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Rezensionen zu
Die Mittelmeerreise

Hanns-Josef Ortheil

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„Das Kind, das schreibt“, wird erwachsen. „Die Mittelmeerreise“* von Hanns-Josef Ortheil versteht sich als inoffizielle Nachfolge von „Der Stift und das Papier“. Weil ich den Vorgänger so ins Herz geschlossen habe, wollte ich natürlich wissen, wie es weitergeht. Inoffizielle Fortsetzung zu „Der Stift und das Papier“ Hanns-Josef Ortheil vereint die Liebe zur Musik sowie zur Literatur in einer Person. Heute ist er Pianist, Schriftsteller und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Das erfährt man, ohne die Nase tief in den über sechshundertseitenschweren Schmöker zu stecken. Es steht auf dem Schutzumschlag. Wer das Lesevergnügen von hinten aufzäumt, so wie ich, stolpert sogleich über die Nachbemerkung. Die Neuerscheinung lebt von jahrzehntealten Texten. Alle Texte dieses Buches sind 1967 entstanden, die kursiv gedruckten noch während der Reise, die normal gedruckten in den Monaten unmittelbar danach. Der Autor hat für das Buch Archivarbeit betrieben und all die Schriftdokumente aus dem Familienfundus in einem Buch zusammengefasst. Wenn ich jetzt eine Rezension verfasse, über wessen Arbeit schreibe ich dann eigentlich? Über die des jugendlichen Johannes Ortheil oder über die vom erwachsenen Schriftsteller? (Ich habe mich schon beim letzten Buch von ihm gefragt, wie man zu „Hanns“ mit Doppel-n kommt. Es ist die Kurzform von Johannes.) Der beschwingte Wechsel zwischen der Erzählperspektive „Kind“ und „sich erinnernder Erwachsener“ war genau das, was „Der Stift und das Papier“* für mich so reizvoll gemacht hat. Auch in diesem Werk wird gewechselt, zwischen Briefen und Tagebucheinträgen von ihm und seinem Vater (kursiv) sowie der eigentlichen Geschichte (recte). Ein Coming-of-Age-Roman im Mantel der Odyssee Während es mir beim letzten Mal schwerfiel, das Buch einer Textgattung zuzuordnen – Roman, Autobiographie oder vielleicht doch Ratgeber? – macht es mir der Autor diesmal leicht: Entwicklungsroman, im Speziellen handelt es sich um einen Coming-of-Age-Roman mit klaren Bezügen zur Odyssee. Wir schippern von der Nordsee in die Ägäis. Außerdem ist der junge Ortheil damit beschäftigt, auf dem Frachter Homer zu lesen. Er lernt bisher fremde Kulturen kennen und auch einiges über sich selbst. Der Roman muss zunächst an Fahrt gewinnen. Ehrlich gesagt geht es auf den ersten dreihundert Seiten nur schleppend voran. Klar, wir, als Leser oder Leserinnen, müssen uns erstmal in die Geschichte einfühlen. Denn wer war schon mal auf einem Frachtschiff? Eben. Nicht so viele. Aber zwischen den ganzen Beschreibungen der Verladetätigkeit, dem Tagesablauf auf dem schwimmenden Metallkoloss und der Route mit gelegentlichen Anlegepunkten vermisse ich den Plot. Der Autor verliert sich in einer Gedankenwelt und Personenbeschreibungen, dass man sich fragt: Wo soll das eigentlich hinführen? Ich bin womöglich ähnlich verloren wie Odysseus in der antiken Vorlage. Der fiebernde Wahn der Seekrankheit holt Johannes ein. Für mich ist das insofern interessant, als die Seekrankheit in gewissem Zusammenhang zur Histaminintoleranz steht, worüber ich einen anderen Blog führe, ansonsten geben die tagelange Übelkeit, das träumerische Delirium sowie der schwankende Horizont jedoch nicht sooo viel her. Obwohl, das Ganze hat mich zu einem Gedicht angeregt! Du hast den letzten Blogeintrag womöglich gelesen. Doch dann endlich die Ankunft in Patras! Wir haben wieder festen Boden unter den Füßen und endlich eine Story. Außerdem bekommen wir bald eine neue Figur vorgestellt. Was wäre ein Coming-of-Age-Roman ohne Love Interest? Im Kopf des Protagonisten, der freilich aus dem Ich heraus erzählt, schwirrt alsbald so einiges umher. Er verstrickt sich in Widersprüche, lässt Delia in dem Glauben, älter zu sein, als er ist. Schön zu lesen ist, dass auch die Sprache eine andere Qualität bekommt. Der trockene Reporterstil wird wesentlich genauer, tiefer und emotionaler. Ein Schreibstil, der begeistert Irgendwie muss man das Innenleben des pubertierenden Ortheil ja zu fassen bekommen. Ein paar besonders schöne Wortkreationen habe ich mir herausgeschrieben. Flüchtige „Schmetterlingsküsse“ zum Beispiel. So eine treffende Beschreibung für die vorsichtige Annäherung zwischen zwei Heranwachsenden! Ohne ins Kitschige abzudriften, stecken in der Formulierung die Schmetterlinge im Bauch und die zögerlichen Berührungen. Auf Seite 476 zieht Ortheil dann alle sprachlichen Register, um die überwältigende Schönheit des Sonnenuntergangs von Kap Sounion (kann ich nur bestätigen) in Worte zu fassen. Ein Sonnenuntergang läuft auf eine Gefühlserpressung hinaus, die meisten, die ihn erleben, werden weich und sentimental und geben sich der roten Wolkenzuckerwatte hin, als wäre sie der süße, alles ins Versöhnliche umbiegende Nachtisch (zum sonst bitteren Leben). Im normalen Sonnenuntergang steckt kaum ein Prozent Wahrheit, sondern eher sind darin neunzig Prozent Tschaikowsky und neun Prozent Elgar (der normale Sonnenuntergang ist also ein Mixgetränk, das auch noch …). Kap Sounion bietet aber einen anderen Sonnenuntergang, einen einzigartigen, unverwechselbaren. Allein wegen Seite 476, das gebe ich zu, freue ich mich, das Buch gelesen zu haben. Denn was Ortheil in „Der Stift und das Papier“ geschafft hat, Worte zum Auf-der-Zunge-Zergehen-lassen zu vermengen, gelingt ihm auch an dieser Stelle. Die genaue Beobachtungsgabe und, wichtiger noch, das präzise wie emotionale In-Worte-Gießen des Erlebten zeichnen Hanns-Josef Ortheil aus und machen ihn zu einem der zeitgenössischen Autoren, deren Werke ich in kürzester Zeit verschlinge, sie am Ende zuschlage und denke: Schade. Doch jedes Lesevergnügen kommt irgendwann an ein Ende. Die Lektüre dürfte Jugendlichen wie Erwachsenen gleichsam Freude bereiten. Der obligatorische doppelte Boden, damit sich beide Gruppen zwischen den Seiten wiederfinden, ist durchaus vorhanden, nicht zuletzt, da Ortheil, wie schon im Vorgängerbuch, seinen Vater auftreten lässt und so auch eine erwachsene Identifikationsfigur bietet. Wer zwischen Buchdeckel und -rücken gerne auf Reisen geht, hat mit der Mittelmeerreise ein willkommenes Transportmittel gefunden, das einen auf die Irrfahrt der Jugend mitnimmt. Doch keine Angst, spätestens auf Seite 636 ist wieder Land in Sicht.

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Auf der Reise ins Erwachsenenalter

Von: Uljana Brunzema aus Bonn

09.02.2019

Auf der Reise ins Erwachsenenalter Eine neue Reiseerzählung ist Hanns-Josef Ortheil mit „Die Mittelmeerreise“ geglückt. Es ist die letzte Reise eines nunmehr sechzehnjährigen Sohnes mit seinem Vater im Jahr 1967 und setzt sich aus original Tagebucheinträgen zusammen. Diesmal geht es auf große Seefahrt für mehrere Wochen auf einem Frachtschiff. Von Antwerpen über Gibraltar, ins Mittelmeer und nach Griechenland und Istanbul führt die Reise. Mit an Bord ist eine illustre Gesellschaft der Schiffsbesatzung mit der Vater und Sohn in unterschiedlicher Weise oft skurrile Verbindungen eingehen. Die Lektüre der „Odyssee“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und wie wir es von den andern Reisen schon kennen, werden von unterwegs immer wieder Briefe an die Mutter geschrieben. Manchmal entlocken diese Briefe dem Leser ein Schmunzeln, weil immer wieder entscheidende Details ausgelassen werden, alles wie eine Postkartenidylle beschrieben, keine Rede von schwerer Seekrankheit oder erster Liebe. Diese Diskrepanz zeigt sich in diesem Buch besonders deutlich, der sechzehnjährige Sohn reift auf der Reise langsam zum erwachsenen Mann. Johannes ist sehr aufgeregt und ängstlich vor der Schiffsfahrt, eine Symbolik für die lange aufwühlende Reise durch seine Pubertät auch. Schön ist auch wie der Erzähler selbst sein Genre der „Reiseerzählung“ erklärt. Der Vater ist zunächst skeptisch, ob dann zu viel Seemannsgarn gesponnen wird und schreibt deshalb parallel ein Seereise-Tagebuch. Beide werden im Wechsel in diesem Buch zitiert und machen es dadurch schillernd vielschichtig. Sehr plastisch sehen wir nun die Einschiffung in Antwerpen vor uns, wie die ganze Fracht an Bord geht, das Personal langsam in Erscheinung tritt, kuriose Gestalten mit tragischen Hintergründen. Auch der Vater entwickelt und verändert sich in den Wochen der Reise. Ist er zuhause ein äußerst bewegungsaktiver Mensch, der sich viel mit der Land-Natur und Fauna beschäftigt, so muss er sich auf See in einem komplett anderen Biotop zurechtfinden. Er beginnt sich mit lauter Meeresthemen zu beschäftigen, fängt an zu malen und zu zeichnen. Durch die Weiten des Horizonts werden Phantasien bei ihm freigesetzt und bei Gibraltar beginnt er afrikanische Szenen, die Serengeti und afrikanische Städte zu malen, die er nur am Horizont erahnen kann, aber nie gesehen hat auf der Reise. Immer wieder wird die Odyssee evoziert, erst recht als das Schiff irgendwann die griechischen Gefilde erreicht. Und auch die Landgänge in Griechenland werden sehr eindringlich dargestellt, sehr berührend die Szene, wo Vater Ortheil in Patras für seinen Sohn ein Klavier ausfindig gemacht hat als Überraschung, auf dem der sehnsüchtige Musiker endlich einmal wieder die Tasten berühren darf. Hier in Griechenland beginnt auch die langsame Emanzipation des Sohns. Er besucht zum ersten mal mit Denis dem Stewart eine Discothek, lernt ein griechisches Mädchen kennen und näher kennen. Der erste Kuss. Und es entstehen sehr intime Szenen, jeder eigens in seinem Tagebuch, wo Vater und Sohn über das Küssen und die gegenseitige Nähe zueinander reflektieren. Eine zarte Unsicherheit entsteht plötzlich zwischen den beiden mit der sie erst umgehen lernen müssen. Und Johannes fällt plötzlich aus seiner geborgenen Sicherheit des wohlbehüteten wohlgebildeten Sohns. Wir trauen kaum unseren Ohren als wir von ihm hören: „Weil ich ein dämlicher halbwegs neurotischer Oberschüler mit noch dämlicherer Gymnasialbildung bin: Nicht ganz da oder nur halb entwickelt.“ So bringt er seine beginnende Pubertät auf den Punkt. So geographisch und seelisch weit gereist erreichen Vater und Sohn schließlich zusammen Istanbul, flanieren durch die Stadt und beobachten die Menschen und das Leben und die Unterschiede. Beide gehen als jeweils Andere aus der Seereise hervor, ein schönes Bild. Und wer Hanns-Josef Ortheil mit seinen feinen Beobachtungen mag, wird auch diese Reiseerzählung lieben.

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Dies ist mein erstes Buch des Autors. Daher kann ich zu seinem bisherigen Werk keine Vergleiche ziehen. Die Mittelmeerreise ist der vierte Teil von Reise-Aufzeichnungen, die Hanns-Josef Ortheil auf verschiedenen Reisen, die er als Kind und Jugendlicher mit seinem Vater unternahm, aufgeschrieben hat. Ich danke dem Verlag sehr für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Dies hat meine persönliche Meinung allerdings nicht beeinflusst. Die Reise-Erzählung fängt mit der Ankunft des Ich-Erzählers 1967 in Antwerpen an. Er reist mit seinem Vater an, um auf einem Frachtschiff eine Seereise zu unternehmen. Die Reise-Aufzeichnungen des Vaters und Tagebucheinträge des 15-jährigen Johannes sind zwischen die Erzählung gestreut. Die Entwicklung vom Jungen, der nur Interesse für eine Karriere als Pianist und das Schreiben aufbringt, zu einem jungen Erwachsenen, der seinen Horizont erweitert und erste Erfahrungen mit Frauen macht, wird wunderbar beschrieben. Die Sprache ist klar, manchmal poetisch, kaum pathetisch. Die kurzen Notizen des Vaters lassen die Geschehnisse aus einem anderen Blickwinkel betrachten. So ist das Buch abwechslungsreich und fesselnd geschrieben. Dabei sind die Erlebnisse an Land kaum weniger spannend, als diejenigen, die an Bord des Schiffes spielen, auf dem auf kleinstem Raum die unterschiedlichsten Charaktere ihren Platz haben, und wo auch kleine Reibereien und Spannungen nicht ausbleiben. Unter anderem sind der Steward Denis und der erste Offizier Mühlenthal erwähnenswert, die jeweils auf ihre eigene Weise einen Einfluss auf die Entwicklung des Jungen haben. Der etwa 10 Jahre ältere Denis gibt sich weltmännisch und erfahren und versucht, aus Johannes einen "richtigen Mann" zu machen, indem er ihn an Land in einen Club schleppt, in dem Johannes dann auch schnell Kontakt zu Delia bekommt, die sich zu ihm hingezogen fühlt, was Johannes absolut nicht verstehen kann. So erlebt man als Leser die Zerrissenheit des Ich-Erzählers mit und kann seine Zweifel und das Bedürfnis, sich älter zu geben, als man wirklich ist, um reifer zu wirken, absolut nachvollziehen. Mühlenthal hingegen bringt ihm die Philosophie näher und führt richtig gute Gespräche mit ihm, die ihm neue Gedanken nahebringen. Durch seine Erfahrungen an Deck und an Land, beginnt Johannes, seinen Platz in der Welt zu hinterfragen und öffnet sich für Neues. Schön ist auch das entspannte Miteinander von Vater und Sohn, die beide auf ihre Art, in den Briefen und Postkarten an die Mutter ihre Erlebnisse in abgeschwächter Form und auf schonende Weise formulieren, um die Daheimgebliebene nicht zu beunruhigen. Hin und wieder wird auch erwähnt, dass die Mutter herzkrank sei und nicht zu schwer belastet werden dürfe. Beispielhaft kann man da die Seekrankheit während des schweren Sturms bei der Atlantikpassage nennen: "Aus den Aufzeichnungen meines Vaters (12. Juli, 21.10 Uhr) Bedenklicher Zustand des Jungen. Fieber, enormes Schwitzen, sagt kaum ein Wort. (...) Postbriefkarte an die Mama (13. Juli, 13.54 Uhr) Liebe Mama, die Fahrt ist weiter herrlich und unkompliziert. Mit schweren Stürmen ist nicht zu rechnen. Wir fahren ruhig dahin, und alle an Bord sind guter Laune.(...)" Diese Abschnitte sind im Buch kursiv gedruckt. Sie entstanden während der Reise. Der restliche Text ist normal gedruckt und entstand erst in den Monaten nach der Reise. Die Episode mit der Bord-Zeitung fand ich auch toll. Es wurden einige Nachrichten erwähnt, die zur damaligen Zeit das Interesse der Welt weckte. Dadurch ergibt sich noch mal ein historischer Blick auf diese Reise. Es gibt auch manche skurrile Szene, wie die Kutschfahrt in Chalkis. Ich finde dieses Buch einfach toll geschrieben. Man kann es ganz wunderbar lesen, während man selbst auf Reisen ist. Dabei muss man aber nicht bis ans Mittelmeer fahren. Die Nordsee genügt vollkommen. Ich habe auf jeden Fall große Lust, die übrigen Bücher des Autors auch einmal zu lesen. Mir gefällt der Schreibstil sehr. Am Ende des Buches gibt es noch eine Karte von Europa. Ich hätte mich ja auch über ein paar Zeichnungen und Skizzen des Vaters gefreut, die die Zeit vielleicht im Familienarchiv überdauert haben. Die Zeichenleidenschaft des Vaters wird im Buch einige Male beschrieben und ich hätte zu gern einige Bilder der Reise gesehen. So habe ich lediglich einige Orte in Griechenland beschrieben, um meine Vorstellungen mit realen Bildern abzugleichen, beispielsweise vom Sonnuntergang am Kap Sounion. Es muss ein traumhafter Anblick sein! Wer gerne Reiseberichte oder "coming of Age"-Romane liest, wird von diesem 640 Seiten starken Buch nicht enttäuscht.

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Ein lesenswertes Buch

Von: Michael Lausberg aus Doveren

22.12.2018

Dies ist die Fortsetzung einer eigenen Reihe im Leben des Hanns-Josef Ortheil, seinen Reisen als Kind und Jugendlicher. In der jüngeren Vergangenheit erschien bereits „Die Moselreise“, zu denen der damals 12 Jahre alte Autor Aufzeichnungen verfasste, die in das Familienarchiv wanderten. Dort wurden sie von dem Erwachsenen Hanns-Josef Ortheil wiederentdeckt und leicht überarbeitet als Buch herausgebracht. Nach diesem Prinzip wurde auch „Die Berlin-Reise“, die sein Vater und er 1964 unternahmen, veröffentlicht. Nun folgt die Veröffentlichung „Die Mittelmeerreise“, die im Sommer 1967 auf dem Frachtschiff Albireo zusammen mit seinem Vater stattfand. Hans-Josef Ortheil ist damals 15 Jahre alt und auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Die Reise geht von Antwerpen durch den Ärmelkanal, den Golf von Biskaya und die Meerenge von Gibraltar bis nach Griechenland und Istanbul. Der neugierige Jugendliche saugt alles, was auf der Fahrt passiert und schreibt darüber. Er beschreibt die Atmosphäre auf dem Frachter und seine exakten Beobachtungen der dort anwesenden Personen auf der Reise. Er nimmt begierig, die Welt kennenzulernen, neue Eindrücke und Begriffe auf, die er hört und verarbeitet sie auf seine Weise. Analog zu seiner Odyssee durch das Mittelmeer und in die Welt der Erwachsenen liest er während der Fahrt die Homerische „Odyssee“, so dass seine Erlebnisse von der Lektüre und den realen Vorkommnissen auf der Reise geprägt sind. Die Liebe spielt in der Reisebeschreibung eine wichtige Rolle. Neben den Auswirkungen auf die Stimmung der Besatzungsmitglieder, als sich einer von ihnen in eine hübsche Argentinierin verliebt, stehen er und seine Gefühle selbst im Mittelpunkt. Auf einem seiner Landgänge in Griechenland, wo er auch die Stätten der Antike kennenlernt, trifft er die einheimische Delia und verliebt sich in sie. Auf der weiteren Reise in die islamische Welt des Mittelmeeres verarbeitet er dies und den ersten Kuss. Dies ist eine feinsinnige Beschreibung seiner ersten großen Entdeckungsreise auf einem Frachtschiff. Begierig darauf, das Leben kennenzulernen und die Welt zu sehen, verarbeitet er seine zahlreichen Eindrücke literarisch und zeigt dabei großes Talent. Durch die gleichzeitige Lektüre Homers verschwimmen oft Realität und Fiktion ineinander. Ein lesenswertes Buch.

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Ein aus mehreren Gründen ungewöhnlicher Roman ist „Die Mittelmeerreise“ von Hanns-Josef Ortheil (67), im November beim Luchterhand-Verlag erschienen. Nach seiner „Moselreise“ (2010) und der „Berlinreise“ (2014) ist dies die Schilderung einer weiteren Urlaubsreise des Knaben Ortheil mit seinem Vater. Ungewöhnlich ist dieser detaillierte Reisebericht schon wegen seiner Mischung aus längeren Prosatexten des erst 15-jährigen Ortheil mit originalen Tagebucheinträgen und kurzen Essays, ergänzt durch einige zum jeweiligen Thema passende Reisenotizen des bald 60-jährigen Vaters. Sohn und Vater reisen als einzige Passagiere im Sommer 1967 auf einem Frachtschiff von Antwerpen, vorbei an Gibraltar ins Mittelmeer, in griechische Häfen und weiter bis Istanbul. Es ist die erste Auslandsreise des Latein- und Griechisch-Schülers und angehenden Pianisten. Sowohl auf hoher See als auch in den fremden Häfen überwältigen neue, intensive Eindrücke den bislang in Köln als Einzelkind eher in Klausur lebenden Knaben. Auch die vielen Gespräche mit den charakterlich so unterschiedlichen Schiffsoffizieren, aber auch mit dem Steward Denis, nur acht Jahre älter als er, prägen den noch unerfahrenen Jungen. Denis ist es, der den jungen Ortheil in Griechenland in die ihm völlig fremde Welt von Love, Drugs and Rock'n'Roll einführt. In einer Diskothek lernt Hanns-Josef die 23-jährige Delia kennen, die ihn spontan verführt und damit emotional überfordert. So gleicht diese Mittelmeerreise mit ihren Stürmen und überwältigenden Eindrücken für den Gymnasiasten Ortheil nicht nur der Odyssee des von ihm verehrten Dichters Homer, sondern wird für den Pubertierenden zu einer ganz persönlichen, verwirrenden Odyssee aus dem Kindesalter in die Männlichkeit. Der junge Ortheil beobachtet in seinen Reisenotizen nicht nur die Wandlung in sich selbst, seinen Weg in die Selbstständigkeit des Erwachsenen, sondern beginnt auch, seinen Vater und ständigen Begleiter – sowie aus der Ferne seine daheimgebliebene Mutter – aus neuem Blickwinkel, mit den Augen eines erwachsenen Sohnes zu sehen, der sich, statt sich wie bisher führen zu lassen, nun seinerseits um den bald 60-jährigen „alternden“ und herzschwachen Vater sorgt. „Die Mittelmeerreise“ wird alle Freunde Ortheil'scher Bücher sicher begeistern. Doch sollte man seine autobiographischen Bände „Die Erfindung des Lebens“ (2009) und „Der Stift und das Papier“ (2015) gelesen haben, um zu wissen, wie aus dem einst stummen Kind, das sich nur schriftlich mitzuteilen wusste, jede Beobachtung notierte und später zu Erzählungen ausarbeitete, ein so sprachgewaltiger Schriftsteller wurde. Es ist die Authenzität dieses Erzählens, die die Freunde seiner Bücher immer wieder, so auch in diesem neuesten Werk, begeistert. Wer Ortheils Bücher noch nicht kennt, mag das 635 Seiten starke Werk irgendwann, spätestens in der zweiten Hälfte wohl zu Recht langweilig finden. Spannt sich der Handlungsbogen anfangs nach dem Auslaufen und den Stürmen auf hoher See, über die ersten Landgänge bis hin zu den ersten romantischen und sexuellen Erfahrungen des 15-Jährigen mit der jungen Griechin noch auf, flacht er in der zweiten Hälfte des Buches mangels neuer Überraschungen wieder ab. Ortheils Art zu schreiben mag man oder man mag sie nicht. Doch ich schätze Ortheils "leise Art" zu schreiben, seine genaue Beobachtungsgabe und die heute bei vielen verloren gegangene Fähigkeit, sogar in Kleinigkeiten, scheinbar Nebensächlichem, noch etwas Großes zu entdecken.

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