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Rezensionen zu
Die Arbeit der Vögel

Marica Bodrožić

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Zu diesem Buch die richtigen, die wertvoll bezeichnenden Worte zu finden birgt keine leichte Aufgabe. Marica Bodrozic hat hier Seelenstenogramme niedergeschrieben, die durchwoben sind mit Philosophie und Psychoanalyse. Dieses Buch habe ich, für mich untypisch, langsam gelesen, um all diese fein von eleganter Poesie umwobenen Worte auf mich wirken zu lassen. Walter Benjamin flüchtet 1940 über die Pyrenäen, doch als ihm dieses Unterfangen sinnlos erscheint nimmt er sich das Leben. Marica Bodrozic ist im 4.Monat schwanger als sie den letzten Spuren von Walter Benjamin nachgeht. Und langsam fügt sich ein Mosaik aus Fluchthelfern, Flucht und Verfolgung, Nationalsozialismus und Stalinismus zu einem großen Geflecht verschiedenster Lebensstränge nuanciert zusammen. Doch Walter Benjamin bleibt primär die tragende Person. Durch Marica Bodrozic erfahre ich von großen Taten, verschiedener Menschen aus vergangenen Tagen. Wie zum Beispiel der Fluchthelferin Lisa Fittko, einer österreichischen Widerstandskämpferin die als Fluchthelferin über die Pyrenäen, vielen Menschen das Überleben sicherte. Oder Aristides de Sousa Mendes, seines Zeichens Konsul in Lissabon. Mit seiner Unterschrift rette er wohl 20-30.000 Menschen das Leben, bevor man ihm auf die Schliche kam. Aber auch die Vögel werden in den Beobachtungen und Empfindungen der Autorin immer wieder erwähnt. Somit gelingt ihr in diesem Werk eine literarische Schatzkiste, gefüllt mit Schicksalen, Verbundenheiten und vieles mehr. Und so beschließe ich meine Zeilen mit einer großen Leseempfehlung und einem Zitat von Heinrich Heine: Jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die in ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte. Seite 111

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Marica Bodrožić unternimmt eine reisende Einordnung und Nachempfindung der letzten Tage des Philosophen Walter Benjamins und setzt diese in Bezug und Kontrast zu ihrer eigenen Biografie und ihrem Nacherleben seiner Fluchtroute. Was ich zunächst flüchtig als eine essayistische Abhandlung von Benjamins Leben eingeordnet hatte, entpuppte sich beim Lesen als ein spannender Versuch, der gerade hoch im Kurs stehenden autobiografischen Literatur à la Ernaux und Cusk eine neue Dimension hinzuzufügen: Die Bewegung im Raum und gleichzeitige geografische Erschließung des eigenen Lebens und der Biografie einer öffentlichen historischen Person. In Form einer Seelenwanderung begeht die Autorin den Chemin Walter Benjamin, sie erinnert, ruft Bilder vor ihrem inneren Auge auf, reflektiert darüber ihre eigene Biografie und das Aufwachsen in Ex-Jugoslawien und schließlich Deutschland vor dem Hintergrund der rauhen Kulisse der Pyrenäen und der erzwungenen Flucht und Migration des Walter Benjamin. Eine wahre Seelenarbeit. Sie schreibt sich ihre eigenen Empfindungen, und das was ihr die Literatur und Philosophie im Leben mitgegeben haben, aus der Seele. Auch Walter Benjamin wird sich auf der Flucht so seine eigenen Gedanken gemacht haben, und auch darüber sinniert die Autorin hier.  Mein Kritikpunkt ist jedoch, dass die Sprache auch im Vergleich mit den von mir gewählten „Vergleichsautorinnen“ Cusk und Ernaux für meinen Geschmack zu komplex und „herausgeputzt“ ist. Viele Sätze klingen so schön nach, man erkennt das große Schreibtalent und die Arbeit, die in jedes einzelne Wort gesteckt wurde. Der Text ist damit aber wahrlich keiner, in den man sich reinsetzt und sofort wohlig umfangen wird, sondern er erfordert zu jedem Zeitpunkt absolute Konzentration, er stellt auch eine gewissen Hürde für die Zugänglichkeit auf. Schade, aber ich hoffe noch darauf, dass ich es in einer anderen Lebensphase nochmal besser schaffe, diesen Text zu erklimmen und den Ausblick zu genießen. Für jetzt hat es leider nicht gereicht, mich den Begeisterungsstürmen anzuschließen. Haptisch ist das Buch aber eine reine Freude, tolles Papier, hochwertiger Umschlag – ein super Sammelstück für Walter Benjamin Liebhaber und andere Bibliophile.

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Marica Bodrožić erwandert in "Die Arbeit der Vögel" den Fluchtweg des deutschen Philosophen Walter Benjamin, der im September 1940 die Pyrenäen von Frankreich in Richtung Spanien überquert und sich am darauffolgenden Tag das Leben nimmt. Diese äußere Wanderung durch das Gebirge ist allerdings nur der Hintergrund für die eigentliche Reise, denn diese findet in inneren, gedanklichen Landschaften statt. Der Einstieg ins Buch war holprig für mich, der arg metaphorisch-poetische Schreibstil hat mich zunächst sehr gefordert und ich musste feststellen: dies ist kein Buch für Nebenbei. Es ist ein Buch, das Zeit und Mühe fordert und eine Offenheit, sich von ihm leiten zu lassen, wenn es die pyrenäischen Pfade verlässt und seine assoziative Reise uns in die Leben anderer großer Persönlichkeiten oder in das Leben der Erzählerin führt. Marica Bodrožić erkennt die Verbindungslinien zwischen Menschen zu allen Zeiten und schlägt so neue Gedankenpfade ins Dickicht. Ihre großen Themen begegnen ihr im Berliner Alltag genauso wie in der Literatur, die sie liest: es geht um Flucht, Staatenlosigkeit, Krieg, Willkür und Unfreiheit, aber auch, und das ist ihr eigentliches Anliegen, um Menschlichkeit, Widerstand, Sanftmut, Verletzlichkeit, Intuition und Gewissen. Marica Bodrožić lässt sich berühren vom Leben und von Schicksalen und schreibt darüber in einer unvergleichlichen Art. Sie öffnet sich den Fragen und wandert in die Antworten hinein. Ihr Text ist inspirierend, ist philosophisch im Wortsinn, denn man spürt ganz stark ihre Liebe zur Weisheit über das Leben. Ihr geht es um den zentralen Kern der Menschlichkeit, der vom kollektivistischen Gehorsam oder vom Streben nach Belohnung verschüttet sein kann, der aber wie kleine Funken immer wieder im Innern aufleuchtet und kleine Neuanfänge möglich macht. "Die Arbeit der Vögel" ist kein literarischer Snack, keine Lebensweisheit to go, es ist vielmehr ein Vollkornbrot unter den Büchern, von dessen reichhaltigen Gedanken und Ideen ich sicher noch eine ganze Weile zehren kann.

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Der Zusammenhang zwischen dem Gehen und dem Denken, das Laufen als Arbeit für Körper und Seele, ist schon öfter, z.B. in dem schönen Draußen gehen von Christian Sauer und – ganz anders – in dem großartigen Laufen von Isabel Bogdan, thematisiert worden. Noch nie aber ist mir ein Buch untergekommen, das die physische Intensität des Wanderns allein durch seine sprachliche Dichte erfahrbar macht – und als Belohnung eine so sinnliche wie tiefgründige Erzählung (nicht nur) über menschliche Schicksale des 20. Jahrhunderts bietet. In Bewegung setzen Aber von vorn: Marica Bodrožić wandert über die Pyrenäen. Mit ihrem ungeborenen Kind im Bauch vollzieht sie den Weg nach, den Walter Benjamin 1940 auf seiner Flucht vor den Nazis ging – bevor er sich am Ziel im nordspanischen Portbou das Leben nahm. Während Bodrožić wandert, schweifen ihre Blicke nicht nur kenntnisreich und verliebt durch die Natur, sie nutzt die Bewegung, um über Naheliegendes und Fernes nachzudenken. Das Leben und Werk des jüdischen Philosophen bildet dabei eine Landkarte, die der Autorin wichtige Koordinaten für ihre Seelenstenogramme liefert. Thematisch handelt Die Arbeit der Vögel, dieses große, in einem Durchgang kaum zu erfassende Denk- und Erzählwerk, von Fluchterfahrungen, von Gewalt und Ausgrenzung im 20. und 21. Jahrhundert, aber auch vom unentwegten Ringen um ein menschliches Miteinander: "Wir Menschen sind verantwortlich für das Licht." "Wo die Arbeit der Vögel beginnt, dort hat das eindimensionale und Besitzansprüche stellende Ich an Einfluss verloren." Marica Bodrožić kommt von einem zum anderen, während sie geht und erzählt. Den teils weiten Bögen zu folgen ist eine Herausforderung, vielleicht aber gar nicht nötig: indem sie erzählend durch die Zeiten springt (wandert), schafft sie Verbindungen, reist von Ort zu Ort, stiftet Begegnungen; all dies ist in seiner Unvorhersehbarkeit, ja Unvereinbarkeit irgendwie genau Thema des Buches: eine Art multiperspektivisches Erzählen (wie von Olga Tokarczuk in ihrer Nobelpreisrede skizziert), in der Vogelperspektive, Introspektive und der Blick in die Augen des Gegenübers ineinanderfallen. Eine kleine Reise nach Hoyerswerda Marica Bodrožić: Die Arbeit der Vögel. Seelenstenogramme. Luchterhand 2022 So war ich als in Hoyerswerda Geborener überrascht, dass Bodrožić im Kapitel Die menschliche Wegstrecke nach einer grundlegenden ethischen Reflexion vom Weg abkommt und in der ehemaligen Vorzeigeschlafstadt nahe der Schwarzen Pumpe landet. Sie geht zurück zu den ausländerfeindlichen Krawallen 1991 und denkt über den Hass, die Schreie und die Gewalt nach. Um sich gleich darauf ins Wort zu fallen: "Jetzt erinnert sich fast niemand mehr an die Redlichen. Ich habe die Stadt mit fünfhundert Zündlern gleichgesetzt." Also streift sie die "Hassbilder" ab und trifft einzelne Mutmacher*innen: Martin und Helene Schmidt, die nicht nur Jahrzehnte den Hoyerswerdaer Kunstverein betrieben (und da auch mich gefördert) haben. Sie haben erst letztens, mit 80 Jahren, aus Altersgründen die Stadt verlassen, die sie einst mit aufgebaut haben. "Eine ideale Stadt", sagt Martin Schmidt, und Bodrožić macht den Umweg über frühere sozialistische Ideale hin zu Pier Paolo Pasolini und Joseph Brodsky: "Wir dürfen die Amselhörer nicht vergessen" – die, die eine andere Welt für möglich, die Erinnerung an sie wach und die Tür zur Menschlichkeit offen halten. Unterwegs in Menschen und Landschaften Ein wenig erinnert diese Erzählweise an die Materialschlachten von Alexander Kluge, Bodrožić aber geht es weniger um eine Chronik, als um eine Verknüpfung von Vergangenheiten und Gegenwarten, um Fragen an die Leser*innen zu stellen. "Wir alle bauen die Welt im Austausch miteinander und erfahren dabei, dass es die Welt an sich nicht gibt, sondern dass sie erst entsteht, während wir uns öffnen und miteinander leben lernen." Zahlreiche Künstler und Intellektuelle begleiten Bodrožić ein Stück des Weges: Ossip Mandelstam etwa, Hannah Arendt, Daniil Charms und natürlich Lisa und Hans Fittko, die damaligen Begleiter*innen Benjamins auf seinem Weg nach Spanien. Mit allen ist Bodrožić im engen Dialog, will sich genau in die Personen hineinversetzen (besonders bewegend im Fall der französischen Philosophin Sarah Kofman), will das Gegenwärtige in deren Geschichten finden. "Dieses Unterwegssein in Menschen und Landschaften ist es, das an der Unendlichkeit des Geistes webt und Lektüre ist für mich und für alle, die ihren Platz auf der Welt als Empfindende beibehalten haben." Warten und Wandern heißt ein Stenogramm, und das bringt die Poetik von Marica Bodrožić ganz gut auf den Punkt: In dieser Schule der Langsamkeit lernen wir, genau zu sehen. "Die mitgeführten Theorien trägt" während des Wanderns "der Wind davon, übrig bleibt die Anstrengung beim Gehen und führt zur höchsten Gegenwärtigkeit." "Die Gefährtenschaft der Vögel und der Kinder machen ein anderes Gespräch möglich." Der Boden für Freundlichkeit So bewegt sie sich durch ein Kontinuum, durch eine "geistige Zeit", in der aus der Menge der Einzelne hervortritt, sein Gesicht zeigt, seine Stimme erhebt, seine Gedanken teilt. Es ist eine Welt der Verknüpfung des scheinbar Unzusammenhängenden, und Bodrožić findet auf dem Weg über die Pyrenäen ihren ganzen Reichtum, den sie fast schon maßlos, lustvoll und ungezügelt einsammelt, um ihn dann mit uns, ihren Leser*innen ebenso sorgsam und bedacht zu genießen. Diese Seelenstenogramme möchten voller Achtsamkeit in den Mund genommen und lange durchkaut werden. Ihren wahren Geschmack aber entfalten sie erst nach wiederholtem Genuss.

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"Das Einzige, was mir bleibt, in diesem Jahrhundert der Gleichgültigen, ist, mein Herz so zu zeigen, wie es ist: Erniedrigt ist es, zu all jenen zu gehören, die in einem grossen Dorf namens Welt leben und nichts mehr voneinander wissen wollen - erniedrigt, weil auch ich nichts tun kann als hier zu sein, zu atmen, unter diesem wundersatten Berliner Himmel, der so vielen Menschen ein Zeichen der Freiheit ist." Marica Bodrožić macht sich auf den Weg. Den Weg, den einst zahlreiche Flüchtende gegangen sind, um sich vor den Nazis in Sicherheit zu begeben. Den Weg über die Pyrenäen von Südfrankreich nach Spanien, den auch Walter Benjamin kurz vor seinem Tod mit Hilfe von Lisa Fittko gegangen ist, um sich nach seiner Ankunft in Spanien das Leben zu nehmen. Aber auch ihre Gedanken machen sich auf den Weg. Und so sinniert und philosophiert Marica Bodrozic über das Leben, das Flüchten, unsere heutige Zeit, das Menschsein. Über ihre dalmatischen Wurzeln, ihre Verwandten, ihre Kindheit und all die vielen Menschen, die im zweiten Weltkrieg flüchten mussten oder ihr Leben verloren haben oder von anderen Regimen verfolgt und misshandelt wurden. Wir erfahren viel über den deutschen Schriftsteller und Philosophen Walter Benjamin und zahlreiche andere bedeutende Intellektuelle, die vor den Deutschen geflohen sind oder in Lagern ums Leben kamen.Über Parallelen zwischen dem Damals und dem Heute. Und viel über die Kindheit von Marica Bodrozic "Die Arbeit der Vögel" ist ein sehr besonderes, reichhaltiges Buch, das man nicht mal eben schnell weglesen kann / sollte. Sprachlich brilliant, verwebt es elegant die unterschiedlichsten Themen, webt einen Teppich aus Gedanken, Erinnerungen, Zitaten und Empfindungen und regt zum eigenen Nachdenken an. Immer wieder überrascht die Autorin mit wunderschönen, tiefsinnigen Sätzen, die wie kleine Edelsteine aus dem Text hervorleuchten. Wunderschön, nachdenklich, tiefsinnig und wichtig.

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Ein Geisteswissenschaftler wie Freund der Literatur und Philosophie kommt an seinem Namen und seinem Werk nicht vorbei. Er war ein Schreibender, ein Denker, ein Linker und ein ruheloser Reisender. Walter Benjamin zählt (1892 – 1940) wohl zu den tragischen Lichtgestalten des 20. Jahrhunderts. In seiner Besprechung über eine neu erschienene Biografie nennt Jörg Später ihn eine Jahrhunderterscheinung. Marica Bodrožić ist mehr als sieben Jahrzehnte später seinen letzten Weg gegangen – von Frankreich aus über die Pyrenäen ins spanische Port Bou, wo Benjamin am 27. September 1940 an einer Überdosis Morphium starb. In ihrem eindrücklichen Band „Die Arbeit der Vögel“ schreibt sie über ihre Tour – und über noch viel mehr. Mit ihrem Mann und ihrem gemeinsamen Kind unter dem Herzen im vierten Monat schwanger macht sich die Autorin auf den Weg, der viele Ebenen zusammenbringt. Ein dichter, komplexer und eng verwobener Gedankenstrom setzt sich in Gang – angeregt durch die Orte und die Natur, durch Erinnerungen und frühere Lektüreerfahrungen. „Seelenstenogramme“ heißt deshalb auch der Untertitel dieses Buches. Es sind insgesamt 46 dieser eigenwilligen wie anspruchsvollen Texte, die wie ein Fluss den Leser mit sich tragen. Es ist nicht leicht, den Inhalt des Buches zu beschreiben, denn so viel kann er erzählen, dem Leser vermitteln. Erstaunlich, was eine Wanderung, Ein-Auf-Dem-Weg-Sein auslösen kann. Der Band vereint auf meisterhafte Weise die Form des Essays mit der des autobiografischen Romans. Auch Anklänge an das Genre des Nature Writing, das seit einigen Jahren zunehmend wieder mehr Aufmerksamkeit erhält und eine Renaissance erlebt, lassen sich finden. Es sind innere und äußere Landschaften, die Bodrožić beschreibt. Neben den besonderen Ereignissen in Benjamins Leben, sein Aufenthalt in Russland, seine stetige Flucht nach der Machtergreifung der Nazis und letztlich sein mysteriöser Tod, der noch immer für Spekulationen sorgt, stellt die Autorin weitere Schicksale beziehungsweise Helden dieser Zeit vor. Ihr Buch ist so ein Buch der Namen, ein Buch der Verbindungen. Da ist die Widerstandskämpferin und Fluchthelferin Lisa Fittko sowie der Konsul und Lebensretter Aristides de Sousa Mendes, der Theologe und Mathematiker Pawel Florinski sowie der Kommunist Karlo Štajner, beide Opfer des Stalinismus, beide Gefangene im Gulag, doch nur einer sollte das Grauen überleben und darüber erzählen können. Und Bodrožić, 1973 nahe Split geboren, berichtet über ihr Leben, vor allem ihre Kindheit in Dalmatien, wo sie zuerst in einfachen Verhältnissen an der Seite ihres Großvaters aufwächst; ihre Eltern kommen als Wanderarbeiter nach Deutschland, wohin es schließlich auch die Autorin 1983 verschlägt. Krieg, Flucht und Verfolgung, die Auslöschung von millionenfachen Lebens in einer noch immer unfassbaren Unerbittlichkeit prägten nicht nur die Zeitzeugen, sondern auch nachfolgende Generationen. Alles ist miteinander verbunden. Ob in der Natur oder im Lauf der Zeit. Ein Mensch ist mehr ist als sein eigenes Leben… Der Dunkelheit der Vergangenheit und der Gegenwart – denn die Gewalt setzt sich trotz großer Schwüre und Versprechungen nahezu ungehindert fort, was die aktuelle Geschehnisse beweisen – setzt die Autorin das Licht des Lebens und den Zauber der kleinen Dinge entgegen wie sie auch den Gegensatz zwischen der Schönheit der Berglandschaft und dem Leid der Flüchtlinge, die damals auf dem einstigen Schmuggler- und Maultierpfad um ihr Leben liefen, erkennt. Sie sinniert über die Macht der Träume und die Rolle des Gehens, fordert Demut und Dankbarkeit, kritisiert die Unersättlichkeit der modernen Welt in Form von Konsum und Kapitalismus sowie Umweltzerstörung und warnt vor Rechtsextremismus und Rassismus. Zahlreiche Zitate begleiten ihren Gedankenstrom. Bodrožić verweist nicht nur auf Benjamin, sondern auch auf weitere Größen aus Literatur und Philosophie wie Toni Morrison und Jean Paul, Theodor W. Adorno, Claude Lévi-Strauss und Ossip Mandelstam; auch er wird die „Säuberungen“ unter Stalin nicht überleben. Mehrfach erwähnt sie die biblische Jakobsleiter als Verbindung zwischen Himmel und Erde. Und stets mittendrin: die Vögel, stetige Begleiter und Symbol für die Natur. Dieses Buch, an dem die mehrfach preisgekrönte Autorin mehr als drei Jahre gearbeitet hat, macht etwas mit dem Leser – trotz seiner Komplexität, Gedankenfülle und eines mystischen Untertons packt es dank sowohl seiner unbeschreiblichen Spannung als auch seiner poetischen Sprache. Man liest gebannt, ist Begleiter wie Benjamin, wie die Vögel. Zugleich erdet dieser Band, bringt er einem doch das Thema Achtsamkeit in ganz anderer Weise näher; nicht nur auf die Konzentration auf das Hier und Jetzt fokussiert, sondern auch bezogen auf den Lauf der Zeit, der Geschichte. Während des Lesens kann ein ganzer Packen an bunten Klebezetteln aufgebraucht und/oder Seiten von Notizbüchern gefüllt werden. Sicher ist: „Die Arbeit der Vögel“ ist eine bewegende wie ungemein bereichernde Leseerfahrung in seiner mächtigsten Form und lohnt auch eine Wiederlektüre.

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Tegeler Bücherstube GmbH

Von: Katja Dotzauer aus Berlin

19.04.2022

Mir hat „Die Arbeit der Vögel“ sehr, sehr gut gefallen. Gerade jetzt, wo es oft schwer fällt sich zu konzentrieren, zu entspannen, sich auf Themen einzulassen, bietet Bodrožić buchstäblich einen Pfad, sich beisammen zu halten und in eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Heimat, Frieden, Krieg und Exil zu gehen. Daher ist des Buch gerade jetzt sehr wichtig. Ich wünsche Bodrožić und dem Luchterhand Literaturverlag viel Erfolg. Meine Empfehlung bekommt es auf jeden Fall.

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