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Rezensionen zu
Die Glücklichen

Kristine Bilkau

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Inhalt: Dieses Buch handelt von den alltäglichen Ängsten und Problemen einer kleinen, deutschen Familie. Isabell und Georg sind glücklich miteinander, aber - nachdem Isabell ihren Sohn Matti auf die Welt gebracht hat und wieder arbeiten geht - fangen ihre Finger beim Cellospielen an zu zittern. Sie wird nervös und bald schon verliert sie ihren Beruf im Orchester des Musicaltheaters. Auch Georg wird arbeitslos, geht mit der Situation allerdings ein wenig besser um als sie. Die beiden steigen sozial ab und müssen mit vielen Problemen kämpfen, die ihnen zuvor unbekannt waren. Meine Meinung: Leider hat mir das Buch überhaupt nicht zugesagt. Das lag zum einen daran, dass ich mich nicht so recht mit dem Schreibstil der Autorin anfreunden konnte, da mir dieser ein wenig trocken vorkam, aber der Hauptgrund wird wohl sein, dass ich mich nicht richtig in die Probleme der Protagonistin hineinversetzen konnte. Die Geschichte erzählt eben von dem Alltagsleben einer Frau, die wesentlich älter ist als ich. Ich dachte, es könnte ganz interessant werden und normalerweise habe ich auch kein Problem damit, mich in die Situation anderer Personen zu versetzen -- egal wie groß der Altersunterschied ist. Hier ging das aber leider nicht. Ich finde es echt schade, dass mich das Buch nicht überzeugen konnte, da es sich wirklich toll angehört hat und im Großen und Ganzen eine dieser Geschichten ist, die mich einfach anspricht. Dennoch habe ich viele Seiten einfach nur flüchtig gelesen und am Ende musste ich mich teilweise richtig durch das Buch kämpfen. Ich versuche wirklich nicht, das Buch schlecht zu machen. Ich glaube, wenn ich ein wenig älter wäre, würde ich das alles ein bisschen besser verstehen und nachvollziehen können. Falls jemand diese Rezension hier liest, der sich unschlüssig ist, sich das Buch zuzulegen, kann ich nur eins sagen: Bitte lass dich hierdurch nicht umstimmen. Ich denke, Leute über 25 werden das Buch besser verstehen und leiden können als jüngere.

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„Die Glücklichen“ lautet der Titel des Debütromans von Kristine Bilkau, der in Hamburg spielt. Damit können unmöglich die Protagonisten gemeint sein, dachte ich mir, je näher ich sie kennenlernte. Isabell und Georg führen mit ihrem kleinen Sohn vielleicht am Anfang der Geschichte noch ein intaktes Leben, doch das Glück steht auf sehr wackeligen Beinen. Immer wieder spürt man die latente Bedrohung, dass sich die Lebensumstände im Nu ändern und die Familie aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Und so kommt es dann auch. Isabell kann nach der Babypause wegen Lampenfieber nicht mehr als Cellistin auftreten; Georg verliert wegen Sparmaßnahmen seinen Job in einer Zeitungsredaktion. Sie gehen unterschiedlich mit der Situation um, verspüren jedoch beide permanent den Drang, vor der Wirklichkeit zu fliehen. Isabell verkriecht sich am liebsten unter ihre Decke und verdrängt die Realität, Georg sieht sich teure Villen auf Immobilienportalen an und träumt von einem einfachen Leben auf dem Land. Kristine Bilkau trifft in ihrem Roman die typischen Existenzängste einer jungen Familie in der heutigen Generation sehr genau. Das Gefühl der Überforderung und Ausweglosigkeit vermittelt sie teils einfühlsam, teils schonungslos, was sich im Vokabular der Figuren ausdrückt: „Schwächling“, „Versager“, „Es ist alles zuviel“, „Wir schaffen es nicht.“ Am liebsten möchte man dem verzweifelten Paar aufbauende amerikanische Selbsthilfebücher über positives Denken ans Herz legen. Doch schon bald werden sie erkennen, dass man im Leben keinen Anspruch auf Sicherheit hat und es allein auf die eigene Einstellung ankommt, ob man sich zu den Glücklichen zählt oder nicht.

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Viele werden stöhnen. Ein Buch über eine Familie in Deutschland auf dem sozialen Abstieg. Haben wir das nicht schon zur Genüge im normalen, im richtigen Leben? Muss man darüber noch einen Roman schreiben und diesen auch lesen? Man muss. Kristine Bilkau hat mit „Die Glücklichen“ ein Buch geschrieben, welches unserer Gesellschaft in ihrem Istzustand einen Spiegel vorhält. Sie behandelt in einfühlsamen Worten das Leben des großstädtischen Paares Isabell und Georg, die zusammen den knapp einjährigen Sohn Matti haben. Es geht um Liebe, um Vertrauen, um den Wiedereinstieg in den Beruf, um das innere und äußere Kündigen, um den täglichen Kampf mit den Widrigkeiten, die auf eine Familie einströmen und wie man damit als Paar fertig wird – alles Themen, die derzeit aktuell sind, viele betreffen und die in diesem Buch entweder angerissen oder konkret thematisiert werden. Das Buch beginnt damit, dass Isabell nach ihrer Babypause wieder in ihren Beruf zurückkehrt. Sie spielt Cello an einem Theater und ist mit anderen die Begleitmusik für die Theaterstücke, die aufgeführt werden. Sie ist also anonym im „Orchestergraben“ untergebracht und mit ihrer Leidenschaft Geld verdienen. Doch schon an den ersten Abenden spielt sie ihre Soli nicht wie gewohnt souverän, sondern es setzt ein Zittern in ihren Händen ein, welches sie beim Spielen behindert. Sie steigert sich immer mehr in dieses Zittern hinein, dass es nicht besser, sondern schlimmer wird. Bis es letztendlich gar nicht mehr geht und sie die Reißleine zieht. Sie begibt sich in Therapie und gibt ihren Job auf. Gleichzeitig wird ihre wunderbare Altbauwohnung als eine der letzten in ihrer Straße saniert, sprich die Fassade wird gedämmt, neu verputzt und gestrichen. Eine Situation, die mit einem einjährigen Kind zu Hause nicht gerade einfach ist, da alle Fenster mit Planen verhangen sind und der tägliche Rhythmus der Bauarbeiter den Lebensrhythmus der Familie aus dem Takt bringt. Es ist somit keine einfache Situation. Georg ist Journalist bei einem lokalen Blatt und erarbeitet größere Reportagen. Aktuell soll er ein Aussteigerpaar interviewen und daraus einen Artikel mache. Er und Isabell teilen sich in die Erziehungsarbeit und Betreuung mit ihrem Kind ein. Während Georg arbeitet ist Isabell für ihr Kind da und abends, wenn Isabell am Theater spielt meistert Georg den Abend mit seinem Sohn. Oft sehen sich die Isabell und Georg nur kurz an der Tür um Hallo und Tschüss sagen zu können. Für wichtigen Informationsaustausch bleibt meist keine Zeit. Soweit klingt erst einmal alles sehr banal und alltäglich. Man wird das alles in den deutschen Großstädten (und auch Kleinstädten) zu Tausenden antreffen. Gentrifizierung, Arbeit in Voll- oder Teilzeit, Beziehungen in der zermürbenden Work-Life-Balance, Großmütter, die immer irgendetwas wollen, belasten sicher viele Haushalte. Dazu kommt noch, dass bei vielen die Geldsorgen das letzte bisschen Optimismus unter einem muffigen Mantel aus Alltagstristesse begräbt. Dies ist bei Georg und Isabell zu Beginn nicht der Fall und trotzdessen, dass die Rückkehr Isabells in den Job die Belastungsgrenze für die kleine Familie verschiebt, scheinen sie es zu schaffen und diesen Weg zu meistern. Kommt jedoch ein kleiner Stein ins Rollen, eine Veränderung, stürzt dieses fragile Gebilde ein. Im Fall von Isabell und Georg kommt es gleich zu mehreren großen Steinen, die ins Rollen kommen. Das schon angesprochene Zittern ihrer Hände bekommt Isabell nicht in den Griff und lässt sich krankschreiben, geht in Therapie. Georg verliert seinen Job, da die Zeitung, für die er arbeitet, aufgekauft und danach aufgelöst wird. Als Folge dieser Ereignisse begibt sich Georg auf eine zermürbende Arbeitssuche, was bei der Zeitungskrise, die gerade vorherrscht, nicht gerade einfach ist und Isabell versucht ihr Leiden mittels einer Therapie zu überwinden. Das alles sind einschneidende Ereignisse, die zur Folge haben, dass diese kleine Familie zu zerbrechen droht. Isabells zitternde Hände schlagen auf ihre Psyche. Sie kann zeitweise nicht mehr aus dem Bett und steht erst Mittags auf. Georg kann sich in Isabell nicht hinein versetzen, da sie ihm nicht erzählt, was sie konkret hat und er somit sauer auf sie und ihr Verhalten ist. Gleichzeitig muss er sich um einen neuen Job kümmern und geht dafür weite Wege, lehnt auch Stellen ab, die er moralisch nicht vertreten könnte, obwohl er viel Geld verdienen könnte. Letztendlich müssen die beiden sich entscheiden. Wollen sie die Wohnung in traumhafter Innenstadtlage behalten und dafür finanziell stärkere Belastungen in Kauf nehmen? Oder wollen sie aufs Land in eine Kleinstadt ziehen, damit Georg näher an einem halbwegs vernünftigen Job wäre? Eine Entscheidung, die in der Trennung dieses anfangs harmonischen Paares münden könnte. In wieweit verändern äußere Umstände die Menschen? Ist jemand aufgeschlossen, lebensfreudig und offen, kann ein einzelner Schicksalsschlag alles verändern und diesen Menschen in den psychischen und/oder physischen Abgrund ziehen. Isabell und Georg sehen sich gleich mehreren solcher Wendungen ausgesetzt. Sicher ist es ist in ihrem Fall Jammern auf hohem Niveau, aber diese Ängste sitzen sicher vielen Menschen, die man der Mittelschicht zuordnen kann, im Nacken. Kind und Familie versorgen, Lebensstandard halten oder vielleicht sogar ausbauen sind alles Dinge, für die man Geld benötigt und dafür muss man arbeiten gehen. Als beide ohne Arbeit dastehen, sitzt die Existenzangst im Nacken, die von Kristine Bilkau sehr schön in diesem Roman beschrieben wird. Erst leise (zitternde Hände), dann mit Gewalt (Jobverlust) steht sie in der Tür und will nicht verschwinden. Wo alles vorher sicher erscheint, ist plötzlich alles mit Verunsicherung behaftet. Und während man sich die Beine abstrampelt, um wieder etwas Luft nach oben zu bekommen, zieht die Zeit, in der man sein Kind genießen möchte an einem vorbei und man hat diese wunderbaren Jahre verpasst. Kristine Bilkau hat in meinen Augen den passenden Roman für die aktuellen Debatten geschrieben, in denen die große Überschrift Vereinbarkeit von Familie und Beruf lautet und alles, was im Dunstkreis von diesen Schlagwörtern eine Rolle spielt. Sie wählt dabei den Schritt eine Familie vorzustellen, denen es eingangs gut geht und denen große Veränderungen ins Haus stehen, von denen sie aber noch nichts ahnen. Sie können sich anfangs vieles leisten (z.B. frische Brötchen beim Bäcker statt bei Lidl oder eine schicke Altbauwohnung in der Innenstadt einer hier namenlosen Großstadt), was nicht unbedingt notwendig ist, aber in ihren Augen zu einem zufriedenen Leben dazugehört. Sie nutzt dabei jeweils die Perspektiven Georgs und Isabells, meist im Wechsel, um die jeweiligen Sichtweisen der Beiden herauszustreichen. Dabei bekommen wir nicht nur die schon genannte Vereinbarkeit, sondern auch einen interessanten und, wie ich finde, treffenden Blick beider Geschlechter auf die Probleme, die diese Familie betreffen. Das alles präsentiert uns die Autorin in leisen Tönen mit einer klaren, unaufgeregten Stimme. Bei vielen Dingen, die Kristine Bilkau beschreibt, möchte man einfach nur mit dem Kopf nicken (aus meiner Sicht vor allem die Dinge, die die Erziehung und das Leben mit Kind betreffen) oder die beiden Erwachsenen einfach mal in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass alles nur halb so schlimm ist, wie sie es für sich darstellen. Gibt sie uns eine Lösung an die Hand, wie man diese ganzen Dilemma lösen kann? Nein, aber sie gibt einem auf den Weg, dass man miteinander reden sollte, um Probleme zu vermeiden und das es meist immer einen Weg aus der Misere geben kann. Man muss es nur versuchen und darf nicht resignieren. Insgesamt gesehen, auch wenn ich dieses Frühjahr nicht viele Bücher gelesen habe, ist das für mich einer der Romane des ersten Halbjahres 2015, die man gelesen haben muss. Sanft geschrieben und aktuelle Themen unserer Zeit in einem ansprechenden Rahmen präsentiert. So stelle ich mir einen (fast) perfekten zeitgenössischen Roman vor. Unbedingte Leseempfehlung.

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Der Roman “Die Glücklichen” von Kristine Bilkau fällt wohl in die Kategorie “Literatur”. Sonst ist das eher nicht so mein Fall, bei diesem Buch mache ich eine begeisterte Ausnahme. Sprachlich durchaus anspruchsvoll mit ellenlangen Sätzen, war der Roman trotzdem wunderbar zu lesen. Es geht um das Ehepaar Isabell und Georg, beide in den Dreißigern bzw. Anfang 40. Ihr Sohn Matti ist gerade ein Jahr alt, Isabell will wieder arbeiten gehen. Sie ist Cellistin, doch plötzlich klappt es mit dem Spielen nicht mehr so recht, ihre Hände zittern. Die Nerven? Gleichzeitig verliert Georg seinen Job bei einer Zeitung und langsam, aber sicher geraten die beiden in finanzielle Schwierigkeiten, unter denen auch ihre Ehe leidet. Wie soll es weitergehen? Ist ein anderes Leben vorstellbar? Es breitet sich eine Sprachlosigkeit aus zwischen den beiden, unausgesprochene Vorwürfe, einzig der gemeinsame Sohn hält sie zeitweise noch zusammen. Ich habe mich in den Beschreibungen sehr oft wiedergefunden, in diesem “präzise[n] Bild einer nervösen Generation, überreizt von dem Anspruch, ein Leben ohne Niederlagen zu führen” (Klappentext). Keine leichte Lektüre, aber sehr lohnenswert.

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Rückentext In der Dunkelheit wächst ein Monster heran, im Takt ihres Herzklopfens, das Herz wummert, als hätte sie einen schnellen Gang durch den Park hinter sich, dabei bewegt sie unter der Decke nicht einmal den kleinen Zeh. Hier, im schwarzen Zimmer, versammelt sich die Wirklichkeit, ein geschlossener Cellokasten, ein Kronleuchter im Treppenhaus, Kinder und sorglose Mütter auf dem Spielplatz, Plakate einer Musicalpremiere, die nichts mehr mit ihr zu tun hat, fremde Leute, die diese Wohnungstür aufschließen und sich dieses Zuhause redlich verdient haben, das Lachen der Gäste an den Tischen des Bistros, sie haben keine Zeit für Schwächlinge, die Straßen ihres Viertels sind nichts für Versager, die Nacht schärft die Konturen dieser Wirklichkeit, und sie sehnt sich nach Schlaf, vereint mit Matti, so möchte sie einschlafen und nicht mehr zurückkehren in diese Wirklichkeit. Sie zieht die Knie an den Körper und rutscht näher an den Atem ihres Kindes; verwerflich ist diese Sehnsucht, gemeinsam unterzugehen. Es ist ein gefährlich funkelndes Körnchen Traurigkeit, das sie in sich trägt. „Wenn sie für sich spielt, hat sie ihre Hände unter Kontrolle, nein, dann braucht sie keine Kontrolle. Sie löst sich in der Musik auf und wird eins mit dem Cello. Das Zittern ist ihre Schwäche, ihre Schuld, sie entfacht es durch ihre Gedanken, sie bemüht sich nicht genug, ein zuversichtlicher Mensch zu werden. Ein zuversichtlicher Mensch würde nicht mit den Händen zittern.“ (Seite 212) Isabell und Georg sind ein glückliche Paar, das sich alles leisten kann. Beide haben eine gesicherte Existenz, lieben ihr Leben im Wohlstand und können sich nicht vorstellen, dass es einmal anders sein könnte. Doch mit der Geburt ihres Sohnes Matti wächst der Druck. Glücklich über die Geburt des Sohnes, stellen sich doch bald existenzielle Fragen ein. Können sie ihren Wohlstand so halten? Ihre Verunsicherung wächst. Als Isabell wieder in ihren Beruf als Cellistin zurückkehrt, gelingt ihr dies nicht. Abend für Abend zittern ihre Hände beim Spiel und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es jemand merkt und sie feuert. Um dies Vorzubeugen lässt sie sich krankschreiben. So kann sie mehr Zeit mit Mattie verbringen. Doch auch dies kann sie nicht ungetrübt genießen. Dann verliert sie ihren Job. „Denn sie hat es doch selbst schon in den Händen gespürt, wollte zugreifen und packen, wenn Matti sie nicht eine Stunde schlafen ließ, Nacht für Nacht, wenn Georg auf reisen war und ihr nicht helfen konnte, Schlafentzug öffnet dunkle, unbekannte Gebiete. Sie ließ den Druck an Gegenständen aus, Tritte gegen den Sessel, die dumpf ins Leder stießen, oder gegen den Wäscheständer, der krachend zusammenbrach, wie dumm, einen Wäscheständer zu treten, wie ergiebig auch, weil es Lärm macht.“ (Seite 60) Georg und Isabell haben ihre Jobs so gelegt, dass Georg abends zu Hause ist, wenn Isabell Cello spielt. Er arbeitet in einer Redaktion. Aber es mehren sich die Gerüchte, dass die Arbeitsplätze der Redaktion in Gefahr sind. Georg ist fassungslos, da er nichts davon mitbekommen hat. Kollegen haben sich schon lange vorher nach einem neuen Job umgeschaut. Doch Georg hat irgendwie den Anschluss verpasst. „>Gibt es etwas, das du vermisst, seitdem du hier lebst?< Björn schaut ihn geradewegs an, >Freunde nicht. Die Arbeit nicht. Das Nachtleben auch nicht.< Er überlegt weiter. >Du merkst, ich kann dir nur sagen, was ich nicht vermisse. Im Prinzip vor allem – dieses allgegenwärtige Vergleichen Mich mit den anderen, und umgekehrt. Das bin ich los. Und daraus ergibt sich der Rest.< >Was meinst du mit Rest?< >Daraus ergibt sich, dass ich mir nichts mehr kaufen muss. Um dem Vergleich standzuhalten.<“ (Seite 94) Ein ehemaliger Kollege ist „ausgestiegen“ und hat alles hinter sich gelassen. Georg selbst denkt auch immer mehr darüber nach alles stehen und liegen zu lassen. Auszubrechen, der Verantwortung für Isabell und Matti zu entfliehen, denn er weiß, dass Isabell niemals ihre geliebt Wohnung verlassen würde. „Er möchte Fotos sehen von hellen Zimmern sehen, anregende Bilder, die nicht nach Problemen und Hindernissen aussehen. Eine Villa aus dem Jahr 1902, weiß verputzt, efeubewachsen, mit altem Baumbestand im Garten. Das Grundstück umfasst über fünftausend Quadratmeter. Sieben Zimmer, Diele, zwei Salons mit Verbindungstür und Kachelöfen, eine große Küche, Terrassentür in den Garten und Kuhweide dahinter. Er stellt sich das vor: früh aufstehen, Teewasser aufsetzen, ins Grün schauen, Frühstück decken, die Räume mit einer großen, lauten Familie füllen, kein Geld für Wegwerfspielzeug ausgeben, die Natur ist der Spielplatz, Solaranlage aufs Dach, Kartoffeln setzen, Kartoffeln ernten.“ (Seite 30) Nachdem beide ihren Job verloren haben schwiegen sie sich aus. Im Stillen gibt jeder dem anderen die Schuld und gleichzeitig fühlt sich jeder für sich als Versager. Sie reden nicht miteinander. Ihr Frust wird immer größer. Jede Kleinigkeit bringt die beiden weiter auseinander, doch sie schaffen es einfach nicht ein klärendes Gespräch zu führen. „Isabell spricht kaum mit ihm, verschließt sich ihm vorwurfsvoll, weil er ein Versager ist. Er hat das Glücksversprechen gebrochen. Er bringt ihr keine Lösung auf dem Silbertablett, er hat nicht den rettenden Job gefunden, der sie befreien würde, von ihrem Phlegma, ihrer Neurose, oder was sie da mit sich rumträgt. Fragen darf er nicht, nein, auf keinen Fall fragen, es wäre eine Verletzung die sensible Cellistin zu fragen. Selbstverständlich ist er zu blöd oder unsensibel, sie zu verstehen. Er hat es nicht verdient, dass mit ihm geredet wird.“ (Seite 239) Dieses sehr eindrucksvolle Debüt von Kristine Bilkau erzählt sehr nüchtern und dennoch so nah am Geschehen die Geschichte zweier Menschen in der heutigen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die davon geprägt ist alles besser, schöner, teurer … zu machen als die anderen. Voll nach dem Motto … mein Auto … mein Haus … meine Jacht … Doch ich frage mich, warum ist das so? Warum kann man nicht mit dem glücklich sein, was man hat? Warum muss es immer mehr sein? Natürlich kann sich keiner davon frei sprechen nicht mal neidvoll auf das Auto, das Haus oder was auch immer des besten Freundes, des Nachbarn zu schauen. Doch mal ganz ehrlich muss ich das dann auch unbedingt haben? Was bringt mir das? Seelenfrieden? Glück? Doch eher nur Schulden, Sorgen wie ich es finanzieren kann etc. Ist es das wert? Nur damit man noch mehr auftrumpfen kann? „Ihn durchströmt ein Hochgefühl. Ja, es fühlt sich gut an, diesen Satz auszusprechen. Wir schaffen es nicht! Vier Wörter, die zu einem Tabu geworden sind. Sie auszusprechen ist verboten, streng, streng, streng verboten. Aber jetzt ist es auch egal. Er kann sich endlich locker machen. Wir schaffen es nicht! Warum mussten sie immer so tun, als wäre es nicht so?“ (Seite 197) Es ist schwer in einer Gesellschaft mitzuhalten, in der die Werte heute anders angeordnet sind. In einer Gesellschaft, in der Konsum weit oben steht. Und kann man nicht mithalten ist man eben draußen. Viele können möchten aber dabei sein und verschulden sich dafür immer mehr und mehr. Es gehört heute Mut dazu, sich einzugestehen, dass man es nicht schafft … dass man sich kein i-Phone, keinen Mercedes, keine Restaurantbesuch … leisten kann. Doch macht das einen Menschen zu einem schlechteren Menschen? Nein!!! Manchmal denke ich, wir sollten unseren Blick auf das wesentlich konzentrieren. Auf die kleinen Dinge im Leben, denn das bedeutet Glück. Nicht das neue Auto, nicht das neue Haus oder das neue Kleidungsstück. „Dann würde sie sich an diesen Nachmittag erinnern, alles noch einmal vor sich sehen, genau hinsehen, wer Georg, Matti und Isabell am heutigen Tag gewesen sind. Sie wird ihr junges Ich neben Georg und dem Kind sehen, dort auf der Decke unter dem Baum, und die Vollkommenheit des Moments erkennen, denn wie vollkommen etwas war, lässt sich oft erst viel später verstehen. Mit der Zeit reifen Momente zu etwas heran, erst dann kristallisiert sich heraus, das war es, das Glück.“ (Seite 300) Mein Fazit: Beklemmend und wirklichkeitsnah wird die Geschichte eines Paares erzählt, das dem sozialen Druck der Gesellschaft ausgeliefert ist ... Unbedingt lesen!!!

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Ich liebe dieses Buch – und ich hasse es. Es ist so nah an mir dran, am Privaten, am Erlebten, es spricht mir oft aus der Seele, tritt mir auf die Füße, tut mir gut, macht mich traurig, und es regt mich auf. Wo soll ich nun anfangen? Isabell und Georg, ein alternativ-bürgerliches Großstadtpärchen, das sich mit Kleinkind Matti inzwischen ins Familienleben gewagt hat – das sind hier die Glücklichen. Eine Stichwortwolke: Altbau, Dinkelpulver, Adagio, Süßkartoffelmedaillons, Seidenpapier, Wertigkeit, Biokiste, Petit Fours, Parkettboden, Globuli, Glockenrock, Kinderboutique, Makler, Maronencreme, leichthändig, Engagements, Kaschmirstrickjacke, Veggieaufstrich, Stil, Expertise, Yogastudio, Dufflecoat, Konferenzsitzung, Hutmacherei, Babyschwimmen, Alpaka-Decke, geschmackvoll, Fitnessstudio, Sushi, Nachhaltigkeit, Hotelzimmer, Persönlichkeit, ausgewogen, Kronleuchter. Isabell ist Berufsmusikerin, Cellistin, Georg arbeitet als Journalist für eine große Zeitung. Unausgesprochen, aber eindeutigen Hinweisen nach zu urteilen ist Hamburg ihr Zuhause, übertragbar sind die Ortsbeschreibungen jedoch auf jede beliebige großstädtische beste Wohnlage. Die junge Familie lebt idyllisch-urban im begehrten Altbauviertel, die wunderbare Wohnung besitzt Charakter, Blumenläden heißen hier Floristenwerk, Bäckereien nennen sich Manufaktur. So weit, so gut durchgekaut. Als ich zu lesen beginne, möchte ich das Buch schon gleich wieder weglegen: Plakativ wie irgend möglich werden jene Marker für gentrifizierte Strukturen angebracht, als müsse ein feststehender Begriffskatalog abgearbeitet werden – da ist er ja promt, dieser nervtötende bürgerliche Genauigkeitswahn -, und dann geht es eingangs auch noch hinein in die Gedankenwelt einer Cellistin, deren Hände neuerdings vor ihren Einsätzen im Orchester zu zittern beginnen. Ach, lasst mich doch alle in Ruhe mit euren Luxussorgen! Aber Kristine Bilkau gräbt tiefer, der Eindruck von Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit verflüchtigt sich zu Gunsten des Gedankens, dass da eine Autorin sehr gewissenhaft das Sittengemälde einer bestimmten Schicht zu einer bestimmten Zeit zeichnet – ein Portrait, das so detail- und symbolbeladen ist, dass sich in dreißig Jahren, wenn man dieses Buch erneut aufschlägt, dieser dann vergangene gesellschaftliche Moment haarklein zum Leben wiedererwecken lassen wird. Was Bilkau aus den Betulichkeiten einer Wohlstands-Familie herausarbeitet, sind die rissigen Schichten unterhalb der wertigen Oberfläche, die auf einen großen Bruch hinarbeiten. Für Isabell und Georg werden diese Risse zunehmend sichtbar, der Putz wackelt, Reparaturen werden nötig. Aber können behütete Kulturmenschen so was überhaupt, ist Dinge zu reparieren nicht eher eine Sache für Handwerker? Zuerst treten die Risse in der Fassade ihres Altbauwohnhauses zu Tage. Isabell stört sich an der Bauplane, die den Räumen die Aussicht nimmt, und an der Dauergegenwart der Handwerker, deren Lärm die Heimeligkeit der Wohnung und den sorgsam getakteten Tagesablauf mit Matti stört. Als sie einen der Handwerker vor ihrem Fenster etwas platt fragt, was er da den ganzen Tag so werkele, erzählt er ihr von den Rissen, den oberflächlichen und den versteckten, den harmlosen und den fatalen, wie man sie entdeckt, unterscheidet, und was man dann tut. Die verblüffte Isabell bringt dem Herren dafür glatt einen Kaffee ans Fenster. Auf anderen Ebenen gilt es ebenfalls die Lehre von den Rissen anzuwenden: Nach der Babypause findet Isabel nur schwer in ihren Berufsalltag zurück, ein Zittern schleicht sich in ihre Finger, durchzieht ihren Arm, versetzt sie in innerliches Beben. Was sie anfänglich zu verstecken versucht, tritt mit unbarmherziger Stärke immer sicht- und vor Allem hörbarer zu Tage und bedroht schließlich ihre berufliche Existenz. Georg, dessen Redaktionstätigkeit von solider Routine geprägt ist, schnappt irgendwann zufällig ein Gerücht auf, dass sich nach und nach zu einem handfesten Verdacht auswächst: Die Zeitung – eigentlich eine feste Mediengröße – bleibt vom großen Printsterben nicht unberührt, sie strauchelt. Der Verdacht wird zur Erwartung, schließlich zur Gewissheit: Stellenabbau. Beide betrachten hilflos die Auflösung ihrer beruflichen Identität, und beinahe umfasst dieser Erosionsvorgang auch die Auflösung ihrer Ehe. Das Geld, der Motor aller Leichtigkeit, fehlt plötzlich. Der Geldmangel wird zum Ausgangspunkt eines Risses, der Isabel und Georg sowohl als Personen als auch als familiäres Gefüge massiv destabilisiert. Naiv sind die beiden von Beginn an nicht, sie wissen genau, dass ihr Lebenswandel nur ab einer bestimmten Summe Gehaltseingang funktioniert. Die Liebe in Zeiten der Staffelmiete: ohnehin nicht einfach. Sicherheit bedeutet finanzielle Sicherheit, Zufriedenheit bedeutet finanzielle Zufriedenheit, Zukunft bedeutet finanzielle Zukunft – wie verhält es sich mit dem Glück? Wenn Perfektion zum Standard geworden ist, und Geld alles absichert, auch die emotionale Perfektion – wie geht man dann mit einem Absturz um? Bilkau zeichnet diesen Absturz in dokumentarisch wirkendem Stil nach. In kleinen Alltagsschilderungen protokolliert sie den stufenweisen Verfall einer kontrollierten Wohlfühlwelt. Zwischen Isabell und Georg, die einander ehrlich lieben, schiebt sich plötzlich Unausgesprochenes: Jeder für sich wissen sie nicht mit ihren Ängsten umzugehen, verkapseln sich in Schweigen, treten einander immer verunsicherter und gereizter gegenüber. Dort, wo es unter Pärchen etwas gründlicher kracht, wird unter Eltern oft weitergeschwiegen, dem Kind zuliebe – ein Druckkessel. Zweite Stichwortwolke: erschöpft, Schmerzen, verkrampft, Abgrund, dünnhäutig, Dispo, Verlust, teuer, Discounter, Mieterhöhung, Minderwertigkeit, disqualifiziert, verschuldet, verzichten, Bewerbungen, Abschied, Verlierer, Ende, Grau, Kostenfaktor, sparen, Tränen, egal, unglücklich, billig, bezahlbar, Herzrasen, Kalkulation, ausdruckslos, schuldig, Krankheit, verwundbar, Theatralik, Schwermut, Desinteresse, Geld, abgewiesen, zahlen, Drohung, Drama, verrückt, Trennung, Last, kläglich, nötig, Grummeln, beschädigt, Konto, Kredit, Ohrensausen, beschützen, gnadenlos, Mitleid, frustriert, abwarten, warten, Leere, Defekt, Enttäuschung, Aus. Während dieses Vokabular ihr Umfeld, ihre Sprache und ihre Gedanken zu beherrschen beginnt, beschäftigen sich Isabell und Georg obsessiv mit ihren voneinander unabhängigen Fantasiewelten: Isabell stolpert im Internet über eine Familie, die ihr unsäglich perfektes Leben in wunderschönen Fotos teilt, teilt, teilt, und sie kann es nicht lassen diesen Beiträgen zu folgen, obwohl sie sie quälen. Georg forstet sich zwanghaft durch unbezahlbare Maklerangebote, Landhäuser, Resthöfe, abgelegene, naturverbundene Refugien, und träumt sich durch diffuse Aussteigerszenarien. Aber wie geht aussteigen? Mit verschiedenen Varianten von Ausstieg werden beide konfrontiert. Georg besucht einen Aussteiger auf dessen Ökohof, einen ehemaligen Verpackungsdesigner, der sich nach der Insolvenz seiner einst extrem erfolgreichen Firma radikal neu erfunden hat: Tierhaltung, Ackerbau, Selbstversorgung, blutjunge neue Freundin. Aber Georg misstraut der Wollpullover-Utopie, er erkennt, dass er hier nicht die gesuchte Sicherheit findet, sondern nur neue (finanzielle) Risiken. Isabell, die sich verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer Musiker-Misere sehnt, wird Zeugin einer zwischenmenschlichen Explosion in ihrem Orchester, die die Karriere eines Kollegen von einer Sekunde zur anderen beendet. Doch anstatt Empathie bei ihr auzulösen, bewirkt dieser Knall bei Isabel einen stumpfen Schock. Und schließlich ein Todesfall in der Familie – Isabell und Georg stehen plötzlich vor der direkten Antwort auf die Frage Was bleibt?, und diese Antwort ist ernüchternd. Oder vielleicht doch nicht? Welches Ende die Geschichte um Isabel, Matti und Georg nimmt, wird nicht vollends verraten. Ob Glück, Liebe und Hoffnung sich erstens von ihrer Überidealisierung, zweitens von ihrer Abhängigkeit vom Monetären emanzipieren können, muss man während der abschließenden Kapitel für sich beantworten. Ein Roman, den man unbedingt als Selbsttest lesen sollte, auch oder gerade, wenn er schmerzhaft an innere Risse rührt.

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Lebensträume...

Von: parden

27.04.2015

Während man vom Kind zum Erwachsenen heranreift, findet man immer mehr darüber heraus, wer man eigentlich ist, und trifft Entscheidungen, um Lebensentwürfe zu realisieren. So auch Isabell und Georg, ein junges Paar mit einem kleinen Kind. Sie fühlen sich wohl in ihrem Beruf - sie ist eine begabte Cellistin, er ein erfolgreicher Journalist - und haben gerade den Traum von einer kleinen Familie verwirklicht. In ihrem Stadtviertel voller Flair und der Altbauwohnung, in der Isabell bereits als Kind gewohnt hat, genießen sie das Leben zu dritt, nichts scheint wichtiger als die geregelten Abläufe, die Verbundenheit miteinander. Doch ein kleiner Missklang schleicht sich ein, als Isabell nach der Geburt ihres Sohnes wieder im Orchestergraben sitzt. Als sie ihr Solo spielt, beginnen ihre Hände zu zittern - winzig beim ersten Mal, doch mit jedem Auftritt ärger. Gleichzeitig mehren sich die Gerüchte, der Verlag würde Georgs Zeitung verkaufen. Plötzlich scheint nichts mehr sicher. ... nimmt dann das Cello und vergewissert sich, dass sie ohne Probleme, ohne den Hauch eines Zitterns spielen kann; ihre Fähigkeit ist unbeschädigt, ihre Hände sind gesund, wenn sie für sich allein spielt. Dann ist alles möglich, ist alles eine Suche, sie und das Cello wachsen zusammen, werden zu einem Organismus mit einem Kreislauf aus Ruhe und Kraft, aus Bewegung und Klang. Doch im Theater kehrt die Angst zurück, jeder Abend ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, kein unkontrolliertes Zittern, nein, es kommt auf den Punkt genau, wenn sie verwundbar ist. (S. 79) Isabell lässt sich krankschreiben, verliert das Engagement am Theater, und Georg muss sich ebenfalls nach einer neuen Stelle umschauen, nachdem die Zeitung verkauft ist. Gleichzeitig wird nach umfassender Sanierung des Hauses die Miete erhöht. Der Druck und die Verunsicherung wachsen. Isabell spricht nicht über ihr Problem, hat Sorge, dass das Zittern real wird, sobald sie es benennt, hofft, es gehe so vorüber, zieht sich in sich zurück. Georg fühlt sich zunehmend als Versager, der seine Familie nicht versorgen kann, die Alternativen scheinen reizlos, kein anderer Job, kein anderes Haus zumutbar. Was geschieht, wenn Lebensträume platzen? Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räume ein. Früher haben er und Isabell das oft gemeinsam gemacht. Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, geschmackvolle Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen (...) lässt ihn seine Nachbarschaft im Stich. Sie stößt ihn davon. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sagen alle dasselbe: Wir können, du nicht. (S. 200 f.) Isabell, die das kommende Unheil nicht wahrhaben will, trotzig Einkäufe tätigt wie zu den Zeiten, als das kein Problem war, so lange es eben noch geht. Und Georg, der zu rechnen beginnt, zum sparsamen Mahner wird, Discounter nun statt Bioladen. Ängste, Schuldgefühle, Unsicherheit - und über allem die Sprachlosigkeit. Es fehlen die Worte, die eine gemeinsame Lösung finden lassen könnten, die Verständnis für die Situation des anderen bringen würden, die wieder eine Gemeinsamkeit entstehen lassen könnten. So irrt jeder einzeln für sich wie ein Trabant durch die Unsicherheit, isoliert sich immer mehr, fühlt sich unverstanden und am Rande des Erträglichen. Das stark geglaubte Familienband zerfasert, droht zu zerreißen, in den Abgrund der Scherben der Lebensentwürfe zu trudeln. Sie verachtet seine Vernunft und nimmt ihm seinen Mangel an Eitelkeit übel. Eine gewisse Eitelkeit, die verhindert, dass sie sich den miesen Umständen vorauseilend anpassen, dass sie eins werden mit den miesen Umständen, dass sie diese Umstände eigentlich erst heraufbeschwören. (S. 224) Kristine Bilkau wählt in ihrem Debütroman eine distanzierte Erzählweise, lässt den Leser abwechselnd aus der Sicht Isabells und Georgs an den Geschehnissen teilhaben. Dabei legt sie in glasklarer Sprache Gefühle und Gedanken auf den Seziertisch, so dass der wachsende Druck, die zunehmende Sprachlosigkeit, der Verlust der Hoffnung trotz der distanzierten Sicht der Dinge greifbar, spürbar werden. Neben den sehr authentischen Charakteren präsentiert Kristine Bilkau darüber hinaus mit der Infragestellung von Lebensentwürfen ein Thema, das auch den Leser mit einbezieht. Jeder kann seiner Situation entsprechend etwas aus der Erzählung herauslesen, für sich als wesentlich und bedeutsam herausfiltern, wird dazu verführt, sich mit Themen und Fragen des Lebens zu beschäftigen. Ich frage mich, wie lange es hier so weitergehen kann. Ich fühle mich wie unter Wasser. Ich tauche, ich halte die Luft an, eine Weile wird es noch gehen, aber ich weiß, lange halte ich es nicht mehr durch. (S. 195) Ein melancholisch gestimmter Roman, der aber nicht in die Hoffnungslosigkeit abgleitet, sondern eine Perspektive bietet, der Titel durchaus passend gewählt. Für mich eine überraschende Entdeckung, die ich hiermit sehr gerne weiterempfehle! © Parden

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Da ist er also – fast könnte man sagen: endlich. Der Roman, der, ganz aktuell, die Unsicherheiten, Sorgen und Ängste einer jungen Familie zeigt, die zwischen ihren familiären Wünschen, ihren Lebensträumen und Werten, und den Ansprüchen einer auf Effizienz und Kostenoptimierung gedrillten Berufswelt zu scheitern droht. Und sie erzählt, wie Leistungsdruck, die notwendige Anpassung an die gegebenen Bedingungen, der Zwang zur Selbstoptimierung, zum bestmöglichen Verkaufen der eigenen Qualitäten, die beiden Protagonisten langsam aber stetig vergiftet, so weit, dass sie sich selbst zu verlieren scheinen. Georg, Isabell und der einjährige Matti leben in einem alten Haus, aus der Jahrhundertwende, in das Isabell vor fünfundzwanzig Jahren schon mit ihrer Mutter eingezogen ist. Isabell liebt ihren Stadtteil, kennt alle Straßen und Parks, hat Erinnerungen an Einkäufe mit ihrer Mutter in der Nachbarschaft, an das Spielen mit Freundinnen, ihren ersten Kuss. Sie hat aber auch miterlebt, wie die kleinen Fachhändler, die Handwerker mit ihren Produkten und Dienstleitungen schließen mussten, wie in jüngster Zeit neue Läden entstanden, die jetzt mit dem Anhängsel „Manufaktur“ oder „Werkstatt“ trotz höherer Preise alle Kunden auf sich ziehen und dem letzten alteingesessenen Bäcker den Garaus machen. Sie hat gesehen, wie die anderen Häuser renoviert und mit freundlichen Farben gestrichen werden, „in Hellblau, Lindgrün, und aufreizendem Himbeerrot, mit weißen Ornamenten, nach und nach herausgeputzt während der letzten Jahre“. Nun wird auch ihr Haus renoviert, seit Wochen hängt eine Plane am Haus herunter, schirmt die eigene Wohnung von der Außenwelt ab: Die milchige Hülle macht die Wohnung zu einem verborgenen Raum, sie verbreitet ein Höhlengefühl. Tagsüber filtert sie das Licht und lässt es geschwächt in die Zimmer, nachts ist sie wie ein schützender Mantel. (S. 9) Ein bisschen fühlt Isabell sich wohl in ihrem eingerüsteten Haus, wie Matti vor einem Jahr in ihrem Bauch, gedämpft nur die Eindrücke, die von außen kommen, die Realität ein gutes Stück entfernt. Aber die Veränderungen sind schon da: Die Renovierung wird eine Mieterhöhung nach sich ziehen und seit Isabell wieder arbeitet, als Cellistin in einem Musical, ist die gemeinsame Zeit als kleine Familie auf einen Tag in der Woche zusammengeschmolzen. An jedem anderen Tag wartet Isabell darauf, dass Georg aus seiner Redaktion nach Hause kommt, schon packt sie ihren Cellokasten und eilt in ihre Vorstellung. So ist zwar Matti rundum liebevoll versorgt, auf die Dauer zufriedenstellend ist diese Form des Familienlebens für Georg und Isabell sicher nicht. Und es gibt ja noch ein weiteres Problem: Seit kurzem – seit ihrer Rückkehr nach der Elternzeit? – zittern Isabells Hände beim Spielen. Nicht, wenn sie zu Hause spielt, für sich, für Matti, dann ist sie eins mit ihrem Instrument, eins mit der Musik. Aber bei Auftritten, passiert es immer häufiger, erst bei ihrem Solo, und dann wird es Tag für Tag schlimmer. Isabell fühlt schon die Blicke ihrer Musikerkollegen auf sich, sie kann sich gut vorstellen, was sie hinter ihrem Rücken reden, dass sie es nämlich nicht schafft, nicht mehr auf der Höhe ist, nicht mehr gut genug. Sie recherchiert im Netz, findet neurologische Erkrankungen, die gerade Musiker befallen, weiß aber eigentlich genau, dass das nicht ihr Problem ist, weiß, dass sie mit der Aufregung, mit dem Stress nicht umgehen kann, dass sie dünnhäutiger geworden ist, seit Mattis Geburt. Sie schweigt über ihre zitternden Hände; so lange sie schweigt, ist es nicht wahr. Auch Georg, der Journalist, ahnt, dass etwas in der Luft liegt. Er träumt vom Aussteigen, sucht stundenlang im Internet günstige Bauernhöfe weit draußen auf dem Land, bevölkert die Räume in seiner Fantasie mit seiner Familie und versucht zu erfühlen, wie es wäre, dort zu wohnen. Seinem Ressortleiter Matthias schlägt er eine Artikelreihe vor, in der er solche Aussteiger mit ihrem Lebenskonzept vorstellt und besucht als erstes einen ehemaligen Verpackungsdesigner internationaler Marken auf seinem Selbstversorgerbauernhof. Der hält sich nicht nur mit dem Anbau des eigenen Obstes und Gemüses über Wasser, sondern bietet auch in der Nachbarschaft Webdesign an, seine Freundin verkauft selbstgemachte Marmeladen und Cremes an Feinkostläden und Kinderboutiquen. Und genau hier, bei Björn auf dem Land, wird Georgs Sorge, dass es mit seiner Zeitung, die so wenig angepasst ist an die neue digitale Zeit, so nicht weitergehen kann, zur Gewissheit, denn Björn findet im Internet die Meldung, die Zeitung werde geschlossen oder verkauft. Und auch Isabells Engagement wird nicht verlängert – mal davon abgesehen, dass sie sich wegen der zitternden Hände hat krankschreiben lassen. Die Einrüstung des Hauses wird abgebaut, das Haus passt in seinem schönen Gelb zu den anderen Häusern, die Welt draußen erscheint nun nicht mehr in diffusem, milchigem Licht. Die Mieterhöhung kommt, Isabell macht eine lange Ergotherapie und Georg eilt von Bewerbungsgespräch zu Bewerbungsgespräch. Die beiden fangen an, sich zu beobachten, zu belauern; Georg nervt, dass Isabell weniger und weniger mit ihm spricht, Isabell kann Georgs missmutiges Gesicht nicht mehr sehen; Isabell meint, Georg werfe ihr vor, sich nicht genug anzustrengen, dann würde es auch mit einem neuen Engagement klappen, Georg denkt, Isabell sehe mehr und mehr einen Versager in ihm, weil er keinen neuen Job findet und ihr zumutet zu sparen. Ihr kleines privates Glück beginnt sich im Schweigen, in wenig unterdrückten Vorwürfen, manchmal gar im Streit aufzulösen. Kristine Bilkau ist ein grandioser Roman gelungen, der zeigt, welchen massiven Einfluss die gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen haben auf das Private. Sie veranschaulicht damit die theoretischen Überlegungen, die Byung-Chul Han in seinem Essay „Psychopolitik“ dargelegt hat. Ihre Figuren zeigen, wie brüchig die Lebensentwürfe sind, wie schnell sie scheitern können. Isabell, die Musikerin, die den Beruf gewählt hat, der zu ihr passt, ihr Spaß und Befriedigung bereitet, kommt mit dem Druck, immer die volle Leistung bringen zu müssen, nicht zurecht; ihre Emotionen spielen ihr einen Streich. Und Georg, auf den die Eltern so stolz gewesen sind, weil er studiert hat, als Akademiker doch ganz andere Möglichkeiten hat als sie mit ihrem Elektrofachgeschäft, scheitert, weil er in einem Beruf, in einem Unternehmen gelandet ist, dass sich eben gerade nicht auf die neuen Entwicklungen eingestellt hat. Isabell und Georg leiden, jeder auf seine Weise, unter dem Zwang, sich immer wieder zu optimieren, sich immer wieder an die Umweltbedingungen anzupassen, immer wieder zu agieren, als seien sie Unternehmer mit vielen anderen Wettbewerbern um sich herum, auch eine Last werden kann, zur Krankheit führt, weil Isabell sich den Anforderungen nicht mehr stellen kann, zum Gefühl ein Verlierer zu sein, weil kein passendes Jobangebot kommt. Und so wird gerade für Georg die eigene Arbeitssuche auch zu einer Auseinandersetzung mit seiner Haltung als Journalist. Als er ausgerechnet bei einer Luxusimmobilienmaklerin sitzt, die Kundenmagazin und ein Mitarbeitermagazin – „Das Büro in Rio de Janeiro soll die Erfolge der Kollegen in Sydney kennen“ – herausgeben möchte, da kann er seinen Ekel kaum noch zurückhalten – und weiß doch, dass er sich aus ökonomischer Sicht diese Haltung nicht leisten kann, dass er mit dieser Haltung zum „Ladenhüter“ wird, zum „Inanspruchnehmer“ sozialer Leistungen. Laufbahn, Laufen, auf der für ihn bestimmten Bahn, ein Sprint, nein, ein Langstreckenlauf, bei dem ihm jetzt schon die Luft ausgeht. Sein Leben besteht aus Etappen, die vor allem davon geprägt sind: ständig zu spät zu kommen. Zu spät geboren zu sein, um den digitalen Wandel und die fragilen Kapitalmärkte als exotische Kosmen irgendwie, weit weg zwar, wahrnehmen dürfen, aber sie nicht sofort aufs eigene Leben, auf die höchstpersönliche Existenz in den eigenen vier Wänden beziehen zu müssen. Zu spät, um an einen Beruf glauben zu dürfen, ohne Angst vor Zahlen und Umstrukturierungen. Wie gut hatten es die alten Kollegen noch. Sie strahlten diese Sicherheit aus, den richtigen Job gewählt zu haben. Im Sommer ging´s ins eigene Landhaus, Provence oder Toskana, und die Rente war auch komfortabel. (S. 123) Bilkaus Figuren machen ganz deutlich, was es heißt, sich dieser Situation zu stellen. Die Autorin erzählt die Geschichte ihrer sehr komplexen Figuren auch sprachlich und konzeptionell überzeugend. Und sie zeigt auch einen Ausweg, einen kleinen Hoffnungsschimmer zumindest auf. Und so liegt er endlich vor, der Roman zur Zeit, der Roman, der die – fast möchte man sagen: ganz normalen, aber so viele Familien betreffenden – Nöte und Sorgen zeigt. Kristine Bilkau (2015): Die Glücklichen, München, Luchterhand Literaturverlag Das Leseexemplar habe ich beim Verlag angefordert.

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