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Rezensionen zu
So viel Anfang war nie

Christhard Läpple

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Romane über die deutsche Wiedervereinigung hatte ich bisher nicht so im Visier. Eine Leseprobe aus diesem Buch machte mich jedoch neugierig auf die Protagonisten Hans und Linda Blumental, die mit ihrem 7er BMW von ihrer Heimat Düsseldorf nach Brandenburg reisen und ihre ersten Eindrücke schildern. Herzdorf – so heißt der Schauplatz des Geschehens, der in Christhard Läpples Roman nach der Wende eine wundersame Verwandlung durchmacht. Seit den frühen neunziger Jahren, so schreibt Läpple im Prolog, hat der Berliner die Menschen in dieser Region beobachtet, war selbst Teil davon, da seine Familie die Wochenenden auf dem Land verbrachte. Aus zahlreichen persönlichen Interviews, Beobachtungen und Erinnerungen ist das lebendige Porträt eines Musterdorfs entstanden. Doch zurück zu den Blumentals. Für Ehefrau Linda ist Herzdorf nicht mehr als ein trostloses Kaff in der brandenburgischen Provinz. Ihr Mann dagegen blüht förmlich auf, sieht als Landschaftsarchitekt all das Potenzial, das in diesem Fleckchen Erde steckt. Ursprünglich sollte er sich nur um die Sanierung einer baufälligen Kirche kümmern, doch kaum ist sein Abenteuergeist geweckt, will er gleich das ganze Dorf retten. Der Autor hat mit Blumental einen ganz unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Ablehnung und das Misstrauen der Bewohner stacheln den Mittfünfziger nur noch mehr an, die Dorferneuerung als Lebensaufgabe zu sehen und sich zu verwirklichen. Sein verklärter Blick und seine romantischen Visionen ließen mich immer wieder schmunzeln. Geplante Umbaumaßnahmen verpackt er in lyrische Zauberwörter und verkauft sie den Bewohnern als sanften Tourismus und ‚Integrierte Ländliche Entwicklung‘. Schließlich hat ihn Theodor Fontane inspiriert, der die Landschaft in der ostdeutschen Provinz ebenfalls pries und das Dorfleben mit Freiheit gleichsetzte. Damit unterscheidet sich der visionäre Landschaftsplaner zumindest von jenen arroganten Investoren, die großspurig schnelle satte Gewinne versprechen. Die Figur steht aber auch für all die Städter, die dem Konkurrenzdruck und Stress entfliehen wollen und sich nach Freiheit, Ruhe und einem beschaulichen ländlichen Leben sehnen. Unterdessen wandelt sich Herzdorf zusehends. In der restaurierten Kirche entsteht ein Theater, ein Hotel und ein Freizeitpark werden gebaut. Das Einzige, was sich nicht verändert, sind die Menschen. Der Kontrast zwischen dem tatkräftigen Blumental, der den Gründergeist verkörpert, und den scheuen, misstrauischen, fast apathischen Dorfbewohnern schien mir ein wenig übertrieben, doch offenbar trafen tatsächlich zwei Welten aufeinander. Dass Blumental sein Vorhaben über die Menschen hinweg durchzieht, wird ihm zum Verhängnis. Als er auch noch eine Affäre mit einer jüngeren Frau beginnt, bekommt der dokumentarische Bericht fast Züge einer Seifenoper. Neuanfänge zählen für mich zu den spannendsten Romanthemen überhaupt, ganz gleich ob sie Figuren oder Orte betreffen. Auch dieses Buch hat mich nicht enttäuscht. Treffender könnte der Titel für dieses historisch lehrreiche und feinsinnige Dorfporträt kaum sein.

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Es ist die Zeit der „Selbstabschaffung der DDR“, Wendezeit. Anfang 1990, als Fritz beim Klettern in einem maroden Kirchturm fällt und „merkwürdig verdreht, regungslos im dunklen Ruinenturm“ liegen bleibt. Ein direktes, klares Symbol für das, was da in den Augen der Dorfbewohner von Herzdorf mit ihrem Leben passiert. Man klettert, lebt eben noch in eher Ruinen als in einem funktionierenden Land und liegt dann seltsam verdreht auf dem Boden, nicht wissend, ob man das Alles unbeschadet überlebt oder eben nicht. Denkt sich auch Arno Walter, der Bürgermeister des Dorfes und damit schon mit verantwortlich dafür, wie sich das alles nun ausrichtet in der „neuen Zeit“. „Die haben vom Staat gelebt. Das gab´s auch schon zu Ostzeiten. 5 Mark vom Staat pro Kegel. Da kam man so gerade hin“. Weiß man im Dorf von der Familie des „gefallenen Engels“. Während 1991 dann Hans Blumental mit seinem BMW 750i, Landschaftsarchitekt, sich als „Pionier im wilden Osten“ betrachtet und Herzdorf gemächlich entgegenfährt. Um unmittelbar und mit allem, was dazu gehört, dieses „Ihr und Wir“, dieses, dass die „Westdeutschen als die neuen Russen“ gelten sich betrachten kann. Und doch tut sich was, ändert sich was. Nehmen westdeutsche, bekannte „Dorfstrukturen“, kulturelle Möglichkeiten, Zugereiste und Zugewanderte ihren Einfluss auf die eher widerwilligen Dorfbewohner. Was Läpple von allen Seiten her beleuchtet in kurzer, klarer, teils karger Sprache. „Eine Kirche retten, ein Dorf, eine Region“. Mit all dem Misstrauenn und Desinteresse, das die Menschen im Dorf den „Fremden“ und allem, was sie nicht kennen in ihrer festgefügten (keineswegs problemlosen) Lebensweise gegenüber aufbringen. Was im Übrigen nicht nur „neuen“ Zureisenden entgegenschlägt. Wovon Marie Herres zu berichten weiß. „Über sechzig Jahre sei sie nun hier und fühle sich doch so fremd“. So ein Dorf, das hat ganz eigene, ungeschriebene Gesetze (in allen Dörfern, Ost wie West im Übrigen), die in Herzdorf noch einmal geschärft und wie unter einer Lupe sich zeigen, mit der besonderen Geschichte das „Land“ zu diesen ungeschriebenen Gesetzen „verloren zu haben“. „Wer hier neu anfängt, lernt sie eines Tages kennen (die ungeschriebenen Gesetzte). Meist ist das sehr schmerzhaft“. Eine Welt, die stark vom „Abwarten“ geprägt ist. Nicht aktiv zugehen, sich nicht in irgendetwas Neues hereinstürzen. Kommt und geht, mal abwarten, was hängen bleibt und wie sich das macht, das ist die Kernhaltung, die Läpple bestens treffend beschreibt und die den Leser nicht unberührt lässt in all dem, was da hintenherum gedacht und gesprochen wird. Und worin diese konkrete Geschichte aus dieser konkreten Zeit doch allgemeingültige Fäden in sich trägt. Realistisch, Geschichten der Menschen dort, Gedanken, Haltungen, die unmittelbar das Erleben und die inneren Haltungen ausdrücken und dabei manchmal sperrig, nie aber uninteressant zu lesen sind. Mit all dem Scheitern und dem „Gegeneinander“ das in diesem engen Lebensraum umso heftiger wirkt, als ein Ausweichen schlichtweg nicht möglich ist.

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