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Rezension zu
Dolfi und Marilyn

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Neue Zeiten?

Von: wortesammlerin
27.11.2016

Der Name, das Cover und die Idee dahinter stecken voller Anrüchigkeit und Sarkasmus, sodass man wohl im ersten Moment nicht wirklich weiß, was damit anzufangen ist. Dieses Gefühl, nämlich dass man nicht genau weiß, was einen überhaupt erwartet, macht Bücher meiner Meinung nach spannend und geheimnisvoll. Was steckt hinter Adolf Hitler und Marilyn Monroe, die uns in scheinbar unendlicher Ausführung vom Buchdeckel entgegen blicken? Was mag sich der Autor wohl dabei gedacht haben, so viel Ironie in ein Bild zu verpacken, dass es endgültig absurd wirkt? Ich zum Beispiel habe das Buch tatsächlich vor allem wegen dieses Bildes lesen wollen. Wann liest man schon einmal eine Geschichte, in denen der schrecklichste Diktator des 20. Jahrhunderts und die Sex-Ikone schlechthin in eine Zeit gebracht werden, in denen sie nicht mehr die sind, die sie einmal waren? Erst einmal die knappe Handlung. Tycho Mercier, Geschichtsprofessor an der Sorbonne in Paris, genauer Spezialist des zweiten Weltkrieges, lebt geschieden mit seinem Sohn Bruno in einer kleinen Vorstadt im Jahre 2060 und ist, alles in allem, sehr zufrieden mit seinem Leben. Die Haushälterin seines Nachbarn, eine geklonte Marilyn Monroe, ist ihm zwar ein Dorn im Auge, dennoch lässt er sich nicht beirren und geht, soweit ihm das gelingt, jeder Unannehmlichkeit aus dem Weg. Bis er eines Tages von der Uni nach Hause kommt und ihn dort bereits sein Sohn freudig erwartet. Doch er ist nicht allein, im Wohnzimmer sitzt Adolf Hitler auf seinem Lieblingssessel und wartet darauf, sich im Haushalt nützlich zu machen. Der Klon ist ein Hauptgewinn in der Tombola des Supermarktes seiner Exfrau Phoebe, die ihn an seine Adresse hat schicken lassen. Das Problem: Dolfi, wie ihn Bruno bald darauf liebevoll tauft, ist ein Exemplar aus einer illegalen Serie von Adolf Hitler, die einige Wochen zuvor per Gesetz verboten wurde. Tycho Mercier ist also nun straffällig und versucht alles, um Dolfi los zu werden. Dass weder sein Sohn, der schnell eine Freundschaft zu Hitler aufbaut, noch seine Exfrau ihm da eine große Hilfe sind, macht diese verrückte Zeit für den Routineliebhaber nicht einfacher. Als dann noch ein tragischer Unfall in unmittelbarer Nähe geschieht, setzt es dem ganzen noch die Krone auf. Ein erfrischender und vor allen Dingen urkomischer Roman, der rasant eine abstruse Geschichte erzählt, die sich schnell zu einer großen Katastrophe entwickelt. Und mit Katastrophe meine ich die tatsächliche Katastrophe, etwas was man niemals erwartet, einer dieser heißgeliebten Aha-Momente! Der französische Roman bringt vieles mit sich, bringt Wut, Lachen, Tränen in den Augen, Angst und Schauder. Dass dieser Roman in Deutschland bisher eher unbekannt ist, finde ich absolut unberechtigt, Saintonge gebührt ein großer Respekt. So viele Informationen über eine Zeit und einen Mann, der einer ganzen Welt verhasst ist, in so neuer Weise zu erzählen, weckt den Leser auf, weckt sein Interesse an einem Umstand, der gerade in unserer aktuellen Zeit ins Rollen gebracht wird. Saintonge bringt vieles auf den Punkt, in gewohnt französischer Denker-Manier, was zu viele Leute gerade jetzt aus den Augen verlieren. Obwohl der Roman sehr witzig gestaltet ist und mich nicht nur einmal laut hat auflachen lassen, eben weil diese Situation so unglaublich ist, bringt er doch mehr als einmal einen bitteren Beigeschmack mit sich. Wir lesen, wie eine ganze Welt nicht mehr die Grundsätze der Menschenrechte verstehen will und seltsamerweise beginnt der ein oder andere mit Dolfi, nicht zu vergessen mit Adolf Hitler, zu sympathisieren. Saintonge zielt gekonnt auf die Moral ab, und trifft sie mitten ins Hirn. Immer wieder gab es Stellen, die mich haben aufhorchen lassen. Die gewiefte Sprache und der gekonnte Stil, der alle Stricke reißen lässt und nicht davor zurückschreckt, den Super Gau entstehen zu lassen. Je weniger Seiten es werden, desto diffuser wird die Situation, und Mercier muss sich beherrschen, nicht die, ihm nur allzu bekannte, Vergangenheit wieder zu beleben. Der Roman setzt sich mit mehr auseinander, als mit dem Klonen, auch die Willensfreiheit wird massiv in Frage gestellt, die Menschenrechte kritisiert und die nahende Zukunft in ein altbekanntes Licht getaucht. Es erscheint vieles simpel, was man für unmöglich hielt und erklärt mit reinen Logik-Gedanken eine ganze Epoche, die die meisten noch immer für einen unerklärlichen Irrtum halten. Dieser Roman ist von Relevanz, immer, auch jetzt, auch wenn viele das nicht wahrnehmen wollen werden. Vor allem der Schluss kann etwas auslösen, der ganze Charakter des Tycho Mercier, der eine Generation zu beschämen oder zu beglücken vermag, und sich schlussendlich für nur einen Weg entscheidet. Welcher Weg ist der richtige? Angriff oder Rückzug? Vielleicht eine Frage, die sich jeder Mensch einmal stellen muss, vor allem aber, eine, die sich als essenziell für dieses Buch entwickelt.

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