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Rezension zu
Das geheimnisvolle Leben der Pilze

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Es ist kein Buch, welches man in einem Rutsch durchliest.

Von: KRAUTJUNKER
20.12.2017

Unter Lebewesen stellen sich die meisten Menschen Pflanzen und Tiere vor. Das Pilze ein eigenes, nicht minder wichtiges Reich bilden, ist vielen nicht bewusst. Im Allgemeinen Bewusstsein gelten sie noch immer als so etwas wie die primitiven Vorfahren höherer Pflanzen. Genauso wurden sie auch lange in Lehrbüchern beschrieben. Es gibt Leute, die meinen, ihnen begegnen Pilze nur als Champignonscheibe auf ihrer Pizza, als Schimmelfleck in ihrer Zimmerecke oder auf vergammelten Lebensmitteln sowie im Genitalbereich als juckendes Souvenir eines romantischen Abenteuers. Weit gefehlt, es gab Pilze bereits vor den ersten Tieren und Pflanzen und sie durchdringen immer noch alles Organische auf diesem Erdenknödel. Alleine durch ihre Existenz haben sie die Grundlage für die Entwicklung anderer Lebensformen gebildet. Im Devon, einer erdgeschichtlichen Epoche vor unvorstellbaren 420 bis 350 Millionen Jahren, Tausendfüßler, Insekten und Würmer waren die ersten Tiere an Land, und die Wirbeltiere entfalteten sich gerade unter Wasser, begannen die ersten höheren Pflanzen das Land zu besiedeln. Zu dieser Zeit ragte mit dem neun Meter hohen Prototaxites ein gigantischer Pilz aus der flachen Vegetation. Nach dem jetzigen Stand unseres Wissens, war er der höchste und größte landlebende Organismus seiner Zeit. Auch heute ist das größte bekannte Lebewesen ein Pilz. Die gesamte Biomasse eines im Jahr 2000 in Oregon entdeckten Hallimasches wiegt so viel wie vier ausgewachsene Blauwal-Weibchen, satte 600 Tonnen. Der Baumfresser erstreckt sich auf einer Fläche von mehr als 1.200 Fußballfeldern. Nicht erst seit dem Devon sind Pilze der Motor der Verrottung aller organischen Substanzen. Sie halten die Nähr- und Kraftstoffe der Natur in ständiger Zirkulation. Unsere Welt erstickt nur deswegen nicht an gestorbenen Tier- und Pflanzenkadavern, weil es Pilze gibt. Mehr noch, viele Pflanzen und Tiere, so auch der Mensch, sind für Pilze lebende Biotope und Symbionten, ohne welche die Wirte selbst nicht existieren könnten. Im Gegensatz zu Tieren oder Pflanzen, bei deren Fortpflanzung ausnahmslos Geschlechtszellen in weiblicher oder männlicher Form vorkommen, verfügen Pilze über tausende verschiedener sexueller Identitäten. Ein Konzept, welches sich ein Berliner GenderpolitikerIn nicht unübersichtlicher hätte ausdenken können. Sind Pilzkopf-Frisuren daher bei Menschen so beliebt, die noch an der sozialen Konstruktion ihrer sexuellen Identität feilen? Naturwissenschaftler nehmen an, dass die relativ simplen Pilzkörper der Grund sind, warum Pilze keine spezifischen Ei- und Samenzellen ausbilden. Komplexe und große Pflanzen- und Tierkörper benötigen am Anfang ihres Lebens ausreichend Nahrung und Zeit, um die ersten Entwicklungsschritte zu absolvieren. Pilze hingegen schlüpfen vollständig ausgebildet aus den winzigen Sporen ihrer Erzeuger. Während ich dies schreibe, erinnere ich mich an einen Freund aus zwanzig Jahre vergangenen Studetentagen, nennen wir ihn Harry. Auf unseren alkoholisierten Streifzügen durchs Leipziger Nachtleben pflegte er die Marotte, Frauen beim Flirten daraufhin anszusprechen, ob sie gerne Pilze essen würden. Er hatte die ebenso verwegene wie testosterongesteuerte Theorie entwickelt, dass Frauen, denen Pilzsaucen munden, auch Fellatio schmeckt. Meinen männlichen Lesern kann ich diesen Gesprächseinstieg nicht als eine funktionierende Anmachmasche empfehlen. Meine weiblichen Leser seien gewarnt, welche Abgründe in harmlos erscheinendem Smalltalk lauern können. Zu seiner Verteidigung mag man annehmen, dass nur das Pilsbier aus Harry sprach. Tatsächlich treiben im Amazonas-Urwald gewissermaßen Frankenstein-Pilze ihr Unwesen. Ihre Sporen befallen und kontrollieren die Gehirne von Ameisen. Die von Pilzen der Gattung Ophiocordyceps infizierte Ameise klettert gegen ihren Instinkt auf ein etwa 25 cm hohes Blatt, wo sie von einem Giftcocktail des Pilzes getötet wird. Pilzfäden wachsen nun aus den Ameisenfüßen, damit das Insekt nicht herunterfällt. Aus dem Kopf der Ameise entspringt ein langer Stiel mit einem Fruchtkörper, der sich von den inneren Organen der Ameise ernährt. Dieser Fruchtkörper lässt neue Sporen auf futtersuchende Ameisen herunterrieseln, welche dadurch selbst zu pilzgesteuerten Zombies werden. Seit den frühen Tagen der Menschheit machen wir uns Pilze bewusst zu nutze. Der Zunderschwamm war über tausende von Jahren große Hilfe beim Feuermachen, ohne Hefepilze gäbe es weder Brot noch Bier und wir nutzen heute Pilze unter anderem bei der Herstellung von Waschmitteln, Medizin, Kosmetika und Textilien. Psychoaktive Pilze werden seit der Steinzeit als Rauschmittel und bei unappetitlichen religiösen Zeremonien verwendet. Schimmelpilze der Gattung Penicillin retteten hundert Millionen Menschen das Leben. Andererseits richten Pilze Milliardenschäden durch die Zersetzung von Lebensmitteln, Holz, Papier, Textilien und aller weiteren organischen Stoffe an. Es sterben jährlich bis zu 1,5 Millionen Menschen pro Jahr an Pilzinfektionen. Die Natur ist eben keine in pastellfarben gemalte und in Weichzeichner getauchte harmonische Scheinwelt voller glücklicher Kreaturen, wie es Menschen mit einem nature deficit disorder, einem Natur-Defizit-Syndrom, erscheint. Die Beschäftigung mit Pilzen ist ein Weg, die Rhythmen, Zyklen und Erscheinungen der Ökologie zu verstehen, und von einer verklärten zu einer realistischen Sicht des Lebens zu kommen. Der österreichische Zoologe, Biologe, Naturschützer, Journalist und Naturfotograf Dr. Robert Hofrichter streift seit frühester Jugend durch die Wälder, stets auf der Suche nach „Schwammerln“. Mit Das geheimnisvolle Leben der Pilze hat er ein Buch verfasst, welches für Pilze begeistert und komplexe naturwissenschaftliche Zusammenhänge in leichtverdaulichen Textabschnitten serviert. Es ist kein Buch, welches man in einem Rutsch durchliest. Immer wieder möchte man Wissen sacken lassen. Andererseits kann man es auch immer wieder aufs Geratewohl aufschlagen und neu querlesen. An jeder Stelle erfährt der Leser Neues über eine Lebensform, der er bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit gezollt hat. Pilze, Pflanzen und Tiere sind auf eine wundersame Weise seit Jahrmilliarden durch Kooperationen und Konflikte miteinander verbunden. Dies zu akzeptieren und zu verstehen ist ein Teil der Liebe zum Leben.

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