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Rezension zu
Born to Run

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Bruce Springsteen: Born to Run

Von: klappentextmag
08.02.2017

Ein wahres Leben Es gibt Künstler, deren Kunst ich absolut bewundere, die ich für großartig, talentiert und wichtig halte. Aber sie lassen mich kalt. Und dann gibt es die, die etwas mit mir machen. Wenn Benedict Cumberbatch spricht, dann geht es mir durch Mark und Bein. Wenn ich die Sätze von Sarah Kirsch lese, dann fliege ich ganz weit weg. Und wenn Bruce Springsteen singt, dann steigen mir die Tränen in die Augen. Mein Lieblingstränenlied: I’m on Fire. Warum mich Bruce Springsteen zum Weinen bringt? Wirklich wissen tu ich es nicht. Will ich auch nicht. Schließlich ist es ein Gefühl. Aber es hat etwas mit seiner Stimme zu tun, die nach Sehnsucht, nach Autofahren bei Nacht und großer Freiheit klingt. Ausnahmsweise Eigentlich lese ich keine Star-Biographien. Entweder interessiert es mich einfach nicht, was Mr. X oder Mrs. Y zum Leben auf dem roten Teppich zu sagen hat, oder irgendein Ghostwriter hat sie verfasst und hübscht den steilen Weg nach oben mit netten Plattitüden auf. Ja, und allermeistens gibt es über beziehungsweise von den Künstlern, die mich interessieren, überhaupt keine Bücher. Dass mir Bruce Springsteens Autobiographie in die Quere kam, habe ich auch nur Thees Uhlmann zu verdanken. Nicht dass wir uns persönlich kennen würden. Allerdings ist er Springsteens deutsche Stimme und hat Born to Run als Hörbuch eingelesen. Als Heike und ich im letzten Oktober auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs waren, saß Thees Uhlmann da im Innenhof der Messe, hat vorgelesen und da hat es mich gepackt. Das lag zum einen daran, dass auch Herr Uhlmann eine schöne Stimme hat, vor allem aber daran, WIE Bruce Springsteen über sein Leben schreibt. Nämlich so: Dreckig, witzig, traurig, fröhlich, depressiv, hoffnungsvoll, nostalgisch, laut, leise, arrogant, bescheiden – so wie das Leben und so wie die Menschen nun mal sind. Ich habe selten etwas so Ehrliches gelesen. Ich will jetzt eigentlich nicht mit dem alten, abgegriffenen Lappen namens Authentizität kommen. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Born to Run – Vorsicht, es kommt! – ist radikal authentisch. Und zwar so authentisch, dass man Mister Springsteen nicht nur als Künstler, sondern als Menschen begreift. Und der ist nicht immer sympathisch. Und gerade das macht ihn und sein Buch so sympathisch. Er ist einer, der immer „The Boss“ sein will, wenn es um seine Platten geht, ein selbsternannter Korinthenkacker mit Stock im Arsch ist, in Sachen Liebe einen kaum zu bremsenden Fluchtreflex spürt und der auch heute noch – mit fast 70 – mit den Dämonen seiner Kindheit und mit schweren Depressionen kämpft. Die hat er wohl seinem Vater zu verdanken und von ihm geerbt. Die missratene Beziehung zu ihm prägt wie nichts sonst sein Leben. Kaum 1000 Worte, erzählt er uns, habe sein Vater mit ihm gesprochen, bis er volljährig war. Stattdessen: aggressives Schweigen, konsequente Abwesenheit, viel Alkohol und chronische Unzufriedenheit. Flucht und Familie Das Tolle: Bruce Springsteen hasst seinen Vater nicht, er führt ihn niemals vor. Er erzählt uns, warum er war, wie er war, wie er so geworden ist. Und warum seine Mutter zeitlebens zu ihm gehalten hat, aber auch immer zu Bruce und seinen Schwestern. Springsteen schreibt ungeheuer detailliert und liebevoll von seiner Familie, die größtenteils aus Schizophrenen und anderweitig Verrückten zu bestehen scheint. Sich selbst nimmt er da nicht aus. Vielleicht waren es auch genau diese Gene, die ihn zum Durchhalten, zum Kämpfen befähigt und ihn von Freehold, New Jersey auf die großen Bühnen der Welt gebracht haben. Musiker und solche, die es werden wollen, interessieren sich dafür vielleicht am meisten. Wie wird man zum Star, auf welcher Gitarre spielt Bruce, wie komponiert er seine Songs, wie ist das Tourleben und wie kam er eigentlich auf „Born in the USA“? Das liest sich zwar überraschend interessant, was ich aber viel spannender fand, war die Geschichte seines Lebens. Dreams are my reality Wie man die eine Hälfte seines Lebens einem Traum nachjagt und die andere Hälfte davon versucht, mit der Erfüllung des Traums klarzukommen. Und wie man das Traumbild, das man von sich selbst hat, mit dem realen in Einklang bringt. Was passiert, wenn man immer geglaubt hat, man wäre geboren, um zu fliehen und zu rennen – Born to Run eben – und dann begreift, dass man sich vielleicht immer nur nach einem sicheren Zuhause gesehnt hat? "Unterm Strich war ich schlicht ein Kerl, der sich in seiner eigenen Haut nicht sonderlich wohlfühlte, egal was das für eine Haut war. Schon die Vorstellung eines Zuhauses löste in mir – wie das meiste andere auch – Misstrauen und ein Gefühl von Trauer aus. Ich hatte mir lange eingeredet – und beinahe Erfolg damit gehabt –, dass ein Heim nur was für andere wäre. Doch jetzt ruckelte mein schöner Film. (Der Film, in dem ich einen umherziehenden Musiker spiele, der zwar kein Glück in der Liebe, dafür aber dieses fantastische musikalische Talent hat; ein äußerst charismatischer Mann, unter dessen unbekümmertem Äußeren sich eine tief verletzte, aber noble Seele verbirgt. Und während ich in diesem Film von Stadt zu Stadt ziehe, geschehen regelmäßig zwei Dinge. Erstens: Eine wunderschöne Frau verliebt sich in mich, eine Liebe, die ich nicht erwidern kann, weil mein „Herz“ dem Highway gehört. Zweitens: Ich hab eine so starke Wirkung auf die Menschen, die mir begegnen, dass sie mich zu sich nach Hause einladen, mich bewirten, mir einen Lorbeerkranz aufdrücken, ihre Freundinnen mit mir teilen und mich danach „für immer in Erinnerung behalten“…" So eitel und uneitel gleichzeitig beschreibt Bruce Springsteen seine Lebenskämpfe. Am allerschönsten aber schreibt er von dem größten Einschnitt seines Lebens: seiner Frau und seinen drei Kindern. Ich habe tatsächlich noch nie etwas so rührendes und ehrliches von einem Mann gelesen, der dabei über sich selbst spricht. Und für den sich alles um Rock’n Roll dreht. Warum auch nicht, würde Springsteen darauf sicher sagen, und dass diese pseudo-männliche Härte zu nichts anderem führt als einem verpfuschten Leben. Auch das hat er von seinem Vater gelernt. Uns lehrt er lieber John Lennon: Love is the answer. Vor ihr sollte nieMANNd wegrennen. I’m on Fire Wer jetzt Angst hat vor einem schweren, selbstreflektierten Schinken, darf aber beruhigt sein. Erstens erzählt wohl niemand so cool von den eigenen Unzulänglichkeiten, und außerdem sprüht das Buch nur so vor Leben und tollen Anekdoten. Wie war es, mit den Rolling Stones in einer Garage zu jammen, was flüsterte Jack Nicholson Bruce auf Frank Sinatras Beerdigung zu, wie verhalf er Courteney Cox zum Durchbruch und was hat er mit Lady GaGas Mutter auf einem Rihanna-Konzert gemacht? Die kleinen Begebenheiten und die großen Fragen des Lebens, beide dürfen im Buch nebeneinander stehen. Zum Glück, denn darum ist es so gut. Und weil Bruce Springsteen selbst beim Zurückschauen immer nach vorn blickt. Darum ist auch eine meiner liebsten Passagen im Buch diese: Man kann immer nur mit gestärktem Herzen von dort, wo es verwundet wurde, weiterziehen, um eine neue Liebe zu finden. Man kann sich aus alldem Schmerz und dem Kummer ein Schwert schmieden und mit dieser Waffe das Leben, die Liebe, die Menschenwürde und Gottes Schöpfung verteidigen. Aber niemand kann die Zeit zurückdrehen. Keiner kann zum Ausgangspunkt zurückkehren, denn die Straße des Lebens ist eine Einbahnstraße und führt nur in eine Richtung. Vorwärts, hinein in die Dunkelheit. So weit, so schön. Und ich muss Bruce Springsteens Stimme nicht mal hören, damit mir die Tränen kommen. Ich kann sie auch lesen.

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