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Rezension zu
Der Sympathisant

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Apocalypse Vietnam - Die Zerstörung des amerikanischen Mythos

Von: Koreander.net
25.09.2017

Der Vietnamkrieg (1955-1975) ist eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Bis zu fünf Millionen Vietnamesen wurden ermordet, davon waren etwa 4 Millionen Zivilisten. Bis heute glaubt ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung es wären gerade einmal 100.000 Vietnamesen ermordet worden. Dass die USA diesen Krieg verloren haben, ist den meisten Menschen ebenso wenig bewusst. Viet Thanh Nguyen hat mit "Der Sympathisant" einen brillanten Roman geschrieben, der die Geschichte des Vietnamkrieges aus vietnamesischer Perspektive erzählt und damit die Dominanz der US-Geschichtsschreibung zumindest zum Wanken bringt. Der Sympathisant ist ein namenloser Erzähler, der offensichtlich ein Geständnis zu Papier bringen muss. Was es damit auf sich hat, bleibt lange im Unklaren. Von Beginn an ist allerdings deutlich, was der Erzähler ist. „Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern.“ Viet Thanh Nguyen hat einen Doppelagenten erschaffen, der zwar für die Amerikaner und Südvietnamesen arbeitet, tatsächlich aber ein Agent der Nordvietnamesen ist. Dabei ist der Spion einem realen Vorbild nachempfunden nämlich Phạm Xuân Ẩn. Wie so vieles in Nguyens Geschichte ist wenig erfunden. Es sind literarische Verdichtungen, chronologische Abweichungen, die Protagonisten sind fiktiv, sind aber zugleich auch real, wenn auch nicht im konkreten individuellen Fall. Ngyuens Roman wird vom Feuilleton als moderner Spionagethriller gelabelt. Und das liegt natürlich auch nahe, beschreibt sich der Ich-Erzähler doch als Agent. Letztlich ist das aber nur die Rahmenhandlung, die einen zusätzlichen Spannungsbogen erzeugen und vor allem die Episoden verbinden soll. Denn letztlich ist der Sympathisant vor allem eine Abrechnung. Eine Abrechnung mit dem vorherrschenden westlichen Narrativ. Und dazu muss Nguyen zahlreiche Mythen auf- und angreifen, um sie möglicherweise für den einen oder anderen Leser auch zu zerstören. Dieser Kern der Erzählung ist selbst dermaßen spannend, dass bereits diese vietnamesischere Perspektive einen unglaublichen Spannungsbogen erzeugt. Als dritte Ebene gibt es noch eine Freundschaft dreier Männer, die bis ins Kinderalter zurückreicht und über ideologische Grenzen hinweg bestehen bleibt. Allerdings schließen sich zwei der Revolution an, während sich der dritte nicht nur für Südvietnam entscheidet, sondern auch an einem der grausamsten Mord- und Folterprogramme teilnimmt, der Operation Phoenix. Ein Vabanquespiel zwischen Konfrontation und Kooperation. Der Agent ist ein Intellektueller. Trotz oder gerade wegen seiner professionellen Gespaltenheit, reflektiert er den Krieg, die USA, Vietnam, die Soldaten, Geheimdienste, Zivilisten, Politiker und nicht zuletzt sich selbst kritisch. Dadurch wird ein vielfältiger Blick auf die Jahre des Krieges und kurz danach geworfen. Kaum etwas wird ausgelassen. Ein Höhepunkt des Romans stellt sicherlich die Kritik an Hollywood dar. Der Spion verlässt 1975 am Ende des Vietnamkrieges (der in Vietnam Amerikanischer Krieg heißt), das Land und „flüchtet“ mit anderen Militärs in die Vereinigten Staaten. Hier soll er die Opposition, die Konterrevolutionäre überwachen. Er wird mehr oder weniger durch Zufall zum Berater für einen Vietnamfilm. Und dieser Film ist eine Anspielung auf die bekanntesten Vertreter des Genres. Man kann Parallelen zu Platoon, Full Metal Jacket und allen voran Apocalypse Now entdecken. Zu Francis Ford Coppolas Film gibt es eine herausragende Dokumentation seiner Frau Eleanor Reise ins Herz der Finsternis. Viele Szenen des Romans sind eine direkte Anspielung hierauf. Die grotesken wahren Ereignisse rund um Coppolas Film werden kongenial von Nguyen adaptiert und zu seiner Generalkritik verarbeitet. „Ich war so naiv zu glauben, den Organismus Hollywood von seinem Ziel abbringen zu können, nämlich der Lobotomisierung und Ausbeutung des Kinopublikums auf der ganzen Welt. Der zusätzliche Nutzen Hollywoods war Geschichtsschreibung nach dem Prinzip des Tagebaus. Die Realität blieb zusammen mit den Toten unter der Oberfläche, das staunende Publikum bekam nur die winzigen, funkelnden Diamanten. Hollywood erschuf nicht nur Monster, es war selbst ein Monster…“ Nguyen greift mit seiner Hollywoodkritik einen Kern des amerikanischen Selbstverständnisses an. Die Traumfabrik produziert eben nicht nur schöne Märchen und fantastische Geschichten, sondern auch und nicht zuletzt erzeugt Hollywood das herrschende Narrativ, die einzig gültige Deutung über die Geschichte und Gegenwart. „Mit Filmen klopfte Amerika den Rest der Welt weich, erbarmungslos attackierte Hollywood die mentalen Abwehrkräfte des Publikums mit der Hit-, der Smash-, der Spektakel-, der Blockbuster- und ja, sogar mit der Kassenflopbombe. Es spielte keine Rolle, welche Geschichte die Zuschauer zu sehen bekamen. Entscheidend war, dass es die amerikanische Geschichte war, die sie sahen und mochten – bis zu dem Tag, an dem sie vielleicht selbst von den Flugzeugen bombardiert wurden, die sie in amerikanischen Filmen gesehen hatten.“ Das Grauen des Krieges Eine Geschichte über den Vietnamkrieg kommt nicht ohne Folter aus. Die Wahrheit kann in einem Roman nicht verarbeitet werden, dazu waren die Foltermethoden schlichtweg zu grausam. Ngyuen greift aber einen wichtigen Aspekt der Folter auf, der zudem noch hochaktuell ist. Bei Folter geht es nicht darum Geständnisse zu erpressen oder Informationen zu gewinnen. Das ist lediglich die Rechtfertigung. Tatsächlich geht es bei Folter um Terror. Wir können euch schlimmeres antun als den Tod. Wir können euch den Tod verweigern. Die Amerikaner haben von den Nazis und den Franzosen im Algerienkrieg gelernt und die Foltermethoden verfeinert und verwissenschaftlicht. Herausgekommen ist KUBARK – das Handbuch, die Anleitung zum Foltern. Dabei geht es darum, die Persönlichkeit des Gefangenen zu brechen. Was in der Sympathisant teilweise grausam beschrieben wird, ist nichts anderes als das was immer noch gegenwärtig im Namen des War on Terror geschieht. Nicht nur hier hat Der Sympathisant Ähnlichkeiten mit dem kongenialen Roman "American War" von Omar El Akkad. "Der Sympathisant" ist nicht nur eine Lektion in Geschichte, es ist eine Lektion in Selbst- und Medienkritik. Dass Viet Thanh Nguyen dieses schwierige Thema herausragend verpackt hat, zeigt nicht zuletzt die Auszeichnung mit dem Pulitzerpreis. Was allerdings auch bedeutet, dass er nicht allzu sehr aneckt. Denn eine schonungslose Erzählung sehe noch einmal ganz anders aus. Das wäre dann aber wohl zu konfrontativ geworden und damit wäre auch das Publikum nicht erreicht worden. Sein großartiger Schreibstil trumpft mit unzähligen grandiosen Metaphern, Sprachbildern und Allegorien auf, die es trotz des teils brutalen Themas schaffen, eine satirisch groteske Stimmung zu erzeugen. Der Sympathisant ist jetzt schon ein Klassiker. Feinste Literatur mit einem wichtigen und bewegenden Thema.

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