Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Schere, Stein, Papier

Große Literatur!

Von: Buchberuehrung
24.08.2017

Wenn sich Literatur der Frage nähert, wer oder was genau für den Verlauf und die Sinnhaftigkeit eines Lebens bestimmend ist, ob es das Schicksal, die genetische Veranlagung oder eigene Willensstärke ist, dann kann daraus eigentlich nur Gutes entstehen. Naja Marie Aidt hat einen verstörenden Roman über ein Leben geschrieben, das sich auf unerklärliche Weise mit solcher Radikalität verändert, das man sagen könnte: hier ist etwas gewaltig aus der Bahn geraten. Als Thomas' und Jennys Vater unverhofft in einer Gefängniszelle stirbt, bringt der Tod statt Trauer einen tief begraben geglaubten Berg aus schrecklichen Kindheits-Erinnerungen hervor. Der Vater war ein Trinker, stets schlecht gelaunt, ein Krimineller, auf den sich die Geschwister nie wirklich verlassen konnten. Es sind diese seelischen Narben, die vor allem Thomas prägen und die ihn – ohne es wirklich zu ahnen – noch eine lange Zeit später schmerzen werden. Inzwischen sind sie erwachsen und führen ein Leben, das nicht unterschiedlicher sein könnte: Jenny lebt mit ihrer 18-jährigen Tochter Alice in einem sozialen Brennpunkt in armen Verhältnissen. Ihren Unterhalt verdient sie sich als schlecht bezahlte Krankenpflegerin. Ein Umstand, für den sie Thomas regelrecht verachtet. Denn sie hat es, anders als er selbst, nicht geschafft, die Kindheitstraumata zu überwinden und ihr Leben nach eigenen Wünschen zu formen und letztlich zu genießen. Thomas hingegen ist sich selbst sein eigener Chef. Er besitzt einen Laden für schickes Büromaterial, den er mit seinem Freund Maloney führt. Seine Lebenspartnerin Patricia ist angesehene Kunsthistorikerin, ihr gemeinsames Leben in einem modern designten Wohnraum könnte nicht besser sein. Wenn Freunde zu Besuch sind, wird bei extravagantem Menü mit teurem Wein über Literatur diskutiert. Man könnte auch sagen: Eine gekonnte Inszenierung von Intellektualität! Als also der Vater stirbt, rührt sich in Thomas nicht viel. Die Geschwister schlagen das Erbe aus und nehmen nur einen alten, verrosteten Toaster mit, in dem Thomas – und das ist scheinbar das Umschlagsmoment der Geschichte – ein Bündel Geldscheine entdeckt. Es muss, denkt Thomas, von Vaters letztem Coup sein. Er versteckt es heimlich in seinem Keller. Das Geld – als Inbegriff des Bösen figurierend –, an dem buchstäblich noch die kriminellen Fingerspuren des Vaters kleben, nimmt auf rätselhafte Art und Weise Einfluss auf Thomas Leben: es verfolgt ihn in seinen Gedanken, raubt ihm jede Ruhe, und schwört in dieser Weise Wahn und Paranoia langsam herauf. Doch, wo ist das Geld tatsächlich hergekommen und wem gehört es? Und so kann Thomas von dunklen Gedanken nicht ablassen und die Suche beginnt, zugleich geschehen seltsame Dinge und niemand weiß, wie ein Leben so leicht zugrunde gehen konnte. Eine wuchtige Geschichte voller Brutalität ertönt in leisen Tönen und berührt mit ihren allzu menschlichen Figuren, die – wie wir alle – verletzlich sind und sich nur schwer von tiefsitzenden Erschütterungen des Lebens erholen können. Großes Kino! Ganz in Knausgårdschem Stil wird dabei alles wahrgenommen, reflektiert und minutiös geschildert. Die Gefühlswelt wird in ihrer Komplexität seziert, nichts ist zu banal und alles hat Bedeutung, wenn man der Sache auf den Grund gehen will. Und mittendrin, so ganz nebenbei lässt Naja Marie Aidt ihre Figuren eine Debatte über das Wesen der Literatur führen, und handelt die Frage aus, ob Letztere, um wirklich gut zu sein, autobiografisch oder fiktional sein muss. Es sei ihr verziehen. Ansonsten: Bravourös!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.