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Rezensionen zu
Anleitung zum Gehen

Edo Popović

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Die Frage nach der guten Gestaltung des eigenen Lebens ist so alt wie der Mensch selbst. Was macht ein schönes Leben aus? Welche Bedeutung wollen wir den Dingen geben? Edo Popovic reflektiert genau darüber in seinem Buch „Anleitung zum Gehen“. Er kommt dabei ganz ohne dieses herkömmliche Entschleunigungs-Psychotherapeuten-Geblubber aus. Edo Popovic Ein kroatischer Schriftsteller schafft es ins Deutsche übersetzt zu werden und kommt dabei noch bei einem größeren Verlag unter. Das passiert in Deutschland nicht so oft. Eigentlich orientiert man sich doch gern an der englischen Literatur und den Trends aus Übersee. Edo Popovic wurde 1957 in Bosnien-Herzegowina geboren und lebt seit 1968 in Zagreb. Er ist ein kroatischer Schriftsteller. In den Neunzigern war er Kriegsberichterstatter über den Balkankonflikt. Von ihm wurden schon mehrere Bücher ins Deutsche übersetzt, beispielsweise „Mitternachtsboogie“ oder „Der Aufstand der Ungenießbaren“. „Anleitung zum Gehen“ Wir sprechen hier nicht über ein Buch über das Schlussmachen, wobei es das indirekt auch sein könnte. Eigentlich geht es um das menschliche Selbst und ob es wirklich so gut ist, was wir mit uns und dem Planeten Erde so anstellen. Im weitesten Sinne handelt dieser poetische Ratgeber von Entschleunigung und der Besinnung auf die wichtigen, relevanten Dinge. „Anleitung zum Gehen“ ist wunderschön gestaltet, viel Weißraum, sehr clean, aber Bilder und Zitate kommen dadurch richtig gut zur Geltung. Eigentlich ist das Buch Urlaub für die Augen. Seinen Urlaub schien Edo Popovic ziemlich häufig mit Wandern und Bergsteigen verbracht zu haben. Das nimmt ab der zweiten Hälfte des Buchs ziemlich viel Platz ein und nervte mich etwas. Aber das ist mein einziger Kritikpunkt. Für mich war das Lesen von „Anleitung zum Gehen“ sehr erholsam und entspannend. Manchmal braucht man jemanden im Leben, der einen fragt, ob es wirklich so schön ist, dass sich hinter dem eigenen Rücken der Blödsinn im Regal stapelt. Man besitzt zu viel Schnulli und eigentlich frage ich mich ständig, wo der herkommt und ob man den auch sinnvoller verwenden könnte. Jetzt wäre die passende Gelegenheit, um ein Untergangslied auf den Kapitalismus anzustimmen, aber das lassen wir heute mal. Wir haben nur das, nur das ist uns gegeben. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft, sondern nur dieser kurze Augenblick der Gegenwart. – S. 37 Zu Beginn des Buchs fragt Edo Popovic, was sich eigentlich verändert, hat seit der Zeit, als wir als Affen auf Bäumen saßen. Im Grunde fällt die Antwort ziemlich ernüchternd aus. Der Mensch schwitzt, friert und hat auch immer noch Hunger. Die launen der Natur können wir auch heute noch nicht voraussagen. Was sich wirklich geändert hat, ist unsere Geschwindigkeit und wir haben mehr Angst. Wir bewegen uns wahnsinnig schnell auf dem Planeten, machen irgendwelche extrem wichtigen Aufgaben, aber wirklich ein Ziel haben wir auch heute nicht. Die wenigsten Sachen, die wir machen, fallen nicht dem Nihilismus anheim, wenn man genauer über sie nachdenkt. Aber dafür haben wir mehr Angst. Als der Mensch noch ein Affe war, gab es die Angst gefressen zu werden von irgendwelchen wilden Tieren oder durch Naturkatastrophen und Feuer drauf zu gehen. In Europa muss man vor Wildtieren nur noch selten Angst haben, aber Feuer und Naturkatastrophen lehren uns immer noch die Furcht. Dazu gekommen ist die Angst vor dem beruflichen Versagen, die Angst die Kreditrate nicht mehr finanzieren zu können, die Angst, dass irgendwas kaputt geht von dem Blödsinn im Regal, die Angst es der Gesellschaft oder Familie nicht Rechtmachen zu können, die Angst zu faul zu sein, … Ich höre an dieser Stelle besser auf, sonst können wir alle heute nicht mehr ruhig schlafen. Rein objektiv geht es uns besser als damals, aber subjektiv unterziehen wir uns einem ziemlichen Terror. Wir hören nicht, wir sehen nicht, wir verstehen nicht, und falls wir nach all dem noch etwas verspüren, dann ist es Leere. Eine riesige Leere klafft in uns, und wir müssen etwas tun, um sie zuzuschütten. – S. 49 Das geht mit der Wahrnehmung von Zeit weiter. Ständig verplanen wir unsere Tage. Während wir brav alle Termine schön abarbeiten, nehmen wir dann unser Leben nicht mehr war aus lauter Hektik. Das ist doch auch nicht richtig. Aber wie sollte der Mensch etwas ändern können? Edo Popovics Erkenntnisse sind nicht neu, aber wirklich eine Änderung vollführt der Mensch nicht. „Anleitung zum Gehen“ lehrt dem Leser eine gewisse Ehrfurcht vor dem Selbst. Es zeigt, dass nicht immer das wichtig ist, was wir für wichtig halten. „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Das wusste schon Kafka. Nach Edo Popovic denke ich eher, ein Buch muss die Axt sein für das stürmende und ewig gierige Meer in uns sein. Dieses Meer steckt in jedem von uns und es frisst sich beharrlich und unaufhaltsam durch die Welt, es rafft, soviel es kann. Fazit Es ist Urlaubszeit, wir haben Zeit zum Nachdenken, wir haben Zeit zum Lesen. Lest „Anleitung zum Gehen“ und denkt über die wichtigen Dinge nach.

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Ich gehe gerne. Wäre Berlin nicht so groß, würde ich öfters irgendwo hingehen. So gehe ich höchstens nirgendwo hin, das heißt, vor allem nicht zu Terminen, außer sie liegen wirklich nur um die Ecke. Edo Popovics “Anleitung zum Gehen” wäre da, so meine Hoffnung, ein Hinweis auf vielleicht neue Arten des Gehens oder auf alte, vergessene Techniken. Dass es dabei ums Überleben gehen soll und auch noch mit poetischem Anstrich (beides steht auf der Rückseite des gerade 175 Seiten starken Buches) schreckte mich nicht. Ich hätte über die “Anleitung” stolpern können, verpasste aber genau das. Und schon geht es los, mit dem ersten Schritt gleich im ersten Kapitel, der vor dreieinhalb oder vier Millionen Jahren auf diesem Planeten von einem ersten menschenähnlichen Bewohner getan wurde und der, so scheint es beim weiteren Lesen, dem Verhängnis freien Lauf ließ. Natürlich brauchte es noch andere Veränderungen, so musste vor allem das Gehirn größer werden, und ab da war endgültig Schluss mit der natürlichen Geruhsamkeit. Eile bestimmt seither die menschliche Herde, den Blick fest auf den Horizont gerichtet, die Verbindung zu den vierbeinigen Erdmitbewohnern gekappt (zu den anderen erst recht). Klar was jetzt kommt? Leider ja. “Wir” sind deformiert, wir sind dekadent, weil wir uns anziehen, in Wohnungen leben, Geld verdienen, Autos fahren und Computer spielen. Alle diese zivilisatorischen Errungenschaften nämlich rauben uns Zeit und vor allem den Zugang zu uns selbst. “Wir” sind wie Hamster im Laufrad, wir bauen Häuser und Mauern und ziehen Grenzen und kennen unsere eigenen Bedürfnisse längst nicht mehr, weil wir nur noch Verpflichtungen gegenüber anderen unterliegen. Die ganze Leier der Kritik an der heutigen Zeit. Wären da nicht auffällig häufig Zitate aus der weiteren Vergangenheit, z.B. von Seneca, der anmerkt, und zwar ausdrücklich, weil es offenbar schon in der Antike in Vergessenheit geraten war, dass dem Menschen nichts wertvoller ist als die eigene Lebenszeit. Was mir an diesem “Wir” aufstößt, ist seine Schnoddrigkeit. Ich kenne zum Beispiel niemanden, der für ein Auto einen Kredit aufgenommen hat. Ich bin froh, in den eigenen vier Wänden zu leben, die aus Mauern sind, mit einem Dach drauf, nicht nur, weil ich darin nicht mehr nass werde oder gnadenlos friere, sondern auch, weil ich einen Rückzugsort brauche, ein Drinnen, um wieder nach draußen zu gehen. Computer und Telefon erleichtern mein Leben und ich weiß sehr genau, wovon ich spreche, denn ich bin in einer Umbruchzeit großgeworden, d.h. mein Studium habe ich noch an Zettelkästen und mit endlosen Fernleihen absolviert und das hat eine Menge Zeit gekostet. Auch auf eine Wäsche mit der Hand lege ich keinen gesteigerten Wert, und so weiter. “Wir”, das ist das einzige Phänomen, das ich unumwunden bejahen würde – aber es wird mit keiner Silbe erwähnt – “Wir” sind im Lauf der Jahrtausende immer mehr geworden. Das stellt allerdings ein großes, wenn nicht das größte aktuelle Problem auf unserer Erde dar. Außerdem – aber das ist eine eigene und sicher längere Überlegung Wert – ist es nicht leicht, sich der heutigen Eile zu entziehen. Wer genug Geld hat, kann es sich leisten. Wer wenig Geld hat, auch. Wer Kinder hat, kommt schon ins Schleudern. Und wer die Eile erst mal in ihrem gesamten Umfang akzeptiert hat, wird lange brauchen, sie sich wieder aus allen Fasern des Körpers zu kratzen. Es ist nicht unbedingt Dummheit, die die Menschen ins Hamsterrad zwingt. Und oft haben sie sich im Laufe des Erwachsenwerdens selbst aus den Augen verloren. Das sollten “wir” ernst nehmen und nicht “einfach” therapieren wollen. Nun gut. Gehen hilft natürlich. Und dass jede und jeder die Welt für sich selbst entdeckt, ist ein schöner Ansporn. Auch der Gedanke, dass mir nichts auf dieser Welt gehört, weder die Dinge, die ich gekauft habe, noch mein eigener Körper, hilft, mich auf ein wesentliches, von Zivilisationstand entschlacktes Leben zu konzentrieren. Aber ich kann der harschen Luxus-Kritik nicht folgen. Es gibt tatsächlich gekaufte Dinge, die mich glücklich machen, mein Fahrrad zum Beispiel, mein Füller, die Skates, mein Rechner, schöne Kleider und ja, sogar die Espressomaschine. Ich könnte auch ohne leben, aber für mich ist ihr Besitz ein Glück, das nicht weniger authentisch ist als der Blick aufs weite Meer. Für mich ist auch das von Meisterköchen zubereitete Essen kein “Fraß” angesichts einer frischen Paprika mit Roggenbrot und Rindfleisch. Natur, so viel ist klar, wird dem Autor zur letzten Instanz für ein gelungenes Leben. Was angesichts eines Berges seinen Wert behält, hat einen. Mir ist diese Sicht zu altväterlich. Den Wert der Dinge in meinem Leben bestimme ich, auch wenn ich mich gerne dem Berg stelle und in seinem Windschatten Demut übe. Ich mag auch Kunst oder Architektur nicht als “Firlefanz” abtun. Wir haben nun mal unser großes Gehirn. Das lässt sich – zumindest nicht so schnell – wieder abschütteln. Genug Uneinigkeit auf den ersten 90 Seiten. Zum Glück wird der zweite Teil besser. Hier wandern wir durch das kroatische Küstengebirge Velebit, lernen dessen Bewohner (Mensch und Tier und Vorfahr) kennen. Wir staunen, lassen die Gedanken schweifen, nicht ohne gelegentlich an die uns Städtern ungewohnte Gegenwart von Bären zu denken, hier entkommen wir der eigenen Hektik, nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Betrachten der wirklich hinreißenden Landschaftsfotos. “Das allererste Empfinden, das man am Berg verspürt, ist die Entschleunigung der Zeit. Nichts erinnert einen mehr an das Vergehen der Zeit, weder Straßenbahn, noch Busse und ihre Fahrpläne, weder die Uhren auf den großen Plätzen der Städte oder die Kirchenglocken, und auch keine Radio- und Fernsehprogramme, nichts außer Sonne und Mond, die sich in ihrem urtümlichen Rhythmus am Firmament ablösen. Man nimmt diesen Rhythmus an, beginnt darin zu leben.” (87) Den Autor Edo Popovic kannte ich vor der Lektüre von “Anleitung zum Gehen” noch nicht. Er gehört zu den zeitgenössischen kroatischen Schriftstellern, die hierzulande in Übersetzung zu lesen sind, seinen Erstling “Mitternachtsboogie” von 1987 allerdings erst verspätet seit 2010, die erste Erzählung erschien 2004. Wäre er ohne “Anleitung” mit uns losmarschiert, hätte mir das besser gefallen. Dennoch bin ich neugierig geworden und werde sicher noch einen Roman von ihm versuchen. Für das Rezensionsexemplar einen herzlichen Dank an Random-House.

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