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Rezension zu
Pompeji

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Die Antike wieder zum Leben erweckt!

Von: Hiltbold
14.04.2017

Im Jahr 79 n. Chr. spie der am Golf von Neapel gelegene Vesuv plötzlich riesigen Mengen an Feuer und Rauch. Viele tausende Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Vulkans lebten, fanden in den darauffolgenden Stunden einen schrecklichen Tod. Die Ortschaften Pompeji, Herculaneum, Oplontis, Stabiae, Boscoreale sowie Tarzigno wurden völlig zerstört und unter einer meterhohen Decke aus Asche und Bimsstein begraben. In "Pompeji - Die größte Tragödie der Antike" verwebt der italienische Archäologe Alberto Angela den aktuellen Forschungsstand mit kleinen fiktiven Episoden, die sich unmittelbar vor, während und nach dem Vulkanausbruch in ähnlicher Form zugetragen haben könnten. So darf der Leser beispielsweise einigen namentlich genannten und einst tatsächlich existierenden Stadt-Oberen Pompejis über die Schulter blicken, wie sie in völliger Unkenntnis der kurz bevorstehenden Katastrophe noch pflichtbewusst Reparaturen des lokalen Wasserleitungssystems anordnen und beaufsichtigen. Dieses war nämlich, wie wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, vermutlich aufgrund von etlichen kleinen Erdbeben, die der Vesuv Tage oder Wochen vor seinem Ausbruch verursacht hatte, stark beschädigt worden. Litten die Pompejaner also aufgrund der beschädigten Leitungen in der Stunde Ihres Todes an Durst? Vermutlich nicht, denn die Stadt besaß, wie erläutert wird, auch unzähliger Zisternen, die heute direkt unter den Füßen ahnungsloser Touristen liegen. In diesen z.T. meterhohen Bogengewölben wurde schon Regenwasser gespeichert, lange bevor die Römer Pompeji an ein rund 100 km langes Aquädukt anschlossen. Wer hätte weiters gedacht, dass der durchschnittliche Pompejaner aufgrund des hohen Fluor-Gehalts in seinem Trinkwasser gesündere Zähne als die meisten anderen Einwohner des antiken Italiens hatte? Nicht zufällig wird ja Fluor häufig unseren heutigen Zahnpasten beigemengt (wiewohl das nicht mehr ganz unumstritten ist). Die Pompeji-Forschung förderte aber noch mehr Kuriositäten zutage; beispielsweise Backwaren in Penisform und Damenslips aus Leder ^^ Ebenfalls höchst kurios ist, dass in einem vornehmen pompejanischen Haus ein Tisch entdeckt wurde, der ursprünglich Publius Servilius Casca gehört haben dürfte. Dieser Mann war es, der den ersten Stich ausführte, als 123 Jahre vor dem Vesuvausbruch Caesar in Rom von einer Gruppe seiner Feinde überwältigt und getötet wurde. Nachdem der geflohene Casca einige Zeit später vom römischen Senat geächtet worden war, versteigerte man seinen Besitz. Ein Teil davon gelangte offensichtlich im Laufe der Zeit in das Haus reicher Pompejaner. Und schließlich dürften die Archäologen sogar einem vor beinahe 2000 Jahren begangenen Verbrechen auf die Spur gekommen sein. Im Hinterzimmer eines Ladens in Herculaneum fanden sich nämlich, versteckt in einem großen Gefäß, die Teile einer zerstückelten menschlichen Leiche, deren Kopf vom Mörder bereits beseitigt worden war ... Alberto Angela räumt in seinem Buch auch mit mancherlei Mythen und Irrtümern auf: Etwa der Vorstellung, dass der Vesuv zum Zeitpunkt seiner Eruption bereits ähnlich aussah, wie er sich uns heute präsentiert. In Wirklichkeit existierte damals der steil aufragende Vulkankegel noch nicht, sondern war flach, stark bewaldet und unterschied sich kaum von den sanften Höhenzügen seiner Umgebung. Kein Wunder, dass die Menschen nichts von der Gefahr ahnten, die hier in der Tiefe lauerte. Als unrichtig wird auch jene von Fremdenführern gelegentlich immer noch aufgestellte Behauptung entlarvt, wonach die im Straßenpflaster Pompejis eingegrabenen parallelen Rinnen (Straßenbahnschienen ähnlich) quasi zufällig im Laufe der Zeit von Fuhrwerken verursacht wurden. Richtig ist stattdessen, dass es sich hierbei um eine Art Leitliniensystem handelt, mit dem Pferdewägen auch in der Nacht sicher durch die Straßen gelenkt werden konnten, ohne beispielsweise Trittsteine oder die oft in die Straßen hineinragenden Brunnen zu touchieren. Für die meisten Gefährte herrschte in römischen Städten ja Tagfahrverbot, sodass viele Lieferanten ihre Geschäfte im Dunklen erledigen mussten. Auch dem in heutigen Sachbüchern häufig anzutreffenden "Thermopolium" geht es ein wenig an den Kragen: Dieser für römische 'Gasthäuser' so gerne verwendete Begriff existierte in der Antike noch gar nicht, sondern ist, trotz altgriechischer Bestandteile, eine moderne Kreation. Im Übrigen dienten die berühmten Löcher in den Theken der pompejanischen Thermopolia keineswegs als Abstellmöglichkeit für (Wein-)Amphoren, wie gerne angenommen wird. Vielmehr handelte es sich dabei vor allem um eine kommode Möglichkeit getrocknete Lebensmittel zu lagern. Die Liste der hochinteressanten Detailinformationen, die in diesem knapp 500-seitigen Buch genannt werden, könnte man noch lange fortsetzen. Gibt es also gar nichts zu kritisieren? Sind alle Schilderungen perfekt? Nein, ein paar Kleinigkeiten sind mir schon aufgefallen: Etwa wenn es heißt, Honig sei im antiken Rom das einzige Süßungsmittel gewesen. Das stimmt nicht so ganz, denn beispielsweise ist bekannt, dass Wein gerne mit (höchst ungesundem) Bleizucker (Bleiacetat) 'gepanscht' wurde. Unzutreffend ist auch, dass Salz die einzige Möglichkeit zum Haltbarmachen von Lebensmitteln gewesen wäre. Räuchern und Lufttrocknen waren nämlich ebenfalls gängige Verfahren - siehe hierzu Catos "De agri cultura". Doch wie gesagt, bei diesen Punkten handelt es sich um Kleinigkeiten, aus denen man dem Autor sicher keinen Strick drehen kann. Außerdem besteht ja die Möglichkeit, dass beim Übersetzen aus dem Italienischen ins Deutsche manch Formulierung verkürzt wiedergegeben wurde. Wer weiß. Zwar erwähnenswert, aber für mich ebenfalls nicht weiter tragisch ist der Umstand, dass auf Fußnoten bzw. detaillierte Quellenangaben verzichtet wurde. Zwar wären diese Dinge ein zusätzlicher Bonus gewesen, aber man kann eben nicht alles haben. Und immerhin enthält das Buch ja ein Register, in dem der Leser sogar Begriffe wie "Lupanar" nachschlagen kann 😊 FAZIT: Äußerst geschickt verbindet Alberto Angela Wissenschaft mit einer ausgewogenen Dosis Fiktion. "Pompeji - Die größte Tragödie der Antike" lässt eine längst untergegangene Welt wiederauferstehen und ist ohne Zweifel ein echtes Sachbuch-Highlight, das sogar Mary Beards gelungenes Pompeji-Buch aus dem Jahr 2011 übertrifft.

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