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Rezensionen zu
Die Bagage

Monika Helfer

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"Meine schöne Großmutter war Vorbild und Vorwurf." (CD 1, Track 20) Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren vier Kindern Herrmann, Katharina, Walter und Lorenz in einem Bergdorf. Sie wohnen etwas auswärts, gehören nicht recht zur Dorfgemeinschaft, sind die Bagage. Als Josef in den Ersten Weltkrieg eingezogen wird, bleibt Maria allein mit den Kindern zurück und erhält anfangs Hilfe vom Bürgermeister des Ortes. Doch als der Deutsche Georg ins Dorf kommt und Maria schwanger wird, munkeln die Dorfbewohner, wer denn wohl der Vater sei, denn dass Maria bei einem der kurzen Fronturlaube Josefs direkt schwanger geworden sein könnte, halten sie für unwahrscheinlich. In der Folge müssen sich Maria und ihre Kinder schließlich allein durchschlagen. Mir hat der Roman ausgezeichnet gefallen, doch an die Lesung der Autorin musste ich mich erst einmal gewöhnen. Normalerweise finde ich Autoren-/Autorinnenlesungen besonders gelungen, da ein Buch so automatisch die passende Intonation bekommt, genauso gelesen wird, wie es gelesen werden sollte. Hier empfand ich die Lesung aber als etwas gelangweilt und teilweise recht abgehackt, und ich musste mich erst einhören. Die Geschichte an sich ist atmosphärisch und spannend. Den Schreibstil von Monika Helfer fand ich bisweilen etwas gewöhnungsbedürftig, z.B. die Wiederholungen bestimmter Wörter/Phrasen. Dennoch hat mich der Roman begeistert, denn er nimmt den Hörer mit in ein österreichisches Bergdorf, erzählt eine komplexe Familien- und Dorfgeschichte, bildet die moralischen Überzeugungen der damaligen Zeit gut ab, berichtet von den Auswirkungen des Krieges, von der Macht von Gerüchten, von Ungerechtigkeiten, von der Unterdrückung und Bevormundung von Frauen etc. Dabei ist das (Hör-) Buch zwar oft tragisch, aber nie übertrieben emotional. ‚Die Bagage‘ ist ein ebenso authentischer wie berührender Roman, und ich freue mich schon auf ‚Vati‘ von Helfer. Monika Helfer: Die Bagage. Ungekürzte Autorinnenlesung. Der Hörverlag, 2020; 19 Euro.

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Schon der Titel dieses Romans zog mich an. Die „Bagage“, ein abwertender Begriff für bestimmte Familien oder Gruppen, den man heute kaum noch hört. Monika Helfer hat ihren neuen Roman „Die Bagage“ selbst eingelesen. Sie hat ihren Text dabei in einem ganz besonderen Stil mit weicher, leicht rauer, teils raunender, verwaschener Stimme interpretiert. Damit schafft sie viel Nähe zu ihrer Heldin Maria. „Man nannte sie »die Bagage«. Das stand damals noch lange Zeit für »das Aufgeladene«, weil der Vater und der Großvater von Josef Träger gewesen waren, das waren die, die niemandem gehörten, die kein festes Dach über dem Kopf hatten, die von einem Hof zum anderen zogen und um Arbeit fragten und im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen, das war der unterste aller Berufe, unter dem des Knechtes.“ Helfer erzählt von ihrer Großmutter Maria, die im Bregenzerwald in Vorarlberg, Österreich lebte. Mit ihrem Mann Josef bewohnt sie Haus und Hof außerhalb der Ortschaft Richtung Berg. Vier Kinder gibt es bereits, Hermann, Lorenz, Katharina und Walter, als der Vater einberufen wird und in den ersten Weltkrieg ziehen muss. Josef beauftragt seinen Freund im Dorf, den Bürgermeister, während seiner Abwesenheit auf Maria „aufzupassen“. Dass der Bürgermeister schon auch ein Auge auf die schöne Maria geworfen hat, wie so viele Männer im Dorf, weiß er scheinbar nicht. Doch Maria ist nur an dem Fremden namens Georg interessiert, den sie auf dem Viehmarkt trifft und der von weit her, aus Hannover, kommt und so ganz anders spricht. Sie findet ihn freundlich, etwas was der Josef nicht ist. Einige Male besucht er sie auf dem Hof. Dann reist er ab. Was der Bürgermeister sich daraufhin zusammenspinnt, wird noch weite Kreise ziehen. Denn Maria ist schwanger und obwohl Josef auf Fronturlaub zuhause war, wird das Kind, Monika Helfers Mutter Margarete, es nicht leicht haben zwischen den anderen Geschwistern. Josef wird sie kaum ansehen und nie mit ihr sprechen. Zwischendurch schweift die Autorin immer wieder ab, in die eigene Kindheit, in die eigene Biographie, die auch vom Tod der Tochter Paula mit nur 21 Jahren geprägt ist. Helfer lebte, weil die Mutter mit 42 starb bei der Tante Kathe, die immer von ihrer schönen Mutter, der Maria sprach. Von ihr erfuhr sie auch die Geschichte mit dem Fremden und der Großmutter. Im Alter von 90 Jahren erzählte sie plötzlich, was sich zugetragen hatte, zumindest so, wie sie es erinnert. „Willst du mich besuchen, weil du deine Nachforschungen betreiben willst?“, hat sie mich am Telefon gefragt. Und da sagte ich, „Ja, ich will Nachforschungen betreiben. Es ist ja erlaubt wissen zu wollen, woher man stammt.“ Die Bagage, das sind immer schon die, die etwas anders sind, fremder erscheinen: Maria, die eine besondere Schönheit ist, Josef, der seine vermutlich nicht immer ganz legalen „Geschäftchen“ macht, die vielen Kinder, die Armut und der abseits gelegene Hof ohne Strom- und Wasseranschluß. Und als die Eltern viel zu früh starben, waren die sieben Kinder, die versuchten sich selbst zu versorgen, im Dorfjargon noch viel mehr die Bagage … Monika Helfer findet sie alle wieder in einem Bild von Pieter Bruegel im Kunsthistorischen Museum in Wien. Kinderspiele heißt es. Ihre Geschichte hätte ich mir noch viel länger anhören können …

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Im frühen September 1914. Josef und Maria lebten mit vier Kindern am Ende eines Bergtals unweit von Bregenz.  Waren die beiden tatsächlich zufrieden, ja so glücklich wie das biblische, namensgleiche Paar? War die Anzahl ihrer Kinder, konnte diese Kinderschar das Zeugnis dafür sein? Im Dorf zerriss man sich darüber die Mäuler und nur allzu gerne spekulierte man, auch laut. Denn Maria war schön, zu schön und der Josef, wenn auch leicht zu erzürnen, nicht immer da um auf sie acht zu geben ... Alles begann mit dem Postboten und einem Brief, der Maria vor dem Haus beim Wäsche aufhängen erreichte. Ein Brief vom Staat, der einen abgetrennten Abschnitt und eine unterzeichnete Rücksendung desselben erforderte. Es war ein Stellungsbefehl. Ein Befehl des Kaisers für Josef. Der Krieg rief nach ihm, auch hier im Schatten unter dem Berg, und er kam um ihn zu holen. Sie verabschiedeten ihn am Bahnhof, Lorenz, neun Jahre und Wolf der Hofhund, dieser winselnd. Die Mutter war nicht mitgekommen, der Vater mochte die Öffentlichkeit für Vertraulichkeiten nicht, nicht für eine Umarmung und für mehr schon gar nicht ... Lorenz war über den Schnee und die tief liegende hintere Hälfte des Daches hinaufgeklettert bis zur Dachluke, hatte sie freigeschaufelt und geöffnet, die Flinte angelegt, und er zielte auf den Mann, der bedrohlich nah an seine Mutter herangerückt war, ihr an die Bluse griff und er rief laut zu ihm herunter ...  Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald liest uns diese, ihre eigene Familiengeschichte auch selbst vor. Ungekürzt in 4 Stunden und 36 Minuten. Helfer hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht und ich gestehe, an mir ist sie bislang komplett vorbeigegangen, das obwohl sie 2017 mit ihrem letzten Roman "Schau mich an, wenn ich mit dir rede" für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Mit leicht heiserer, rauer Stimme, getragen und sanft liest sie. Mehr als gern habe ich ihr zugehört, denn es ist, als erzähle sie mir, einer Nachbarin oder Freundin ihre Geschichte. Es fühlt sich nie so an, als lese sie einen geschriebenen Text vor. Gut, sie weiß ja auch was da kommt, im Gegensatz zu mir, die ihrem leichten Dialekt lauscht, der ab und an durchblitzt, durch diese manchmal nur gehauchten Sätze. Die ihrer eigenen Melodie folgen, die mich ganz schnell und komplett vereinnahmt hat. So charmant klingt sie.  Es braucht kein Vorgeplänkel und keine ausufernden Erklärungen, man ist sofort drin in dieser Geschichte. Atmet die Bergluft tief ein, schaut auf das Abendrot und fragt sich, was das wohl so für Geschäftchen sind, die der Josef da macht und der Bürgermeister auch.  Zwei Kühe, eine Ziege und am Ende sieben Kinder, und die Armut die zu dieser Familie gehört. Wir begegnen einem stattlichen, gut aussehenden Mann und seiner attraktiven Frau, die die Großmutter der Autorin ist. Helfer lässt die Geschichte dort beginnen, wo man von ihrer Mutter noch nichts ahnte und die Männer Maria, ihrer Großmutter nachstellten. Verheiratet hin oder her, sie konnten die Augen nicht von ihr lassen und einer, nein zwei, auch nicht ihre Hände. Der Georg aus Hannover zum Beispiel, den die Maria auf dem Markt kennen lernt und der Bürgermeister Fink, der auch. Dieser Bürgermeister, den der Josef anheuert um auf seine Frau aufzupassen, während er im Krieg ist, ist (Verzeihung) eine rechte Drecksau! Er hat sie in der Hand, das denkt er wohl und Maria fürchtet, es könne tatsächlich zu sein. Denn in die Hand gebissen hatte sie ihn, den Fremden, bis das Blut heraus geronnen war, als er hatte gehen wollen, ihre kleine Tochter, hatte den Kuss gesehen, der sich daran angeschlossen hatte und der Bürgermeister hatte ihn früh am morgen aus ihrem Haus kommen sehen ... An Vorurteilen mangelt es eh hier nicht, in diesem Dorf, unter diesen Leuten, in dieser Geschichte. Tragische Todesfälle hat es auch nicht nur einen in dieser Familie, immer wieder unterbrechen Gedankenfetzen Helfers Erzählung, und sie springt mit uns in der Zeit vor und zurück. Erzählt uns von einem Büchsenmacher, einem bestimmten Gewehr, von Neid und Eifersucht, von Buhlerei und Nebenbuhlern, von der Bagage halt.  Von Wilderei, einem Alibi, einer verbotenen Liebe, dem Krieg und von Geschäftchen, von kleinen und großen Dramen. Von Eisblumen, die man erst vom Fenster kratzen muss, will man in die Welt hinaus schauen. Will man sehen, er da herauf kommen will, auf den Berg. Rechtzeitig, in einem Winter der eisig war, mit Eiszapfen so lang wie Schwerter und in dem Pferdeschlitten die alten Männer trugen, die der Krieg nicht hatte haben wollen.  Diese Bagage hatte ihren Platz in der Kirche auf der Frauenseite, in der letzten Bank, getrennt durch zwei freie Bankreihen, getrennt von allen anderen. Es wispert und flüstert hinter ihrem Rücken: Warum versorgte der Bürgermeister mit dem was er vom eigenen Tisch absparte dieses  Weib mit ihren Bälgern? Was hatte er davon? Und das dieser Lorenz so schlau war, das war nun wirklich nicht normal, da musste doch der Teufel im Bunde sein ... Die Bagage, das waren Lorenz, neun Jahre als der Vater in den Krieg zog, der jetzt schon wusste, dass er auf keinen Fall Bauer werden wollte, und Hermann, elf Jahre, der seiner Mutter am meisten half und unbedingt Bauer werden wollte. Was der eine zuviel hatte, hatte der andere zuwenig. Lorenz war halt ein Zahlengenie, rechnete besser und schneller als der Dorfschullehrer und der Hermann sollte noch bis an das Ende seiner Tage, die Finger dafür zur Hilfe nehmen. Katharina, etwas mehr als elf Jahre, half der Mutter im Haushalt und Walter, fünf Jahre, war noch so klein, dass er noch zu nichts zu gebrauchen war. Drei weitere Kinder, Grete, Irma und Sepp sollten in den Jahren nach 1914 noch dazukommen. Helfer formuliert wunderbar, leicht und doch mit Anspruch. Akzentuiert und sie lässt ihre Sätze am Ende auch mal ruhen, damit sie ausreichend Wirkung entfalten können. Manchmal klingt sie beinahe atemlos, als wolle sie alles schnell und unbedingt loswerden, was sie zu erzählen hat, als dränge es förmlich aus ihr heraus.  Kein Wunder das, denn gleich ein ganzer Ort agierte hier als moralische Instanz, als wäre nicht der Dorfpfarrer allein schon genug - und eine Lüge, so gewaltig, dass sie dem Lügner nur von Luzifer persönlich, direkt und spontan eingegeben worden sein konnte, so Helfer, macht mich sprachlos ... Wer Robert Seethalers Ein ganzes Leben mochte, der wird auch Die Bagage mögen. Mir ist es jedenfalls so ergangen. Seethalers schmaler Roman gehört zu den absoluten Lieblingen meiner letzten Lesejahren und Helfer versteht es daran anzuschließen. Mehr als unterhaltsam und packend ist diese Geschichte, die förmlich glüht vor falscher Nachrede. Was diese Kinder zu leiden hatten. Der Pfarrer wettert von der Kanzel über die fehlende Moral ihrer Mutter, der Lehrer nennt sie gar vor allen anderen eine Hure. Es fehlt jeglicher Beweis, aber das spielt keine Rolle. Ich bin zornig und ich bange mit diesen Kindern, bin auf der Seite von Maria und ich verstehe auch den Josef. Diese Geschichte wäre eine Verfilmung wert und wir würden alle an den Fernsehschirmen kleben. Getragen von Monika Helfer Stimme, die zeitweise so verletzt klingt, wie sich ihre Großmutter gefühlt haben muss, ist sie in mir bereits wie ein Film abgelaufen. Großes Ohrenkino ist das!

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