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Anna Mitgutsch
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Rezensionen zu
Ausgrenzung

Anna Mitgutsch

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Es fällt mir sehr schwer, zu “Ausgrenzung” eine Rezension zu schreiben. Es ist ein emotionales Buch, das berührt, aber sicher berührt es auf sehr verschiedene Arten. Und ich habe es vermutlich in einem nicht sehr massenkompatiblen Kontext gelesen. Das Buch ist 1989 erstmalig erschienen, wurde 1997 noch einmal bei DTV verlegt und hat hier einen deutlich kürzeren Klappentext. Ich habe mich trotzdem für den ursprünglichen Text entschieden, zum Einen erspart mir das Erklärungen, denn der Leser weiß nun schon recht genau, worum es geht. Zum anderen finde ich den zweiten Klappentext, in dem Marta als “starke Frau” charakterisiert wird, unpassend. Marta ist in meinen Augen eine Frau, die kämpft und sich aufopfert, aber sie ist nicht stark. Dazu fehlt ihr Gelassenheit, Abstand zu sich selber und die Fähigkeit, Dingen, Menschen oder dem Leben ganz allgemein vorurteilsfrei und positiv zu begegnen. Aber dazu später. Es gibt ein paar grundlegende Dinge, die dem Leser den Zugang zum Buch und vor Allem dem Thema erschweren. Um zwischenmenschliche Interaktionen, noch dazu bei einem medizinischen Problem, einordnen zu können, ist die Kenntnis des soziokulturellen Hintergrundes sowie zumindest ein grober Zeitrahmen auch bei einer fiktiven Geschichte schon wünschenswert. Das fehlte anfangs. Den Ort konnte ich nach der Hälfte des Buches eingrenzen. In einen “Trafik” geht man in Österreich, die Autorin ist Österreicherin. Passt. Das mit der Zeit war etwas kniffliger. Irgendwann fiel aber dann doch ein Satz, in dem die Protagonistin erzählte, sie habe “nach dem Krieg mit der Volksschule begonnen”. Ich habe Volksschule gleich Grundschule gesetzt und das Geburtsdatum vom Marta pi mal Daumen auf “um 1940” verortet. Aus der Handlung ergab sich stückweise ebenfalls, dass sie bei Jakobs Geburt um die 30 war, somit ist Jakob Anfang der 70er geboren. Uff!! Die Grundstimmung des Buches ist destruktiv. Marta ist destruktiv. Sie ist ein wandelnder Schuldkomplex, beladen mit der dezidiert in sie hinein gehämmerten Meinung diverser Ärzte und Therapeuten, die unisono das Lied der “Kühlschrankmutter”- frei nach Bruno Bettelheim – anstimmten, deren Gefühlskälte für die Probleme ihres Kindes verantwortlich sei. Es gibt die Diagnose “Autismus” für Jakob und die Ansage “Du bist schuld” für Marta durch die medizinische Fachkompetenz. Dieser schließen sich private Meinungen natürlich vollumfänglich an, was eine Vervielfachung der Schuldgefühle durch das soziale Umfeld für Marta bedeutet. Kurz vor Ende des Buches wird erklärt: “…dass die Bezeichnung “Autismus” auf Jakob seit langem nicht mehr zutraf, mit 10 Jahren Verspätung konnte sie die neurologischen Ursachen des Verhaltens benennen, das sie damals, zur Zeit der Diagnose, in Verzweiflung gestürzt hatte.” Welche Diagnose nun die richtige ist, erfährt der Leser nicht. Autismus NICHT MEHR????? Autismus ist keine Krankheit. Es wird nicht detailliert erklärt, welche Fachärzte/Therapeuten genau Marta in welchem Umfang konsultiert hat, all das bleibt schwammig und angedeutet. Die Autorin lässt den Leser im Unklaren und genau das ist Teil des Problems, welches ich mit diesem Buch habe. Es führt sich irgendwie selber ad absurdum. Durch mangelnde Aufklärung und fehlende Kommunikation mit dem Leser. Es gibt keinen chronologischen Ablauf der Ereignisse. Die Handlung springt permanent hin und her, mal ist Jakob drei, dann neun, mal ist er fünf, mal ist Marta noch verheiratet, dann nicht mehr, dann folgen doch wieder Ehe-Passagen. Das verwirrt permanent, es ermüdet und macht es dem Leser unmöglich, Jakobs Entwicklung in irgendeiner sinnvollen Art und Weise zu verfolgen. Überhaupt geht es vordergründig gar nicht um Jakob, der doch die Hauptperson ist, sollte man meinen. Es geht um Marta, immer wieder Marta und ihre unerfüllten, völlig überzogenen Ansprüche an das Leben und an ihr soziales Umfeld. Es geht um Marta, die Ausgegrenzte. Eine Frau, die es nicht schafft, ihr -definitiv schweres, das steht völlig außer Zweifel- Schicksal innerlich anzunehmen und das beste Mögliche daraus zu machen. Sie liebt ihr Kind, sie jammert und schuld alleine sind ALLE ANDEREN und dabei ist völlig egal, wie sie sich verhalten. In dieser düsteren Grundstimmung verharrt das Buch, über die gesamte Länge gibt es keinen Lichtstrahl. Das Buch betrachtet das Thema “Ausgrenzung” extrem einseitig. Marta mit Jakob gegen den Rest der Welt und da dieser Rest der Welt nicht tickt, wie Marta meint, dass er ticken müsste, ohne dass sie überhaupt die Möglichkeit in Betracht zieht, miteinander über das “Anderssein” ihres Kindes zu sprechen, Verständnis zu wecken, grenzt SIE aus und betrachtet sich als Ausgegrenzte. So empfinde ich es jedenfalls. Der Leser ist Teil des Marta ausgrenzenden Restes der Welt und ich mochte die Schuldgefühle, die diese Frau ihrem Kind gegenüber empfindet und an alle anderen weiter gibt, nicht teilen. Mir war das Ganze zu undifferenziert. Natürlich wird es immer die wohlmeinenden Besserwisser geben, die als probates Mittel für ein schreiendes Kind Schläge empfehlen und einige ähnliche verletzende Absonderlichkeiten auch. Menschen die ausgrenzen, weil ihnen der geistige Horizont zum Reflektieren fehlt (in diesem Buch überdurchschnittlich vertreten, leider). Die kennen aber Mütter mit nichtbehinderten Kindern auch. Und ganz sicher ist das nicht der gesamte Rest der Welt. Ist der arbeitende Familienvater, der Nacht für Nacht keinen Schlaf finden kann, weil in seinem Mietshaus ein Kind stundenlang SCHREIT ( Jakob hat Schreianfälle, die sich über Stunden hin ziehen auch als größeres Kind und fast Erwachsener) ein Ausgrenzer, wenn er sich bei der Vermieterin beschwert? Ist jemand ein schlechter Mensch, der in einer Beziehung mit Marta versucht, zumindest ihr Wärme zu geben, der sie in praktischen Dingen unterstützt, Dinge für sie erledigt, mit Jakob spielt, weil er weiß, dass sie sich das wünscht, obwohl er zu dem Kind keinen Zugang bekommt? Ist er schlecht, weil er der Meinung ist, dass Jakob langfristig gesehen stationär besser aufgehoben wäre? Marta lässt Jakob als 15-Jährigen frei draußen herum streifen, weil sie weiß, dass er ein harmloser und gutmütiger Junge ist. Aber woher sollen die Menschen das wissen, bei denen er bei seinen Streifzügen über den Gartenzaun steigt und deren ebenfalls 15-jährige, in Badebekleidung am Pool liegende Tochter er durchdringend und unbeweglich verharrend anstarrt? Wie sollen oder dürfen derartig Betroffene denn reagieren? All das bleibt offen – all diese Menschen sind in Martas Augen Ausgrenzer: wer Jakob nicht so sehen kann, wie sie ihn sieht, kann sich zum Teufel scheren. Marta ist allein. Aber warum eigentlich? Ähnlich Betroffene wie Marta, mit denen sie sich kurzzeitig in einer Selbsthilfegruppe trifft, scheinen einen anderen Blickwinkel zu haben als Marta: “Und keine der Frauen schien an einer Freundschaft mit ihr interessiert Oder war Marta es, die ihre Gespräche am Telefon bald langweilig fand und den Kontakt abbrach, weil sie zu wenig miteinander verband? Nicht alle, erfuhr sie erstaunt, fühlten sich so wie sie am Rand abgestellt, einige wurden böse und riefen, ICH NICHT, wenn Marta von Wut sprach, von Ausgrenzung und Hass. Neid warfen auch sie ihr vor, den blanken Neid gegenüber allen, die mehr Glück gehabt hätten. Wir gerade wir, sagten sie, müssen liebevoll und mit Verständnis auf die Gesunden zugehen, wir sind dafür verantwortlich, dass sie Einsicht gewinnen. Marta wollte für Niemanden mehr verantwortlich sein. Jetzt, wo sie so plötzlich und sichtbar zu altern begann, wo die Krankheit an ihr zehrte, pochte sie umso zorniger auf ihr uneingelöstes Recht auf Glück.” Diese Passage hat mich einigermaßen mit dem Buch versöhnt. Wer nicht kommuniziert, wer sich verweigert wie Marta, wer nur verlangt, wer dem Anderen keine Chance gibt, zu verstehen, grenzt sich selber aus. Und das Thema “Behinderung” ist keines, welchem man sich nur emotional nähern sollte. Das bringt nämlich Keinem was. Fazit: empfehlenswerte Lektüre für Erwachsene, um sich dem Thema „Ausgrenzung“ zu widmen, auch wenn die Betrachtungsweise des Buches extrem einseitig ist. Als Schullektüre (war? oder ist? es in Österreich) finde ich es nicht geeignet, die Schuldgefühl- und Betroffenheits-Nummer ist doch recht groß und in meinen Augen nicht geeignet, Halbwüchsigen einen eigenen und gesunden Standpunkt zum Thema finden zu lassen.

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