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Rezension zu
Die Ruhe weg

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Anregende Betrachtungen des modernen (Ehe-) Lebens

Von: Michael Lehmann-Pape
20.06.2017

Auch wenn Eva Sichelschmidt das Personal ihres neuen Romans je bestimmten „Lebenshaltungen“ und „Persönlichkeitstypen“ zuordnet, vom Luftikus zum leichT Depressiven, von der Power-Frau zum „Latin-Lover“, vom sensiblen „Streber“ zur leicht schon aus der „Fassung“ geratenen Heranwachsenden, das Gemisch, dass sie damit herstellt, ist durchaus ein repräsentativer Blick auf die3 moderne Zeit. Mit ihrer Szene im „Szene Viertel“ in Berlin, mit der Hektik, dem Druck und dem „viel mehr Schein als Sein2 aktueller Start-Up Hysterien, mit sich auseinander lebenden uralten Freundschaften, weil in dieser Welt eben jeder seinen Weg geht, wie illusorisch der auch sein mag. Und ebenso tauchen, wohltuend eher am Rande, auch die Umstände von Flüchtlingen mit auf und Männer, die in Parks herumlungern. Bis hin zu den karikierten und doch so treffenden Momenten mit der „Vorgängergeneration“, wenn die Eltern zum unpassendsten Zeitpunkt zu Besuch erscheinen. Wobei das alles eher langsam beginnt. Und dennoch umgehend klar wird, dass der Titel des Buches im wörtlichen, nicht übertragenen Sinne zu verstehen ist. Die (teils auch lethargische) Ruhe ist weg. Bei Till, dem träumerischen, sanften, therapiebedürftigen Mann und Vater, der tagelang im Dämmerschlaf auf der Couch zubringen kann, wenn er nicht die Gitarre zu schwingen hat in einem Lindenberg-Musical in Berlin. Das alles natürlich mit dem Fahhrad, wir befinden uns ja in einem „bewussten“ Haushalt. Die Ruhe ist auch weg bei Marlies. Im Blick auf Till, dessen ständig melancholischen, waidwunden Blick sie kaum mehr erträgt. Vor allem, seitdem Ralf in ihrem Leben eine Rolle spielt. Yoga Lehrer und nicht nur auf der Yoga Matte eine Wucht. Doch menschlich… das passt sich ein in diese Horde egozentrischer Gestalten, die ständig mit sich beschäftige sind. Die erst einmal immer tief nach innen atmen müssen, um zu entscheiden, was genau sie gerade wollen. Oder auch nicht. Hauptsache es kommt keine Langeweile auf und man kann seinem „Veggie-Leben“ frönen, „Es war einer dieser teuren Geschwisterbuggys, die aussahen wie ein aufgebockter Bürostuhl mit integriertem Wäschekorb“. Eine Welt, an der Marlies fast durchdreht. So gezielt unordentlich geordnet, so konsequent auf Image gebürstet, wie später der Ganzkörpertätowierte Bademeister in Ostia und der italienische Jugendfreund, der ganz auf sensiblen Hengst macht. Im Gegensatz zum „Prenzlauerberg-unisex-look“, den auch Marlies angenommen hat und nun, mit 40, feststellt, dass Kleid und hohe Schuhe einen doch eine ganz andere Frau sein lassen. Während Till den Leser über lange Zeit hinweg bald nur noch nervt mit seinen oft feuchten Augen und seiner endlosen Suche nach sich selbst, den er auch in den Therapiestunden nicht wirklich findet. Wie Lindenberg in einem Song singt „Was hat die Zeit aus uns gemacht“, so dekliniert Sichelschmidt diese Frage an ihren Protagonisten durch und stellt in ihrem, auch sprachlich, gut zu lesenden Roman das alte Thema des „Kann es das gewesen sein?“ im modernen gewandt der „Hipster“ und „Bewegten“ bestens dar. Mit dem „großen Ausbruch“ nach Italien, Rom, Land und Stadt der Sehnsucht, mit der ernüchternden Realität dort, mit dem, was verbindet, was trennt und was bleiben könnte. Wobei, da sei der Leser gewarnt, ein echtes Happy-End, eine „Neu-Werdung“ wird so nicht im Raum stehen am Ende der Geschichte. Betrüblicherweise scheint dies die Welt einfach nicht mehr herzugeben in diesem sich „ruhig einrichten, irgendwie“ oder eben „keine Ruhe geben können auf dem Weg nach oben“, wo immer Einzelne im Roman dieses Oben auch verorten würden. Eine im Stil vergnügliche, in den den Personen und „Lebensräumen“ karikiert erkennbar getroffene und im Inhalt durchaus nachdenklich zurücklassende Lektüre.

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