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Rezension zu
Der Klang der ungespielten Töne

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Konstantin Wecker - Der Klang der ungespielten Töne

Von: Mike Bähr
27.02.2018

Der junge talentierte Musiker Anselm Cavardossi Hüttenbrenner wächst unter dem Einfluss seiner Eltern mit der Musik auf. Gemeinsam singt er mit seinem Vater Arien und lernt von seiner Mutter Klavier zu spielen. Und "mit dem Ende des gemeinsamen Musizierens zerbrach der letzte und einzige Zusammenhalt der Familie", wodurch ihm die leitende Hand seiner Mutter fehlte und er sich nach einem Lehrer sehnt, der nicht nur seine musikalische, sondern auch seelischen Entwicklung fördert. Einen solchen Lehrer findet er. Er nennt sich Karpoff oder Fjodor Iljitsch Kaparnikoff, einem russischen Wunderkind, der ihm den Klang der ungespielten Töne versucht näher zu bringen. Aufgrund seiner Begeisterung verfällt er Karpoff und isoliert sich zunehmend, sodass ihm der Kontakt zu gleichaltrigen schwer fällt und seine bis dahin bestehende Freunde ihn überall auf der Welt vermuten, außer dort wo er sich wirklich befindet. Nach drei Jahren in Abgeschiedenheit sehnt er sich nach dem gesellschaftlichen Leben zurück und entscheidet sich trotz der Ermahnung seines Lehrmeisters, seinen eigenen Weg zu gehen. Er landet im Hauptstrom des Musikgeschäfts, wählt seine Auftragsarbeiten von nun an nach rein finanziellen Gesichtspunkten aus und unterwirft sich dessen Spielregeln, womit er sich der "musikalischen Hurerei" verschreibt und Inbegriff ist, sich selbst zu verlieren. Mit "Partys und Puffs, Spielclubs und Filmpremieren, Trinken und Scherzen, Küsschen und Verrat" versucht er sich zu betäuben. Als notorischer Partygänger lernt er in seinem Stammlokal seine spätere Ehefrau Frauke kennen, deren Ehe auf körperliches Begehren basiert und schon im vornherein zum Scheitern verurteilt ist. In ihrer Hilflosigkeit machen sich beide etwas vor, leben getrennt voneinander und haben Affären, die sie sich gegenseitig verheimlichen. Nur die Cellistin Beatrice vermag es durch ihre aufrichtige und liebevolle Art, in seine Seele zu blicken und ihn zur Besinnung zurückzuführen. Anselm erinnert sich an die Lehren Karpoffs, widmete sich in Abgeschiedenheit der Stille auf der Suche nach dem Klang der ungespielten Töne, worauf er sich immer eigenartiger verhält, bis der Wahnsinn vollends Besitz von ihm ergreift und er alles verliert. Der Roman handelt von der Wechselwirkung des Protagonisten, dessen Genialität an Wahnsinn grenzt, mit unserer Gesellschaft, dessen Schein zu wahren eine größere Bedeutung zukommt, als dem Sein. Die Gesellschaft widerspiegelt sich durch ihre belanglose und geistlose Durchschnittsmusik, die ich auch als Wegwerfmusik bezeichnen würde. Es fällt der breiten Masse schwer, in sich hinein zu hören und auch anderen zuzuhören bzw. andere als fühlende Menschen wahrzunehmen, wodurch nur ein immer währender Lärm anstatt Klänge zu hören ist. Und dieser Lärm wird für den Protagonisten zu einer schieren Reizüberflutung, die ihn innerlich beunruhigt und zur Abgeschiedenheit zwingt. Diese Isolation, auch sensorische Deprivation genannt, führt bei ihm zu Symptomen einer paranoiden Schizophrenie, nämlich seinem Stimmen hören und Verfolgungswahn. Konstantin Wecker absolvierte 1970 sein Studium in Philosophie und Psychologie, das sich in seiner Schreibweise widerspiegelt. Seine psychoanalytischen Interpretationen ermöglichen dem Leser einen tiefen Einblick in die Psyche seiner Charakter, die ich als Bereicherung empfang. Jedoch dürfte es Lesern ohne fachlichen Hintergrund zur Musik und zur Psychologie schwer fallen, einen persönlichen Zugang zu finden. Der Roman ist gesellschaftskritisch, wenig unterhaltsam und bedrückend melancholisch, aber dafür offenbarend und tiefgründig. Seine Gesellschaftskritik möchte ich abschließend noch mit folgendem Zitat unterstreichen: "Die Menschen studieren Philosophie, rennen in Vorlesungen, verbringen Monate in Bibliotheken und denken nicht daran, ihr Leben zu ändern." Das Buchcover gefällt mir sehr gut, weil es Bezug zum Thema nimmt und eine Szene aus dem Buch abbildet. Seine Überschriften gehen jeweils aus dem ersten Satzteil hervor, womit er eine kreative Einleitung geschaffen hat, ohne den begonnenen Lesefluss zu unterbrochen. In seiner Lesegeschwindigkeit wird man anfangs durch seine vielen Erklärungen ausgebremst und gegen Ende, wenn sich die Inhalte aus dem Kontext ergeben, nimmt diese wieder an Fahrt auf. Der Klang der ungespielten Töne von Konstantin Wecker ist in der gebundenen Ausgabe beim Gütersloher Verlagshaus erschienen (ISBN: 978-3-579-08660-6, 16,99€)

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