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Rezensionen zu
Lincoln im Bardo

George Saunders

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€ 25,00 [D] inkl. MwSt. | € 25,70 [A] | CHF 34,50* (* empf. VK-Preis)

Zwischenreich

Von: wal.li

28.10.2019

Der 11-jährige William Lincoln stirbt im am 20.Februar 1862. Sein Vater Abraham ist Präsident der Vereinigten Staaten. Doch er ist nicht nur Präsident, er ist auch Vater. Und als dieser ist er tieftraurig über den Verlust seines geliebten Sohnes. Nur zwei Tage später wird der Junge bestattet. Und zur ersten Geisterstunde entsteigt er dem Grab, nicht wissend, was passiert ist. Sein Vater, der ihn ein letztes Mal um armen will, besucht die Grabstätte. Obwohl Willie nicht mehr mit seinem Vater sprechen kann, fühlt sich durch dessen Gegenwart wie neu belebt. In diesem in allen Bereichen überraschenden Roman entsteigen die Toten ihren Kisten. Ein kunterbunt gemischtes Völkchen tummelt sich auf dem Friedhof. Und ein lebendiger Präsident, der den Verlust seines Sohnes betrauert. Viele Geschichten entfalten sich aus den Gesprächen der Toten. Manche sind schon lange an diesem Ort. Viele kamen und gingen. William ist neu, er muss sich erst zurechtfinden. Doch die jungen gehen meist schnell. Sie alle haben eine Vorgeschichte und natürlich gibt es für jeden einen Grund, warum er hier ist. Der eine wurde von einem Holzbalken erschlagen, der andere brachte sich um und Willie starb an Typhus. Aus verschiedensten Richtungen wird die Geschichte beleuchtet, so dass kaum eine Seite ohne neue Entdeckung vergeht. Der bedauernswerte Willie, sein Vater, der sich Vorwürfe macht und gleichzeitig das Land regieren muss. Seine Stellung in der Historie und daneben die des alternden Ehemannes, des jungen Liebhabers. Tragik und Komik sind hier manchmal nahe beieinander. Und Tatsachen wechseln sich mit Erfundenem ab. Es ist ein wahrer Fall von „Die Mischung macht’s“. Man erlebt Höhen und Tiefen, schaut auf unterschiedlichste Lebenswege, man staunt, man empfindet Trauer und Freude. Und irgendwie ist das Leben ein Kreislauf, der mit jeder Generation von Neuem beginnt und der es mit Sicherheit wert ist, gelebt zu werden. Ein Buch wie ein Feuerwerk, diese Lektüre lohnt sich. 4,5 Sterne

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Während das Präsidentenehepaar Lincoln einen großen Empfang gibt, stirbt ihr elfjähriger Sohn Willie allein an Typhus. Das Kind landet in einem Zwischenreich, nach einer buddhistischen Vorstellung davon Bardo genannt. Verzweifelt besucht sein Vater Willie auf dem Friedhof, um ihn noch einmal in die Arme zu schließen. So weit lässt sich der Inhalt nüchtern beschreiben. Das ist er aber keineswegs, denn erzählt wird die Geschichte von Lebenden und Bardobewohnern, d.h. den Geistern der Toten. Und die haben viel zu erzählen: ihre eigenen Geschichten, die ihrer Mitgeister, den Ablauf der Feierlichkeit und den der Beerdigung, ein friedvoller Platz ist dieser Friedhof sicher nicht. Mit viel schwarzem Humor und Freude am Slapstick lässt Saunders seine Geister über den Friedhof toben, durcheinander schreien und sogar Fehden austragen. Er mischt reale mit erfundenen Quellen, zieht die Beobachtungsgabe der lebenden Menschen in Zweifel ( so haben Gäste des Empfangs das Wetter unterschiedlich erlebt und der Präsident wechselt je nach Beschreibendem die Augenfarbe), vergisst dabei aber auch nicht die leisen Töne. Kinder dürfen nicht im Bardo bleiben, sie müssen zügig weiter reisen. Und so ist es nun die Aufgabe, Vater und Sohn zu trennen. Das Buch wird hochgelobt: so etwas hätte es nie zuvor gegeben, das Buch könne Leben verändern. Nun, meines nicht. Saunders hat keineswegs das Rad neu erfunden, er hat jedoch seine Idee konsequent und sehr überzeugend durchgezogen. Und zugegeben, manche Sequenzen rund um Willie sind wirklich ergreifend und der Schmerz des Vaters ist nahezu spürbar. Die Idee der Materienlichtblüte allerdings hat mich überhaupt nicht überzeugt. Ein kleines Feuerwerk und die Toten gehen ins , ja wohin eigentlich? Ins Paradies? Oder vielleicht doch ins Fegefeuer? Oder dürfen sie einfach aufhören zu sein? Das Materienlichtblütenplopp hat mir jedenfalls so manche schöne Szene verdorben. Das ändert aber nichts daran, dass der Roman auf seine Art schon großartig ist. Die vielen Figuren, die unterschiedlichen Charaktere, das nicht akzeptieren wollen des schon stattgefundenen Todes, Saunders zeigt den Menschen in seiner ganzen Bandbreite. Und sein Blick ist ein freundlicher, fast schon (gott-)väterlicher. Auch die verkommensten, bösartigsten Geister haben ihre Chance auf Erlösung -und den Leser freut's. Auch wenn ich den Hype um das Buch nicht so ganz nachvollziehen kann, zählt es für mich mit ein paar Abstrichen zu den besten Romanen des Jahres bisher. Wie grandios man das Buch findet, hängt sicherlich auch von den eigenen Vorstellungen von Jenseits ab. Ich hatte meine größte Freude an den Auftritten von Hans Vollman und Roger Bevins III und den eher schwarzhumorigen Szenen. Ein besonderes Buch ist "Lincoln im Bardo" allemal und ganz sicher auch ein lesenswertes.

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Der Begriff „Bardo“ stammt aus dem Buddhismus und bezeichnet den Zustand zwischen dem Tod und der Wiedergeburt. Bei George Saunders finden wir uns nicht in einem buddhistischen Weltverständnis wieder, doch seine Geschichte spielt in einem Reich zwischen Leben und Tod. Es ist ein Reich, das nach dem Tod schnell durchschritten werden sollte zu einem endgültigen Zustand, ob dieser nun Himmel oder Hölle entspricht oder etwas ganz anderes darstellt, der Roman gibt hier keine eindeutigen Antworten. Es sind vor allem drei Männer, die sich hier aufhalten und einerseits das, was geschieht, kommentieren, andererseits über sich selbst, ihr Schicksal, ihr Leben sinnieren. Sie stecken fest, sie gehen nicht voran, doch ein Zurück kann es auch nicht geben. Viele andere, die nach ihnen gestorben sind, kommen und gehen. Nur Willie Lincoln, Sohn des derzeitigen Präsidenten und mit 11 Jahren an Typhus gestorben, bleibt. Bleibt „im Bardo“, denn auch wenn man mit dem Romantitel „Lincoln im Bardo“ ganz von selbst den Vater und Präsidenten assoziiert, ist auch der junge Lincoln ein „Lincoln im Bardo“. Der Vater besucht des Nachts den Friedhof, er ist tief getroffen und will seinen Sohn nicht gehen lassen, seinen Tod nicht wahrhaben. Er verspricht ihm, wieder zu kommen. Und so wird Willie zurückgehalten, kann den trauernden Vater nicht verlassen. Drumherum die Stimmen der „Untoten“, der Festsitzenden, die kommentieren, lamentieren, versuchen, zu verstehen, Hoffnung schöpfen, dass es doch nicht nur in die eine Richtung weitergehen könnte, wenn Willie Lincoln doch nicht einfach so ihr Reich durchquert. „Lincoln im Bardo“, der erste Roman George Saunders, der bisher durch Kurzgeschichten auf sich aufmerksam machte, kommt mit allerhand Vorschusslorbeeren nach Deutschland, gewann 2017 den Man Booker Prize und wurde intensiv beworben. Die Erwartungen an den Roman waren also bei mir hoch, auch, wenn ich nicht wusste, wie ich mir die Geschichte vorzustellen hatte, der Plot klang gewagt, doch vielversprechend. „Lincoln im Bardo“ ist ambitioniert, in seiner Form außergewöhnlich – was Saunders hier macht, hätte auch leicht schief gehen können. Ich kann mich kaum erinnern, je etwas Ähnliches gelesen zu haben. Saunders bedient sich einer Art des choralen Erzählens, es sind viele Stimmen, die von den Geschehnissen berichten, sie reden durcheinander, ergänzen und widersprechen sich, sie plappern, lassen aus, deuten an. Wann immer ich lese, dass man einen Roman mit besonderer Konzentration lesen müsse, weil er anspruchsvoll, kompliziert sei, frage ich mich, ob man nicht jeden Roman mit der gleichen Aufmerksamkeit lesen sollte. Doch bei der Lektüre von Saunders’ Roman habe ich mehrfach genau so gedacht. Hier kann einem schnell etwas entgehen, wenn man nur kurz unaufmerksam ist. Saunders lässt also die drei Männer im Bardo hauptsächlich, und nebenbei viele andere sprechen, auch Willie selbst kommt zu Wort, sein Vater allerdings nie. Dadurch ist er, noch mehr als die Gestalten zwischen den Welten, schwer greifbar. Es wird viel über den Präsidenten gesagt, - doch immer von anderen Personen, die sich teils widersprechen. Saunders fügt zeitgenössische Zitate ein und zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung auf die gleichen Ereignisse bzw. auf die Person Lincolns war. Und somit auch, dass objektive Geschichtsschreibung nicht immer einfach ist. „Lincoln im Bardo“, hat sich gegen mich gesträubt, sich gewindet, sich fast verweigert, sodass ich die Lektüre manchmal sogar abbrechen wollte. Der Roman ist keiner, in den ich eintauchen, in dem ich mich wohlfühlen kann und gern verweilen möchte. Wir haben miteinander gekämpft. Das liegt nicht nur am ernsten Thema, das im Übrigen auch durch eine gehörige Portion Ironie deutlich abgeschwächt wird. Vielmehr ist es das sprunghafte Erzählen, die fehlende Linearität, die das Buch andererseits zu dem machen, was es ist: Eine außergewöhnliche Lektüre, die ich jedoch eher mit dem Kopf als mit dem Bauch würdigen kann. Man kann den Roman schwerpunktmäßig in seinem historischen Kontext lesen, als Spiegel einer Gesellschaft im Bürgerkrieg, worauf das Feuilleton in einigen Besprechungen hinweist. Sicher lohnt auch die Frage, was das alles mit uns heute zu tun hat. Und natürlich habe ich mich gefragt, für was dieses Zwischenreich steht oder stehen kann. Der Gedanke liegt nahe, dass es etwas damit zu tun hat, Dinge zu beenden, Türe zu schließen, bevor man neue öffnet, aber vielleicht bewege ich mich damit auch endgültig zu weit weg von diesem so ungewöhnlichen und lesenswerten Buch. Letztlich bin ich – obwohl die Lektüre mir viel abverlangt hat und für mich eher Arbeit als Vergnügen war – doch froh, Saunders’ Roman gelesen zu haben. Sein Vorhaben ist ihm gelungen, der Booker Prize verdient. Und vielleicht werde ich „Lincoln im Bardo“ ja irgendwann eine zweite Chance geben und besser durchdringen, was sich diesmal so gehen mich gesträubt hat.

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