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Rezensionen zu
Winter

Ali Smith

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Nach fast drei Jahren voller Lockdowns und Unsicherheiten komme ich an Weihnachten wieder mit einem Großteil meiner Familie zusammen. Es ist anders. Wir haben uns lange nicht gesehen. Müssen wieder warm werden. Und das, obwohl dieser Winter schon jetzt als einer der wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gilt. Passend dazu, las ich in zum Ende des Jahres ‚Winter‘, den zweite Teil der Jahreszeiten-Tetralogie von Ali Smith. Der Roman erzählt ebenfalls von einer Familienzusammenkunft an Weihnachten: ein Sohn, seine ausgedachte Freundin, seine Mutter, ihre Schwester – alle vereint in einem britischen Landsitz. In der Tradition von Dickens’ ‚A Christmas Carol‘ lässt Ali Smith über Geister und Erinnerungen die Gegenwart ihrer Figuren verschwimmen und verwebt sie kunstvoll mit den aktuellen Geschehnissen in Großbritannien. Auf mystisch-märchenhafte Weise überzeichnet sie, was die Dialoge der Familie fortwährend begleitet: die unterschiedlichen Realitäten in denen sie abseits des Weihnachtsfestes leben. Eine Parabel für das, was auch in Deutschland immer sichtbarer wird und mir vor allem im Kreise der Familie von Bedeutung scheint. Denn (Groß-)Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen sind Menschen, die nicht durch gemeinsame Interessen oder berufliche Schwerpunkte mit uns verbunden sind. Die uns abseits von Filterblasen und Echokammern erreichen und uns zeigen können, dass nicht jede*r lebt, denkt oder handelt, wie wir es tun. Und gerade, wenn Diskussionen manchmal hitzig werden, ist es am Ende hoffentlich Wärme, die uns in Erinnerung bleibt.

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Kühle Atmosphäre

Von: elashin.testet

07.09.2021

Eine ungewöhnliche Weihnachtsgeschichte auf einem großen Anwesen in Cornwall erzählt uns der Band Winter von Ali Smith. Hier kommen vier Menschen zusammen die aus einer Familie und einer Fremden besteht. Neben der Hausherrin Sophia, ihrem Sohn Arthur, der sie in Begleitung einer fremden Frau Namens Lux besuchen kommt, die er als seine Freundin vorstellt, von der er sich in Wahrheit getrennt hat (Charlotte), kommt noch Sophias Schwester Iris dazu, die seit langem kein gutes Verhältnis zu ihrer verbitterten und verwirrten Schwester hat. Arthur ruft seine Tante an und lädt sie zu diesem Treffen ein, besser gesagt er bittet sie darum dabei zu sein. Auch dieser Band hat wie der Vorgänger bestimmte Themen über die sich die vier unterhalten, diskutieren und ihre Ansichten zum Ausdruck bringen. Ob Digitalisierung oder Migration, es werden aktuelle Themen aufgegriffen und man kann in diesem Buch erkennen wie doch verschiedene Menschen im selben Raum, ganz unterschiedlich denken und Dinge betrachten. Der Schreibstil ist wie im ersten Band melodisch, poetisch und es macht Freude das Buch zu lesen. Es ist eine Art Reflektion von uns selbst und anderen Menschen und passt zu kurzen Tagen und langen Nächten im Winter. Auch hier ist das Cover sehr einfach gehalten und passt für mich gut zum Buch. Alle 4 Bände sind ungewöhnlich und keine einfachen Romane von der Stange, da sie sich mit realen und aktuellen Themen beschäftigen, uns zum Nachdenken bringen, aber auch etwas Fiktives haben und manchmal auch was zum Schmunzeln dabei ist.

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Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe. Arthur, kurz Art, verbringt die Feiertage bei seiner Mutter Sophia in ihrem einstmals herrschaftlichen, heute nahezu verwahrlosten Anwesen in Cornwall. Begleitet wird er von Lux, einer jungen Frau, die er als seine Freundin Charlotte ausgibt, die sich kürzlich von ihm getrennt hat. Aus Sorge um den geistigen Zustand seiner Mutter kontaktiert er deren Schwester Iris, bittet sie, an ihrer Weihnachts-Schicksalsgemeinschaft teilzuhaben, obwohl die Schwestern seit ewigen Zeiten keinen Kontakt zueinander hatten. Das Quartett diskutiert, streitet, geht sich aus dem Weg, findet wieder zusammen, vereint und trennt. Sie sprechen über Vergangenes und Gegenwärtiges, es geht um die Wahrheit, subjektive und objektive, um Politik, Kunst und Familie. „Schönheit ist der richtige Weg, etwas zum Besseren zu verändern. […] Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit Schönheit. Schönheit vorzutäuschen, das geht nicht“. (S. 208) Der zweite Band von Ali Smiths Jahreszeiten-Quartett diskutiert erneut relevante Thematiken der Jetzt-Zeit. Mit der bereits aus „Herbst“ bekannten kraftvollen und gleichzeitig höchst poetischen Sprache schafft sie erneut einen Mikrokosmos aus in diesem Fall vier Menschen, der verhandelt, was dem personalen Kleeblatt wichtig erscheint und für uns als von Bedeutung ist. Im Zentrum stehen dieses Mal vor allem die Themen Umweltverschmutzung, Migration und Flucht sowie Digitalisierung, die Smith immer wieder einstreut und aufblitzen lässt. Virtuos bedient sie sich dabei aus dem Repertoire ihrer großen sprachlichen Fähigkeiten und arbeitet sich vor allem an der Frage „Was ist Wahrheit und was ist Wahrnehmung?“ konsequent ab. Wie auch schon in „Herbst“ gelingt es Smith mit großer Raffinesse subtilen Humor und ernste, wichtige Gegenwartsthemen miteinander zu verknüpfen. Über Art, der einen Blog namens „Art in Nature“ führt und sich dabei mit einem hohen Maß an Lakonie über vermeintlich Randständiges in der Natur auseinandersetzt, bringt Smith die Umwelt-Thematik ins Spiel, die durch die Umweltaktivist*innen-Tätigkeit von Arts Tante Iris auf die Spitze getrieben wird. Jedes Thema wird von den vier Protagonist*innen auf unterschiedliche Weise betrachtet, bewertet und diskutiert. So geht es stets um mehrere Ebenen, die inhaltliche wie auch die das Thema bearbeitende. Jede*r hat seine eigene Wahrheit, bringt diese in den Diskurs ein, was gerade in Zeiten fortschreitender Digitalisierung – Arts Ex-Freundin macht sich mit der Zeit seinen Blog zu eigen, ohne die neue Autor*innenschaft kenntlich zu machen – zu neuen Formen von Wahrnehmung und Realität führt. Sinnbildlich steht dafür auch ein körperloser Kopf, der aus Sophias Gesichtsfeld herausgetreten ist und sie nun mutmaßlich begleitet, aber nur von ihr gesehen werden kann – ein Mahnmal für die heutige Zeit der Unzuverlässigkeiten! Ali Smiths „Winter“ knüpft nahtlos an „Herbst“ an – auch wenn ich den ersten Band noch ein kleines bisschen innovativer empfunden habe. Ein wahrlich literarisches Fest, das mich begeistert, beeindruckt hinterlässt und das zum Nachdenken einlädt!

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Eine melancholische Jahreszeit

Von: cule.jule

27.02.2021

Mit dem Roman "Winter" leitet Ali Smith den zweiten Teil des Jahreszeitenquartetts ein. "Vorsicht Spoiler!" Als Leser durfte ich in eine leise Geschichte eintauchen, deren Sinn, Poesie und Tiefgründigkeit, wie bereits bei dem Vorgänger "Herbst", zwischen den Zeilen liegt. Mittelpunkt des Romans ist die in Cornwall lebende Sophia, welche zu Weihnachten ihren Sohn Arthur und dessen Freundin Charlotte eingeladen hat. Der Leser erfährt frühzeitig, dass Arthur Lux beauftragt hat sich als Charlotte für das Weihnachtsfest auszugeben, um seiner Mutter nicht zu gestehen, dass er sich zuvor von der "richtigen" Charlotte getrennt hat. Hinzu kommt der überraschende Besuch von seiner Tante Iris, die die Schwester von Sophia ist. Da Iris menschlich das genaue Gegenteil von Sophia ist, ist die weihnachtliche Stimmung dahin. Jedoch entwickeln sich die anfänglichen Streitereien und Konflikte der beiden Schwestern zu einer Versöhnung, deren Verlauf Ali Smith durch ihre Wortgewandheit interessant und mitfühlend gestaltet hat. Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der bereits die doch eher ungewöhnliche Lektüre "Herbst" interessant fand. Den zweiten Teil empfand ich als Leser an einigen Stellen zu langatmig, jedoch bin ich trotzdem auf den dritten Teil sehr gespannt.

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Winter

Von: LiteraturReich

29.01.2021

Ali Smith zu lesen, ist immer ein Erlebnis. Geistreich sind ihre Romane, virtuos, anspielungsreich, sprunghaft. Ihr jüngstes Projekt ist das Jahreszeitenquartett, mit dem die 1962 geborene Schottin 2016 kurz vor dem Brexit-Referendum begann. Herbst war der erste Teil betitelt, der im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschien. Nun folgen in jahreszeitlichem Rhythmus die weiteren Bücher. Winter ist der gerade aktuelle Roman von Ali Smith. Mit ihm macht es die Autorin der Leser:in zunächst nicht ganz leicht. War die stille, gleichfalls funkelnde Herbst-Folge über die zarte Beziehung einer jungen Frau zu einem sterbenden 101-Jährigen sehr zugänglich und berührend, verstört und verwirrt Winter unter Umständen gleich zu Beginn mit seinem Anspielungsreichtum. „Gott war tot: das gleich vorweg.“ Nach diesem Intro, dem eine recht lange Liste von Dingen, die auch tot waren – Romantik, Poesie, Kunst, Literatur, aber auch der Wohlfahrtsstaat, Wahrheit und Fiktion und etliche –ismen beispielsweise – folgt, begegnen wir der Protagonistin des Romans, Sophia Cleves. Die alleinstehende, ältere Ex-Geschäftsfrau lebt allein in ihrem Alterswohnsitz in Cornwall und befindet sich im Gespräch mit einem schwebenden Kopf. Ja, es ist der körperlose Kopf eines Kindes, der durch das Haus schwebt und Sophia in keiner Weise zu beunruhigen scheint. „Wir haben den Bereich der Mythologie betreten.“ wird als Zitat Muriel Sparks dem Roman als Motto vorangestellt. Hier erscheinen auch zwei andere Bezugsgrößen, die man als Ali-Smith-Leser:in bereits kennt: William Shakespeare und Charles Dickens. Der Sturm und Große Erwartungen spielten schon in Herbst eine Rolle. Und Winter lässt Ali Smith wieder mit einem abgewandelten Dickens-Satz beginnen. Denn natürlich spielt bereits dieser erste Satz auf den berühmten Beginn von A Christmas Carol an: „Marley was dead: to begin with.“ Auch Winter ist am Weihnachtsabend angesiedelt. Und wartet mit allerlei Bezügen zur vielleicht berühmtesten Weihnachtsgeschichte außerhalb der Bibel auf. Sophia Cleves, die Dame mit dem schwebenden Kopf, wartet auf ihren erwachsenen Sohn Arthur. Das Verhältnis der Beiden scheint nicht besonders eng zu sein. Als quasi alleinerziehende Geschäftsfrau – der Vater von Arthur war als Schauspieler ständig unterwegs – galt ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich ihrer Arbeit. Arthur führt einen Naturblog – „Art in Nature“ –, obwohl er sich gar nicht so sehr für Natur zu interessieren scheint, und sucht als Copyright-Wart für eine große Medienfirma nach Urheberrechtsverletzungen in Internet. Seine Freundin Charlotte hat sich gerade recht unsanft von ihm getrennt. Da er sie eigentlich seiner Mutter an Weihnachten zum ersten Mal vorstellen wollte, heuert er kurzentschlossen ein Mädchen von der Straße an, für die Feiertage als seine Freundin aufzutreten. Lux heißt das Mädchen. Und man darf den Namen ruhig symbolisch nehmen. Denn wenn ihre kroatischen Eltern sie auch ganz unromantisch Velux, nach der gleichnamigen Dachfenstermarke genannt haben, bringt dieses Mädchen doch – ganz nach der Fensterwerbung – Licht ins Leben von Arthur und Sophia Cleves. Sie ist sozusagen der gute Geist der Weihnacht. Selbst die ruppige, spröde Sophia scheint sie zu mögen. Lux traut sich auch, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, die Mutter und Sohn sonst gern umschiffen. Doch die Drei bleiben nicht alleine. Art ruft, als er bei der Ankunft den beunruhigenden Zustand seiner Mutter feststellt – es ist keinerlei Essen im Haus, Sophia scheint verwirrt -, seine Tante Iris an, die sogleich mit reichgefüllten Taschen anreist. Iris ist das schwarze Schaf der Familie. Rebellisch und politisch engagiert, war sie als junge Frau in den Achtzigern maßgeblich an den Protesten am Air Force-Stützpunkt Greenham Common gegen die Stationierung von Cruise Missiles und dem dortigen Women`s Peace Camp beteiligt. Als Aufwieglerin wurde sie damals vom konservativen Vater und auch von Sophia quasi verstoßen. Das Wiedersehen der beiden Schwestern nach über 30 Jahren ist nerwartungsgemäß nicht konfliktfrei. Hier prallen Welten aufeinander, brechen alte Verletzungen und Rivalitäten wieder auf. Arthur steht dem Ganzen recht hilflos gegenüber. Gleichzeitig bekommt er die „Nachwehen“ seiner Trennung von Charlotte zu spüren. Diese hat seinen Blog und seinen Twitteraccount gehackt und verbreitet darüber Nonsense-Nachrichten. Eine, über die Sichtung des seltenen Kanadawaldsängers in Cornwall, beschert unseren Protagonisten eine Busladung Vogelfreunde, was Ali Smith sehr vergnüglich schildert. Überhaupt kommen trotz des schrecklichen Weihnachtswetter mit Dauerregen und Matsch und der angespannten Stimmung zwischen den Schwestern der Humor und die Ironie nicht zu kurz. Der ständige Wechsel von Außen- und Innenperspektiven schafft interessante Einblicke in die Charaktere und Ali Smith entzündet ein literarisches Feuerwerk mit unzähligen literarischen und künstlerischen Anspielungen. Cymbeline, das Drama von Shakespeare, wird als Blaupause verwendet, William Blakes Illustrationen von Dantes Göttlicher Komödie kommen genauso vor wie da Vincis Mona Lisa, der im Smartphone-Zeitalter die meisten Besucher nur mehr den Rücken zuwenden. Elvis singt „Muss i denn“, Charlie Chaplins Tod spielt eine Rolle und der Weltraumhund Laika. Und man kann die britische Bildhauerin Barbara Hepworth kennenlernen. Sicher gibt es Leser:innen die mit diesem Motivfeuerwerk nichts anfangen können, sich vielleicht überfordert fühlen. Zumal sich zu den kulturellen auch jede Menge politische Motive hinzugesellen. Der Brexit ist eines davon, der schwindende soziale Zusammenhalt der (nicht nur) britischen Gesellschaft, der verheerende Brand im Grenfell Tower 2017 mit 72 Todesopfern, Plastik in den Weltmeeren, Misogynie im Parlament, die Behinderung der Seenotrettung im Mittelmeer, generell die Flüchtlingssituation in Europa. Ich mag es, den Spuren zu folgen, zu googeln, Neues zu erfahren. „Die Menschen in diesem Land sind seit der letzten Wahl schrecklich wütend aufeinander, sagte sie, und unsere Regierung hat nichts getan, was diesen Zorn besänftigt hätte, sondern benutzt die Wut der Menschen für ihre eigenen politischen Zwecke – ein uralter faschistischer Trick, wie er im Buche steht, und ein sehr gefährliches Spiel.“ Ali Smith lässt Winter mit einer Rede des nun endlich aus dem Amt geschiedenen Trump enden, gehalten im Juli 2016, in gewohnt hasserfülltem, herabwürdigendem Ton. „Mitten im Sommer ist es Winter. Weiße Weihnachten. Gott steh uns bei, uns allen.“ Zumindest das hat sich mittlerweile erledigt. Corona war da noch eine mexikanische Biermarke. Es ist eine vielschichtige, hochpolitische, witzige, intelligente, aber auch warmherzige Winter- und Weihnachtsgeschichte, die Ali Smith mit Winter geschaffen hat. Ein Kammerspiel, fast ein Bühnenstück. Eine Gespenstergeschichte vielleicht auch, denken wir an den schwebenden Kopf. Den lockeren Ton hat sie mit ihrem Vorgänger Herbst gemeinsam, auch die sprachliche Virtuosität. Die Geschichte selbst ist vielleicht nicht ganz so zugänglich. Es ist Winter. Vielleicht bringt Frühling, das Ende März erscheinen wird, wieder mehr Offenheit. Leichtigkeit. Ich freu mich drauf.

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Wo wären wir ohne unsere Fähigkeit, mehr als das zu sehen, was wie sehen sollen? (S. 280) Dunkelheit, Schwermut, Kälte – der Winter ist die Jahreszeit, die uns das Überleben lehrt, uns aber auch näher wieder zusammenbringt, denn Weihnachten steht vor der Tür. Arthur hat vor, das heilige Fest gemeinsam mit seiner Freundin Charlotte bei seiner Mutter Sophia in ihrem Cottage in Cornwall zu verbringen, doch kurz vor ihrer Abreise haben sie einen heftigen Streit: Charlotte hält es nicht mehr aus, wie passiv er ist, sich nur mehr in seiner Arbeit verliert und jegliche Intimität auf der Strecke bleibt. Kurzerhand hackt sie seinen Twitter-Account und seinen Natur-Blog, zerstört seinen Laptop, und veröffentlicht Fake-News in seinem Namen, die das Netz schon bald überrollen. In seiner Verzweiflung trifft er zufällig auf ein junges Mädchen, Lux, und bittet sie, gegen Bezahlung seine Freundin zu spielen und ihn zu seiner Mutter zu begleiten. Dort angekommen merken sie, dass mit Sophia etwas nicht stimmt. Seit mehreren Tagen schon sieht sie Dinge, die nicht sein können, ein fliegender Kopf begleitet sie Tag und Nacht, hält sie wach. Die alte Frau ist abgemagert, wirkt verloren, verwirrt, nicht zu Ort und Zeit orientiert. Um sie wieder auf die Bahn zu bringen, bittet Arthur seine Tante Iris, die in der Nähe wohnt, vorbeizukommen – sehr zum Missfallen seiner Mutter Sophia, die sich seit Iris‘ plötzlichem Verschwinden in ihrer Jugend und ihren aktivistischen Aufmärschen von ihr entzweit hat. Gemeinsam verbringen sie denkwürdigende, alles verändernde Weihnachtstage im Cottage, teilen Erinnerungen und Mythen, führen Dispute und entlarven Lügen – und kommen sich dabei wieder näher. Der zweite Teil von Ali Smiths Jahreszeiten-Quartett ist, entgegen des Titels, alles andere als schwermütig. Vielmehr belebt er, fordert auf, die Beweggründe und Gefühle seiner Mitmenschen zu ergründen, empathisch zu sein, ein offenes Ohr zu haben. Denn Kommunikation wird viel zu sehr unterschätzt, dabei ist sie der Schlüssel einer guten Beziehung, jeder Interaktion, um Verständnis und Einsicht zu erlangen, sich Hilfe einzufordern und anzubieten. Es hat mich beeindruckt, wie mühelos Ali Smith mit den Wörtern und Phrasen spielt, die Geschichte sich entfalten lässt, ohne dem Leser direkt auf dem Silbertablett zu präsentieren, was ihre Intentionen sind. Gewiss hat die Erzählung im Verlauf phasenweise Längen und Stolpersteine; gerade zu Beginn brauchte ich mehrere Anläufe, um in die Geschichte zu finden – doch dann war ich total gefesselt. Nur langsam, Stück für Stück setzen sich die Puzzleteile der verschiedenen Rückblicke aus der Vergangenheit, verjährten Weihnachtsfestivitäten, Erinnerungen an Arthurs Kindheit, an die Jugend von Iris und Sophia zusammen und ergeben ein beeindruckendes Gesamtbild. Es blieben noch eine Fragen offen, doch das scheint so gewollt zu sein, trumpft „Winter“ mit fragwürdiger Mystik, mit Scheinbildern und Geheimnissen auf, deren Ursprung und Zukunft im Verborgenen bleiben. Trotz dessen nur vier Protagonistin auftreten, schöpft Ali Smith in Bezug auf die einzelnen Persönlichkeiten aus dem Vollen und gibt jedem seine ganz eigene Stimmfarbe. Sie gemeinsam interagieren zu sehen, sich gegenseitig aus der Reserve zu locken, zu reizen, hat mir viel Freude bereitet. Lux als wortwörtliches Licht in all dem zutage tretenden Zynismus schafft es, die gespaltenen Gemüter zu einen, ihnen einen Weg zu bereiten, mit ihrer Vergangenheit bar zu kommen – beinahe wie Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte. So scheint mit „Winter“ eine dunkle Passage des Lebenszyklus‘ beendet, denn nach der Dunkelheit, der Undurchdringlichkeit jeglicher Differenzen und Rückschlage, ist immer ein Licht, bleibt ein Funken Hoffnung – folgt ein neuer Start, ein neuer Frühling. Herzlichen Dank an den @luchterhand_verlag und das @bloggerportal für das #Rezensionsexemplar!

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Der Roman spielt auf einem riesigem Anwesen in Cornwall. Vier Menschen verbringen dort miteinander das Weihnachtsfest. Wir lernen die verbitterte, verwirrte und abgemagerte Hausherrin Sophia, eine Endsechzigerin, kennen, die mit wenig Vorfreude auf ihren 30-jährigen Sohn Arthur und seine Freundin Charlotte wartet. Arthur hat nicht den besten Stand bei seiner einst erfolgreichen und daher wohlhabenden Unternehmermutter, ist er doch ein etwas zu sensibler und phantasievoller Naturromantiker, der es nur zum Blogger gebracht hat. Zwar erfolgreich, aber na ja... und um nicht noch mehr Negativpunkte bei ihr zu sammeln, plant Arthur, die Trennung von Charlotte zu verheimlichen und bringt stattdessen die 21-jährige obdachlose Lux mit zum Fest. Lux ist eine ihm fremde kroatische Austauschstudentin, die Arthur aufgegabelt und engagiert hat. Doch die Tarnung fliegt schon bald auf. Und als vierte im Bunde kommt dann noch die rebellische Tante Iris, eine engagierte Aktivistin und Weltverbesserin, die schon seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu ihrer jüngeren Schwester Sophia hatte, dazu. Arthur hat sie gerufen, weil er sich mit seiner sehr verstört wirkenden Mutter überfordert fühlt. Die vier sehr unterschiedlichen und eigenwilligen Menschen verbringen eine außergewöhnliche Nacht miteinander. Unter Harmonie und konfliktfreier weihnachtlicher Stimmung stellt man sich etwas anderes vor als das, was die vier miteinander erleben. Es ist eine Nacht, in der gestritten und gelogen wird, in der unterschiedliche Sichtweisen aufeinanderprallen, Erinnerungen aufkommen, Geheimnisse gelüftet werden und Verdrängtes und Vergessenes an die Oberfläche drängt. Es ist eine Nacht, in der die beiden ungleichen und schon immer konkurrierenden Schwestern sich angiften, in der Sophia mit gehässigen Kommentaren nicht spart und in der sie Dinge sieht, die beim besten Willen nicht sein können. Hat sie Halluzinationen oder spukt es gar? Leidet sie unter einer wahnhaften Erkrankung oder hat sie einfach nur eine lebendige Phantasie? Es ist eine Nacht, in der politische und andere aktuelle Themen sowie literarische Persönlichkeiten ihren Raum bekommen und in der es auch neben all den Feindseligkeiten und Querelen versöhnliche Momente gibt, was v. a. die empathische Lux mit ihren diplomatischen Bemühungen und ihren vermeintlich naiven und zum Nachdenken anregenden Fragen ermöglicht. Therapeutengleich vermittelt und moderiert sie, was durchaus von Erfolg gekrönt wird. Sie ist, angelehnt an Charles Dickens Weihnachtsgeschichte, der gute Geist dieser Weihnacht, der einen kaltherzigen Menschen erweicht und versöhnlich stimmt. Aber eine märchenhafte Weihnachtsgeschichte wird „Winter“ deshalb noch lange nicht. Die Geschichte hat keine stringente und geradlinige Handlung, es sind eher ineinanderfließende Momentaufnahmen bzw. aneinandergereihte und nebeneinanderliegende Szenen, Fragmente und Assoziationen. Ali Smith ist eine brillante und scharfsinnige Beobachterin. Sie experimentiert und spielt mit den Wörtern und Sätzen, mit den Perspektiven und Zeitebenen, mit der Wahrheit und mit uns Lesern. „Winter“ ist weder eine klassische Familiengeschichte, noch eine typische Weihnachtsgeschichte, obwohl sie an Weihnachten spielt und eine Familie im Mittelpunkt des Geschehens steht. Sie ist vielmehr ein anspruchsvolles Puzzle, wobei man das Bild und den Sinnzusammenhang erst mit der Zeit erahnt und letztlich in seiner Gänze erkennt, wenn alle Einzelteile zusammengefügt sind. Manches erschließt sich nicht sofort, sondern erst im Verlauf oder am Ende. Die 1962 geborene Schottin Ali Smith hat mit „Winter“, dem zweiten, aber unabhängig vom ersten zu lesenden Band ihres Jahreszeitenquartetts, ein warmherziges, sehr spezielles und außergewöhnliches Werk geschaffen, das mir einige Stunden Lesevergnügen schenkte. Es machte Spaß, dem collageartigen Kammerspiel beizuwohnen und den Dialogen zu lauschen, die es fürwahr in sich haben. Im Kleinen geht es um eine Familie, im Großen um die britische Gesellschaft. Ich empfehle „Winter“ gerne weiter, obwohl mir der Roman v. a. auch im Vergleich zu „Herbst“ etwas zu politisch und die Figuren etwas zu hölzern waren.

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Winter

Von: Bearnerdette

02.01.2021

Als erstes Buch im neuen Jahr beendet: Winter von Ali Smith, Teil zwei ihres Vier Jahreszeiten Quartetts. Herbst, den Vorgänger, habe ich im Rahmen eines Buchclubs gelesen und sehr gemocht. Ob mich der nächste Teil auch überzeugt hat? Art, ein junger Mann, der einen Natur Blog schreibt und sich vor Kurzem von seiner Freundin Charlotte getrennt hat, engagiert eine Obdachlose um an Weihnachten seine Freundin zu spielen. Sie soll mit ihm zu seiner Mutter Sophia fahren. Lux ist eine junge Studentin, die das Geld gut gebrauchen kann und das ungewöhnliche Angebot nur allzu gerne annimmt. Arts Mutter wiederum sieht seit Kurzem einen schwebenden Kinderkopf, der nicht von ihrer Seite weicht. Sie hat sich daran gewöhnt, integriert den Kopf in ihr Leben. Ihre Schwester Iris, eine sehr unangepasste, politische Aktivistin, kommt ebenfalls zum Weihnachtsfest… Chaos ist vorprogrammiert, insbesondere da die Schwestern nicht gut aufeinanderzu sprechen sind. Winter ist nicht so arg fragmentiert wie Herbst, geradelieniger, aber dafür gefühlt politischer. Brexit, Atomkrieg, Sexismus und das Trump-Problem werden thematisiert. Smith beweist sich dabei erneut als Wort-Virtuosin, schafft Passagen die zum Nachdenken anregen. Ein forderndes Buch, das eine eigentümliche Kraft entwickelt, mit eigenwilligen Charakteren. Kein Wort wirkt überflüssig in dieser Erzählung, ein meisterhaft komponiertes Stück über eine zerrüttete Familie. Grosse Leseempfehlung.

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