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Rezensionen zu
Neujahr

Juli Zeh

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"Wenn er versucht, falsche Gedanken zu vermeiden, rennt er wie ein gehetztes Reh durch den eigenen Kopf.“ Neujahr von Julie Zeh ist im November 2019 als Taschenbuchausgabe bei btb erschienen. Am Neujahrsmorgen bezwingt Henning mit einem Fahrrad die Steilauffahrt nach Femés und reflektiert derweil über sein Leben. Eigentlich ist alles in Ordnung, seiner Familie geht es gut, doch er befindet sich in einem unausweichlichen Dauerzustand: Familienernährer, Vater, Ehemann, und ES - seine Panikattacken. Als er schließlich die Spitze des Hangs erreicht, ist Henning körperlich am Ende, bricht zusammen und bemerkt, dass er hier schon einmal war. Erinnerungen brechen über ihn herein und die erschreckende Erkenntnis über die Tragödie, die sich damals zugetragen hat. Da merkt er, dass ihn das, was er zu verdrängen versucht hat, bis heute verfolgt. Wie im Rausch erzählt Julie Zeh die Geschichte von Henning in der Gegenwart, der nahen und der fernen Vergangenheit. Eindrucksvoll beschreibt sie seine Sorgen und Gedanken, was ihn bewegt und ängstigt, womit er umgehen und was er erleiden muss. Erfolgreich hatte er bis zum gemeinsamen Familienurlaub auf Lanzarote verdrängt, dass er bereits einmal dort war und sich Schreckliches zugetragen hat. Durch diese Hilflosigkeit und das Wissen um die Vergangenheit wird unterschwellig eine gewaltige Empathie erzeugt und der Leser zum Reflektieren angeregt. Bis zuletzt ist nicht klar, ob sich die Ereignisse wirklich so zugetragen haben mögen, oder das Ergebnis der Fantasien des dehydrierten Mannes sind. Schließlich kommt er jedoch in einem offenen Ende scheinbar zu einer Erkenntnis. Die so erhaltene Spannung hat mich berauscht durch die Geschichte getragen und in Atem gehalten. Julie Zeh weiß mit Worten umzugehen, mit ihnen zu spielen und auf den Punkt Gedanken und Wendungen einzubringen. So ist dieser Roman inspirierend, erschreckend und ergreifend zugleich, erfordert jedoch die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Lesers. Vielen Dank an den btb Verlag für das kostenlose Rezensionsexemplar.

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Mit seiner Familie ist Henning über die Weihnachtstage nach Lanzarote verreist. Er wollte von zuhause weg und ist nun auf der Insel mit dem Fahrrad unterwegs, möchte den Steilaufstieg nach Fermés bezwingen. Dabei kommen ihm, der in seiner Rolle als Ehemann und Familienvater unzufrieden ist, auf einmal Erinnerungen, die lange in ihm geschlummert haben. Von „Neujahr“ hatte ich immer mal wieder etwas gehört, habe es bislang aber nicht gelesen oder gehört. Nun bin ich in der Bücherei über das Hörbuch gestolpert, habe es ausgeliehen und direkt angehört. Gesprochen bzw. gelesen wird dieses Hörbuch von Florian Lukas. Ihn habe ich vor allem durch eine Rolle im Tatortreiniger „kennengelernt“ („Angehörige“) und schon da hat mir seine angenehme Art sehr gut gefallen. Auch beim Hörbuch ist mir das aufgefallen, er hat eine wirklich angenehme Stimme, die gut zur Geschichte passt, er betont an der richtigen Stelle, bringt Bewegung hinein, es passt einfach. Ihm zuzuhören war echt toll. Von der Geschichte her wusste ich nicht genau was mich wirklich erwartet, so dass ich echt gespannt war, was sich hier für Erinnerungen an einen vorherigen Besuch von Henning auf der Insel auftun. Man merkt, wie unzufrieden er generell mit der Situation ist, was auch beim Radfahren gut umgesetzt wurde, vor allem anhand der Schilderungen, wie er fährt, was er dabei tut, etc. Als die Geschichte dann so richtig in die Tiefe geht, ist mir fast der Atem weggeblieben. Ich hatte dann schon eine kleine Ahnung, aber Schilderungen können doch durchaus heftig sein, wenn man sein Kopfkino entsprechend dazu sieht, welches man ja nicht ausschalten kann. Es sind dramatische Situationen und man entwickelt selbst fast eine Wut, die sich später in einer gewissen Weise aber wieder gelegt hat. Es kommt eben auf die Sichtweise und genauere Erläuterungen an. Dennoch war es für mich eine echt heftige Geschichte, ein krasses Drama, das sehr spannend und tiefgründig war, das aber auch aufgezeigt hat, dass manche Situationen besser aufgearbeitet werden sollten und man diese nicht einfach abtun darf. Mir hat die Geschichte von „Neujahr“ gefallen, sie hat mich aber auch absolut sprachlos gemacht teilweise. Sehr spannend, gut verständlich, alles gut beschrieben. Von mir gibt es 5 von 5 Sternen und eine Empfehlung.

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Neujahr von Juli Zeh Inhalt: Lanzarote, am Neujahrsmorgen: Henning sitzt auf dem Fahrrad und will den Steilaufstieg nach Femés bezwingen. Seine Ausrüstung ist miserabel, das Rad zu schwer, Proviant nicht vorhanden. Während er gegen Wind und Steigung kämpft, lässt er seine Lebenssituation Revue passsieren. Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Er hat zwei gesunde Kinder und einen passablen Job. Mit seiner Frau Theresa praktiziert er ein modernes, aufgeklärtes Familienmodell, bei dem sich die Eheleute in gleichem Maße um die Familie kümmern. Aber Henning geht es schlecht. Er lebt in einem Zustand permanenter Überforderung. Familienernährer, Ehemann, Vater – in keiner Rolle findet er sich wieder. Seit Geburt seiner Tochter leidet er unter Angstzuständen und Panikattacken, die ihn regelmäßig heimsuchen wie ein Dämon. Als Henning schließlich völlig erschöpft den Pass erreicht, trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Er war als Kind schon einmal hier in Femés. Damals hatte sich etwas Schreckliches zugetragen - etwas so Schreckliches, dass er es bis heute verdrängt hat, weggesperrt irgendwo in den Tiefen seines Wesens. Jetzt aber stürzen die Erinnerungen auf ihn ein, und er begreift: Was seinerzeit geschah, verfolgt ihn bis heute. Meine Meinung: Juli Zeh hat wie immer einen gewaltigen Roman geschrieben. Sie schildert Kindheitstraumata, die Einfluss auf das Erwachsenenleben und die Psyche des Menschen. Dabei verflechtet sie die menschlichen Abgründe, Macht, Hilflosigkeit, psychische Krankheit und die Gesellschaftsform eindrucksvoll und schildert die Nöte und Ängste vieler Menschen in unserem gesellschaftlichen Hamsterrad. Immer höher, schneller, weiter, besser als alle Anderen, doch zu welchem Preis? Das schildert Juli Zeh eindrucksvoll und zugleich tief berührend, nicht zuletzt durch ihren grandiosen Schreibstil und die klar beschriebenen Protagonisten. Letztendlich besinnt sie den Leser dazu auf seine eigene psychische Gesundheit zu achten und achtsam mit sich selbst umzugehen. Eine Meinung zu diesem Buch zu schreiben, die nichts vom Inhalt verrät ist schwer. Ich kann so viel sagen: Das Buch regt zum Nachdenken an und bleibt unheimlich lange im Kopf des Lesers. Es ist durchaus keine leichte Lektüre und sollte nur von Menschen gelesen werden, die sich nicht gerade in einer psychischen Krise befinden. Es ist unheimlich verstörend und zeitgleich außergewöhnlich. Juli Zeh trifft ein brisantes Thema und beschreibt es dermaßen treffend. Einfach ein Buch, was nachhaltig wirkt.

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VORSICHT SPOILER!!! "Neujahr" : Der Roman einer Überforderung, eines Traumas und einfach sehr gute Literatur Ein Familienvater, zwei Kinder, Erinnerungen, ein Urlaub auf Lanzarote. Die Geschichte und der Rahmen sind einfach in Juli Zehs neuem Roman „Neujahr". Es mag nicht übertrieben sein, dieses Buch als eines der persönlichsten und besten von Juli Zeh zu bezeichnen. Ein Roman den man in einem Zug liest ohne absetzen zu können. Der Protagonist Henning erklimmt mit seinem Fahrrad einen Berg, die Hitze, die Erinnerungen und Gedanken flirren durch seinen Kopf, sein Körper pulsiert, gebiert irgendwann sein Innerstes aus der Vergangenheit zum Vorschein. Juli Zeh beschreibt diese Bergfahrt sehr sinnlich, Gerüche alle Art werden evoziert, Ziegenherden am Wegesrand, vorbeifahrende Autos, ein unwirklich scheinender Hirte, der schon ahnen lässt dass etwas von jenseits der Gegenwart heraufdräut. Das ES, diffuse Angstzustände und Ahnungen aus der Vergangenheit, die weit mehr sind als ein auf das Freudsche ES reduzierte Unbewusste, holt Henning immer wieder ein und nimmt ihm den Atem. Seine Gedanken wandern zur jüngeren Vergangenheit, ein Restaurant Besuch mit Frau und Kindern in einem spanischen Restaurant am Tag zuvor. Seine Frau Theresa die er plötzlich hocherotisch mit einem französischen Gast eng umschlungen im Tanz sieht, - eine Szene, die später entscheidend seine Kindheitserinnerungen triggern soll. Dann sind wir wieder ganz mit Henning auf seinem Fahrrad, schwitzen mit, nähern uns langsam dem Gipfel des Berges. Und wieder schweift die Erinnerung ab, sie wandert zu den Großeltern seiner Kinder: Rolf und Marlies kommen zu Besuch aus Rom, pflügen in ganzer Egozentrik und Selbstverliebtheit durch die junge Familie, halten den schönen Schein einer gelungenen Enkel-Großeltern-Beziehung fest, um diesen dann zuhause in Rom fotografisch auf die Kommode zu bannen. Er fühlt sich an seine eigene Kindheit erinnert, als Trennungskind, überforderter älterer Bruder einer kleinen Schwester neben einer ebenfalls überforderten Mutter. Und wieder treten wir mit Henning zusammen in die Pedale seines Fahrrads, erleben zusammen mit ihm eine unfassbare Wut aufsteigen. Und dann erreicht Henning den Gipfel des Berges und ein alleinstehendes Haus. Er wird kurz bewusstlos, sein Unbewusstes meldet sich mit einer lange vergessenen Geschichte aus seiner Kindheit zu Wort. Henning kennt dieses Haus. Drei Tage haben ihn hier damals allein mit seiner kleinen Schwester Luna ans Haus gefesselt, die Eltern waren unter dramatischen Umständen verschwunden, - nicht der Mörder aber der Verführer war diesmal der Gärtner. Henning hatte ihn in flagranti mit seiner Mutter ertappt. Und dann entfaltet sich vor seinem inneren Auge das ganze Drama dieses Ausgeliefertseins, die Unfähigkeit sich allein zu versorgen, seine kleine Schwester zu versorgen, die Ordnung beizubehalten. Die Beschreibung der Abhängigkeit und Hilflosigkeit der kleinen Schwester ist so plastisch dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Alles ist ans Licht gekommen, es ist Neujahr. Zum Glück endet dieser Roman nicht mit einem platten Happy end, das ES hört nicht plötzlich auf, Henning zu quälen. Nein, viel weiser und reifer ist das Ende: Henning will und muss die Beziehung zu seiner Schwester Luna, die bislang immer die Kleine und Hilfsbedürftige blieb bis ins Erwachsenenalter, neu definieren. Er muss ihr seine Helfer Rolle aufkündigen. Er weist ihr die Tür. Und gerade die letzten beiden Seiten des Romans, in dem dieser langsame Abschied beschrieben wird, ist Juli Zeh unglaublich gut gelungen. Feine literarische dicht gewebte Atmosphäre, kristallklar und langsam. Juli Zeh ist mit diesem Roman ein brillantes Stück Literatur gelungen.

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Albtraum auf Lanzarote

Von: ulistuttgart

02.02.2019

Henning verbringt mit seiner Frau Theresa und seinen beiden Kindern im Kindergartenalter (2 und 4 Jahre) seinen Weihnachtsurlaub auf Lanzarote. Am Neujahrstag beschließt er für sich mit dem geliehenen Mountainbike eine Radtour zu machen. Während der Anstrengung des Fahrens und dem Kampf gegen den Wind, kommen ihm so manche Gedanken und Erinnerungen in den Sinn. Seine Frau und er arbeiten Teilzeit, damit sich beide um die Kinder kümmern können. Theresa arbeitet viel von zu Hause und zieht sich deshalb gerne in ihr Home Office zurück. Henning arbeitet praktisch genau so viel wie vor den Kindern und verdient das Gehalt der Teilzeitkraft. Dafür darf er sich dann in seiner „Freizeit“ sehr intensiv um seine Kinder kümmern. Er fühlt sich ausgelaugt und ist unzufrieden mit seinem Dasein. Zu allem Überfluss plagen ihn auch noch Angstzustände und Panikattacken. Das alles und noch viel mehr geht ihm beim Fahrradfahren am Neujahrstag durch den Kopf. Erster-Erster … Das Buch von Juli Zeh ist klasse. Erstmal die Wahnsinns Beschreibungen von Lanzarote. Jedes Haus und jede Pflanze wird beschrieben. Die Landschaft mit Palmen, Kakteen und Bougainvilleen. Da ich Lanzarote sehr liebe, sehe ich all die Dinge vor mir und weiß genau an welchem Ort sich Henning und seine Familie gerade befinden (Puerto del Carmen, Playa Blanca …). Das alles wird von der Autorin sehr detailliert beschrieben. Auch die Panikattacken von Henning erläutert sie sehr anschaulich. Genau wird dargestellt wann „ES“ (so bezeichnet er seine Angstzustände) auftaucht und wie es sich auswirkt. „ Es beginnt mit einem Brennen im Zwerchfell, wie eine Mischung aus Lampenfieber und Flugangst. Sein Herz fängt an zu rasen, dann zu stolpern. Hennings Körper und Geist geraten außer Kontrolle. Manchmal weckt ES ihn mitten in der Nacht. Er fährt dann aus dem Schlaf und bekommt keine Luft …“ – einfach grandios erzählt. Die Doppelbelastung von Arbeit, Kinder und Haushalt belasten ihn sehr. Er kann nichts zu Ende bringen, hat für nichts richtig Zeit … Auch im Urlaub kann er nicht abschalten. Henning versucht sich beim Radfahren zu entspannen. Dort ist er mit sich selbst alleine. „Eine schmale Schneise zwischen Beruf und Familie.“ Erster-Erster Seine Gedanken rasen durch seinen Kopf … Und plötzlich kommt Henning alles so bekannt vor. Es fühlt sich für ihn an, als ob er schon einmal dort war … Erinnerungen kommen bruchstückhaft auf … Und dann wird es schrecklich. Seine Flashbacks sind unfassbar. Das Erlebte ist erschreckend, Wahnsinn, Horror … Fazit: Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass dies mein erster Roman von Juli Zeh ist. Und ich bin begeistert. Begeistert von Schreibstil, den detaillierten, eindrucksvollen Beschreibungen und dem tiefsinnigen Thema. Sicher wegen seiner Intensität und Tiefenpsychologie nicht für Jedermann der passende Lesestoff, aber ich bin restlos begeistert. 5 Sterne !!!

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Hier schliesst sich ein Kreis - ich lese das Verschwinden der Eltern als Metapher für das Verschwinden des Staates als verlässliches Regelwerk. Dies ist fester Bestandteil der ostdeutschen Lebenserfahrung meiner Generation. Hennings am 5. Februar 2016 einsetzende posttraumatische Belastungsstörung schlägt die Brücke zu den 1980ern, als Gundermann in der DDR-Endphase dichtete: "Der Wohnblock liegt am Abend Wie ein böses Tier Wo sie zu Hause sind Der Sprechfunk ruft nach ihnen Doch sie bleiben hier Der Wohnblock spuckt sie in Den kalten Wind Wo sie zu Hause sind Ab und zu nur sieht noch Einer frierend hin" Mit "Neujahr" fängt Juli Zeh dieses Gefühl ein und zeigt leider seine Aktualität auch und gerade in den "alten" Ländern - und dass in den 1980ern das "Fliehen in die warmen Länder" auch keine Lösung war! Vielen Dank dafür

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Ich bin noch nach der Lektüre völlig begeistert von der Art und Weise, wie die Autorin hier die Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen für die Psyche / die Persönlichkeit eines Menschen in die Geschichte eingebaut hat. Ich habe mir des Öfteren während der Lektüre gedacht, dass entweder die Autorin selbst solche Erfahrungen gemacht haben oder zumindest sich mit Betroffenen unterhalten haben muss. Die Schilderungen von Hennings Gefühlswelt kommt so glaubhaft rüber, dass man ihm als Leser alles abnimmt. Die Tiefe der Geschichte, die sie so erzeugt, stellen so manche Psychothriller in den Schatten. Wirklich wahnsinnig gut. Auch das Erlebnis der Bergtour, die Henning absolviert, ist so bildhaft und real beschrieben, dass mir völlig klar war, dass Juli Zeh auch das entweder selbst erlebt oder durch Fachleute tiefgehend recherchiert hat. Auch die Schwierigkeit einer Beziehung mit psychisch kranken/traumatisierten Menschen wird hier gut dargestellt. Hennings Frau Theresa versucht zwar aufrichtig, ihren Mann zu unterstützen, doch es will ihr nicht gelingen und sie schmeißt hin. Das hört sich zwar fies an, aber nachdem ich selbst lange krank war kann ich das heute, wo es mir wieder gut geht, nachvollziehen. Gerade wenn Kinder im Spiel sind, ist es unglaublich schwierig für den Partner, eine solche Störung aufzufangen. Der Schreibstil ist derart gefühlvoll und intensiv, dass er mich stellenweise wirklich umgehauen hat. Ich habe das Buch mit vielen Klebezettelchen markiert, weil ich mir einige der Stellen noch herausschreiben möchte. Der Spannungsbogen während der verschiedenen Stationen der Reise sucht seinesgleichen und zieht den Leser tief in das Leben von Protagonist Henning hinein. Trotz des geringen Umfangs hat es mir bei der Geschichte an nichts gefehlt, denn ich habe Hennings komplettes Leben verfolgen können, von der Kindheit bis in die Gegenwart. Dadurch konnte ich seine persönliche Entwicklung verfolgen, was zwar beklemmend, aber sehr intensiv war. Die Intensität hat mich stellenweise an "Mein Ein und Alles" von Gabriel Tallent erinnert. Fazit: Wer ein intensives Leseerlebnis sucht und den psychische Krankheiten oder eine krasse Kindheit nicht triggern, ist hier absolut gut beraten.

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„Wenn er versucht, falsche Gedanken zu vermeiden, rennt er wie ein gehetztes Reh durch den eigenen Kopf.“ (Originalzitat, Seite 33) Inhalt: Ohne seine Frau Theresa vorher zu fragen, hat Henning spontan ein kleines Ferienhaus auf Lanzarote gemietet, zwei Wochen über Weihnachten und Neujahr. Das Ehepaar hat zwei Kinder, den vierjährigen Jonas und die zwei Jahre jüngere Bibbi. Eine moderne Familie, beide haben gute Jobs mit Teilzeit-Anwesenheitspflicht, teilen sich Kinderbetreuung und Haushalt. Doch kurz nach Bibbis Geburt begannen bei Henning die heftigen Panikattacken und die Angststörung bestimmt seither sein Leben, das ihn ohnedies oft überfordert. An diesem Neujahrsmorgen in Lanzarote nimmt er sich vor, sich auch wieder Zeit für sich selbst zu nehmen und schwingt sich auf sein Leihrad: sein Ziel ist das hoch über dem Meer gelegene Bergdorf Femés, zu erreichen über eine herausfordernd steile Straße. Erschöpft erreicht er sein Ziel und plötzlich überfällt ihn die Erinnerung an ein schreckliches Ereignis, das er bisher verdrängt hatte, denn vor vielen Jahren hatte er genau hier mit seinen Eltern und seiner Schwester Luna Urlaub gemacht. Thema und Genre: Dieser Roman handelt von den psychischen Auswirkungen einer gravierenden Erfahrung in der Kindheit und vom Tabuthema Angststörung. Thema sind auch moderne Familienstrukturen zwischen Karriere, Job und Kindererziehung und der Druck, funktionieren zu müssen. Charaktere: Hauptprotagonist ist Henning, ein Mann, von dem erwartet wird, in vielen Rollen gleichzeitig perfekt zu funktionieren: als liebender Ehemann und Vollzeitvater, erfolgreicher Mitarbeiter eines Sachbuchverlages. Auch seine jüngere Schwester Luna kommt immer wieder Hilfe suchend zu ihm und er fühlt sich für sie verantwortlich, genau wie damals, als seine Eltern von ihm erwarteten, als „großer Junge“ auf seine Schwester aufzupassen, obwohl er damals selbst erst vier Jahre alt gewesen war. Handlung und Schreibstil: Juli Zeh ist eine herausragende Schriftstellerin, die mit der Sprache spielt und der es perfekt gelingt, einerseits ruhig schildernd zu erzählen, um dann andererseits wieder sprachgewaltige, beklemmende Bilder vor den Augen der Leser entstehen zu lassen. Der Weihnachtsurlaub auf Lanzarote und die Gedanken, die sich Henning über seine aktuelle Lebenssituation macht, bilden nur die Rahmenhandlung. Die Haupthandlung findet in der Vergangenheit statt, es sind die dramatischen Ereignisse seiner frühen Kindheit, an die sich Henning plötzlich wieder erinnert, chronologisch, wie in einem Film. Fazit: Ein beklemmender Roman, sehr packend erzählt. Auf nur 200 Seiten enthüllt sich dem Leser langsam und eindringlich eine spannende Geschichte aus der Vergangenheit, die erklärt, warum die Gegenwart ist, wie sie ist. Ein Buch, das noch lange in den Gedanken des Lesers bleibt.

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