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Rezension zu
Fallensteller

Feines Gespür für das Fabelhafte und Groteske

Von: Buchfundbüro
18.01.2018

Nach seinen vielfach ausgezeichneten Romanen Wie der Soldat das Grammofon repariert und Vor dem Fest hat Saša Stanišić mit dem Fallensteller seinen ersten Erzählband vorgelegt – und erweist sich damit einmal mehr als großer Erzähler mit feinem Gespür für das Fabelhafte und Groteske. Dabei ist es vor allem das Reisen, das unterwegs und auf der Flucht sein, das ein wiederkehrendes Motiv der zwölf, zum Teil zusammenhängenden, Erzählungen darstellt. Stanišićs Geschichten führen nach Norwegen und Island, Frankreich und Jugoslawien, an die entlegensten Winkel Europas und in die tiefste deutsche Provinz. Sie handeln von Aufbruch und Abenteuer, vom Unheimlichen im Vertrauten und dem Wunsch nach Abstand vom Alltäglichen. Da ist zum Beispiel Georg Horvath, der als Justiziar einer Brauerei schon von Berufs wegen stets um Präzision bemüht ist – sich insgeheim jedoch nichts mehr wünscht, als einmal „selbst aus der Rolle zu fallen, Geschäftspartner mies zu behandeln, Termine zu vernachlässigen und zu Hause Pflichten.“ Dabei ist es nicht nur sein Arbeitsleben, das ihm beständige Gewissenhaftigkeit und Perfektion abverlangt, sondern auch das Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin Regina, die „professionell in allen Dingen“ ist – egal ob sie nun „ihre Patienten aufmacht“, oder „Auberginen aufschneidet“. Selbst im Privaten bleibt Horvath so keine Zeit für Müßiggang: „Auch zu Hause wäre er überflüssig gewesen, aber er hätte dabei unter dem Druck gestanden, sich nützlich zu machen. Denn für Regina war Zuhause ein Ort, der stetig optimiert werden musste, gesäubert, aufgeräumt, repariert. Nur durch kontinuierliche Arbeit an dem Zuhause blieb das Zuhause ein Zuhause.“ Da kommt Horvath die berufliche Reise nach Brasilien gerade recht, bietet sie ihm doch eine willkommene Gelegenheit, „an drei Tagen mehrheitlich überflüssig sein zu dürfen an einem warmen, voraussichtlich ansehnlichen Ort.“ Als Horvath aufgrund einer Verwechslung schließlich zu einem falschen Chauffeur ins Auto steigt, scheint sich seine größte Sehnsucht zu erfüllen: Endlich einmal nicht zu wissen, wohin die Reise hingeht. Ohne klares Ziel scheinen auch die beiden Freunde unterwegs zu sein, die auf ihrem – gleich mehrere Geschichten des Erzählbandes umfassenden – Roadtrip durch Nordeuropa immer wieder in geradezu grotesken Situationen geraten. Egal ob sie nun in Stockholm das Gemälde einer syrischen Surrealistin stehlen, einen albanischen Pizzabäcker erpressen, in Vaasa den finnischen Gott der Reise besuchen oder sich in Reykjavik auf die Suche nach der vom Aussterben bedrohten Turteltaube machen, mit der sie am Ende Karaoke in einer Hotellobby singen: Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie scheinen stets fließend. Überhaupt sind die Beweggründe, die den namenlosen Ich-Erzähler und seinen Freund Mo bei ihren Handlungen antreiben, mit nüchterner Logik allein kaum zu erfassen: Ist es doch gerade ihre Faszination für das Unverständliche, die die beiden verbindet. „Mo und ich verstehen einander häufig nicht. Das ist in Ordnung, denn mehr als das Nichtverstehen fürchten Mo und ich das Verstehen. Zu versuchen, etwas zu begreifen, ist unermesslich anstrengender als verwirrt zu bleiben. Bloß geben wir das häufig nicht zu. Sind wir in einem Museum, loben wir erst mal alles, was nicht Wand ist, und manchmal auch die Wand.“ (139) Wie schon bei Horvath, hat das Reisen auch hier nur wenig mit einem klassischen Erholungsurlaub zu tun, ist es vor allem eine Flucht vor den alltäglichen Gewissheiten, die in Begriffen wie ,Heimat‘ und ,Zuhause‘ ihren Ausdruck finden. „Mo und ich sind unabhängig, ungebunden, unverzweifelt, privilegiert. Wir reisen, damit geschehen kann, was zu Hause nicht geschehen kann. Damit Zuhause nicht geschehen kann. Uns verbindet eine große Feigheit vor Nachbarschaften und Mitgliedschaften, vor Smalltalk mit dem Postboten, vor der Kaufberatung im Kaufhaus, vor Spieleabenden.“ Mitten hinein in einen solchen nachbarschaftlichen Mikrokosmos führt Stanišić schließlich mit seiner titelgebenden Erzählung Fallensteller. Mit dem uckermärkischen Fürstenfelde wählt er dabei einen Schauplatz, der seinen Lesern bereits aus seinem Roman Vor dem Fest mehr als vertraut sein dürfte. Dabei präsentiert sich die Erzählung nicht nur als ein Wiedersehen mit alten Bekannten – natürlich sind auch das Bäckerehepaar Zieschke, die Malerin Frau Kranz und der draufgängerische Lada hier wieder mit von der Partie –, sondern erzählt mit einem Augenzwinkern auch davon, wie es mit Fürstenfelde weiterging, nachdem es literarische Berühmtheit erlangt hatte: Wie „Literatur-Touristen“ auf „den Spuren des Buchs“ durch das Dorf radeln zum Beispiel oder ein „Lesezirkel aus Lübeck“ plötzlich in Ullis Trinker-Garage steht und Fotos mit den Dorfbewohnern machen will. Sie erzählt außerdem von dieser unangenehmen Sache, die im Roman unerwähnt blieb: von den Ratten in der Garage, die eine echte Zumutung sind. Da trifft es sich gut, dass eines Tages ein Fremder in Fürstenwalde erscheint, der sich auf das Fallenstellen spezialisiert hat. Und weil es in Fürstenfelde weit mehr als Ratten zu fangen gibt – Mäuse, Wölfe oder gar noch Schlimmeres – bleibt der geheimnisvolle Gast gerne etwas länger zu Besuch. Wie in fast allen Erzählungen des Bandes, ist es dabei vor allem die feine Mischung aus groteskem Humor, märchenhaften Elementen und purer Lust am Fabulieren, die den Fallensteller seinen einzigartigen Charme verleiht. Dabei sollte man sich als Leser nicht davon irritieren lassen, dass mit der Geschichte rund um den angehenden Magier Ferdinand Klingenreiter und Billard Kasatschok ausgerechnet zwei der eher schwächeren Erzählungen den Auftakt des Bandes bilden. Spätestens mit Die immens schönen tragischen blöden glückseligen deutschen Flüsse tritt so schließlich jene, mit Melancholie gepaarte, sprachliche Virtuosität wieder zutage, die Stanišić zu Recht den Ruf eingebracht hat, einer der talentiertesten Erzähler der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zu sein.

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