Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge

Ergreifend und genial geschrieben

Von: Buntes Tintenfässchen
17.06.2017

Euch ist sicher aufgefallen, dass ich viele Bücher lese, die während der NS-Zeit spielen - das Thema des Holocaust interessiert mich einfach sehr, vor allem aber berühren und schockieren mich die vielen verschiedenen Schicksale der Juden immer wieder aufs Neue. So geschehen auch bei Matteo Corradinis Jugendroman Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge, ein Buch, das genauso poetisch ist, wie sein Titel vermuten lässt. Dieser ist nämlich angelehnt an ein Gedicht, das einer der Jungen, die von 1942 bis 1944 die Kinder-Zeitung "Vedem" im Ghetto Theresienstadt herausbrachten, verfasst und veröffentlicht hat. Und das ist nicht die einzige Brücke, die Corradini zu diesen vergessenen Kindern von Theresienstadt schlägt. Der Roman basiert also auf wahren Ereignissen - nach eigenen Angaben recherchierte Corradini intensiv und setzte aus den Artikeln der "Vedem" und aus Zeitzeugenberichten die Handlung für sein Buch zusammen. Aber natürlich handelt es sich nicht um einen Tatsachenbericht. Vielmehr ist Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge eine Hommage an die Jungen von Theresienstadt, die sich den Nazis auf ihre Art widersetzten und mit der "Vedem" tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzten. Man taucht tief ein in den unmenschlichen, schockierenden und doch manchmal erschreckend banalen Alltag der Kinder im Ghetto und nimmt all das Leid durch ihre Augen wahr. Ich fand es unglaublich, wie diese mutigen Jungen praktisch nur für ihre Zeitung lebten und trotz der drohenden Deportation und der Gewissheit, wohin man sie bringen würde, schrieben, zeichneten, recherchierten. Und sich auf diese Weise eine Aufgabe verschafften, die sie am Leben erhielt und ihnen das Gefühl gab, wichtig zu sein, etwas Bedeutendes zu tun. Besonders deutlich wird das an einer Szene gegen Ende, in der die Jungen in einer beinahe feierlichen Prozession durch das Ghetto gehen und ein großes Bündel mit alten Ausgaben der "Vedem" verstecken, weil sie wissen, dass sie am nächsten Tag deportiert werden und mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zurückkehren. Die Zeitung soll der Beweis dafür sein, dass sie sich nicht ergeben haben und sich von den Nazis ihren freien Willen zu keiner Zeit nehmen ließen. Ihr Vermächtnis. Da bekommt man definitiv einen Kloß im Hals. Der begleitet ihn überhaupt durch das gesamte Buch, denn vor allem die Nüchternheit, mit der der Ich-Erzähler, einer der "Vedem"-Redakteure, von Misshandlungen, willkürlichen Morden und unvorstellbar qualvollen Arbeiten wie dem Asche-Schaufeln berichtet, lässt einen schlucken. Was für uns das pure Grauen ist, war für die Kinder im Ghetto Theresienstadt bitterer Alltag, der einen irgendwann abstumpfen lässt. Und ist es auch heute noch für Millionen von Kindern weltweit - auch das ruft einem die Geschichte wieder ins Gedächtnis. Ich jedenfalls finde es bewundernswert und unendlich wichtig, dass sich Corradini der außergewöhnlichen Geschichte der sieben Jungen der "Vedem" angenommen und dass er sie erzählt hat. Denn solche Geschichten müssen erzählt werden, damit man sie nicht vergisst. Emotional ist Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge also alles andere als leicht zu verdauen. Und sprachlich ist der Roman auf einem extrem hohen Niveau. Corradini arbeitet viel mit Metaphern und anderen sprachlichen Bildern, um die Welt des Ghettos aus der Sicht von Kinderaugen darzustellen. Das gelingt ihm außerordentlich gut, allerdings gibt es hier für mich auch ein kleines Problem. Obwohl die Geschichte so bewegend und erschütternd ist, gelingt es einem nicht immer, so Anteil am Schicksal der Kinder zu nehmen, wie es eigentlich richtig wäre. Der Ich-Erzähler etwa bleibt namen- und gesichtslos und steht damit exemplarisch für die unzähligen jüdischen Kinder, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Einerseits ein großartiger Kniff, andererseits bleibt der Ich-Erzähler damit aber auch ein bloßer Schatten, zu dem man keine emotionale Bindung aufbauen kann. So ähnlich ging es mir auch mit den anderen Jungen. Hier hätte ich mir dann doch eine andere Herangehensweise gewünscht, denn ich hätte einfach gerne mehr über diese Kinder erfahren. Wer sie waren, vor allem. Aber vielleicht wollte Corradini keine Lücken ausfüllen, sondern authentisch bleiben. Was dann wiederum auch in Ordnung ist. Mein Fazit: Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge erzählt auf sehr schmerzliche und intensive Weise die Geschichte von sieben jüdischen Jungen, die im Ghetto Theresienstadt ihr Leben aufs Spiel setzten, um ihre Mitgefangenen zu informieren und zu unterhalten. Mich hat diese Geschichte sehr berührt, auch weil Corradini sie sprachlich so genial umsetzt. Allerdings habe ich doch recht lange für das Büchlein gebraucht, weil ich einfach keine wirkliche Nähe zu den Protagonisten aufbauen konnte. Und das ist doch sehr schade, denn diese Geschichte ist eigentlich so emotional und außergewöhnlich. Dennoch ist dieses Buch wichtig, gut geschrieben und: Wichtig! Wichtig!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.