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Rezensionen zu
Die Besiegten

Robert Gerwarth

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„Vae Victis“ („Wehe den Besiegten“) soll der Gallierkönig Brennus Livius zufolge nach der Plünderung Roms im 4. Jahrhundert vor Christus ausgerufen haben. Das Leid der Besiegten (im englischen Original stärker: „The Vanquished“) ist auch Thema der vorliegenden Studie über „das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs“, die der in Dublin lehrende deutsche Historiker Robert Gerwarth bereits 2016 vorgelegt hat, und die dankenswerter Weise mittlerweile von der Bundeszentrale für politische Bildung lizensiert wurde. Zentrale These: Von einer „Zwischenkriegszeit“ 1918-1939 kann für die meisten Staaten Europas (und darüber hinaus) kaum gesprochen werden. Auch nach 1918 zogen sich „gewaltsame, kriegerische Auseinandersetzungen in einem weiten Bogen von Finnland und den baltischen Staaten über Russland, die Ukraine, Polen, Österreich, Ungarn und Deutschland bis auf den Balkan und weit hinein nach Anatolien und den Kaukasus“, wie eine österreichische Zeitung im Mai 1919 vermerkte. Auf der „Verliererseite“, also bei den Bewohnern der untergegangenen multi-ethnischen Reiche der Habsburger, der Romanows, der Hohenzollern sowie des Osmanischen Reiches mit seinen Nachfolgestaaten und Bulgarien, aber auch in Griechenland und Italien kultivierte sich ein radikaler Nationalismus, der aus dem Gefühl gespeist wurde, um den sicher geglaubten Sieg betrogen worden zu sein; entweder durch „Verrat an der Heimatfront“ oder durch die Machinationen der westlichen Großmächte mit ihren Vorstellungen von Demokratie und Liberalismus. Griechenland stand 1918 eigentlich auf der Siegerseite, wurde jedoch durch den Griechisch-Türkischen Krieg und die „Große Katastrophe“ von 1922/23 um die Früchte dieses Sieges gebracht. In Italien war die Vorstellung vom vittoria mutilata („verstümmelter Sieg“) weit verbreitet. Der teuer erkämpfte Sieg an der Alpenfront wurde in dieser Lesart bei den Pariser Friedensabkommen leichtfertig verspielt. Was bei den zahlreichen Staatsneugründungen 1918 heraus kam, waren ja nicht die erstrebten „Einvölkerstaaten“, sondern wie etwa im Falle Polens, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei „Vielvölkerreiche im Miniaturformat“. Inmitten eines verbreiteten Ideals von „ethnischer Reinheit“ kam es in der Folge zu millionenfacher Gewalt durch Vertreibung, „Heimholung verlorener Volksgruppen“ und Rückgewinnung „historischer“ Gebiete. Inmitten dieser oftmals chaotischen Entwicklungen macht Gerwarth plausibel, dass die klassische Periodisierung „1914-1918“, 1918-1939“ und „1939-1945“ in vielen Fällen unzutreffend, zumindest angreifbar ist. Eine deutliche Brutalisierung, eine zunehmend „genozidale Logik“ macht er bereits in den letzten beiden Weltkriegsjahren aus. Nun ging es um vermeintlich existentielle Fragen: Den Fortbestand oder die „Wiederauferstehung“ der eigenen Nation oder Klasse, die „Auslöschung“ des Gegners als Mitglieder einer anderen Ethnie oder als „Klassenfeind“. Diese verheerende Phase konnte in etwa mit dem Abkommen von Lausanne 1923 (vorerst) beendet werden, bevor sie dann zwischen 1939 und 1945 in Mittel- und Osteuropa schließlich die Oberhand gewinnen konnte. In Lausanne schaffte es der später „Atatürk“ genannte Mustafa Kemal, den für die Türkei nachteiligen Friedensvertrag von Sèvres zu „überwinden“ – ein Fanal, das sich andere „Revisionisten“ zum Vorbild nahmen. Vermag die Periodisierung 1917-1923 zu überzeugen? Jede Einteilung ist problembehaftet: „Im Gliederungsprozess widersetzen sich manche Aspekte der Ein- und Unterordnung. Erweisen sie sich als repräsentativ, bilden sich Gegennarrative“ (Hannes Leidinger). Das blutige Erbe des Ersten Weltkrieges, so vermag Gerwarth konzise im Abschlussfazit zu zeigen, entlud sich später im Zweiten Weltkrieg, der in vielerlei Hinsicht wie ein Echo auf „1918“ wirkt. So bezogen sich etwa Hitler oder Mussolini immer wieder auf dieses Datum. In Südosteuropa ging dieses Prozess bis in die 1990er Jahre, und im Nahen Osten sogar bis in die Gegenwart. Syrischer Bürgerkrieg, die Forderung des „Islamischen Staates“, das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zu revidieren, die Revolution in Ägypten – all dies sind ferne Echos des Ersten Weltkriegs, die jedoch eingebettet sind in eine Konfliktgeschichte der Region, die teilweise über 3.000 Jahre alt ist. Gerwarths Beitrag zu den 1918-Jubiläen ist dennoch produktiv. Das Aufräumen mit nationalen Mythen, die Schaffung eines europäischen Verständnisses der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermag auch Konflikte der Gegenwart zu erklären. So ist „Trianon“ in Ungarn bis heute ein nationales Trauma. Um es je zu überwinden bedarf es Kenntnis und Einsicht.

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„Die Besiegten“ Das blutige Ende des Ersten Weltkriegs. Robert Gerwarth. Neuerscheinung Siedler Verlag. 1914-1918. Der längste und grausamste Krieg der bisherigen Weltgeschichte. 70 Millionen Soldaten stehen unter Waffen. Nach vier endlosen Jahren in Schützengraben und Artilleriefeuer sterben fast 10 Millionen an der Front. Verwundet, verstümmeltet werden mehr als das Doppelte der Gefallenen. Über 7 Millionen Zivilisten müssen in Krieg und Terror ihr Leben lassen. Ein blutiger Krieg, dessen Flut des Schreckens und der Gewalt 1918 nicht zu Ende kommt. Es ist ein langer Weg zum Frieden, der noch bevorsteht… Robert Gerwarth, Historiker und Direktor des „center of war studies“ in Dublin, legt nun eine kriegshistorische wie politische Spurensuche nach dem schleichenden Ende des I.Weltkrieges und der Entwicklungen und Prozesse zu neuen staatlichen wie gesellschaftlichen Leben nach der „großen Apokalypse des Krieges“ vor. Gerwarth legt in eingehender historischer Betrachtung dar, dass das Ende des Weltkriegs, vor allem im geographischen Schwerpunkt Ost- wie Südosteuropa (etwa in Ungarn, Polen, Bulgarien oder Rumänien), in ein „europäisches Krisenszenario“ mündete, das viele zwischenstaatliche Konflikte in sich barg. Dabei geht Gerwarth auf den Polnisch-Sowjetischen wie Griechisch-Türkischen Krieg und auch auf den Einmarsch der Rumänen in Ungarn ein. Ebenso kommt es zu innerstaatlichen Bürgerkriegen, wobei vor allem die russische Revolution zu nennen ist aber auch Konflikte in Deutschland, Irland und Finnland. Die Gemeinsamkeiten dieser Konfliktherde sind sozial und national motivierte Antriebe, die den Kontinent über Jahre erschüttern… Gerwarth legt ein historisches Fachbuch vor, das fundierte Information neuester Geschichtsforschung in gutem zusammenschauenden Erzählstil bietet und so auch ein Leseerlebnis zu einem großen Thema öffnet, dessen Folgen bis in die Gegenwart Europas reichen. Ein ausführlicher Anhang mit umfassender Bibliographie, Anmerkungen, Personen- und Ortsregister sowie Bildnachweis ermöglichen weiterführende Vertiefungen und Ausblicke. Robert Gerwarth, Die Besiegten – Das blutige Ende des Ersten Weltkriegs. Neuerscheinung Siedler Verlag. Walter Pobaschnig, Wien 5_2017 https://literaturoutdoors.wordpress.com https://literaturoutdoors.wordpress.com/Rezensionen

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In seinem Werk „Die Besiegten“ geht der Autor auf die Zeit von 1918-1923 ein. Dabei zeigt er in drei großen Teilen, sehr spannend aber auch tramatisch auf, wie vor allem in den Verliererstaaten, Deutschland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich, Russland, aber auch in vielen Balkan und Osteuropäischen Staaten, durch Revolutionen, Progrome, und ganz besonders durch ideologische Auseinandersetzungen, Millionen von Menschen ums Leben kamen. Dabei zeigt er, wie die Hemmschwelle zur Gewalt immer weiter herabsank und das die Brutalität immer größere Ausmaße annahm. Denn alleine in Russland starben in dieser Zeit fast 10 Millionen Menschen. Darum versucht er dem Leser fast schon einen Blick, in die Psyche der Menschen dieser Zeit zu geben. Denn er möchte mit seinem Buch, dem Leser ein genaues Bild der extremen Situationen geben, in dem sich die Menscheit zu dieser Zeit befand, aber alles, ohne dies je zu verhamlosen (im Gegenteil), oder irgendwie zu rechtfertigen oder gar gutzuheißen. Auch versucht er einen gemeinsam nenner aufzuzeigen, warum am Ende der 1920er Jahre in Mitteleuropa, der Faschismus/Nationalsozialismus, die Oberhand gewinnen konnte. Dazu zeigt er den Unmut der Menschen, der durch die „Ungerechten“ Reperationszahlungen, aufgezwungene abtrettungen von Gebieten, uvm., die durch die Alliierten Frankreich, England und die USA, vor allem in Deutschland und Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, entstand. Auch gibt er klar zu verstehen, das eine bewusste Demütigung und Zerstörung der damals beiden größten Reiche der Welt, das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn, nicht ganz so  zufällig war. Aber auch die wachsende Angst vor dem Bolschewismus, durch Lenin in Russland, ließ in unzähligen Ländern Europas, die Gewalt explodieren. Zudem zeigt er auf, wie es in fast allen Teilen der Welt, zu einem radikalen Antisemitismus kam. Zusätzlich ist noch zu sagen, das er viele Personen dieser Zeit näher beleuchtet, wie Lenin, Moussolini, uvm. Die zahlreichen Zitate und einige Original Schwarzweiß Fotos, aus jener Zeit, runden das Werk ab. Ein Werk das ich jedem Geschichtsinteressierten empfehlen kann.

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Was am Ende des ersten Weltkriegs übrig blieb waren nicht nur Millionen von Toten, zerstörtet Weltmächte und eine tiefgreifende Veränderung der politischen Landkarte Europas samt dem ersten, nachhaltigen und eindeutigen Eingreifen Amerikas als militärische „Supermacht“, zumindest als entscheidendes Zünglein an der Waage, sondern, und das vor allem wurde prägend für die gesamte weitere Geschichte des 20. Jahrhunderts, der erste Weltkrieg brachte im eigentlichen Sinne keinen Frieden, sondern legte die Grundlagen für Gewalt, Aufbegehren, ein zutiefst instabiles Gleichgewicht. Und das lag nicht nur an den immensen und letztlich nicht leistbaren Reparationszahlungen, die den Verlierern, an vorderster Front Deutschland, auferlegt wurden. Vielmehr kann man auch konstatieren, dass ein ideologisches Vakuum der Mächte entstand. Das eine ganze Welt, die der Monarchie, der Feudalherrschaft, der klaren Blöcke untergegangen war. In Russland die Revolution, in Deutschland die Weimarer Republik, in Italien eine schwache Regierung, wie auf Sand gebaut erscheint, was der Krieg und die darauffolgenden Ansprüche und Verteilungskämpfe neu ins Leben rief. So wurde nicht eine neue „Weltordnung“ geschaffen, sondern, zum Teil aus Unvermögen, zum Teil aus Gier, zum Teil aus Hybris und aus mannigfaltigen anderen Motiven, ein höchst instabiles „Gebäude Europa“, gebeutelt von Gewalt, versuchten und gelungenen Staatsstreichen, einem kollektiven „Genussleben“ der „wilden zwanziger Jahre“, als gäbe es kein Morgen, wie Gerwarth fundiert aufweist. So ist gerade der dritte Hauptteil des Buches über den „imperialen Zerfall“ ein intensiv zu lesendes, packendes Stück Geschichte, in dem mehr als deutlich wird, dass, folgt man Gerwarth, dass das dritte Reich und die Nationalsozialisten mit ihrer von Beginn an gewaltträchtigen und kriegerischen Sprache eben nicht „wegen des Interesses am Krieg“ oder an „Rache für Versailles“ an die Macht gelangen konnten, sondern aufgrund ihres Versprechens, des Mitschwingens einer „ordnenden Kraft“. Dass nach Räterevolution, kulturellen Experimenten, Währungskrise, Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit und was der Dinge alle noch waren „Stabilität“ der wohl größte Wunsch der meisten Menschen jener Zeit war. Eine vorhergehende Unordnung, die in den Jahren nach dem Krieg in vielfachen „kleineren Konflikten“ (denen Gerwarth im Einzelnen nachgeht) weitere Millionen von Menschen das Leben kostete. Dessen der überwältigende Teil der europäischen Bevölkerung letztlich einfach überdrüssig war. Eine Linie, aus der heraus vielleicht sogar die Langmut der Siegermächte, allen voran Großbritanniens, zu erklären ist, was die zunächst tastenden, dann energischen Gebietsvereinnahmungen später durch Hitler angeht. Eins vor allem galt nach dem ersten Weltkrieg, gerade nach offizieller Kapitulation. “Der Krieg ist nicht zu Ende“. Er wurde nur Kleinteiliger oder auf andere „Schlachtfelder“ (die der Wirtschaft und der Politik“ verlegt. Wovon auch der rigide zunehmende Antisemitismus nicht nur in Deutschland ein beredtes Zeugnis ablegte. So waren die Jahre „danach“ nur eine „Illusion von Frieden“, wie Gerwarth flüssig im Stil herausarbeitet, und wie die Nachkommen aus heutiger Sicht klarer erkennen als jene, die damals „mitten im Leben“ standen. Dass alle Versuche, stabile Ordnungen herzustellen, letztlich nur die Instabilität erhöhten und geradewegs auf die nächste, große, dann immens vernichtende Auseinandersetzung herausliefen. Eine hervorragende Lektüre in einer Zeit, in der wiederum festgefügt geglaubte demokratische Werte und „Weltordnungen“ in temporeicher Auflösung begriffen sind und ein Werk, bei dem der Satz stimmt, dass aus der Geschichte elementare Wahrheiten zu lernen sind. Wenn man richtig und ohne ideologische Brille hinsieht.

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