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Rezensionen zu
Glister

John Burnside

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Morbide Stimmung und verschwundene Kinder – in John Burnsides Roman Glister wird das Alltägliche mit Szenen aus Alpträumen vermischt. Es ist alles so merkwürdig daneben in dieser schottischen Stadt, die Innertown heißt und in der fast keine normalen Menschen wohnen. Die Polizei ist überfordert und die ganze Stadt liegt in einer merkwürdigen Schockstarre, die niemand so richtig nachvollziehen kann. Aber es wird relativ schnell klar, dass Innertown zu den Lost Cities gehört, quasi als Nicht-Ort irgendwie existiert, umgeben von zerstörter Natur und bevölkert von Menschen mit kaputten Familienstrukturen. Das Fabrikgelände, der Ort, der hier zum Spielen einlädt, ist wahrscheinlich auch der Ort, der dafür gesorgt hat, dass es allen so miserabel geht. Krebserkrankungen nehmen zu. Die Abfälle der Chemiefabrik haben die Gegend über Jahre vergiftet, mutierte Tiere bevölkern die Umgebung, tote Fische schwimmen in den Flüssen, es sollen sogar C-Waffen hergestellt worden sein. Früher gehörte die Fabrik einem Herrn G. Lister und so klärt sich auch der merkwürdige Titel des Romans auf. Allerdings gehörte ihm nicht nur die Fabrik, auch auf einer geheimnisvollen und unheimlichen Maschine im Keller des verlassenen Geländes findet sich sein Name. Ob diese Maschine ein Hinrichtungsapparat ist oder ein Portal in eine andere Dimension beherbergt, das extra für die Kinder gemacht wurde, das kann der verstorbene Erzähler Leonard leider nicht mehr sagen. “Ich dachte, das Leben sei eine Sache und der Tod eine andere, aber das dachte ich nur, weil ich noch nichts über den Glister wusste.” In dem verlassenen Landstrich läuft einiges schief. Der Sanierungsbevollmächtigter Smith kassiert enorme Summen um die Vergiftung des Bodens durch die Fabrik zu vertuschen und hat die Stadt in der Hand. Fast alle, die noch einen Job haben, sind von ihm abhängig, denn er verwaltet über seine Firma, Gelder, die der verlorenen Stadt zustehen. Außerdem besticht er den einzigen Polizisten von Innertown, Morrison, der so sehr an Smith und den vermeintlichen Wohlstand den dieser Mann bringen soll, glaubt, dass er korrupt wird. Morrisson vertuscht in Smiths Auftrag, dass er die Leiche eines Fünfzehnjährigen gefunden hat. Aber das fällt niemandem auf. Die Eltern der verschwundenen Kinder sind genau so apathisch und teilnahmslos wie der Rest der Bevölkerung. Arbeitslosigkeit, gesundheitliche Probleme durch die Fabrikabfälle, beginnender Wahnsinn – es gibt vieles, was die Menschen in Innertown lähmt und unglücklich macht. Anstatt eine Aufklärung der Verbrechen zu fordern, bilden sich nach und nach urban legends. Die Kinder und Jugendlichen haben schon immer aus Innertown weg gewollt und nun haben sie es eben geschafft, das bessere Leben warte eben überall auf sie, nur nicht hier. Es sind bereits fünf Jugendliche verschwunden, aber niemand stört sich daran. Aber die Kinder und Jugendlichen, die noch da sind, können den Erwachsenen bald nicht mehr glauben. Auch Leonard glaubt den Geschichten nicht. Er ist anders als die anderen. Er glaubt an das Gute oder an Erlösung, was auch immer das heißen mag und er will sich nicht mit dem Status Quo abfinden. Und wie so oft in dieser Erzählung, die mit vielen religiösen Elementen angereichert ist, verschiebt sich die Erzählebene. Die Geschichte beginnt mit dem “Buch Hiob”, es endet mit der “Feuerpredigt”. Ein Junge verschwindet an Halloween, also dem Tag, an dem die Toten mit den Lebenden Kontakt aufnehmen können. Die Jugendlichen erzählen sich, dass er den Teufel beschwören wollte und deshalb im vergifteten Wald gewesen wäre. Leonard weiß nicht, was er glauben soll. Bis auch sein bester Freund verschwindet. Leonard versucht sich mit Literatur über den Tag zu retten, er liest Dickens und Proust und hat Sex mit seiner on-off-Freundin Elspeth. Aber das hilft nicht. Deswegen hält er sich oft in der alten Fabrik auf, streift immer wieder über das verlassene Gelände, denn die Fabrik und das ganze vergiftete Areal ist ” alles an Kirche […], was wir haben“. “Danach, am Montag, soll eigentlich wieder Schule sein, aber kein Mensch geht hin. Das ist nur eine der kleinen Gesten, die uns zur Verfügung stehen: Am Tag, nachdem wieder einer von uns verschwunden ist, gehen wir nicht zur Schule, sondern streifen durch Stadt oder Fabrikgelände, stehlen, was irgendwie wertvoll aussieht, und zerschlagen den Rest. Es verrät das schlechte Gewissen der Behörden, dass unser Treiben keine Folgen hat. Sie fühlen sich schuldig, weil sie wissen, dass sie uns im Stich lassen.” (S. 154) Doch bei Sachbeschädigung bleibt es nicht. Aus lauter unterdrückter Wut bringt eine Clique von Teenagern einen Mann um. Er ist nicht der Mörder der verschwundenen Kinder, er ist ein Außenseiter, der ein bisschen wunderlich ist und noch nie richtig zu Innertown dazugehört hat. Glister ist kein Roman, der sich leicht lesen lässt. Leonard scheint der einzige zu sein, der noch an Vergebung und Hoffnung für den verlassenen Ort glaubt, an dem jeder Schuld auf sich geladen hat, durch „die Sünde der Unterlassung, die Sünde, unseren Blick abzuwenden und nicht zu sehen, was direkt vor unserer Nase geschieht. Die Sünde, nicht wissen zu wollen; die Sünde, alles zu wissen und nichts dagegen zu tun. Die Sünde, etwas auf Papier zu wissen, es aber nicht ins Herz vorlassen zu wollen.” Glister ist ein absolut gelungener Roman, poetisch, zornig, hochgradig philosophisch, gesellschaftskritisch und absolut spooky. Die einzige Erlösung, so scheint es, liegt darin, die Erzählungen nicht aufhören zu lassen: “alles wird, und dieses Werden ist die einzige Geschichte, die nie zu Ende geht. […] Dabei wissen alle, es ist weder dieses noch jenes, sondern nur der Ort, an dem die Geschichten beginnen und enden.”

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