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Rezensionen zu
Die Gruppe 47

Helmut Böttiger

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Schön, gut, informativ, fortschrittlich und preisgekrönt ist dieses Buch. Einerseits zu Recht. Andererseits: Begreift denn selbst ein so sprachsensibler Mensch wie Helmut Böttiger nicht, dass aus zehn Dichtern und einer Dichterin NICHT plötzlich elf Dichter werden? Neologismen und neue Lyrikformen werden gefeiert und bewundert, aber die realitätswidrigen Mehrzahlformen scheinen in Stein gemeißelt. Und das generische Maskulinum detto. Beide Grammatikformen sind eindeutig ‚realitätsimpotentʻ, um ein Handke-Wort abzuwandeln. In welcher sinnvollen Aussage darf der Teilbegriff einer Menge gleichzeitig deren Oberbegriff sein? Drei Hühner und drei Elefanten sind sechs Hühner? – Nein! – Wenn in Aussagen, die sich auf die Realität vor Augen beziehen, die Logik und das, was vor Augen steht, ignoriert werden müssen, hebt sich die Sprache über die Wirklichkeit hinweg. Das tut dem Denken nicht gut. Die „Prägungen durch den Nationalsozialismus“ waren schwierig abzustreifen, so der Verlag (s. o.). Wann aber folgt endlich die Erkenntnis, dass die implizite Frauenverachtung mancher Grammatikgesetze ein inhärenter Teil dieser Prägung ist? Auch heute sind das generische Maskulinum und die falschen Mehrzahlformen ein bequemer Sprach-Schuhlöffel in die Stiefel des Rechtsextremismus. Und kann frau*man von einem Sprach- und Literaturexperten denn nicht erwarten, dass er den Hohn eines Wortes wie „Fräuleinwunder“ – wie es über Ingeborg Bachmann gesagt worden ist –, wenigstens thematisiert? Oder gibt es ein Männleinwunder? Nein. Nicht einmal ein Jungmann- oder Herrenwunder. Also. Offensichtlich ist der Ausdruck diskriminierend. Wenn Lars Gustafsson schreibt, die Gruppe 47 sei eine „Gruppe, die die deutsche Sprache von jahrzehntelanger Vergiftung durch Metaphysik und Lügenworte gesäubert hat“ (S. 347), so ist das nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Das penetrante Verharren auf dem generischen Maskulinum und den logik- und realitätswidrigen Mehrzahlformen ist eine Vergiftung des Redens und Denkens von unvorstellbarem Ausmaß. Es spricht von gnadenlosem Machtvorrang der männlichen Menschen bei gleichzeitig aktiver Herabsetzung der Frauen. Sprachlich und tatkräftig. Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger und vermutlich andere junge Frauen mussten sich in nahezu unerträglichem Ausmaß ‚anhirschelnʻ lassen (um eine Anleihe bei Ernst Jandl zu nehmen), bevor sie als großartige Dichterinnen wahrgenommen werden konnten. Und wenn Gabriele Wohmann ohnedies nur in einer unwichtigen Randbemerkung erwähnt wird, so ist es nicht zu rechtfertigen, einen längeren, sexistisch abwertenden Tagebucheintrag Hans Werner Richters (S. 423) über sie anzuhängen. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen für Kriegsheimkehrer, ‚innere Emigrantenʻ, jüngere und ältere Teilnehmer der Gruppe werden klarsichtig dargelegt, die politischen Bedingungen ebenfalls. Im selben Ausmaß gehören die so sehr anderen Schwierigkeiten und Dynamiken, die es für Frauen in dieser männerbündlerischen Gesellschaft gab (und gibt), dargelegt. Wir haben leider keine Sprachform, unabhängig von Maskulinum und Femininum wertschätzend über Menschen zu reden. Darüber sollten wir nachdenken. Wir haben keine Sprachformen, die per se ausdrücken, dass die Menschen weit mehr gleich als ungleich sind. Darüber sollten wir auch reden. Solange wir Narrative, Grammatikformen und Begriffe verwenden, die eine zwanghaft antinatürliche Hierarchie bedienen, solange wird diese Menschheit keinen Frieden finden. Das Andere, die Andere, der Andere darf offenbar nicht einfach anders sein. Minderwertigkeit und Höherwertigkeit müssen festgelegt werden. Diese Hierarchie-Matrix erlaubt kein Anders-Sein auf menschlich gleicher Augenhöhe. Ein Autor, der die Anstrengungen befürwortet, dem nationalsozialistischen Sprachschlamm zu entkommen, sollte weder die falschen Mehrzahlformen noch das generische Maskulinum verwenden. Das wäre konsequent.

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