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Rezensionen zu
Der Beginn

Carl Frode Tiller

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Dänemark gilt als das glücklichste Land der Welt – trotz miserablen Wetters. In Norwegen ist es anders. Norwegen, Schweiz des Nordens, nur reicher. Reich wegen seiner Wälder und Seen und der Ölindustrie. Wegen seiner Fjorde und der Landschaft im Allgemeinen. Walfang – auch. Terje liebt diese Landschaft nicht nur. Er arbeitet für ihr Fortbestehen. Er ist Wissenschaftler und Naturschützer. Vielleicht auch Misanthrop, aber das wissen wir nicht. Er lebt mit Frau und Tochter den amerikanisch-norwegischen Traum. Kleinfamilie, Vorgarten, Carport – tausendfaches Leben der oberen Mittelschicht kopiert in den Suburbs und Subsuburbs der westlichen Welt. Vielleicht klang meine Ouvertüre negativer als gemeint. Auch zynischer vielleicht als beabsichtigt. Unser Protagonist Terje meint, zu schwarzem Humor sind nur intelligente Menschen fähig. Dass seine Schwester diese Spitze dennoch bemerkte, verwundert und erheitert ihn gleichermaßen. Terje ist kein unsympathischer Kerl. Er ist aufrichtig, ernsthaft, bemüht und in den Dingen, die er tut, sicher richtig gut. Wären da nicht, nicht, eh, diese Vergesslichkeit zum Beispiel? Zwei Stunden Autofahrt und alles Grübeln terra incognita? Alles vergessen. Ach, was! Morgen wieder Büro und gleich mit Turid noch über die schulischen Leistungen von Tochter Marit plaudern. Im Nature lesen und den Wecker auf acht Uhr stellen. Nein, halbsieben! In amerikanischen Filmen und norwegischen Romanen kommt an dieser Stelle ein aber. Aber! Obwohl Norwegen wie die Schweiz ist – nur reicher. Obwohl Das gute Leben ein geschützter Markenname der skandinavischen Union sein könnte, ist Terje unglücklich. Totunglücklich sogar. Im wörtlichen Sinne. Und so beginnt Carl Frode Tillers Roman ‚Der Beginn‘ mit dem Ende. Dem Ende des Lebens und vielleicht auch dem richtig großen Anfang vom Ende. Denn, soviel sei verraten: ‚Der Beginn‘ ist keineswegs zur Erheiterung, geschweige denn inneren Erbauung geschrieben. Was der Gewinner des Literaturpreises der Europäischen Union 2017 veröffentlichte und nun auf deutsch erscheint, ist harter Tobak, liebe Schlagerfreunde aus Nord-Neukölln, liebe Easyjet-Wochenend-Shopping-Hopper. ‚Der Beginn‘ sind Szenen einer Ehe. Ein Roman, der wichtig ist. So wichtig, dass er lang an ‚Freiheit‘ von Jonathan Franzen heranreicht, was die Bewahrung der Schöpfung anbelangt. ‚Der Beginn‘ sind Szenen einer Ehe, gerade weil nicht der Lust nach kleinbürgerlichem Drama voyeuristisch stattgeben wird. ‚Der Beginn‘ erzählt von der Volkskrankheit Depression, ohne mit Alltäglichem zu belehren. Ohne dozierend auf das gute Leben im falschen zu verweisen. Oder die Selbstoptimierung von Terje und den Druck, nicht mehr zu schaffen, was man schaffen will. Carl Frode Tiller hat einen mutigen Roman geschrieben, der in seiner Sprache und Ambiguität eben genau das tut und kann: Hinsehen, beschrieben, stehenlassen. Und wir Leser lesen Seite um Seite, welcher Schritt welche Folgen zeitigt. Wissenschaftlich exakt. Wie welches Verhalten Kraft raubt und warum. Wie Reaktionen Gegenreaktionen auslösen. Manchmal gestelzt, gezwungen, aber nie neben der Spur. Klimakrise gleich innere Entfremdung. Artensterben synonym für kranke Herzen. Und umgekehrt! Mein Fazit: ‚Der Beginn‘ sind 343 Seiten Heiterkeit in dunkler Stunde. Für Mut und Mutige und Lebensbejahung. Eine tief empathische Erzählung, die lohnt, auch wenn es so manches auszuhalten gilt. Ein Roman der leisen Töne. Über Entscheidungen und Entscheiden. Über Wege und Gabelungen und Mut, Wege zu gehen. Mit stetem Grundrauschen des Wasserkraftwerks im Biosphärenreservat der Neurosen. Meine Leseempfehlung für all jene, die Abkühlung wünschen!

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„Wann bin ich eigentlich so geworden? Und wie um alles in der Welt hatte ich das zulassen können?“ Wenn ein Buch mit dem Selbstmord des Hauptprotagonisten beginnt, dann ist das zunächst ziemlich seltsam, markiert ein Suizid doch das radikalste Ende eines scheinbar missglückten Lebens. Doch Carl Frode Tiller beweist, dass ein Selbstmord auch einen Anfang markieren kann. In seinem neuen Roman Der Beginn erzählt der norwegische Bestsellerautor die berührende Geschichte von Terje, der nach einem Selbstmordversuch im Sterben liegt. Während seine Mutter und seine Schwester an seinem Krankenbett sitzen und ihn kaum zu beachten scheinen, beginnt der Sterbende (teilweise mit viel schwarzem Humor) über sein verpfuschtes Leben zu reflektieren. Er durchlebt die wichtigsten Stationen von der Gegenwart bis in die Kindheit noch einmal und was dabei herauskommt, ist vielleicht keine lückenlose Erklärung für seine Tat, doch auf jeden Fall eine wunderbare Geschichte über Liebe und die Frage, von wem oder was wir unser Leben bestimmen lassen. Insgeheim sehnte sich Terje sein ganzes Leben lang nach einem erlösenden Zusammenbruch, nach einem Loslassen, doch immer blieb er stark. Er ertrug die Alkoholsucht und Depression seiner Mutter sowie ihre emotionale Erpressung, er lernte mit der Abwesenheit seines Vaters umzugehen und seine Abneigung gegenüber anderen Menschen zu kaschieren. Zum Schluss ertrug er sogar die Trennung von seiner Frau und seiner Tochter. Doch dann kommen der Zusammenbruch und das unausweichliche Ende ganz überraschend: Als ihm eines Abends bei einer Autofahrt ein LKW entgegenkommt, entschließt er sich ohne langes Zögern, auf die gegenüberliegende Fahrbahn zu wechseln. Und damit beginnt die eigentliche Erzählung… „Auf eine Art sind Bäume auch aufrecht stehende Flüsse, dachte ich, mit den Wurzeln, die das Wasser aus der Erde saugen und es übers Splintholz zur Baumkrone transportieren, und der Bastzone zwischen Splintholz und Rinde, in der die Nährstoffe wieder zu den Wurzeln fließen, ganz langsam und still.“ Doch eines wird deutlich: Jeder Selbstmord überschattet das vorangegangene Leben und lässt es als gescheitert erscheinen. Dabei gab es wohl im Leben eines jeden Selbstmörders auch schöne Momente. So auch hier: Terje liebte die Natur. Sie bot ihm Schutz und Zuflucht und so ist auch das Buch geprägt von herrlichen Naturbeschreibungen und -betrachtungen, die auf den Leser, der angesichts von Terjes chaotischem Leben passagenweise auch recht verwirrt ist, beruhigend wirken. Die Erzählung besteht aus kurzen Kapiteln, die einen ausschnitthaften Einblick in das Leben des Protagonisten geben. Als Leser ist man zeitweise etwas orientierungslos, da Kapitelüberschriften wie „Einen Monat vorher“ oder „Vierzehn Jahre vorher“ lediglich grobe zeitliche Orientierungspunkte liefern. Doch eigentlich spielen Daten oder Chronologie hier auch nur eine untergeordnete Rolle. Die einzelnen Kapitel fügen sich vielmehr wie ein Mosaik zusammen, das in seiner Ganzheit zumindest Ansatzpunkte liefert, um die Gründe seiner Tat zu verstehen. Als Leser stellt man sich irgendwann die unausweichliche Frage, ob sein Ende vorherbestimmt war oder ob er vielleicht etwas hätte ändern können, ob er auf die Schicksalsschläge einfach anders hätte reagieren können oder müssen. Es ist die Frage, inwieweit wir Produkte unserer Umwelt sind und wie viel freier Wille uns am Ende wirklich bleibt. Der Beginn – Ein sehr berührender, fast philosophischer Roman mit viel schwarzem Humor an den richtigen Stellen.

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