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Rezension zu
Dunbar und seine Töchter

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Lear reloaded

Von: klappentextmag.de
06.02.2018

Mit Dunbar und seine Töchter findet zusammen, was scheinbar zusammengehört: Edward St Aubyn und William Shakespeare. Dass mich die Idee des britischen Hogarth Verlags, Shakespeares Dramen durch zeitgenössische Autoren in ein modernes Gewand stecken zu lassen, absolut begeistert, habe ich euch ja bereits bei meiner Rezension zu Die störrische Braut (alias Der Widerspenstigen Zähmung) erzählt. Dass sie mit St Aubyn nun einen meiner Lieblingsautoren für das Projekt gewinnen konnten, brachte mich bereits bei der Ankündigung zum Jubilieren. St Aubyn wagt sich – es war nicht anders zu erwarten – an eines von Shakespeares intensivsten Dramen: König Lear. Arbeitete er sich in seiner fünfbändigen Melrose-Saga (bitte unbedingt lesen, gehört zum besten, was die Gegenwartsliteratur zu bieten hat) noch am eigenen Vater ab, widmet er sich mit Henry Dunbar einem fiktiven Übervater. Unsere Lears von heute Man liest ein paar Seiten des kurzweiligen Buches und weiß sofort, wer dieser Lear, wer dieser Dunbar ist. Dazu muss man König Lear nicht gelesen, ja nicht einmal von ihm gehört haben. Man muss dazu auch keine Romane gewälzt oder Filme verschlungen haben. Männer wie ihn finden wir hier. Hier im 21. Jahrhundert. Hier auf dieser Erde. Sie sitzen ganz weit oben und gucken mit kaltem Blick auf die da, auf uns da unten. Und alles, was zählt in ihrer eiskalten Welt, ist das Geld. Für diese Männer gibt es ein Wort: Mogul. Ich habe dieses Buch gelesen und jemanden wie Rupert Murdoch, wie Silvio Berlusconi, ja, wie Donald Trump vor mir gesehen. Dunbar und seine Töchter offenbart uns einen Blick in ihr Inneres und in das ihrer Kinder. Das sind keine schönen Orte. Aber sie schaffen ein gutes Buch. Was Macht mit Menschen macht. Das ist der Kern des Romans. Sie vergiftet alles und jeden, der von ihr umgeben ist. Und wer sie einmal mit den Fingerspitzen berührt hat, vergisst dieses Gefühl nicht mehr, der will sie ganz und gar in Händen halten. Die Fratzen der Macht So geht es auch den beiden ältesten Töchtern des alternden Medienmoguls Henry Dunbar. Abby und Megan wollen die ganze Macht im Konzern des Vaters für sich und lassen ihn mit kaum legalen Mitteln in ein Heim im englischen Lake District einweisen. Während die beiden durch und durch verlogenen, verschlagenen und von der Macht versauten Schwestern sich mit ihren männlichen Angestellten die Zeit vertreiben, bricht Dunbar aus dem Sanatorium aus und schlägt sich mit wirrem Kopf durch die wilde Seenlandschaft. Ein Worst-Case-Szenario für seine Töchter, die ihn mit kreisenden Hubschraubern suchen lassen und gleichzeitig versuchen, das Imperium weiter an sich zu reißen und vor weiteren Betrügern und Feinden zu schützen. Die Luft ist dünn an der Spitze eines Konzerns. Das heißt: Vertrauen, Schwäche und Naivität können sie sich nicht leisten. Deshalb sind die Damen härter als hart. Im Büro genauso wie im Schlafzimmer. Wer sich für das Business entscheidet, tut das mit jeder Faser und verkauft dazu noch seine Seele. Da sie vor der Besatzung an Bord des Flugzeugs nicht offen sprechen konnten, hatten Abigail und Megan die Royal Suite in einem der feinsten Hotels von Manchester bezogen und Dr. Bob eingeladen, sie dort zum Lunch zu treffen. Das Wissen, dass die Schwestern nach immer höheren Dosen der Perversion gierten, um ihre abgestumpften Gelüste zu stimulieren, ermutigte ihn, den Gefahren des bevorstehenden wichtigen Telefonanrufs zu trotzen. Sein Körper, längst entstellt von heftigen Striemen und Kratzern, gelblich verfärben Blutergüssen und neuerdings der frischen schmalen Wundnaht auf seiner Brust, schrie nach Rache. Es kommt noch schlimmer für die schlimmen Schwestern: ihre Halbschwester Florence – einst vom Vater enterbt – betritt nach langer Abwesenheit die Bühne und will sich mit Dunbar aussöhnen. Sie wird zur Endgegnerin für Abby und Megan und für den Leser zu einer angenehmen Verschnaufpause. Florence ist nämlich ein Mensch. Ein Mensch mit klarem Kopf und einem gesunden Gefühlsleben. Eine Tochter, die ihren Vater liebt und ihm helfen will. Ein bisschen zu böse Das Spiel „Gut gegen Böse“ ist eine alte Masche – niemand gibt ihr so viel Kraft und Drama wie Meister Shakespeare. St Aubyn greift sie auf und schleift sie einmal gehörig durch den zeitgemäßen Dreck aus Sex, Drugs und fast ein bisschen wenig Rock’n’Roll. Das liest sich locker und das Wühlen im Schmutz und der zunehmenden Verrohung fast aller Charaktere fühlt sich bisweilen wie das Begaffen einer Katastrophe an: man will wegschauen, aber die Gier ist zu groß. Der Autor spielt mit unserer Lust nach Sensationen – und er weiß ganz genau, was er da tut und wie er es tut. Manchmal trägt er so dick auf, dass es zu gestelzt, zu konstruiert wirkt. Für meinen Geschmack zumindest. Dann sind mir die Bösen ein bisschen zu böse und die Guten ein bisschen zu gut. Vielleicht funktioniert die Tragödie aber auch nur so. Und vielleicht – ja, ich befürchte, es ist so – trägt er noch nicht dick genug auf, um der Realität das Wasser reichen zu können. Dieser Roman passt in diese Zeiten, in denen die Sprache immer roher zu werden scheint und Anstand sich im öffentlichen Raum zum seltenen Phänomen entwickelt. Man erträgt es nicht besser, wenn man ihn gelesen hat. Die „Elite“ – der Schlangenkopf aus Medienkonzernen und Politikern – zeigt hier seine hässlichste Fratze. Aber wer einen Blick hinter die Machtstrukturen von Trump und Co. werfen will, findet hier sein Buch. Das Hässliche kommt poetisch und unterhaltsam daher. Aber Vorsicht: die Bilder, die St Aubyn malt, wird man so schnell nicht wieder los.

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