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Rezensionen zu
Russensommer

Cornelia Schmalz-Jacobsen

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€ 10,00 [D] inkl. MwSt. | € 10,30 [A] | CHF 14,50* (* empf. VK-Preis)
Von: Christine Immenkötter

15.01.2017

Noch nie hat mich ein Buch so tief bewegt wie "Russensommer". Die Autorin hat unserer vergessenen Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder eine Stimme gegeben. Die unzähligen Parallelen zu meiner eigenen Lebensgeschichte bis hin zu kleinsten Details wie "Flöheknacken" haben mich den Atem anhalten lassen. Christine Immenkötter, Jahrgang 1936

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Im Herbst 1943 wird eine Neunjährige aus Berlin zu Verwandten an die Ostsee geschickt. Das Stadtkind bleibt über zwei Jahre auf der idyllischen Halbinsel Darß-Zingst, erlebt dort ein relativ unspektakuläres Kriegsende, lernt in der Ostsee schwimmen, auf den russischen Soldatenpferden reiten und kehrt am Ende zur Familie zurück. Eines von vielen autobiografischen Büchern mit Kindheitserinnerungen an Krieg und Kriegsende? Nein - dieses ist viel mehr: Das Buch entzieht sich durch die Kinderperspektive der Versuchung der Parteinahme, der Klage und Anklage. Wenn die Stimme der Erzählerin von heute dazukommt, versucht auch diese, nicht zu beurteilen, sondern das Kind zu verstehen, das sie war. (In den besten Passagen erinnert der "Russensommer" auch stilistisch an die mecklenburgischen Kindheitbeschreibungen von Uwe Johnson.) Das Kind spürt im Russensommer zum ersten Mal, "wie Freiheit sich wirklich anfühlt". Das brave Antinazikind (wie die Autorin sich selbst nennt), hat schon mit sechs Jahren gelernt, dass Deutschland von einem bösen König regiert wird, der alle Gegner einen Kopf kürzer macht. Die Eltern, wie auch die Verwandten an der Ostsee, sind aktive Regimegegner. Das "Antinazigeheimnis" macht das Mädchen frühzeitig erwachsen, aber auch einsam. In der Schule sagt es folgsam auf "Händchen falten. Köpfchen senken, immer an den Führer denken", aber ansonsten hält es die Klappe. Der Einmarsch der Russen ist deshalb auch die Befreiung von einer alltäglichen Verstellung und Vorsicht. Und dass das Mädchen bereits ab Herbst 1944 mit ihren pragmatischen Verwandten im Selbststudium Russisch gelernt hat, kommt ihr bei der Verständigung mit den echten Russen ein halbes Jahr später sehr zupass. Sie schließt Freundschaft mit einem jungen Russen, der seine Familie ähnlich vermisst wie die Erzählerin die ihre. Für einige Sommerwochen scheinen sich alle, Befreier und Befreite, vor allem von den Schrecken des Krieges erholen und aufatmen zu wollen, wozu die Boddenlandschaft "in der man die Augen ausstrecken konnte" genauso beitrug, wie ein russischer Kommandant, der keine Straftaten duldete, und Einheimische, die keine Heldentaten mehr vollbringen wollten. Die Autorin gibt der Versuchung nicht nach, sich selektiv an ein Kinderparadies zu erinnern, sondern liefert die schon dem Kinde deutlichen dunklen Flecken mit: Das Verbot gemeinsamer Mahlzeiten mit den polnischen Zwangsarbeitern, die abgemagerten russischen Kriegsgefangenen. Nach Kriegsende ist ihr auch bewusst, dass das als Abwandlung beim Fangenspiel benutzte "Frau komm!" mit etwas Schlimmen zu tun hat, das die Russen tun, wovor sich die Frauen abends verstecken, und worüber die großen Jungs tagsüber lästern ("die ist bestimmt auch vergewohltätigt worden"). Darüber hinaus ist es trotz alledem auch ein schönes Buch, besonders bei den Schilderungen des Alltags auf dem einzigen (und letzten) Bauernhof des vorgelagerten Schwemmlandinselchens Kirr (heute Naturschutzgebiet), der beim Einmarsch der Russen Rückzugsort für Kinder und Frauen wird - denn dorthin gibt es keine Brücke, dorthin kann niemand "einmarschieren". Wer mehr über die Menschen in diesem Buch, besonders Schmalz-Jacobsens "Antinazieltern" wissen will, dem sei "Zwei Bäume in Jerusalem" derselben Autorin ans Herz gelegt.

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