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Rezension zu
Mein gelobtes Land

Israel verstehen, bedeutet den Konflikt verstehen. Herausragendes Buch!

Von: Koreander.net
24.03.2017

Es gibt kaum ein kontroverseres Thema als Israel und der sogenannte Nahost-Konflikt. Jeder glaubt dazu eine Meinung haben zu müssen und die meisten meinen sich auch noch auf eine Seite schlagen zu müssen. Entweder absolut Pro-Israel oder absolut Pro-Palästina. Obgleich es regelmäßig in politischen Diskussionen an Graustufen mangelt, scheint es beim Thema Israel respektive Juden nur Schwarz und Weiß zu geben. Ari Shavits Mein gelobtes Land. Triumph und Tragödie Israels versucht hier tatsächlich einen anderen Weg zu gehen. Und das ist auch die herausragende Leistung dieses Buches, das die Geschichte und Vorgeschichte der Entstehung Israels von 1897 bis etwa 2013, 2014 verfolgt. Die meisten Rezensionen werden dem Buch in keiner Weise gerecht. Die eloquenteren Rezensenten sind lediglich in der Lage ihre Vorurteile und Ressentiments besser zu verpacken. Entweder wird Ari Shavits Buch in den Himmel gelobt, weil es die „einzig funktionierende Demokratie“ im Nahen Osten beschreibt oder es wird gelobt, weil es die Vertreibung der Palästinenser thematisiert. Wahlweise wird „Mein gelobtes Land“ aber auch verrissen, weil es nicht aufzeigt, wie schlimm der Antisemitismus und der Hass vieler Palästinenser ist oder, weil es nicht genügend aufzeigt wie schlimm der Hass vieler israelischer Juden auf Palästinenser und Araber ist. Ari Shavits Mein gelobtes Land ist in seiner bemerkenswert und geradezu beneidenswert distanzierten Art und seiner Multiperspektivität eine Ausnahme auf dem Buchmarkt zur Geschichte Israels. Obwohl es bei weitem kein wissenschaftliches Buch ist, ist es in seiner Art doch vollkommen dem Verstehen der Weberschen Soziologie verpflichtet. Der Stil des Buches ist hingegen, ganz der Profession Shavits entsprechend, ein journalistischer. Das dient sicherlich der Verbreitung des Buches und dem Zugang zum selbigen. Aber es hat eben auch einige Nachteile, die für mich recht schwer wiegen. Die Geschichte wird fast ausschließlich durch das Stilmittel der Personalisierung erzählt. Israels Entwicklung wird also anhand der Biografien bzw. Lebensabschnitte einiger teils bedeutender Personen nacherzählt. Diese Vermischung aus historischem Roman, Familiengeschichte, Reisebericht, Sachbuch, Interview und Reportage überzeugt mich nicht immer. Aber das ist letztlich eine Stilfrage und eine Frage der Vorliebe, was dem weitaus wichtigeren Inhalt natürlich nicht schadet. Mein gelobtes Land beginnt mit dem Gründungsdatum des Zionismus nach Theodor Herzl. Anschließend nimmt Shavit die Leser mit auf eine Reise durch Israels Geschichte anhand ausgewählter Zeitpunkte. Interessanterweise streift Shavit dabei einige erwartete wichtige Daten lediglich. So stehen zum Beispiel die Kriege mit Beteiligung Israels nicht im Mittelpunkt. Sie werden zwar genannt, teils auch beschrieben, der Fokus liegt aber deutlich auf den Zusammenhängen und weniger auf dem Datum selbst. Das ist äußerst wohltuend, gibt es doch genügend Bücher, die sich mit den diversen Konflikten und Kriegen eingehend beschäftigen. Shavit geht es darum zu ergründen, wie es zum heutigen Staat Israel, mit all seinen Vorzügen und Nachteilen kommen konnte. Er will den Gründungsmythos beleuchten. Er will die einzige Demokratie im Nahen Osten beschreiben, zugleich aber auch die einzige Demokratie, die zugleich eine Besatzungsmacht ist. Er beschreibt die Urbarmachung des Sumpflandes, die Kibbuze, die Industrialisierung und er beschreibt die innere Zerrissenheit des Landes. Die Konflikte zwischen europäischen und orientalischen Juden. Die Konflikte zwischen säkularen und religiösen Juden, zwischen israelischen und arabischen Juden und er räumt mit manchem liebgewordenen Mythos auf. Das ist der Ansatz von Ari Shavit. Er benennt die Probleme deutlich. Es ist der Militarismus und Bellizismus auf allen Seiten, der ein friedliches Miteinander verunmöglicht. Den Kern des Konflikts bildet die Angst. Angst vor dem Anderen, dem Fremden. Vor dem Juden. Vor dem Araber, dem Moslem. Aus Angst erwächst Gewalt und aus Gewalt erwächst Gegengewalt. Terror und Gegenterror. Diese Spirale der Gewalt führt zur Abstumpfung und Radikalisierung. Am Ende steht die Lust am Töten und Zerstören. Alle Gesellschaften entwickeln aus dieser Angst Ideologien und sie bilden Spezialisten aus, die die Bedrohung durch den Anderen abwehren und am besten vernichten soll. Ob Terrorist oder militärische Spezialeinheit, das Ziel ist das Töten. Besonders eindrucksvoll wird dies im vierten und fünften Kapitel Masada 1942 und Lydda 1948 beschrieben. Dabei gibt es keinen Anfang. Es gibt keinen Verursacher. Niemand ist schuldig. Auch wenn das persönlich befriedigend erscheint, einen Schuldigen zu benennen, um die eigenen Gefühle der Ohnmacht und Wut zu kanalisieren. Shavit gelingt es in herausragender Weise eben diese Anfangslosigkeit darzustellen. Die Geschichte des modernen Israels beginnt eben nicht mit der Nakba und sie beginnt auch nicht mit dem Holocaust. Antisemitismus und Antijudaismus sitzen tiefer und sind älter. Die Pogrome und die Vertreibung von Juden hat früher eingesetzt und ist nicht auf einzelne Daten und Orte rückführbar. Shavit ist aber kein bloßer Relativist, der alles für gleich richtig oder gleich berechtigt hält. Es geht auch nie um Rechtfertigung des Handelns. Shavit will verstehen. Er erkennt, das die heutigen Probleme Israels, die Bedrohung von Außen und Innen, zu einem erheblichen Teil in der Vertreibung der Araber und der anschließenden Siedlungspolitik begründet liegen. Das wäre nun keine besonders innovative Erkenntnis oder Leistung, zumal aus linker, „sozialdemokratischer“ (Eigenbezeichnung Shavit) Perspektive. Der besondere Wert des Buches liegt darin, dass Shavit die Probleme nicht nur benennt und verurteilt, sondern dazu beiträgt, diese Entwicklungen zu verstehen. Im gegenseitigen Verständnis liegt der Kern der Anerkennung des Gegenübers als Menschen. Damit wird man sicherlich nicht die Fundamentalisten von Hamas, Hisbollah, den Siedlern oder der rechten Politik Israels überzeugen. Aber damit können sich vielleicht jüngere Generationen identifizieren, die es satt sind, einander zu hassen und zu töten. Ari Shavit hat mit Mein gelobtes Land den Versuch unternommen, den Nahost-Konflikt aus einer verstehenden und humanistischen Perspektive zu beschreiben. Und das ist ihm in außergewöhnlicher Weise gelungen. Einzig der nicht immer überzeugende journalistische Stilmix und ein fehlender Anmerkungsapparat, der bei solch einem Buch dringend nötig wäre, trüben den Gesamteindruck.

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