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Rezension zu
Eingedeutscht

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Integration ist keine Einbahnstraße

Von: Barbara Diehl
27.04.2018

Die beiden Syrer Abdul Abbasi und Allaa Faham kamen 2015 – unabhängig voneinander - als Flüchtlinge nach Deutschland. Die wohl größte Hürde die sie überwinden mussten, war das Erlernen der deutschen Sprache. Aber abgesehen von den Sprachschwierigkeiten klafft zwischen der arabischen und der deutschen Kultur eine riesengroße Lücke, die es zu überwinden galt. Der Papierkrieg in den deutschen Behörden, die Deutschen und ihre Liebe zum Haustier, Gastfreundschaft, was wir essen und trinken und wie unterschiedlich unsere Auffassung von Zeit ist; der Weg zur Integration ist steinig und schwer. Per Zufall lernten sich Abdul und Allaa im Juni/Juli 2016 via Facebook kennen und sehr schnell stellten sie fest, dass sie die gleiche Art von Humor teilen. Warum also nicht gemeinsam ein Projekt starten? Unter dem Namen „German LifeStyle GLS“ wollten sie anfangs via Facebook und YouTube schlicht und einfach ihren syrischen Landsleuten Hilfestellung zur Integration in Deutschland geben, ihnen die Besonderheiten unseres Alltags näherbringen. Es kristallisiert sich heraus, dass Integration keine Einbahnstraße ist und man beide Seiten in den Prozess einbinden muss – am besten funktioniert das, indem man gemeinsam über etwas lacht. Als wir, Abdul und Allaa, nach Deutschland kamen, waren wir voller Ängste. Angst vor den Menschen, vor Tieren, dem Wetter, vor neuen Situationen und vor Speisen, die wir nicht kannten. Wir hatten Angst vor allem, was uns fremd war. Und fremd war uns: alles. [….] Wir lernten, dass Fremdes nur so lange Angst macht, solange es im Dunkeln bleibt und wir nur Schemen wahrnehmen. Wir haben dieses Buch geschrieben, damit ihr Deutschen uns Syrer besser kennenlernt und wir Syrer euch Deutsche. [.…] Egal was unser Hintergrund ist: Uns verbindet mehr, als wir denken. Lasst uns alle das Licht anknipsen und genauer hinschauen. Genau das tun Abdul und Allaa sowohl auf ihrem Facebook- oder YouTube-Profil als auch in ihrem Buch „Eingedeutscht“, das am 19.03.2018 im Goldmann Verlag erschienen ist. Sie knipsen das Licht an und schauen genauer hin – mit viel Humor erzählen sie die Geschichte ihrer Integration und auf welche Hindernisse sie dabei gestoßen sind bzw. welche Missverständnisse teilweise aus den verschiedenen Situationen entstanden sind. So ist es in Syrien (oder in arabischen Ländern allgemein) üblich, dass man angebotenes Essen zuerst einmal freundlich aber bestimmt ablehnt. Der Gastgeber wird jedoch nicht müde, sein Essen trotzdem an den Mann (oder die Frau) bringen zu wollen. Dieser Verhaltenskodex wird den Syrern quasi in die Wiege gelegt. Nein sagen, auch wenn wir Ja meinen – das ist höflich. Und gerade wenn wir Jajaja meinen (so wie Allaa, wenn es Schokolade gibt), müssen wir unser Nein besonders oft und vehement wiederholen. Das signalisiert unserem Gegenüber unmissverständlich den Grad der Gier beziehungsweise der Verzweiflung. Während man in Syrien mitunter eine halbe Stunde darüber palavert bis jemand das angebotene Essen dann doch endlich nimmt, spielt sich in Deutschland in Minutenschnelle folgende Szene ab: Ich sah, wie ein Mitarbeiter des Migrationszentrums seinen Servierwagen am Tisch einer mir bisher unbekannten syrischen Flüchtlingsfamilie parkte: „Möchten Sie etwas Suppe? Oder ein Brot?“ Der Vater winkte sofort ab: „Oh, nein danke, wir haben gar keinen Hunger, aber das ist nett von Ihnen“. Seine Frau und die Kinder nickten. Der Mitarbeiter fuhr mit dem Servierwagen und dem Essen weg. Ich konnte beim Lesen die Enttäuschung dieser Familie spüren, wussten sie doch nicht, was sie falsch gemacht haben. In Deutschland ist ein „Nein“ ein „Nein“, basta – und die Familie musste hungern. Witzig fand ich die Gegenüberstellung der deutschen und syrischen Liebesschwüre. „Ich möchte auf Deinen Wimpern laufen“ … „Deine Schönheit hat meine Seele getötet“.... ich lache jetzt noch. Dem gegenüber steht unser deutsches „Du bist die Frau meiner Träume“ doch ziemlich langweilig da, oder? Nachdenklich gemacht hat mich der Abschnitt über die Deutschen und ihre Liebe zum Tier. „Obwohl so viele Tiere ausgesetzt werden, sieht man in Deutschland keinen einzigen Straßenhund. In Syrien gab es vor dem Krieg viele Straßenhunde, aber keine Menschen, die auf der Straße lebten. Es war neu für uns Syrer, hier in Deutschland Obdachlose zu sehen, aber keinen einzigen herren- und wohnungslosen Hund. Kein Wunder, wenn pro Jahr rund 300.000 Deutsche einen neuen Hund aufnehmen! Und wusstet ihr, dass es im Jahr 2016 etwa 335.000 Obdachlose gab? Die Liebe der Deutschen zum Tier ist aus vielen Perspektiven eine besondere. Wie wäre es also, wenn die Hundeliebhaber einen Obdachlosen aufnehmen würden? Sie könnten ihn aus dem Urlaub anrufen, ihm etwas zu Weihnachten schenken und Postkarten schreiben. Und der Ex-Obdachlose könnte solange auf das Haustier aufpassen.“ Vorausgegangen ist diesem Abschnitt eine Aufzählung, dass 64 % der Deutschen ihrem Haustier etwas zu Weihnachten schenken, 14 % telefonieren aus dem Urlaub mit ihrem Hund, 6 % schicken ihm eine Postkarte. Wenn man sich das Kapitel über „Zeit, Zahlen, Perfektion und Bürokratie“ durchliest, in welchem es um die Organisation einer Veranstaltung geht, dann stellt man mit Erschrecken fest, dass wir Deutschen doch ab und an mal (ich bitte um Entschuldigung für die nachfolgende Formulierung) den Stock aus dem Arsch nehmen sollten. Wogegen es bei uns wiederum in der Regel ziemlich locker zugeht, wenn man den Eltern der Freundin vorgestellt werden soll. Dazu muss man in Deutschland nicht gleich Heiratsabsichten haben. So stellen sie auf 224 Seiten unsere deutsche der arabischen Kultur gegenüber – mal witzig und auch mal nachdenklich – und sie verfügen über die seltene Gabe, über sich selbst lachen zu können. Ich bin schon lange Fan der GLS-Facebook-Seite und des YouTube-Kanals und ich werde es sicher noch lange bleiben. ِAktuell, Stand 27.04.2018, haben die Beiden auf ihrer Facebook-Seite 115.180 Follower und ihr Youtube-Kanal wird von 42.307 Leuten abonniert. Abdul und Allaa, die zwischenzeitlich beide an einer deutschen Universität studieren, wünsche ich für ihre Zukunft alles Gute! Auch in meinem Leben gibt es Syrer, die 2015 als Flüchtlinge in unser Land kamen. Wer sich integrieren möchte, der braucht auch jemanden, der ihn integriert bzw. ihm dabei hilft, sich zu integrieren. In diesem Sinne مع السلامة maʿa as-salāma

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