zafón über die Geschehnisse um die Buchhandlung Sempere & Söhne in Barcelona. Wohl ganz bewusst hat der Limes Verlag für den Cervantes-Roman „El chico de las bobinas“ - auf Deutsch „ Der Junge mit den Filmrollen“ – deshalb auch als Titel „Die Lichter von Barcelona“ gewählt, ähnelt dieser doch Zafóns viertem Band „Das Labyrinth der Lichter“ aus dem Jahr 2017. Doch an das literarische Niveau Zafóns reicht Pere Cervantes keinesfalls heran. Bei ihm spürt man vielmehr die Erfahrung des modernen Drehbuch-Autors. Die Handlung ist stark vereinfacht, die Personenzahl überschaubar, was der Autor von seinem Alter Ego am Schluss indirekt bestätigen lässt: „Um mit den Stimmen einiger weniger die Geschichte so vieler zu erzählen.“ Cervantes' Protagonisten sind zu strikt in bitterarme, politisch verfolgte Republikaner, die wie in einem Ghetto zusammenleben, sowie reiche System- und Kriegsgewinnler (Falangisten) eingeteilt. Dazwischen scheint es nichts und niemanden zu geben. Besonders störend ist vor allem die in Einzelheiten ergehende Schilderung sexueller und gewalttätiger Misshandlungen an den Opfern des Geheimdienstlers Victor Valiente, wo schon Andeutungen ausreichend gewesen wären. Dadurch verliert der Roman leider zusätzlich an literarischem Niveau. Dennoch: Das Buch „Die Lichter von Barcelona“ ist durchaus spannend, nur historisch allzu klischeehaft. So bleibt es allein ein gut zu lesender und aktionsreicher, deshalb sicher gut verfilmbarer Unterhaltungsroman mit interessanter Handlung.

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Mit den ersten freien Wahlen endete 1977 das diktatorische Franco-Regime. Doch die politische und literarische Aufarbeitung der grausamen und Millionen Opfer fordernden Militärdiktatur begann erst in den 2000er Jahren. Die Auswirkungen des Franquismus halten gesellschaftlich und politisch sogar bis heute an. Vergleichbar vor allem mit der deutschen Nachkriegsliteratur, sind deshalb in Spanien die Jahre der Franco-Diktatur noch immer ein für Autoren wichtiges Thema. Aktuelles Beispiel ist der im Juli im Limes Verlag veröffentlichte Roman „Die Lichter von Barcelona“ des mehrfach ausgezeichneten spanischen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Pere Cervantes (51). Die Handlung des Romans beginnt direkt nach dem Zweitem Weltkrieg im Jahr 1945 und setzt sich über 1947 bis 1949 fort. Diese Zeitspanne war einerseits die Zeit der Erholung vom Krieg, andererseits die düsterste Zeit der spanischen Diktatur in der Verfolgung des politischen Widerstands, eine Zeit gesellschaftlicher Unsicherheit, eine Phase der andauernden Bespitzelung. „Es war eine Art Waffenstillstand, während dem es verboten war, bei Tisch über Politik zu sprechen und die [Menschen] zu erwähnen, die nicht da waren, vor allem, wenn der Krieg und seine Folgen schuld daran waren.“ In dieser dunklen Zeit wächst der 13-jährige Nil Roig in der alleinigen Obhut seiner Mutter Soledad auf, denn Vater David lebt seit Jahren als Mitglied einer Widerstandsgruppe im Verborgenen. Nur des Vaters Stimme, der früher Hollywood-Filme synchronisierte, ist dem Sohn auf alten Filmrollen geblieben. Um den armseligen Lohn seiner Mutter aufzustocken, bringt der Junge mit seinem Fahrrad die jeweils benötigten Filmrollen von einem Kino zum anderen. Ansonsten entzieht sich Nil der Wirklichkeit des unbarmherzigen Alltags, indem er in die Traumwelt der Filme und verbotenen Bücher entflieht. Beides ermöglicht ihm Buchhändler Leo, der nicht nur ein kleines Antiquariat betreibt, sondern im Keller auch ein geheimes Kino. Väterliche Freunde sind zudem der Filmvorführer Bernardo und sein Lebensgefährte und Platzanweiser Paulino. Eines Tages wird Nil im heimischen Hausflur Zeuge eines Mordes. Der Sterbende steckt ihm noch ein Schauspieler-Sammelfoto zu und flüstert den Namen seines Vaters David. Bald bekommt Nil zu spüren, dass andere auf der Jagd nach diesem Foto sind. Nicht nur der Zeitrahmen der Handlung, das Gefängnis von Montjuïc und Leos Antiquariat mit verbotenen Büchern erinnern zwangsläufig an die ab 2001 erschienene vierbändige Bestseller-Reihe „Friedhof der vergessenen Bücher“ von Carlos Ruiz Zafón über die Geschehnisse um die Buchhandlung Sempere & Söhne in Barcelona. Wohl ganz bewusst hat der Limes Verlag für den Cervantes-Roman „El chico de las bobinas“ - auf Deutsch „ Der Junge mit den Filmrollen“ - deshalb auch als Titel „Die Lichter von Barcelona“ gewählt, ähnelt dieser doch Zafóns viertem Band „Das Labyrinth der Lichter“ aus dem Jahr 2017. Doch an das literarische Niveau Zafóns reicht Pere Cervantes keinesfalls heran. Bei ihm spürt man vielmehr die Erfahrung des modernen Drehbuch-Autors. Die Handlung ist stark vereinfacht, die Personenzahl überschaubar, was der Autor von seinem Alter Ego am Schluss indirekt bestätigen lässt: „Um mit den Stimmen einiger weniger die Geschichte so vieler zu erzählen.“ Cervantes' Protagonisten sind zu strikt in bitterarme, politisch verfolgte Republikaner, die wie in einem Ghetto zusammenleben, sowie reiche System- und Kriegsgewinnler (Falangisten) eingeteilt. Dazwischen scheint es nichts und niemanden zu geben. Besonders störend ist vor allem die in Einzelheiten ergehende Schilderung sexueller und gewalttätiger Misshandlungen an den Opfern des Geheimdienstlers Victor Valiente, wo schon Andeutungen ausreichend gewesen wären. Dadurch verliert der Roman leider zusätzlich an literarischem Niveau. Dennoch: Das Buch „Die Lichter von Barcelona“ ist durchaus spannend, nur historisch allzu klischeehaft. So bleibt es allein ein gut zu lesender und aktionsreicher, deshalb sicher gut verfilmbarer Unterhaltungsroman mit interessanter Handlung.

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