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Rezension zu
Wege, die sich kreuzen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Eindringliches Konzentrat

Von: Thomas Lawall
28.04.2018

1925. "Ein stetig wachsendes Haus." Immer größer wird es. Vor zwanzig Jahren hatte Maria die Kate gekauft. Mehr als eine Küche und eine Kammer war nicht vorhanden. Aber es reichte ihr zu einem bescheidenen Leben mit ihrer Tochter Lahja. Vorläufig. Heute sieht es anders aus. Zwei Kammern und ein Wohnzimmer ließ sie anbauen. Weitere Räume kommen aktuell dazu und die Dorfgemeinschaft wundert sich über die ständige Bautätigkeit, zumal man sich über den Zweck nicht einig ist. Maria weiß es selbst nicht. Sie tut es einfach. "Wieso brauchte man da besondere Gründe?" Maria geht es gut. Im materiellen Sinne jedenfalls. Das war nicht immer so. Dreißig Jahre zuvor hatte sie sich noch keinen Namen gemacht. Man schenkte der jungen, ausgebildeten Hebamme keine Beachtung. Jedes Dorf bevorzugt die eigenen "Geburtshelferinnen, Saunaweiber und Wehmütter". Der alteingesessenen Übermacht konnte die junge Gemeindehebamme nichts entgegnen. Bis man sie dennoch zu einer schweren Geburt rief ... ... und genau an jener Stelle muss man das Buch erstmals (später passiert es öfter) zur Seite legen, um den Bildersturm, den Tommi Kinnunen entfacht, zur Ruhe kommen zu lassen, und um vielleicht einmal der unzähligen Mütter zu gedenken, die in jenen Zeiten unter in jeder Hinsicht katastrophalen Bedingungen ihre Kinder zur Welt brachten. Ob in Finnland oder sonstwo. Oft auch nicht, denn nicht selten überlebten das Kind, die Mutter oder beide die Tortur nicht. Was der finnische Autor vorhat, wird, neben aller Betroffenheit, ebenfalls schnell klar. Er will eine Familiengeschichte erzählen - aber keine große Oper inszenieren. Kein intellektuelles Drama, sondern eine Geschichte in reduzierter, allgemeinverständlicher Form. Diese Rechnung geht auf, denn mit wenigen Worten erzielt er eine maximale Wirkung. Einen wachen Geist erfordert der vielschichtige Aufbau seines Dramas insofern aber schon, da sich die zunächst spärlichen Charakterisierungen seiner Hauptfiguren über Jahre ziehen können und sich jeweils aus anderen Perspektiven immer mehr konkretisieren. Das "Unausgesprochene" ist ihm ein Anliegen, was Leserinnen und Leser durchaus an die eigenen Befindlichkeiten innerhalb ihrer jeweiligen Familiensysteme erinnern mag. Nachdenklich stimmt die sich immer wieder ergebende emotionale Wucht, ausgelöst durch Marias unbändigen Willen, sich durchzusetzen, auf eigenen Beinen zu stehen und unabhängig zu sein, insbesondere von Männern. Die Verbundenheit mit ihrem Kind ist selbstverständlich, die Bindung an einen Mann jedoch nicht. Niemand, der sie herumkommandiert oder sie besteigt, "wann immer es ihm beliebte". Auch wenn sie sich den Unmut des Pfarrers einhandelt, hält sie längst ihre Meinung nicht mehr im Zaum, "was sie von dem Tun und Treiben der Männer hält". Natürlich ist die Zeit für derlei Meinungen oder gar deren Umsetzung längst noch nicht gegeben. Massive Konflikte sind somit vorprogrammiert. Nicht nur die entsetzlichen Kriegswirren und die Folgen setzen der Familie zu, sondern persönliche Krisen, Krankheiten - die manchmal gar keine sind - und das, was man ganz allgemein als erbarmungsloses Schicksal definiert. Und wehe, man ordnet sich den gesellschaftlichen Zwängen nicht unter ... Ein Buch, das Erinnerungen weckt und Feuer entfachen kann. Man möchte die alten Fotos wieder hervorkramen und sich auf die Suche nach der eigenen Geschichte machen. Sie ist eine andere und doch entdeckt man auch hier "Wege, die sich kreuzen". 100 Jahre Familiengeschichte. Kunstvoll verwebt. Ein eindringliches Konzentrat.

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