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Rezensionen zu
Herzland

Simon Winder

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Simon Winders 2010 erschienener Titel Germany, oh Germany: Ein eigensinniges Geschichtsbuch fiel mir seinerzeit in Rezensionen sehr positiv auf. Wie die meisten Leser stehe ich mit meinem begrenzten Zeitbudget vor dem Dilemma, einfach nicht alles lesen zu können, was mich interessieren könnte und nahm etwas selbstgefällig an, in Sachen Deutscher Geschichte nichts grundsätzlich Neues erfahren zu können. 2014 erschien Kaisers Rumpelkammer: Unterwegs in der Habsburger Geschichte, welches im Sommer 2015 las. Ich wurde 1970 in Nordrhein-Westfalen geboren und von der Geschichte Österreichs bzw. Österreich-Ungarns erfuhr ich nur wenig im Schulunterricht. Mein Bild der österreichischen Geschichte wurde durch die beeindruckenden Bücher von Joseph Roth (* 2. September 1894 in Brody, Österreich-Ungarn; † 27. Mai 1939 in Paris) und Stefan Zweig (* 1881 in Wien; † 1942 Petrópolis, Brasilien) geprägt. Später las ich das großartige Venedig, Wien und die Osmanen: Umbruch in Südosteuropa 1645-1700 von Ekkehard Eickhoff (* 1927 Berlin; † 2019 in Bonn), welches bei der Lektüre einen spannenden Überblick über einen relativ kleinen Zeit- und Raumausschnitt in Südosteuropa schenkt. Simon Winders sehr persönliche Art, in Kaisers Rumpelkammer mit seinen Texten ein plastisches Bild der historischen Habsburger-Reiche mit ihren Bezügen zur Gegenwart zu malen, haben mich gleichermaßen amüsiert wie intellektuell beeindruckt. Das Buch sprach mich aus dem gleichen Grund an, aus dem ich Nature Writing liebe. Ich speichere einfach viel aufmerksamer Fakten ab, wenn sie mit Anekdoten, persönlichen Erlebnissen und klugen Witzeleien verbunden werden. Nüchterne Naturen können dies auch als Anbiederung oder überflüssigen Quatsch und fehlende Wissenschaftlichkeit empfinden. Ich schätze den menschenfreundlichen Humor des Historikers sehr. Sein Startvorteil ist, dass er ein britischer Katholik ist, der auf protestantischen Schulen war. Dies erlaubt es ihm, beide Dimensionen des christlichen Lebens zu verstehen, die Europa formten und von denen auch zeitgenössische Atheisten geprägt sind, selbst wenn ihnen der Gedanke fremd sein mag. Wenn sich linke Atheisten auf die Straße kleben und Bußabgaben fordern, um das Weltklima zu retten, stehen (oder besser sitzen) sie in der Tradition mittelalterlicher Bußprozessionen, die auch so ähnlich am Ende des Mittelalters in Lothringen stattfanden. „Die verwaisten Altäre sind von Dämonen bewohnt“, kommentierte Ernst Jünger ähnliche Ereignisse, denn der Glaube an Gott und die ihn vertretenden Kirchen wurde bei vielen Zeitgenossen abgelöst von dem Glauben an den allmächtigen Staat mit seinen Parteien. Weiterhin wurde Winder als Brite davon verschont, von dem neurotischen Selbsthass auf die eigene Kulturnation kontaminiert zu werden, der zur Zeit allzu oft deutsche Redaktionen und Hochschulen prägt. Er kommt von außen und steht einfach über den Dingen, in denen wir stecken. So schön und wichtig die historische Mitte Eurpas ist, welche sich zwischen Amsterdam und Zürich entlang des Rheins erstreckt, so wenig wissen die meisten von uns über sie. Der Fokus richtet sich zumeist auf die großen Blöcke Frankreich und Deutschland. Nach mehreren kulinarischen Ausflügen in die Region, wie Burgund: Faisan au vin rouge, wuchs in mir der Appetit nach einem Geschichtsbuch und ich erwarb Herzland. Gegenstand des Buches, welches im englischen Originaltitel Lotharingia: A Personal History of Europe’s Lost Country heißt, ist ein Gebiet, welches 843 n.Chr. entstand, als die Enkel Karl des Großen das Frankenreich aufteilten. Lothar I. erhielt einen lang gezogener Streifen, der von Friesland bis in die Provence und nach Italien reichte und zu dem auch die Kaiserstadt Aachen gehörte. Dieses unübersichtliche Reich wurde nach seinem Tod abermals zwischen seinen Söhnen aufgeteilt. Der Älteste erbte Norditalien, der Jüngste die Provence und der Mittlere, Lothar II., das Gebiet, das von nun an seinen Namen tragen sollte: , das Reich Lothars. Heute sind es die Niederlande, Belgien, Luxemburg. Ebenso die rechtsrheinischen deutschen Gebiete, Lothringen, Elsass, Burgund und die nördliche Schweiz. Das Herzland war Schauplatz zahlreicher Ereignisse, welche die europäische Zivilisation prägten, denn hier entzündete sich der mitteleuropäische Geist in Kultur, Technik, Wirtschaftsleben und Kriegen. [Abbildung mit Text eingefügt.] »Viele der politischen Gebilde, die hier beschrieben werden, existierten jahrhundertelang mit einer Robustheit und langfristigen Selbstverständlichkeit, die ihnen eine unhinterfragte Akzeptanz verliehen. Wir mögen heute über das Herzogtum Bar lachen, das auf der Karte aussieht, als hätte jemand eine Handvoll Frühstücksflocken verschüttet, doch es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass den vielen Generationen, die dort einst lebten, die offenkundige Lebensunfähigkeit ihres Ministaates peinlich gewesen sei – zumindest nicht bis zum 18. Jahrhundert. Die alte Reichsabtei Prüm, deren einziger nennenswerter Schatz die – ziemlich abgelatschten Sandalen Christi waren, die sie von Pippin, dem Vater Karls des Großen erhalten hatte, bewahrte über Jahrhunderte hinweg ihre Eigenständigkeit, lockte mit erstaunlichem Erfolg einen schier endlosen Strom von Pilgern an und büßte ihren Status erst ein, als die Region von Napoleon überrannt wurde. [Abbildung mit Text eingefügt.] In jeder Epoche gehen die Menschen davon aus, dass sie selbst in einer vernünftigen Ordnung leben, und blicken voller Mitleid auf die politische Dummheit früherer, weniger zivilisierter Zeitalter (Das Buch entstand vor der desaströsen Ampel-Koalition…). Wir wachsen unter bestimmten Umständen auf und halten diese für naturgegeben.« Der Cheflektor des englischen Verlags Penguin bereist seit vielen Jahren diese Region nicht nur in Bibliotheken und am Schreibtisch, sondern durchaus persönlich und verfügt über feine Antennen, um die Vielschichtigkeit aus der unsere Geschichte ganzheitlich in sich aufzunehmen. So erzählt er davon, wie er in Ostende aus dem Zug stieg: »ich bemerkte, dass ich unbewusst in einen leicht wiegenden Gang verfallen war«. Aber als er zum Himmel aufschaute, um zu sehen, ob ein Sturm aufziehe, und dann nach einem Bistro schaute, um dort vielleicht »einen Humpen zu leeren«, da wurde ihm klar, dass »ich wieder einmal meiner übertrieben starken Beeinflussbarkeit zum Opfer gefallen war und schon der Anblick von ein paar Fahnen, Möwen und Booten dafür gesorgt hatte, dass ich mich absurderweise für eine Art Seemann auf Sauftour hielt.« Gehört er auch zu den Reisenden, die sich von der Atmosphäre eines Ortes packen lassen, ist er doch auch ein großer Gelehrter, der sich von der Geschichte und ihren Geschichten tief bewegen lässt. Bei allen Witzeleien und Anekdoten wird er von dem ernsthaften Wunsch getrieben, seine neuzeitliche britische Persönlichkeit verblassen zu lassen, in die Lebenswelten vergangener Jahrhunderte einzutauchen und mit Lust von ihr zu erzählen. »Im Freiburger Münster gibt es so viele großartige Dinge zu sehen, dass es fast einer Beleidigung gleichkommt, es jemals wieder zu verlassen.« So beschreibt er lebendig einen Fries des Freiburger Münsters, zwei Episoden aus der Geschichte vom Wolf Isegrim, und rühmt ihre Entstehungszeit, das Hochmittelalter, die »in vielerlei Hinsicht aufregendste, fröhlichste und unterhaltsamste Epoche in der gesamten europäischen Geschichte«. Ob dies wirklich so war, vermag ich nicht zu beurteilen, aber vor seiner Begabung die Geschichte mit Breitbandzugang aufzusaugen würde ich meinen Säbel senken, wenn ich nicht nur ein Kochmesser besäße. Simon Winder versteht es mit seiner persönlichen Mischung aus profunder Bildung und menschenfreundlichem Witz die Andersartigkeit des Vergangenen zu zeigen und frühere Lebensformen verständlich zu machen. Zum Schluss bemerkt er sehr sympathisch und weise: »Herzland hätte ohne Weiteres doppelt so umfangreich werden und vollkommen gegenteilige Thesen zu den hier vorgebrachten vertreten können.« Was nach der geistigen Reise durch vergangene Länder und Zeiten bleibt, ist die Erkenntnis, dass auch unsere Epoche in vielerlei Hinsicht nicht viel rationaler als die Vorangegangenen ist und spätere Generationen amüsiert ihre Köpfe über uns Altvordere schütteln werden.

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Lotharingien

Von: C. Widmann

09.04.2021

Lieber Leser, die Fans von ernsthafter Geschichtsschreibung mögen ihn nicht. Simon Winder erlaubt sich, abzuschweifen und sein liebstes Museum zu beschreiben oder das Schicksal einer einzelnen Statue. Ganze Kriege wischt er als unwichtig beiseite, wenn sie keine Grenze verschoben haben. Er nennt Luxemburg einen Quastenflosser und vergleicht Ölporträts mit Fußballsammelbildchen. Respektlos, sagen die Leser ernster Geschichtswerke. Herrlich respektlos! Verführt Winder doch gerade die Leser, die vor ernsthafter Geschichte zurückschrecken. Mit Karl dem Großen geht es los. Der erobert sich ein Riesenreich zusammen, und wie es Riesenreichen zu gehen pflegt, fällt es bald nach seinem Tod auseinander. Seine drei Enkel teilen es auf: Links ein Reich und rechts ein Land, die zu Frankreich und Deutschland werden sollen. In der Mitte ein Streifen, genannt Lotharingien, den sich die eine und die andere Seite laufend aufteilen und einverleiben wollen. Mal schlucken sie es ganz, mal kann ein kleines Land die großen gegeneinander ausspielen. Zwischendurch ersteht Lotharingien als Burgunderreich auf, geht wieder unter. Winder fliegt mit uns durch die Jahrhunderte und versucht gar nicht erst, in jedem Krieg einen Sinn zu finden oder die jeweiligen Könige und Kaiserchen ernst zu nehmen. Zusammenhänge sind ihm lieber als die Einzelheiten. Zum Beispiel erklärt er mir endlich den deutschen Flickenteppich: Wie es gegangen ist, dass Frankreich von Anfang als zentraler Staat bestand, während rechts des Rheins lauter kleine und große Fürstentümer vor sich hin wurstelten. Schuld waren, sagt Winder, die Feinde: Links haben wir das Dreieck aus Frankreich, Spanien und England. Jahrhundertelang konnte sich Frankreich mal mit dem einen, mal mit dem anderen verbünden und Krieg führen gegen den jeweils dritten, aber Berge und Meer waren zu stabile Grenzen, als dass sie wirklich in Gefahr gewesen wären. Das deutschsprachige Gebiet dagegen, das Heilige Römische Reich deutscher Nation, hatte ständig mit Wikingern und Slawen und Türken zu kämpfen, oft gleichzeitig. Links lag Frankreich, ein starker Gegner, der jederzeit hätte einmarschieren können. Gefahr auf allen Seiten. Der Kaiser konnte nur an einer Front auf einmal kämpfen und musste sich darauf verlassen, dass schlagkräftige Landesfürsten ihm den Rücken freihielten. Er musste seinen Adligen erlauben, ja, sie dazu anspornen, jeder eine Armee bereitzuhalten. Und dann verhindern, dass sie untereinander Krieg führten statt gegen die Gegner von außen. Jeder Fürst hatte Macht und gab dem Kaiser nur so viel ab wie unvermeidlich. Deshalb das Puzzle, das erst Bismarck zu einem Land zusammensetzen konnte. Winder schreibt wunderschön merkwürdig, bildhaft, anschaulich. Nathalie Lemmens hat ihn übersetzt in ein wunderschön natürliches Deutsch. Von diesem Buch bleibt mehr hängen als von zehn Jahren Geschichtsunterricht: Ein zusammenhängender Überblick über die europäische Geschichte seit Karl dem Großen. Die wichtigsten Kriege und ihre teils idiotischen Gründe. Und das Endergebnis: Europa, wie es heute aussieht. Ich wünschte, es hätte "Herzland" schon gegeben, als ich zur Schule ging. Hochachtungsvoll Christina Widmann de Fran

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Wer Europa verstehen will, muss die Geschichte dieser Region kennen. In seinem Buch Herzland erzählt Simon Winder locker und von allerlei Anekdoten beseelt, was sich bisher so zwischen Frankreich und Deutschland ereignet hat, bis ins 21. Jahrhundert. Das Buch ist rein äußerlich schon gewaltig, vermutet man bei dem Covermotiv doch zunächst eine Taschenbuchausgabe. Dann hält man ein Buch, ein knappes Kilo schwer, 16 x 23 cm groß, in Händen, gefüllt mit 558 Seiten. Erst einmal angefangen, mag man es nicht wieder aus der Hand legen. Geschichte kann ja so unterhaltsam sein und eine Prise britischen Humors steckt auch drin. Man kann auch willkürlich die Inhaltsangaben der 14 Kapitel nach ewas für sich selbst interessantem durchforsten und wird fündig. So traf ich beim durchblättern beispielsweise auf die Feststellung:“Die Schweiz hat den Tourismus praktisch erfunden…“ So bunt wie die Geschichen des Simon Winder, so passend kommt das Titelmotiv daher.

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