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Rezension zu
Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Weil ich nichts bin.

Von: Mikka Gottstein aus Hilter aTW
17.07.2018

Haruki Murakami erzählt die leise Geschichte eines Mannes, der sich selber in nur einer Hinsicht für außergewöhnlich hält: außergewöhnlich belanglos. Tazaki Tsukuro hat vier enge Freunde, die ihm alles bedeuteten. Alle tragen eine Farbe im Namen: Akamatsu (Rotkiefer), Oumi (blaues Meer), Kurono (schwarzes Feld) und Shirane (weiße Wurzel). Nur sein eigener Name ist so farblos, wie er sich auch als Mensch empfindet. Als die Freunde ihn von einem Tag auf den anderen brutal verstoßen, ist Tsukuro zutiefst verwundet. Monatelang taumelt er am Rande des Abgrunds, sehnt den Sturz fast herbei. Der Tod wäre ihm willkommen, doch trotz dieses Leidensdrucks wagt er nicht, auf einer Erklärung zu bestehen. Erst sechzehn Jahre später zieht er los, diese alte Wunde zu schließen. Dass es fünf Freunde sind und Tsukuru sich für leer hält, ist sicher kein Zufall – zu deutlich erinnert es an die Fünf-Elemente-Lehre in Japan. Neben Erde, Wasser, Feuer und Luft gibt es dort als fünftes Element die Leere. Daraus ergibt sich eine interessante Symbolik, die sich durch das gesamte Buch zieht, ohne dass es erzwungen wirkt. Tsukurus Freunde, allesamt unverwechselbare Persönlichkeiten, brauchen ihn – ihn, den Farblosen! –, damit ihre perfekte Harmonie funktionieren kann. Nach dieser Harmonie verzehrt sich Tsukuru seit dem Bruch, in keiner anderen Beziehung kann er sie finden. Erst spät kommt er zur Erkenntnis: Zitat: “Er begriff endlich in den Tiefen seiner Seele, dass es nicht nur die Harmonie war, die die Herzen der Menschen verband. Viel tiefer war die Verbindung von Wunde zu Wunde. Von Schmerz zu Schmerz. Von Schwäche zu Schwäche. Es gab keine Stille ohne den Schrei des Leides, keine Vergebung, ohne dass Blut floss, und keine Überwindung ohne schmerzhaften Verlust.” Als Figur macht es Tsukuro dem Leser erst nicht leicht. Über lange Passagen lässt er sich antriebslos treiben, Beziehungen zu anderen Menschen knüpft er eher zufällig. Wenn diese scheitern, nimmt er es hin und sieht es als weiteren Beweis seiner eigenen Bedeutungslosigkeit. Es ist schwer, sich mit ihm zu identifizieren, denn seine Persönlichkeit scheint an seinen Erlebnissen nicht zu wachsen. Was das Buch vorantreibt, ist in den ersten Kapiteln allein das ungelöste Rätsel, aus welchem Grund die Freunde ihn damals verstießen. Doch dann verliebt er sich in eine Frau namens Sara Kimoto, erzählt ihr die alte Geschichte, und sie überzeugt ihn, dass er die Freunde zur Rede stellen muss. Nur so könne die Verwundung heilen und er wäre offen für eine tiefere Beziehung. Sara selbst bleibt ein eher blasser Charakter. Sie ist bezaubernd, intelligent und einfühlsam, aber wenig mehr als der Stein des Anstoßes für Tsukuro. Der kommt endlich in Bewegung, nimmt sein Leben in die Hand und reist das erste Mal in seinem Leben ins Ausland. Ab hier entwickelt sich ein ganz anderer Spannungsbogen. Der Grund für den Bruch, den Tuskuro endlich erfährt, ist schockierend. Aber obwohl der Grund Stoff für einen Thriller bieten könnte, liegt das Augenmerk auf Tsukuros persönlicher Entwicklung. Es bleibt eine leise Geschichte, die eine umso größere Sogkraft entwickelt, je mehr ihr Protagonist seine Apathie abschüttelt. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie, und das macht der Autor meisterhaft. Träume spielen immer wieder eine große Rolle – dabei ist unklar, ob sie Spiegel oder Verzerrung der Realität sind, Erinnerung oder Vorahnung. Haruki Murakami beschreibt die Pilgerreise seines farblosen Helden in einer Sprache, die wundervoll poetische Momente hat. Dennoch sind seine Sätze ruhig und kristallklar, vieles vermittelt er über leise Andeutungen und symbolische Bilder. Die Dialoge sind für westliche Ohren ungewohnt verhalten und höflich, das Ungesagte schwingt jedoch immer mit.

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