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Rezension zu
Lisa heißt jetzt Lola und lebt in der Stadt

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Wie Großtantes üppiger Busen

Von: Laura aus Dortmund
17.09.2014

Lisa würde lieber Lola heißen. Das ist ganz normal. Ich wollte früher auch lieber Bibi Blocksberg sein. Und Lisa klingt nun wirklich langweilig. Abgesehen davon hat die Protagonistin dieses Romans ganz andere Probleme: Seit ihre Mutter Suizid begangen hat, lebt sie bei ihrer Oma und ihrem psychisch labilen Vater. Das macht auch ohne Taschenrechner 0,0% pädagogisches Talent. Dazu noch in diesem Kaff, wo sich Karrierechancen auf den Titel einer Wurstfachverkäuferin beschränken. Kein Wunder, dass das Mädel eines Tages ausreißt - ohne Plan; ohne die Fähigkeit, Ansätze eines Planes zu entwickeln. Hat das Dorfleben jeden Funken Liebe in Lisas Leben verschluckt? Kann wenigstens eine Großstadt wie München ihr ein ordentliches Bild rosaroter Träume zeichnen? Mein Papa weigert sich, folgende Wahrheit zu akzeptieren: Wenn meine Freunde langhaarig sind, heißt das nicht gleich, dass sie kiffen. Und wenn der Titel eines Buches auf dem Cover schnörkelig ist, dann heißt das nicht gleich, dass es hinter der Fassade auch flauschig und lieb zugeht. So. Der Meister der Weisheiten hat gesprochen. Die junge Autorin zeigt in diesem Werk viele (hoffentlich nicht alle) Facetten ihres Könnens. Dynamische Assoziationsketten, zeitgenössischen Wortwitz, durchdachte Charaktere. Was den Stil des Romans am meisten ausmacht, ist der bitterböse Humor, der es schafft, niveauvoll unter die Gürtellinie zu gehen. Was ich jedoch niveauvoll finde, muss es nicht unbedingt auch sein. Wenn ich derartige Witze in einer Menschentraube mache, schauen mich erst alle Leute erschrocken, dann angewidert an. Und irgendwie werde ich dann aus der Traube hinausbefördert. Als ob die Frucht Stuhlgang hätte - ich in der Rolle des Exkrements. Meistens merke ich das erst im Nachhinein, weil ich in der Regel viel zu sehr mit Lachen beschäftigt bin. Doch plötzlich stehe ich allein da (leises Klaviergeklimper an). Traurig. Über mir die einzige, winzige Regenwolke des warmen Sommertages. Und Tränen auf meiner Wange. Viele Tränen. Wer das liest, muss sich ein abgrundtiefes Seufzen vorstellen, und jetzt (!) vergessen, was er gelesen hat (denn das war ja offensichtlich übertrieben ... echt! Ach ja: Klaviergeklimper aus). Zum besseren Verständnis hier ein Zitat: „Eigentlich - wenn ich das mal so formulieren darf - scheiße ich auf meinen Job. Natürlich nur im übertragenen Sinne, denn obwohl ich nicht viel darüber weiß, über meinen Job, meine ich, bin ich mir ziemlich sicher, dass man nicht auf die Wurstauslage kacken sollte.“ [S. 5] Tja. Jetzt ist Festhalten und Anschnallen angesagt, denn: Ich finde den Roman ganz und gar nicht witzig. Nicht, dass ich nicht gekichert hätte. Ich habe sogar sehr viel gekichert, aber irgendwie gehört es sich einfach nicht, über Lisas Schicksal zu lachen. Sie ist emotional gestört und davon überzeugt, dass sie niemals jemand lieben wird. Jäh aufkeimende Hoffnungen werden zerdeppert, bevor sie erst richtig aufkeimen können. Dann dieser nervtötende Charakterzug: Das Schwarzsehen. Nie die Initiative zu ergreifen, und wenn doch, dann jämmerlich scheitern - warum? Weil Lisa klammert. Dieser Mix aus Klammern und Wegwerfen ist bisweilen zu viel für einen armen, psychologisch ungeschulten Leser. Und auch meine geliebten Assoziationsketten und Perspektivwechsel, diese ganzen rhetorischen Spielereien können einen überrennen wie eine Horde Ochsen. Was der eine originell findet, kann den anderen schnell erdrücken wie Großtantes üppiger Busen. Oder umhauen wie ihr miefiger Atem. Da hätte man sich tatsächlich ein wenig zurückhalten können. Nicht müssen. Mich hinterließ dieses Buch jedenfalls fasziniert, deprimiert, frustriert. Erleichtert und bemitleidend. Einerseits mit einem blinkenden Fragezeichen über dem Kopf, andererseits ... Nein, das kann ich so nicht weiterführen. Ich meine, wer hat schon ein Semikolon oder einen Doppelpunkt ... Die Charaktere sind zum Verrücktwerden. So, wie echte Menschen. Die Geschichte trägt einen starken Sarkasmus, oft auch schon Zynismus auf der Oberfläche, wie es mit manchen Personen ist, die im Inneren tieftraurig sind. Ich merke schon, dass die Stimmung an irgendeiner Stelle eingefroren sein muss. Zum Schluss also ein paar tröstende Worte an Lisa höchstpersönlich: Lisa. Kopf hoch! Lola klingt wirklich besser. Aber du heißt nun einmal Lisa, bis du deinen Namen offiziell geändert hast. Aber das macht gar nichts. Ich bleibe auch ich. Nicht, weil ich nicht Bibi Blocksberg sein könnte, sondern, weil ihre Stimme so nervig ist (in beiden Varianten). Außerdem findet sich immer wer, der auf Großtantes üppigen Busen steht. Großonkel, zum Beispiel. Und es gibt Leute, die lassen sich von Ochsen nicht so einfach umrennen. Die schwingen sich auf deren Rücken und reiten sie. So. Der Meister der Weisheiten hat gesprochen - und verschwindet in einer türkisen Rauchwolke, mit einem omnipräsenten, zarten, magischen Plöppen.

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