Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Die Ruhe weg

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Rosenkrieg im Prenzlauer Berg – „Die Ruhe weg“

Von: Kulturjournal Fräulein Julia
10.08.2017

Die Geschichte einer Ehe in drei Akten: Eva Sichelschmidt legt in „Die Ruhe weg“ das instabile Grundgerüst einer Ehe im Bilderbuch-Prenzlberg offen. Hinter den totsanierten Altbaufassaden im Prenzlauer Berg brodelt es: Marlies und Till sind seit etlichen Jahren ein Paar, haben zwei Kinder und eine hübsche Dachwohnung in einem der wenn nicht angesagtesten, so doch pastellfarbensten Stadtteile Berlins. Doch zu sagen haben sie sich eigentlich nichts mehr, Till schläft seit neuestem auf dem Sofa und Marlies heimlich mit ihrem Yogalehrer. Oder besser: sie lässt sich nach Strich und Faden vögeln – denn Leidenschaft und Kreativität im Bett hatte sie bei ihrem Ehemann schon länger vermisst. Till, dieser depressive Schluffi, der es zu nichts weiter geschafft hat als zum mittelmäßigen Berufsmusiker in einem Musical, während sie mit ihren journalistischen Auftragsarbeiten die Familie finanziell über Wasser hält! Borniert, blasiert und bockig So denkt Marlies und so werden wir auch als Leser in die Geschichte ausgeführt: Durch die Augen dieser bornierten, unsympathischen Frau Ende 40, die ihren straffen Po und damit die Chancen in der Männerwelt schwinden sieht. Alle paar Kapitel kommt auch Till zu Wort, der die ganze Situation natürlich völlig anders betrachtet und sich als wehrloses Opfer einer durchdrehenden Frau sieht, die er trotz allem noch immer liebt. Das ist ja schließlich auch eine jahrelang gepflegte Gewohnheit. Als Marlies beim Yoga Gaby kennenlernt, die ein angeblich aufstrebendes Unternehmen für Online-Kunstauktionen gegründet und dort super duper Selbstverwirklichungsmöglichkeiten anbietet, sieht Marlies ihre Chance: Mit der ganzen Familie würde sie neu anfangen – in Rom übrigens, denn dort soll Marlies die Außenstelle von Artificial Artbay leiten – und glücklich und zufrieden unter der Sonne Italiens arbeiten. Till sieht das allerdings anders, die Fetzen fliegen, die Trennung folgt und Marlies fährt nur mit ihrer Tochter Anni und Sack und Pack gen Süden, während Sohn Jan beim Vater in Berlin bleibt. Doch in Bella Italia ist längst nicht alles so rosig, wie sie sich das ausgemalt hatte… prenzlauer berg Zwischen Klischee und repräsentativen Querschnitt Prenzlauer Berg ist ein fruchtbarer Boden von Klischees, von denen viele – ich wohne seit fast einem Jahrzehnt mittendrin – einen wahren Kern haben. Das weiß auch Eva Sichelschmidt, die den Rosenkrieg zwischen Marlies und Till mit in gewisser Weise bekannten Szenen zu Papier gebracht hat. Ohne sich dabei übrigens unangenehm in der Klischeefalle zu verheddern, die ja immer wieder über den Prenzlauer Berg zusammenschnappt! Klischeebehaftet sind dafür die Figuren, die bestimmten Typen zugeordnet sind: Marlies selbst, die mit ätzenden Bemerkungen und Gedanken über die „Muttis vom Prenzlberg“ herzieht und sich dabei versichert, selbst ganz anders gewesen zu sein. Man war ja in den 90er Jahren in den Osten der Stadt gekommen, um einen freieren Lebensstil zu entwerfen – das Marlies damit wahrscheinlich selbst zu den Spießer-Muttis gehört, die Jahre später alte und etablierte Clubs (in denen sie früher selbst tanzten) aufgrund des Lärms aus ihren angestammten Räumlichkeiten klagen, kann man sich leicht dazu denken. Dazu Till, der depressiv verstimmte Schluffi ohne Mumm, Ralf, der heißblütige Lover mit Designer-Wohnung, Heike, die übergewichtige Freundin, die einen Gigolo für Sex bezahlt und Gaby, die karrieregeile „ewig-jung-Gebliebene“. Und natürlich die Nachbarin Kerstin, die von ihrem Mann mitsamt Kindern verlassen wurde und die nun – unzufrieden und ungevögelt – in ihrer hübschen Dachwohnung Däumchen dreht. Nunja, das klingt alles ein bisschen platt – doch wird es in seiner Zusammenstellung tatsächlich zu einem treffenden Querschnitt durch den Kiez. Und dennoch hat dieser Roman einen fahlen Beigeschmack. Nicht nur, weil er im Lichte der faktisch nachweisbaren hohen Scheidungsraten in meinem Stadtteil ein bisschen die Lust auf die eigene Hochzeit vermiest, sondern auch, weil die Autorin Marlies – die als Journalistin ja durchaus über eine gewisse Intelligenz verfügt – in jedes noch so kilometerweit erkennbare Fettnäpfchen tapsen lässt und sie durch ein Unglück nach dem nächsten jagt, dass man sich an die Stirn fasst. Bitte, das nicht auch noch, das ist doch völlig übertrieben! Eine Frau, die es kurz vor den Wechseljahren nochmal so richtig wissen will – muss das denn so schiefgehen? Als Leser möchte man Marlies und Till am Kragen packen und zu einem Paartherapeuten bringen, auf das sie Brücken bauen über die scheinbar unüberwindlichen – aber bei näherem Hinsehen durchaus verbindbaren – Abhänge. Die Ruhe weg hat bis dahin nämlich wirklich keiner!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.