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Rezensionen zu
HERKUNFT

Saša Stanišić

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Zwischen zwei Welten

Von: Peter Matulla aus Clausen

13.06.2019

Waehrend einer Fahrt hoerte ich zufaellig einen Hinweis auf das Buch -Herkunft- von Sasa Stanisic. Hat mein Interesse geweckt. Meine Tochter schenkte mir das Buch zum Vatertag. Sie hatte im TV im literarischen Quartett die Buchbesprechung gesehen und war auch begeistert. Habe das Buch -Herkunft- ueber die Pfingsttage gelesen und es hat mir sehr gut gefallen. Es ist erstaunlich, wie spielerisch gekonnt, der aus Bosnien stammende Autor, mit der deutschen Sprache jongliert, die ja nicht seine Muttersprache ist. Fuer mich war das Buch auch interessant, weil ich die die Gegend an der Drina, wo Sasa Stanisic aufgewachsen ist, sehr gut kenne; sowie der Tatsache, dass der Floesser Fikret Pendek, der mit seiner Familie waehrend des Krieges im oberfraenkischen Floesserdorf Unterrodach Zuflucht gefunden hat, bis er nach 6 1/2 Jahren wieder zurueck nach Sarajevo musste, ein aehnliches Schicksal erfahren hat, wie der Autor. Fuer Leser, die Bosnien und die Wirren des Balkankriegs nur aus den Medien kennen, kann ich die Lektuere dieser Biographie auch empfehlen. Weil ich durch meine vielen Reisen auf den Balkan, dort Land und Leute gut kenne, war das Buch fuer mich ein Genuss zu lesen.

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Ich verstehe so vieles nicht. Nicht, wie das Knie funktioniert. Ernsthaft religiöse Menschen so wenig wie Menschen, die Geld und Hoffnung in Magie, Wettbüros, Globuli oder Hellseherei setzen. […] Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll, und ich verstehe nicht, dass manche bereit sind, in ihrem Namen in Schlachten zu ziehen. Ich verstehe Menschen nicht, die glauben, sie könnten an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Ich musste eine ganze Weile über dieses Buch nachdenken. Nicht, weil es mir so schwer fällt, darüber zu schreiben, sondern weil so überraschend schon in den ersten Monaten des Jahres mein wahrscheinliches Lieblingsbuch daherkam. “Wie kann das sein?”, dachte ich. So dachte ih noch ein wenig darüber nach und, wie es sich herausstellt, lässt mich das Buch trotzdem nicht los, es verliert nichts seiner Magie. Also, darf ich vorstellen: Mein definitives Lieblingsbuch 2019 BISHER. Saša Stanišić schreibt so charmant, so liebevoll, über seine Herkunft und die Findung seiner Identität zwischen Serbien, Bosnien, Berlin und Heidelberg. Er hat noch als Kind einen Krieg miterlebt und auch das Trauma mitgetragen. So etwa fragt niemand nach der vermutlichen Schusswunde im Bein des Vaters. Gleichzeitig kommt er aber auch an in Deutschland, seiner neuen Heimat, und fühlt sich angekommen, wenn auch nicht immer angenommen. Der Geographielehrer holt Landkarten und zählt Bundesländer und Hauptstädte auf. Er fragt Pekka, was die Hauptstadt seines Heimatlandes sei, und Pekka sagt: “Stuttgart”. […] Alle lachen, sogar die Traumatisierten. Der Geographielehrer fragt mich, was die Hauptstadt meines Heimatlandes sei, und ich sage: “Belgrad und Sarajevo und Berlin.” Er schreibt über Fußball und über die Liebe – zwei Dinge, die ohne Sprache funktionieren, die einfach universell verständlich sind. Das sind auch sehr präsente Themen in seinem Buch, neben der Literatur und dem Schreiben, das durch den Deutschlehrer und das Lesen von Eichendorff explizit gefördert wurde. Stanišić hatte also das Glück, Leute in seinem Umfeld zu haben, die ihn trotz aller Widrigkeiten akzeptierten und als gleichwertig ansahen. Dass ich diese Geschichte überhaupt schreiben kann und schreiben will, verdanke ich nicht Grenzen, sondern ihrer Durchlässigkeit, verdanke ich Menschen, die sich nicht abgeschottet, sondern zugehört haben. Doch neben all diesen Menschen gab es eine Institution, die als “Melting Pot” einen wichtigen Dienst tat: Die ARAL-Tankstelle. Die soziale Einrichtung, die sich für unsere Integration am stärksten einsetzte, war eine abgerockte ARAL-Tankstelle. Sie war Jugendzentrum, Getränkelieferant, Tanzfläche, Toilette. Kulturen vereint in Neonlicht und Benzingeruch. Und dann, nach allem, ist es auch eine Hommage an die Oma Kristina, auf die die Handlung immer wieder zurückkommt und die eine Schlüsselrolle in Stanišić’s Leben inne hatte. Das fand ich schön, denn man merkt an der Schrulligkeit, wie er seine Großmutter beschreibt, wie gern er sie hatte. Alles in allem also ein wahnsinnig beeindruckendes Buch über Weggehen und Ankommen, und in der heutigen Zeit mehr denn je ein Wink mit dem Zaunpfahl, wie sehr wir dieses gemeinsame Europa und die Friedenssicherung brauchen. Es geht um Menschen wie du und ich, die auf gar keinen Fall im Mittelmeer ertrinken dürfen, egal, was die lahmen Ausreden der Politik sind.

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Wie kategorisiert man dieses Buch? Roman, Biografie, Spielbuch? Es ist ein ineinandergreifendes Potpourrie an Versatzstücken, Einschüben, wiederkehrenden Erzählsträngen. Seine an Demenz erkrankte Großmutter ist der rote Faden, während wir nicht chronologisch sein 1992 in Bosnien gekapptes Leben in Heidelberg neu starten sehen: eine Migrationsgeschichte in Deutschland. Wie ist es, in ein fremdes Land zu kommen, die Sprache nicht zu können, dort eine Identität aufzubauen, und doch nie richtig ankommen zu dürfen, weil ständig die Abschiebung droht? Und wie verändert das die Beziehung zur fremd gewordenen alten Heimat, mitsamt den zurückgelassenen Verwandten? Das hört sich jetzt erstmal etwas tragisch und negativ an, das ist es aber nicht. Stanišić berührt mit viel Humor und Lebenskraft, mit Optimismus und Pragmatismus. Er lässt sich nicht unterkriegen, hat immer einen frechen Spruch auf Lager und merklich viel Spaß beim Schreiben gehabt. Hat mir sehr gut gefallen und sehr imponiert!

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So schnell kann man gar nicht schauen, da ist man schon fertig mit diesem Buch – und würde sich wünschen, dass es noch ein wenig länger gewesen wäre. Fragmentarisch und episodenhaft erzählt Saša Stanišić in diesem „Selbstporträt mit Ahnen“ von seiner Migration. Von der Flucht seiner bosnisch-serbischen Familie aus Jugoslawien. Von der darauf folgenden Scham und Ausgrenzung, aber auch von der Integration und vom Ankommen in einem neuen Land, einem neuen Leben, einer neuen Sprache (und seiner Liebe zu Eichendorff!). Liebevoll porträtiert er dabei nicht nur seine Verwandten – allem voran seine demente Großmutter, die in dem Buch eine zentrale Rolle spielt – sondern auch seine FreundInnen von der ARAL-Tankstelle, seine erste Liebe, seine NachbarInnen, MitschülerInnen und LehrerInnen. Lakonisch und feinfühlig, aber nie nostalgisch, fabuliert er von Begegnungen und Ereignissen in seinen Heimaten, die ein zunehmend plastisches und fast märchenhaftes Gesamtbild ergeben. Letzteres vor allem durch den Epilog in Form eines interaktiven Fantasy-Rollenspiels, bei dem man als LeserIn selbst entscheidet, wie es weitergeht. Besonders gelungen (weil atmosphärisch sehr dicht) fand ich die Sequenzen aus Oskoruša, dem Dorf, aus dem seine Großeltern stammen und in dem heute nur noch 13 Menschen leben, und jene in denen er von seiner Jugend an der ARAL-Tankstelle erzählt. Ein witziges und berührendes Buch über Identität, Erinnerung und Verlust.

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HERKUNFT ist ein Buch, zum dem ich hauptsächlich aus einem bestimmten Grundgegriffen habe: Jugoslavien. Das begründet sich daraus, dass ich bisher wenig Ahnung von den Balkankriegen hatte und das nach einer Reise nach Kroatien und Bosnien gerne ändern wollte. Der Autor beschreibt in diesem Buch seine eigene Vergangeheit so detailliert und intensiv, dass man am Ende das Gefühl hat, diesen eigentlich wildfremden Menschen sehr gut zu kennen. Gleichzeitig schafft er es auch, wichtige politische Themen anzusprechen und ein Statement zu setzen, mich nachdenklich zu stimmen. Besonders die Geschichte um seine demente Großmutter war für mich unglaublich bewegend und ist sehr gut erzählt worden. Das große Problem dieses Buches ist weder sein Inhalt noch sein etwas eigenwilliger Schreibstil mit kurzen und abgehackten Sätzen. Vielmehr ist der Aufbau des Buches und seine Sortierung der Kapitel scheinbar so willkürlich und chaotisch, dass man nicht immer der Handlung folgen kann und viele Zusammenhänge nicht erkennt. Das stört den Lesefluss enorm und sorgt trotz einfacher Sprache dafür, dass man länger als nötig braucht, um das Buch zu lesen. Großer Pluspunkt ist dann aber noch der Epilog gewesen, bei dem man als Leser selbst entscheiden konnte, wie die Geschichte ausgehen soll. Angelehnt an diverse Kinder- und Jugendbücher die nach diesem Entscheidungsschema geschrieben wurden, lockert das alles nochmal auf und hinterlässt ein positives Gefühl mit glücklichen Kindheitserinnerungen. Denn obwohl Autor Saša Stanišić in einem ganz anderen Land geboren und auch ein paar Jährchen älter ist als ich, zeigt das nur, wie viele Gemeinsamkeiten Menschen haben können, egal wo sie ursprünglich geboren wurden. Danke dafür. 4/5 Sterne Vielen Dank an das Bloggerportal und den Lucherhand Verlag für das Rezensionsexemplar

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Das neue Buch von Saša Stanišić ist ein biografischer Roman, in dem er seiner eigenen Herkunft nachgeht. Er war 14 Jahre alt, als der Krieg in Jugoslawien ausbrach und seine Familie fliehen musste. Er sprach kein Wort Deutsch, als er damals in Heidelberg ankam. Heute ist ein Meister der deutschen Sprache, was auch sein vierter Roman belegt. In Herkunft geht er also seiner eigenen Geschichte nach, sucht nach Erinnerungen aus der Kindheit in Višegrad, wo die Familie bis 1992 gelebt hat. Und erzählt von der Ankunft in Deutschland, über die erste Zeit an einer internationalen Schule, wo keiner in der Klasse Deutsch sprach, und über die Jahre am Gymnasium, wo er nach und nach auch deutsche Freunde fand. Gleichzeitig ist dieses Buch aber auch eine Herkunftsgeschichte seiner Großmutter, die inzwischen dement ist. Er hatte als Kind eine sehr enge Beziehung zu ihr, sie hat sich um ihn gekümmert, als er klein war und die Eltern in der Arbeit waren. Er hat sich damals schon viele Geschichten ausgedacht und das war auch ein Spiel, das sie mit der Großmutter zusammen gespielt haben. Nun erkennt ihn die Großmutter kaum noch und er versucht mit aller Kraft mehr über sie zu erfahren. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit und auch eine Zwickmühle. Die Großmutter kann sich oft weder in Zeit noch im Raum orientieren, und jeder Versuch, sie zurückzubringen, ist ein Schock für sie, wenn sie sich dann tatsächlich in der Realität wiederfindet. Ist es nicht schonender, doch lieber Geschichten zu erzählen? Die Kindheit im sozialistischen Jugoslawien und danach der plötzliche Wechsel in ein kapitalistisches Land bringt lustige Situationen mit sich, ist aber auch nicht einfach für einen Teenager, der nicht hervorstechen will. Der Wunsch nach einer baldigen Integration und danach, wegen des Kriegs nicht bemitleidet zu werden, fördern die natürliche Veranlagung des Jungen, Geschichten zu erzählen. "Zu neuen Bekanntschaften sagte ich also dann und wann, ich käme aus Slowenien. Die Alpenrepublik war am wenigsten in den Schlagzeilen gewesen, ich würde eher als Skifahrer denn als Opfer gesehen, hoffte ich." (Seite 147) Als Flüchtlinge durften die Familienmitglieder damals nur so lange in Deutschland bleiben, bis der Krieg vorbei war. Danach mussten sie nach Bosnien zurükkehren. Die Umstände in Bosnien ließen eine Rückkehr jedoch nicht zu und der Familie drohte die Abschiebung. Als Saša Stanišić 18 war, sind seine Eltern in die USA ausgewandert und er blieb in Deutschland. Er konnte auch nur bleiben, weil ein Beamter ihm geholfen hat – eine reine Glückssache also. Und eine Geschichte, die sich heute zu wiederholen scheint, und das mit weit größeren Massen an Flüchtlingen und deutlicher gezogenen Grenzen. Wie es auch im Roman erwähnt wird, würde die Familie Stanišić heute den Weg gehen wollen, den sie damals auf der Flucht gegangen ist, würde sie an der ungarischen Grenze am Stacheldrahtzaun steckenbleiben. So, wie es vielen heute ergeht. Wir kennen nur ihre individuellen Geschichten nicht. Bei der Erkundung der Herkunft der Großmutter besucht Saša auch Oskoruša, das Dorf des Großvaters, in dem heute nur noch dreizehn Menschen leben – wie die Erinnerungen der Großmutter, ist auch dieses Dorf im Verschwinden. In diesem Dorf lebt die Geschichte um den Heiligen Georg, den Drachentöter bis heute ganz stark – allerdings scheinen die Dorfbewohner eher auf der Seite des Drachen zu stehen. Diese fast religiöse Drachenverehrung gibt dem Dorf und auch der ganzen Geschichte eine mythisch-mystische Färbung. Einen perfekten Abschluss kriegt der Roman in der Form einer Abenteuergeschichte, geschrieben wie Bücher, die ich in meiner Jugend auch geliebt habe, in denen wir Leser entscheiden konnten, wie die Geschichte weitergehen soll. Die Räuberbande nähert sich, versuchst du dich irgendwie aus der Situation herauszureden und sie überzeugen, dass du keine Bedrohung darstellst? Dann lese auf Seite 312 weiter. Versuchst du lieber, dich irgendwie zu verstecken, lese weiter auf Seite 245. In Herkunft geht es darum, die Großmutter zu einem Abenteuer zu begleiten oder zu versuchen, sie in die Realität zurückzubringen. Ich habe an der Seite der Großmutter Drachen bekämpft und fühlte mich auch in meine eigene Kindheit zurücktransportiert, eine ganz seltsame und gute Erfahrung. Ich bin Saša Stanišić sehr dankbar für dieses Buch. Nicht nur, weil er darin einen Einblick in seine eigene Geschichte und die kostbare Beziehung zu seiner Großmutter gewährt. Auch dafür, dass er in diesem Buch ein individuelles Flüchtlingsschicksal aufzeichnet, denn wir brauchen gerade heute mehr davon. Und auch dafür, dass er mich über meine eigene Herkunft und meinen eigenen Weg nach Deutschland und in die deutsche Sprache nachdenken ließ.

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"Es ist so: Das Land, in dem ich geboren wurde, gibt es heute nicht mehr. Solange es das Land noch gab, begriff ich mich als Jugoslawe. Wie meine Eltern, die aus einer serbischen (Vater) bzw. einer bosniakisch-muslimischen Familie stammten (Mutter). Ich war also ein Kind des Vielvölkerstaats, ich war Ertrag und Bekenntnis zweier einander zugeneigter Menschen, die dieser jugoslawische Melting Pot befreit hatte von den Zwängen unterschiedlicher Herkunft und Religion." (CD 1, Track 4) Saša Stanišić erzählt in ‚Herkunft‘ von seiner Kindheit in Višegrad im östlichen Bosnien, vom Bosnienkrieg und der Flucht seiner Familie nach Deutschland, von der Schulzeit und seinem Studium in Heidelberg, von seinem Leben in Hamburg. Dabei beschreibt er seine alte Heimat Jugoslawien liebevoll und sehnsuchtsvoll, und auch von seinen Eltern und den Großeltern spricht Stanišić voller Zuneigung. Die Schilderungen des Lebens im Vielvölkerstaat Jugoslawien, die Veränderungen durch die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Republiken, das Ende des friedlichen Zusammenlebens von Bosniaken, Serben, Slowenen, Kroaten etc. sowie die Balkan-Kriege sind oft ebenso tragisch wie komisch, beim Lesen war ich oft amüsiert, aber genauso oft berührt und bewegt ob Stanišićs Erzählungen und seinen Beobachtungen. Stanišić schreibt anspruchsvoll und virtuos, so wie ich es schon von seinem Debütroman ‚Wie der Soldat das Grammofon repariert‘ kenne. Es ist wirklich beeindruckend, wie Stanišić mit Sprache umgehen kann - nicht einmal unbedingt vor dem Hintergrund, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist, sondern generell, denn ich könnte spontan keinen anderen deutschen Autor nennen, der sich so eloquent ausdrückt, aber dennoch verständlich schreibt, flüssig erzählt, perfekt unterhält und so leichtfüßig eine Geschichte zum Besten gibt. Stanišić gelingt es zudem, den Ereignissen einen besonderen Zauber einzuhauchen und sie dennoch vollkommen realistisch wirken zu lassen, so dass man beim Lesen und Hören ein wenig die Wirklichkeit verlässt und die Welt der Magie betritt, obwohl Stanišić von seinen eigenen Erlebnissen erzählt, die er jedoch ausschmückt, bisweilen übertreibt und mit magischen Elementen ausstattet. Dass ‚Herkunft‘ von Stanišić selbst gelesen wird, ist ein besonderes Schmankerl, denn so bekommt das Hörbuch einen ganz eigenen Charme, zumal Stanišić sehr ausdrucksstark und eindringlich liest. ‚Herkunft‘ ist eine tragikomische, berührende und kluge Geschichte über Sprache, Abschied, Neuanfang, Toleranz, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Freundschaft, Liebe und (natürlich!) über die Frage, wo wir herkommen und wie zufällige Begegnungen und Begebenheiten über den Verlauf unseres Lebens entscheiden. Mir hat ‚Herkunft‘ sogar noch besser als ‚Wie der Soldat das Grammofon repariert‘ gefallen, und nun freue ich mich darauf, die anderen Bücher von Stanišić zu entdecken. Saša Stanišić: Herkunft. Gekürzte Lesung von Saša Stanišić. der Hörverlag, 2019; 22 Euro.

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Saša Stanišićs Geburtsstadt Višegrad ist der Ort in "Die Brücke über die Drina" von Ivo Andrić, der Ort, an dem über Jahrhunderte Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionszugehörigkeiten mehr und auch weniger friedlich nebeneinander lebten. Gegenwärtig haftet jeder Ecke eine Erinnerung der ethnischen Säuberungen an, denn das vor allem von Tito zusammengehaltene Jugoslawien zerbrach in den 90er Jahren endgültig nicht nur in Einzelteile, diese schnitten sich dabei noch die Kehle durch. "Jede Herkunft konnte die falsche sein." . Im Gegensatz dazu sind die Teile in Stanišićs neuem Buch "Herkunft" ein ineinandergreifendes Potpourrie an Versatzstücken, Einschüben, wiederkehrenden Erzählsträngen. Seine nun an Demenz erkrankte Großmutter, jahrzehntelang Višegrad in sympathischem Mafiosostil in der Hand habend, ist der rote Faden, während wir nicht chronologisch sein 1992 in Bosnien gekapptes Leben, wie auch das seiner Eltern, in Heidelberg neu starten sehen (oder eben an der Aral-Tankstelle, parallel zur internationalen Gesamtschule), ergänzt von Vergangenheitszitaten wie Rostock-Lichtenhagen, Roter Stern Belgrad auf dem Gipfel des europäischen Fußballs und der Gegenwart mit den letzten Flüchtlingsbewegungen über die nun geschlossene Balkanroute und so unglaublich vieles mehr. . Tragisches, ja Dramatisches verhält sich leise in "Herkunft", aber keineswegs blass. Auf die Menschen blickt Stanišić warm, zugeneigt und sein mal präzises, dann sich beinahe verlierendes Erzählen von Abläufen und Gegebenheiten lässt beim Lesen lächeln und traurig sein, Abstruses blinkt auf. Poetisch klingt das oder lakonisch, auch witzig, wie er berichtet, erinnert, fabuliert - autofiktional, biografisch, romanhaft, sich aus dem Fantasygenre bedienend, eine Familienchronik auffächernd. . Migration ist Stanišić nach gängigen Normen gut gelungen - wir halten hier sein viertes, in deutscher Sprache verfasstes Buch in der Hand, Sprache, die er anmutiger, gekonnter als so ziemlich jeder nutzt. Nach dem großartigen Roman "Vor dem Fest" ist "Herkunft" ein tolles Folgebuch, auch wenn Literatur laut ihm nur ein schwacher Kitt ist für eine zerrissene Familie. Warum? Lest selbst.

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