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Rezensionen zu
Sommer

Ali Smith

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Sommer

Von: Bearnerdette

13.02.2023

Mit Sommer schliesst Autorin Ali Smith ihre Vier Jahreszeiten Tetralogie ab. In gewohnt besonderem Stil, und eleganter Sprache, erzählt sie diesmal unter anderem von Geschwisterliebe, vom Erwachsenwerden und von Sommererinnerungen. Ein würdiger Abschluss für eine Buchreihe, die mir sehr gut gefallen hat und ganz besonders war, anders als alles was ich sonst gelesen habe. Wie gewohnt widmet sich Smith auch in diesem Band aktuellen politischen Themen, diesmal Klimakrise und Corona. Sommer ist zwar nicht mein liebster Teil der Reihe (Winter und Herbst mochte ich am meisten), aber ihr Können beweist Smith allemal erneut.

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„Wie tief die Dunkelheit auch sei, wir müssen das Licht selbst mitbringen“ (Stanley Kubrick) – mit unter anderen diesem Motto beginnt Ali Smith ihren Roman Sommer und beendet mit ihm zugleich ihre großartige Jahreszeiten-Tetralogie. Herbst, Winter, Frühling waren für sich schon beeindruckende Bücher, die in die Dunkelheit unserer unruhigen Tage hinabstiegen und versuchten, sie zumindest streckenweise zu beleuchten. Mit Sommer rundet sich das ganze Werk auf überraschende und geniale Weise. „Die kürzeste und heikelste Jahreszeit, die nicht verantwortlich gemacht wird – weil man den Sommer ja gar nicht zu fassen kriegt außer in Fitzelchen, Fragmenten, Augenblicke, aufblitzenden Erinnerungen an sogenannte oder eingebildete perfekte Sommer, Sommer, die es nie gab.“ Ali Smiths hochaktuelles Projekt ist mit dem letzten Band im Jahr 2020 angekommen. Der Sommer ist noch ein Sehnsuchtsort, seine Wärme und Helligkeit noch in weiter Ferne, die Mauersegler als Symbol des Sommers noch nicht zurückgekehrt. Im Februar des Jahres zeichnet sich eine rätselhafte Pandemie ab – ihre Tragweite versuchen wir heute gerade erneut zu fassen. Im Februar 2020 erschien das Corona-Virus nur als ein weiteres Problem unter vielen, die die britische Autorin in ihrer Bestandsaufnahme der britischen Gegenwart benannte. Brexit, Migration, Klimawandel, soziale Kälte und Populismus sind die Themen, die Smith in ihrer Tetralogie beleuchtet und auf ihre ganz eigene Art in Geschichten voller Assoziationen, literarischer Referenzen und Sprachkunst bearbeitet. Aber die Pandemie kostet im Laufe des Jahres immer mehr Kraft und Leben. Standen die drei Vorgänger praktisch für sich und hatten nur den typischen Smith-Stil und ihr Repertoire an Referenzen an die „Hofheiligen“ der Autorin gemeinsam, etwa an Charles Dickens und William Shakespeare, so führt die Autorin in Sommer überraschender- und beglückenderweise einige ihrer Charaktere auf virtuose Art zusammen. Den Leser:innen, die die vorangegangenen Teile nicht kennen, wird das nicht weiter auffallen, da Ali Smith diese Beziehungen nicht groß ausstellt, man sie selbst quasi im Nebensatz entdecken muss. Ein Großteil des Lesevergnügens wäre ohne ihre Kenntnis aber verloren. Im Mittelpunkt steht dieses Mal die Familie von Grace Greenlaw. Die ehemalige Schauspielerin lebt mit ihren heranwachsenden Kindern Robert und Sacha Tür an Tür mit dem Ex-Mann , der mit seiner neuen Freundin einfach ein Haus weitergezogen ist. Der dreizehnjährige Robert ist hochbegabt, aber reichlich seltsam und destruktiv, ja manchmal geradezu bösartig. Seine sechzehnjährige Schwester Sacha ist eine Idealistin mit viel Sympathie für Greta Thunberg und einem Abschiebehäftling als Brieffreund. Am Strand von Brighton, wo die Greenlaws leben, begegnet sie Arthur und Charlotte. Die beiden kennt man aus Winter, was der Leser:in aber erst allmählich klar wird (immerhin liegt die Lektüre dieses zweiten Band der Tetralogie schon eine Weile zurück). Aber ja, da gab es einen Arthur mit seinem Natur-Blog „Art in Nature“, frisch verlassen und ziemlich mies ausgetrickst von seiner Freundin Charlotte. Nun scheinen die beiden wieder vereint zu sein – nicht als Paar, aber immerhin als Freunde. Die Beiden sind unterwegs nach Norden, um einen alten Herrn zu besuchen, den 104jährigen Daniel Gluck. Nun spätestens erkennt man Ali Smiths Plan der Zusammenführung ihrer Charaktere. Denn im Eröffnungsband Herbst war dieser Daniel Gluck 101 und schien dem Tode entgegen zu dämmern. An seinem Bett saß damals die Nachbarin Elisabeth Demand. Und auch in der Erzählgegenwart kümmert sie sich rührend um Daniel. Und wird das Herz von Arthur gewinnen, der mit ihr ins Cottage seiner Mutter Sophia Cleeves in Cornwall ziehen wird – genau, dort spielte Winter. Zunächst einmal nehmen aber Arthur und Charlotte Grace Greenlaw und ihre Kinder mit auf ihre Reise nach Norfolk. Robert, großer Einstein-Fan, weiß vom kleinen Dorf Roughton, wo der große Physiker 1933 auf seiner Flucht vor den Nazis einige Wochen verbrachte, und Grace hat einst den „Sommer ihres Lebens“ in der Gegend verbracht. Auf eine ganz andere Reise macht sich parallel dazu der alte Daniel Gluck. Im Pflegeheim, während der Besuche Elisabeths – immer wieder verirrt sich sein Geist weit in die Vergangenheit. In die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als Daniel und sein Vater 1940 als „feindliche Ausländer“ im Hutchinson Camp auf der Isle of Man interniert waren. Daniel und sein Vater waren schon vor dem Krieg als Juden vor den Nazis von Deutschland nach England geflohen, während die Schwester Hannah zurückblieb. Ihre Geschichte scheint (Ali Smith arbeitet mehr mit Andeutungen als mit Gewissheiten) wiederum mit der der Familie Greenlaw verknüpft. Die Episoden der Vergangenheit, in die sich der dahinschwindende Geist Daniels verliert, gehören zu den eindringlichsten und berührendsten Passagen des Romans. Gleichzeitig ermöglichen sie Ali Smith auch in Sommer wieder einen reichen Bezugsrahmen. In Camp Hutchinson waren auch Prominente wie Kurt Schwitters oder der Maler Fred Uhlmann interniert. Und auch Charlie Chaplin bekommt wieder eine Reminiszenz, genauso wie die Bildhauerin Barbara Hepworth und natürlich Dickens und Shakespeare. Wie Ali Smith ihre Charaktere aus Herbst, Winter und Frühling verknüpft, die Zeitebenen von Erzählgegenwart und Daniels weit zurückreichenden Erinnerungen verwebt, ist so leichthändig wie genial. Bei aller Komplexität, in die man sich zugegebenermaßen zunächst immer ein wenig einlesen muss, erzählt Smith immer mit viel Witz. Ihre eigenwillige Sprachkunst, voller Assoziationen, Wortspiele, ist von Silvia Morawetz wieder großartig übersetzt worden. Ali Smiths Jahreszeiten-Tetralogie zu lesen, ist ein großes intellektuelles und ästhetisches Vergnügen. Um sie einmal selbst zu zitieren: „Bücher brauchen Zeit, um sich uns nach und nach zu erschließen, wir brauchen Zeit, um zu begreifen, was sie ausmacht – strukturell, in den thematischen Anschlüssen, den Gedanken, die sie auslösen, und den Korrespondenzen mit Büchern, die ihre Vorläufer waren, denn Bücher werden eher von Büchern hervorgebracht als von ihren Verfassern; sie sind das Ergebnis aller Bücher, die vor ihnen da waren.“ Und natürlich ist ein Buch von Ali Smith immer auch politisch. Die Geschichte Großbritanniens, ihre dunklen Stunden, Klimaveränderung, Migration, die Vergiftung der öffentlichen Debatten, gesellschaftlicher Egoismus und Gleichgültigkeit, Verarmung der Kultur – die Anklagen stehen fest, werden benannt, aber sie kommen durch die Lakonie, die Kühle und den Witz der Anklägerin niemals moralinsauer rüber. Und Ali Smith hegt auch immer das kleine Pflänzchen Hoffnung. Es fehlte, vielleicht jahreszeitenbedingt, ein wenig in Winter. In Herbst wird es vermittelt durch Ovids Metamorphosen, in Frühling durch die stets wiedererwachende Lebenskraft der Natur. In Sommer ist es nicht nur dieser selbst und die Mauersegler, die ihn Jahr für Jahr ankündigen, sondern vor allem der „innere Sommer“, die Kunst und die Schönheit, die Hoffnung vermitteln. Am Ende stehen die Protagonisten zusammen: „Sie standen unter einem Nachthimmel auf einem Parkplatz, auf dem vielleicht Einstein selber einmal stand und zu den winzigen erleuchteten Pünktchen in der Schwärze hinaufsah, zu den alten und echten und bereits erloschenen Sternen, bis Roberts Schwester, die aufgewacht war und sie winken sah, sich den Mantel um die Schultern zog, aus dem Auto ausstieg und dahin kam, wo sie in der Kälte standen , und alle zusammen schauten sie hinauf, zeigten auf die Sternbilder, deren Namen sie wussten, und rieten bei den anderen herum.“

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Der Sommer – die Jahreszeit der Sonne, der Wärme und Hitze, des Verharrens in wohligem Zufriedensein. Die 16jährige Sacha und ihr 13jähriger Bruder Robert werden groß in einer Zeit des Umbruchs, der Zäsur – im Jetzt. Ein Virus erobert die Welt, spaltet Gesellschaften, wirft ein jedes Individuum auf sich selbst zurück. Die beiden Jugendlichen sind blitzgescheit, entwerfen permanente Visionen für die Zukunft des Landes und des Erdballs. Robert orientiert sich an seinem Idol Albert Einstein, der die Verbindung herstellt in eine Zeit der Gewalt, der Verfolgung, eine Zeit, in der Daniel Gluck, mittlerweile 104 Jahre alt, mit seinem Vater in einem Lager auf der Isle of Man die Kriegswehen verbrachte. Seine Gedanken, damals wie heute, bei seiner Schwester Hannah, die unter falschem Namen gefährdeten Menschen neue Identitäten besorgte. Damals wie heute, Parallelen, die sich auftun, Ereignisse, die sich wiederholen, neu bewertet, neu orientiert, irgendwie anders, aber oftmals ganz ähnlich. „Vergebung, sagte Sacha, ist der einzige Weg, den unumkehrbaren Lauf der Geschichte zu ändern“ (S. 21) - „Denn Sommer ist nicht bloß eine fröhliche Geschichte. Weil es fröhliche Geschichten nicht gibt ohne das Dunkle“ (S. 288) Der „Sommer“ schließt Ali Smiths Jahreszeiten-Quartett und führt uns als Leser*innen vor Augen, wie eng Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verzahnt sind. Sie schafft textuelle Strukturen der Ähnlichkeit, assimiliert und kontrastiert Zeiten, Objekte, Menschen und deren Aufgaben. Dabei arbeitet sie nicht nur auf der Meta-Ebene, indem sie die narrativen Stränge auf historisch verbriefte Ereignisse treffen lässt, sondern schafft intertextuelle Verweise auf die anderen drei Bände ihrer Tetralogie. Mit Daniel Gluck, Charlotte, Art und dessen Tante Iris integriert sie bereits bekanntes Figurenrepertoire und lässt dieses auf zwei Jugendliche und ihre Mutter treffen. Besonders Sacha und Robert repräsentieren die neue Generation, die neue Wirklichkeit, abseits von heteronormativen Geschlechtskategorien, beide so detailverliebt skizziert, dass man sie einfach nur mögen kann ob ihrer Unangepasstheit. Der Blick auf die Welt im Kontrast zu den Eltern-Generationen, die Hoffnung, der Optimismus, das wache Auge werden zum bejahenden, positiven Element, der trotz aller Schrecklichkeit im Zurückliegenden und Seienden nie verloren geht. Ali Smith skizziert ein Bild unserer Zeit, die von der Vergangenheit lernen kann. Sie bedient sich erneut dem intellektuellen Kanon von Shakespeare über Keats, lässt die gegenwärtigen Debatten zur Corona-Pandemie, zur Migration zu politischen Diskursen den Brexit betreffend literarisch punktgenau einfließen. Das hat einerseits eine große Kraft, Eloquenz und Cleverness und zeugt andererseits auch von einer hohen Sensibilität. Sie arbeitet sich gekonnt an Gegensatzpaaren ab – warm und kalt, hell und dunkel, richtig und falsch – und weist gleichermaßen auf die Leerstellen in diesen Kontrastierungen und unser aller Leben hin, die wir mit unseren ganz persönlichen Überzeugungen füllen können. Ali Smiths „Jahreszeitenquartett“ und „Sommer“ im Besonderen ist ein moderner Ratgeber, der uns alle zum Aufbruch motiviert, uns Hoffnung und Orientierung gibt. Wer nicht weiter weiß, sollte in diesen Zeiten Ali Smith zurate ziehen!

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Sommer … schon das Wort zaubert Erinnerungen, Düfte, Wärme und wunderschöne faule Tage am See herbei. Auch das fängt Ali Smith im Abschlussband ihrer Tetralogie ein. Weshalb ich Tetra- statt Quadrologie schreibe? Weil die vier Jahreszeitenbände zusammengehören und doch selbständig zu lesen sind. Aber weshalb sollte man das tun, einmal angefixt von Ali Smith unnachahmlicher Schreib- und Erzählkunst wird man sich sicherlich durch ihr gesamtes Werk lesen wollen. Smith beginnt diesen Romanzyklus mit „Herbst“ und endet mit „Sommer“. Dem Sommer 2020. Die Pandemie zeigt sich, zumindest in Großbritannien ein wenig, hat aber noch nicht dieses allseits belastende Ausmaß angenommen zu dem sie sich entwickeln sollte. Es ist 2020 das Ausmaß an Unwahrheiten, Unterdrückung von Minderheiten und Nichtbeachtung der Klimaveränderungen ruft Proteste hervor: „Millionen von Menschen sagten es nicht. Millionen und Abermillionen, im ganzen Land und auf der ganzen Welt sahen das Lügen, sahen wie übel Menschen und dem Planeten mitgespielt wurde und erhoben die Stimme, auf Demonstrationen, bei Protesten, bei Wahlen …“ Doch die Mächtigen dieser Welt setzen ihnen ein achselzuckendes und? entgegen und lügen weiter unverholen. Manipulieren, demonstrieren Gleichgültigkeit, ignorieren.“ Sacha ist 16 und tut das nicht, sie setzt sich für den Planeten ein, während ihr Bruder, trotz seiner Intelligenz, vollends auf die wahnwitzigen Versprechungen des Neoliberalismus vertraut. Er ist 13, hochbegabt, wurde gemobbt und verehrt Albert Einstein. So begibt sich die leicht dysfunktionale Teilfamilie auf die Suche nach Einsteins Englandstationen. Grace, die Mutter der beiden möchte dabei den Sommer, als sie in der Jugend mit einer Shakespeareschauspielertruppe durchs Land zog wiederentdecken. Ein wenig Heilung nachdem ihr Mann sie verlassen hat. Auf die Idee kamen sie durch Art und dessen Exfreundin die bereits in einem anderen Jahreszeitenroman auftraten. Ebenso wie Daniel Gluck, der gerade altersbedingt seine Denkfähigkeit verliert. Er war als junger Mann in einem Lager für „feindliche Ausländer“ interniert, dabei kam er mit seinem Vater nach England, um Schutz vor den Nazis zu finden. All diese Geschichten verwebt Ali Smith zu einem feinen, manchmal poetischen oder an Literatur anknüpfenden Gesamtkunstwerk. Mit Sommer gewann sie den Orwell Prize for Fiction 2021. Wer wenn nicht sie. Denn Ali Smith ist eine Autorin, die etwas zu sagen hat, man sollte ihr zuhören, denn auch wenn ihre Romane in Großbritannien spielen, sind sie, zumindest was die westliche Welt betrifft, universell. Die Spaltung der Gesellschaft durch die drängenden Probleme unserer Zeit und den Umgang damit, sind im vom Brexit geplagten England keine anderen, als jene in Deutschland oder den USA oder Frankreich, Spanien, Griechenland … Überall brennt es, manchmal im Wortsinn, aber immer gibt es Menschen und spaltenden Hass, der, befeuert durch (a)soziale Medien und Fake News, versucht einen Staus Quo zu erhalten, der den Planeten zwar zerstören wird, die fatale Gier einiger weniger nach Macht und Geld aber ansatzweise befriedigt. Ansatzweise weil es kurzfristig und kurzsichtig ist. Diese Denke „nach mir die Sintflut“ scheint weit verbreitet in Großaktionärs- Politker- und Konzernlenkerkreisen. Dazwischen gibt es diese kleinen, fragilen, unsicheren Menschenleben, so unwichtig und dabei doch so einzigartig, spannend und wunderbar. So leicht und intensiv wie diese Autorin die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verknüpfen vermag, und trotz aller Komplexität locker erzählt, Kunst, Politik, Gesellschaft und Schönheit verquickt und festhält, das ist wirklich großartig. Absolute Lesempfehlung für den Jahreszeitenzyklus. 28 Dodos für Ali Smith samt dem Dodo Award. Ich war mal wieder hingerissen und weggetaucht. Komplimente an die grandiose Übersetzerin Silvia Morawetz und die Umschlaggestaltung von Luchterhand.Wer das Vergnügen noch vor sich hat, der Herbst naht und dann ist die Zeit einzusteigen und mitzulesen.

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Ein Buch für jede Jahreszeit

Von: Ingeborg Rosen

05.09.2021

Inzwischen liegt das Erscheinen des letzten Bandes des “Jahreszeiten-Quartetts” schon einige Zeit zurück, sehr viel Gutes und Kluges ist - berechtigterweise - darüber geschrieben worden. Dem habe ich nichts hinzuzufügen, lediglich eine Art Ermutigung, sich von den evtl. sehr vielfältig oder verwirrendenden Einstiegsseiten nicht entmutigen zu lassen. Der inzwischen durch die drei Vorgängerromane “geübte” Leser wird im folgenden von sommerlichem Licht belohnt, Licht, das die Tatsachen in der aktuelle Situation im Königreich beleuchtet. Es gibt durchaus inhaltliche und personelle Bezüge Herbst, Winter und Frühling (aber Sommer kann durchaus auch alleine bestehen). Und da Ali Smith die Romane als Quartett konzipiert hat, ist es natürlich überaus reizvoll, die einzelnen Handlungsstränge aufzufinden und zusammenzufügen, gerne auch im Nachgang - die Romane haben es verdient!

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>>Zeit ist Glas und Sand, ist spröde und flüssig, Zeit ist zerbrechlich und fest, ist scharf und stumpf, Zeit ist heute und früher, ist davor und danach, Zeit ist glatt und rau, und wenn man sich aus seiner Gebundenheit an der Zeit lösen will, lacht die Zeit laut und zieht einem das Fell ab.<< „Sommer“ von Ali Smith ist der finale Band ihrer Jahreszeiten-Reihe und hat es thematisch und literarisch wieder sehr in sich! Mich konnte Ali Smith wieder in einen wahren Strudel ziehen, der mich durch die Zeit bis ins Jetzt führte. Wieder ist auch in diesem Werk die poetische Note zu finden, jedoch verbirgt diese sich hier gut und Ali Smith lässt diese eher auf subtile Weise erscheinen. Man ist hier als Leser sehr gefordert und begibt sich auf eine literarische und auch politische Zeitreise, die mir einmal mehr sehr bewusst gemacht hat, was falsch lief … und leider noch immer falsch läuft. Es zeigte mir ohne Umschweife das was der Mensch letztlich ist, vermutlich immer bleiben wird, wenn er sich nicht aus eigenen Stücken ändert... ein primitives Individuum, dass seine Lebensquelle und nicht zuletzt auch sich selbst immer mehr zerstört... „Sommer“ lässt die Hitze immer mehr und mehr brodeln. Die zunehmende Aggressivität und Intensität der Worte, der Geschehnisse waren für mich persönlich so unglaublich spürbar und das ist mitunter ein Aspekt, den ich an Ali Smith Büchern unglaublich schätze! Für mich ist auch dieses Werk wieder ein anspruchsvolles, tiefgründiges Buch gewesen, das dem Leser eindringlich in den Spiegel schauen lässt. Man möchte wegsehen, doch kann man sich vor der Vergangenheit verstecken? Kann man wirklich wegsehen, wenn es so offensichtlich ist, was wir unserem Planeten, all dem Leben auf der Erde und letztlich uns selbst immer wieder und wieder antun? Mitunter auch durch die aktuellen Geschehnisse wird mich dieses Buch mit all dem, was es mir aufzeigte, mich spüren lies, noch lange beschäftigen... und so schließt sich Ali Smith's Jahreszeiten-Zyklus... >>Überall auf der Welt geschieht so viel Schockierendes - wenn deine Definition stimmt, dann wäre die ganze Welt jetzt gerade das größte Kunstprojekt aller Zeiten,...<<

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„Lass deine Innerlichkeit weiter am Fenster für mich leuchten Wie meine für dich leuchtet, meine Herbstschwester Für immer; dein Sommerbruder“ Ali Smiths Protagonisten sind Grace, die gerade von ihrem Ehemann verlassen wurde, deren Tochter Sacha sowie ihr Sohn Robert. Die Familie begibt sich auf eine Reise an einen Ort, an dem Albert Einstein eine Weile lebte. Zugleich ist es eine Zeitreise in Großbritanniens dunkle Stunden. Unterwegs trifft die Familie auf den jüdischen Emigranten Daniel Gluck. Mit ihm kehrt Ali Smith in den Zweiten Weltkrieg zurück, in dem der Junge zusammen mit seinem Vater als feindlicher Ausländer interniert war. Mit „Sommer“ schließt die schottische Schriftstellerin Ali Smith ihre Jahreszeiten-Tetralogie ab. Die Welt wird erstmals von einem Virus heimgesucht, dessen Auswirkungen in seiner ganzen Tragweite noch niemandem bewusst ist. Die Corona-Pandemie wirft aber ihre ersten Schatten voraus und wird in „Sommer“ zunehmend zu einem Symbol von Vereinzelung und Vereinsamung werden. Weitere wichtige Themen sind unter anderem die Flüchtlingsproblematik, und der Klimawandel. Was mir sehr gut gefiel war dass, Shakespeare- oder Charles Dickens Zitate und Motive in die Handlung mit eingewoben wurden. Auch wird immer wieder Shakespeares „Wintermärchen“ erwähnt, ebenso natürlich auch sein „Sommernachtstraum“ „Kreativität ist nicht deshalb Teil der Kultur, weil sie aus ihr hervorgeht, sondern weil sie darauf zielt, die Kultur zu versöhnen. Die vom Unbewussten gespeiste Kunst wirkt im Individuum wie ein ausgleichender Traum: Sie unternimmt den Versuch, tief verwurzelte Probleme abzusprechen und wieder ins Lot zu bringen“ Kein einfaches Buch das natürlich auch als „stand alone“ gut zu lesen ist, aber sicher erst in seiner ganzen Güte wirken kann wenn man alle Bände von Ali Smith gelesen hat.

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2020, ein Wendepunkt, ein Jahr, das uns schmerzlich die Auswirkungen unseres gedankenlosen Verhaltens vor Augen führt und gleichzeitig das Versagen der Politik anprangert. „Sommer“, Abschlussband des Jahreszeiten-Quartetts, setzt zu Beginn des vergangenen Jahres ein. Die Auswirkungen des Brexit werden im täglichen Leben spürbar. Nachrichtensendungen zeigen Bilder erschreckenden Ausmaßes vom anderen Ende der Welt. Australien brennt, Tiere werden zum Opfer der Flammen, Menschen flüchten aus dem Inferno. Die Welt wird erstmals von einem Virus heimgesucht, dessen Auswirkungen in seiner ganzen Tragweite noch niemandem bewusst sind, aber bereits jetzt schon ahnen lassen, dass unser Leben sich für immer verändern wird. Globale Katastrophen, die Politik hilflos. Unfähig Entscheidungen zu treffen. Die Menschen nehmen es hin, verharren in Apathie. Die junge Generation mit ihrem Willen zur Veränderung als Hoffnungsträger. Vier Jahre, vier Jahreszeiten, vier Romane, die unsere Gesellschaft abbilden und uns durch die Augen der schottischen Autorin unsere politische Gegenwart sehen lassen. Zu Werken aus Kunst und Literatur in Bezug gesetzt, letztere meist englische Klassiker wie Shakespeare und Dickens, unaufdringlich und gerade deshalb umso eindringlicher in ihrem Nachhall. „Herbst“, der Brexit-Roman, „Winter“ über Trumpismus, „Frühling“, über Grenzen und die Flüchtlingskrise. „Sommer“ thematisiert die Klimakrise, Covid und dessen Auswirkungen auf unser soziales Leben. Natürlich kann man auch diesen Band einzeln lesen, aber seine besondere Wirkung entfaltet er nur dann, wenn man ihn als Teil der Reihe erlebt, da immer wieder Bezüge zu den Vorgängern hergestellt werden, Kommentare/Anspielungen auf deren Thematik, Personen in Momentaufnahmen in die aktuelle Handlung eingebunden werden, die dort zentrale Rollen hatten. Ali Smith ist eine der großen britischen Gegenwartsautorinnen, die die politische Gegenwart betrachtet, analysiert und mit dem ihr eigenen Sprachgefühl sichtbar macht und kommentiert, zum Nachdenken anregt. Immer brillant und auf den Punkt.

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