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Rezensionen zu
Justizpalast

Petra Morsbach

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„Schon Thirzas Mutter wäre gerne Richterin geworden. Doch dann kam Carlos Zorniger dazwischen.“ Mit diesem Satz leitet Petra Morsbach ihren neuer Roman „Justizpalast“ ein, der auch soeben den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2017 erhalten hat. Imgrunde sagt dieser eine Satz schon viel über den Inhalt des Buches aus, denn es legt klar fest, dass Thirza nun gerade erst recht Karriere als Juristin machen will. Thirzas Mutter brach ihr Jurastudium ab und heiratete den wesentlich älteren erfolgreichen Schauspieler Carlos Zorniger. Das Glück hielt nicht lange vor. Die Tochter Thirza wächst bei ihren Tanten und ihrem Großvater auf und entschließt sich auch Jura zu studieren und Richterin zu werden. „Randbemerkung von Thirza: juristische Elite des 19. Jahrhunderts – Männer, adlig, Professoren! Wie einfältig wird eine Elite, die niemand infrage stellt! Und diese dümmliche Selbstgerechtigkeit bestimmte die Haltung zu Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein.“ Petra Morsbach hat neun Jahre für diesen Roman recherchiert und sie muss sich tief in die Materie eingearbeitet haben. Viele Fälle werden hier dem Leser geschildert und obgleich, sie versucht verständlich zu erklären, bleiben mir die Gesetzlichkeiten oft Böhmische Dörfer. Viele Fälle, von denen die Autorin erzählt, sind schon beim bloßen Lesen hanebüchen oder zum Fürchten. „Aus Gerichtsperspektive scheint jeder mit jedem zu streiten, das ganze reiche Land eine Horde von hereingelegten, und hereinlegenden, erschrockenen und erbosten, beleidigten und wütenden Bürgern. […] Sie prozessierten sich um Kopf und Kragen.“ Trotzdem ist es spannend einen Blick in die Gerichtsbarkeit und den Arbeitsalltag von Thirza zu werfen. Sie hat sich zielstrebig und mit großer Durchsetzungskraft hochgearbeitet, anfangs in einer fast nur männlich dominierten Welt, und richtet schließlich wie angestrebt im Justizpalast in München. Sie bemüht sich nicht nur Recht zu sprechen, sondern auch möglichst Gerechtigkeit walten zu lassen, was offenbar nicht immer das gleiche bedeutet. Aufgrund der vielen Arbeit, bleibt das Privatleben oft auf der Strecke. Thirza hinterfragt dann auch von Zeit zu Zeit, ob es das wert ist. Später, als sich privates Glück dauerhaft mit einem Mann – wie könnte es anders sein – einem Rechtsanwalt, einstellt, werden auch seine „Fälle“ noch ausdiskutiert. Als Max, inzwischen längst ihr Ehemann, nach vielen glücklichen Jahren aufgrund einer Krebserkrankung den Freitod wählt, stürzt sich Thirza schon kurz darauf wieder in die Arbeit bei Gericht. „Man lernte: Tausende Gesetze, von denen ein Nichtjurist die meisten auch bei mehrfachem Lesen nicht begreift, auf hunderttausend alltägliche Verstrickungen anzuwenden. Man bewertete zivile Ausgangspositionen nach gesetzten Prinzipien. Man entwarf, indem man Millionen Bürgerstreitereien entschied, ein Gesamtbild der Rechtssicherheit, das unsere Zivilgesellschaft stabilisiert und zu einer der angesehensten der ganzen Welt macht.“ Eine allwissende Erzählerin schickt uns zwischendurch immer wieder in der Zeit zurück Richtung Kindheit und Studium und kommentiert mitunter auch Thirzas Tun und Streben (und teilt ab und an kleine amüsante Seitenhiebe aus auf das männliche Geschlecht vor und hinter dem Richtertisch). Man sollte sich schon in gewissen Maße für unsere Rechtsprechung interessieren, um Vergnügen an diesem Roman zu haben, zumal er, sobald es um juristische Themen geht, und das tut es oft, mitunter sehr ausschweifend wird. Die Geschichte von Thirza selbst scheint mitunter ein wenig zu kurz zu kommen, dennoch schafft Morsbach in dieser Kürze viel auszudrücken, gerade auch was Thirzas klugen Blick auf ihre vergangenen Beziehungen angeht. Der Roman hat mir jedenfalls ungewohnte Einblicke in die Juristerei gegeben, auch wenn ich manchmal eine allzu ausführliche Urteilserklärung überblättert habe. Ich erinnere mich außerdem gerne an die bisher gelesenen Romane von Petra Morsbach, wie etwa Dichterliebe und Opernroman, bei denen mir die Themen jeweils näher waren.

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Thirza Zornigers Start ins Leben war schon nicht besonders glücklich. Ihr Mutter träumte von der Karriere in der Justiz, genau wie ihr Vater, aber als sie den Schauspieler Carlos Zorniger trifft, gibt sie die beruflichen Ambitionen zugunsten der Ehe auf. Diese ist kurz und schmerzvoll und der Rest des Lebens wird nicht besser. Die Tochter verbringt die meiste Zeit bei Großvater und den alten Tanten, wo sie zur cleveren und ambitionierten jungen Frau heranwächst. Es folgen Stationen in der Justiz, ihr Fleiß und Scharfsinn werden geschätzt und der Aufstieg geht stetig voran. Umgänglich mit den Kollegen und bedacht in der Arbeit vergehen die Jahre. Nur in der Liebe wollen die Dinge nicht so richtig klappen. Spät erst trifft sie mit Max auf einen Mann, mit dem sie ihr Leben und ihre Erlebnisse im Justizpalast teilen möchte, auch wenn sie lange dem Glück nicht trauen will. Und langsam neigt sich auch schon ihr Leben dem Ende entgegen, ein Leben, das maßgeblich von den Verfahren und ihren Urteilen bestimmt wurde, für sie als Person, bisweilen aber auch für große Firmen und das Land relevant. Petra Morsbachs Roman schafft eine geschickte Verbindung von der Geschichte einer Frau der Nachkriegszeit, die beharrlich auch gegen Widerstände ihren Weg geht und einem Blick auf die deutsche Justiz, der mal hoffnungsvoll, mal desaströs ausfällt. Immer begleitet wird die Handlung von einem Erzähler, der sich weitgehen dezent im Hintergrund hält, aber ab und an aber mit ironischen Spitzen („Lästern ist ein Laster, aber entlastend“, S. 83) oder gar zynischen Anmerkungen für ein Schmunzeln beim Leser sorgt. Schon früh realisiert Thirza, dass sie Kinderlos bleiben und somit im Alter allein sein wird. Ein Umstand, der sich nun einmal nicht ändern lässt und durch ihren beruflichen Erfolg noch verstärkt wird. Ohne einen konkreten Weg gezielt zu verfolgen, gelingt ihr doch der Weg durch die Kammern an immer höhere Positionen, ein wenig Glück gehört auch dazu, das Thirza in dieser Hinsicht hold stets ist. Da Liebe nicht in den Grundrechtekatalog gehört, wie der Erzähler feststellt, muss sie sich auf diesem Gebiet verwirklichen. Aber wie auch Max fragt sich Thirza, ob das das richtige Leben war und sie es sinnvoll und glücklich machend genutzt hat und nachdem sie selbst mit Krankheit konfrontiert wird, muss sie erkennen: „Hier beginnt der Übergang in ein anderes Spiel. Eines mit härteren Regeln, ohne Berufungsmöglichkeit, mildernde Umstände und rechtliches Gehör. Und ohne Gnade.“ (S. 472) Die Justiz hat ihr viel gegeben im Leben und immer war sie auf der Suche nach Gerechtigkeit und Ausgleich. Leiden verhindern, Recht zuerkennen, maßvoll auch gerecht urteilen – aber wird das Schicksal sich ihr gegenüber genauso verhalten? Sie ist das Sinnbild der erfolgreichen und stark verkopften Frau, die sich keinen intensiven Emotionen hingibt. Sie erkennt früh, dass sie beruflich den Männern in nichts nachsteht, gerät jedoch immer wieder an Herren, die in klassischen Klischees verhaftet sind und sie nicht als ebenbürtig anerkennen. Neben diesen privaten Aspekten Thirzas steht jedoch vor allem die Justiz im Vordergrund des Romans. Immer wieder werden Fälle skizziert und der Alltag der Richter aufgezeigt. Sehr deutlich wird hier deren Überlastung. Sie können das vorgegebene Pensum niemals bewältigen und suchen entsprechende Ausweichstrategien: wegducken, beschleunigen, weniger sorgfältig arbeiten. Man hat Verständnis für sie und hofft, dass man selbst nie der Fall ist, der gerade so abgehandelt wird. Auch die bisweilen auftretende Situation, dass die Gesetze schlichtweg für einen Fall nicht passen und dass diese Zwickmühle nur mit dem sogenannten „Sauhundprinzip“ – der schlichten Frage danach, wer gut und wer böse ist - beantwortet werden kann, ist nachvollziehbar, wenn auch bedenklich. Auch ein weiterer Missstand wird deutlich bekannt: „Tja, die Staatsanwaltschaft ist immer dann besonders überlastet, wenn es um höhere Kreise geht. Wir haben eine Zweiklassen-Justiz“ (S. 54) stellt der Erzähler schon früh fest. Am Beispiel der Familie Strauß wird dies später noch viel detaillierter erläutert und lässt einem als Leser schon stirnrunzelnd zurück, wenn man sonst keinen tieferen Einblick in die Vorgänge der Gerichtsbarkeit hat. Ein großer Roman über eine starke Frau in einem männerdominierten und hart umkämpften Umfeld. Erzählt in unterhaltsamen Ton, der nie – trotz vieler juristischer Details – tröge oder gar langweilig wird, sondern im Gegenteil die spannenden Seiten der Richterarbeit aufzeigt.

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