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Rezension zu
Das Echolot

Wiedergelesen: Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch. Januar und Februar 1943

Von: Matthias Dickel aus Vechelde
18.01.2017

Walter Kempowski hat mit seinem mehrbändigen Werk „Das Echolot“ versucht, die Stimmen vieler einzelner Personen einzufangen und in einen Zusammenhang zu setzen. Es steht abseits der traditionellen narrativen Geschichtsschreibung, da das Werk einerseits eine unkommentierte Dokumentation verschiedener Stimmen aus unterschiedlichen Quellen darstellt, andererseits durch die Collagetechnik zu einem einzigartigen Kunstwerk wird, welches speziellen ästhetischen Kompositionsmustern folgt. Für Walter Kempowski wird die Geschichte erfahrbar im erlebten Alltag der Menschen; ihre Lebensformen und Denkhaltungen werden vor dem Gesamtzusammenhang der historischen Entwicklung dechiffrierbar. Damit verweisen die Schicksale und Lebenswege in die Gegenwart und werden zum Spiegel der persönlichen Lebensanschauung. In dem Collagenwerk „Das Echolot“ verzichtet er auf eine Erzählerstimme, die das Geschehen kommentiert und in einen Erzählfluss einbettet. Dadurch verwischen die Grenzen zwischen den einzelnen Stimmen, die Personen stehen gleichwertig nebeneinander. Es besteht die Gefahr eines naiven Geschichtsbildes, indem „die Guten, auch immer ein wenig böse sind, und die Bösen, auch von einer Mutter geboren wurden.“ Dieser intendierte Tabubruch stieß bei den Rezensenten auf Kritik, die in diesem Gestaltungsprinzip eine Verharmlosung der Geschichte vermuteten, da die der Grenzen zwischen Täter und Opfer aufgehoben würden. Mit der Komposition und dem Arrangement der verschiedenen Einzelstimmen soll das Vergangene begreifbarer gemacht werden. Gerade durch die unkommentierte Zusammenstellung soll dem Leser ein unmittelbares Einfühlen in den geschichtlichen Kontext ermöglicht werden, denn die fehlende Relativierung des Gesagten durch einen Erzähler ermöglicht dem Leser eine eigenständige Auseinandersetzung mit den Erlebnissen und Aussagen der Stimmen. Die unausgesprochene Aufforderung zur selbständigen Erarbeitung des geschichtlichen Hintergrundes ist das geschichtspädagogische Prinzip des Schriftstellers Kempowski. Die Frage nach der Schuld und den Ursachen kann und will der Autor in seinem Werk nicht beantworten; dem Leser verbleibt letztendlich die Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Echolot kann keine vollständige Abbildung des Geschichtsverlaufs leisten. Es soll der Prozess der Geschichte nicht mittels der offiziellen Quellen dokumentieren werden, sondern der Autor sucht dessen Auswirkungen im Alltäglichen und Individuellen. Kempowski formulierte in einem Interview dies so: "Das Allerprivateste ist auch das Allgemeinste." Die Quellen, auf die sich Kempowskis Werk stützt, bestehen zumeist aus Autobiographien, Memoiren, Tagebücher, Briefwechsel und auch Fotografien. Zeitzeugen aus dem bürgerlichen und künstlerischen Milieu sind in dem Werk eindeutig überrepräsentiert. Die Darstellung im Sinne einer „Geschichte von unten“ ist in diesem Falle nur bedingt möglich. Doch geht es Kempowski weder um die Rekonstruktion eines kausalen Geschichtsverlaufs, noch um eine Geschichtsschreibung im Sinne der „Oral history“. Das Echolot bleibt ein literarisches Werk, das ästhetischen Regeln folgt und von der Wechselbeziehung zwischen Autor und Leser lebt. Kempowskis Interesse folgt letztendlich der Fragestellung: „Wie wird Geschichte wahrgenommen, wie äußert sie sich in der Sprache und welche Eigendynamik entwickelt sie in der Erinnerung?“ (Charlotte Schallie) Walter Kempowski hat mit seinem Werk „Das Echolot“ versucht, in einem kollektiven Tagebuch individuelle Erinnerungen miteinander zu verknüpfen und ihnen in einem neuen Kontext einen anderen, umfassenderen Bedeutungszusammenhang zu geben. Durch den multiperspektivischen Rahmen überlässt der Autor dem Leser die Erarbeitung der Themen und Hauptfiguren. Es bleibt somit Leser überlassen, die zentralen Botschaften und Figuren des Werkes herauszuarbeiten und die eigene, ganz persönliche Version der historischen Ereignisse zu erzählen.

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