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Rezension zu
Slow

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Nachlese: Slow (Winfried Hille)

Von: Minimalismus21
20.11.2016

Winfried Hille hat keine Zeit. Der Gründer von bewusster leben und Publizist von Vegetarisch glücklich kennt das, was man im Volksmund ein „Leben im Hamsterrad“ nennt. Bevor er seinen Alltag neu gestaltete und sein Leben entschleunigte, war der studierte Germanist und Pädagoge viele Jahre leitend in der Verlagsbranche tätig. Die neue Maxime seines Handelns: Slow, ein kluges Plädoyer für mehr Langsamkeit im täglichen Dasein, ein Aufruf zum Widerstand und zugleich ein Antibuch. Geschrieben als wohltuendes Pendant gegen die üblichen Ratgeberlektüren des 21. Jahrhunderts, die ihre Sinnhaftigkeit im Optimieren von Zeit verstehen. Aber selten darin, wie wir diese qualitativ erleben und empfinden. Kein Wunder also, dass der Autor bereits in der Einleitung den Finger in die Wunde der (meisten) Leser legt. Frei nach dem Motto: Eigentlich „haben Sie gar keine Zeit, sich auf dieses Buch einzulassen“, stimmt’s? Über die Kunst, nichts zu tun Wer sich dennoch auf Slow einlässt, der wird belohnt. Hille zeigt anhand zahlreicher historischer Beispiele, dass die Menschen schon immer eine Beschleunigung ihrer Zeit erfahren haben. Das Paradoxe ist nur: Der moderne Homo sapiens hat mehr technische Hilfsmittel denn je, die ihm den Alltag erleichtern sollten. Dennoch tragen Spülmaschine, Mikrowelle und Co. nicht dazu bei, dass wir uns weniger gehetzt fühlen. Im Gegenteil. Aber woran liegt das? Und vor allem: Was kann jeder Einzelne dagegen tun? Fest steht, dass Optionsvielfalt und Beschleunigungsdruck zugenommen haben. Multitasking oder Selbstoptimierung sind nur zwei Zauberwörter, an denen wir unser Denken und Handeln heute ausrichten, ja gar ausrichten müssen. Denn wer sich der Muße hingibt, einfach nur aus dem Fenster blickt oder im Schneckentempo Müßiggang betreibt, gilt in unserer modernen Gesellschaft schnell als Faulenzer. Eine Sünde, die beim erschöpften Ich im schlimmsten Fall Schuldgefühle auslöst. Wir behandeln die Zeit wie ein ökonomisches Gut, das es so effektiv wie möglich einzusetzen gilt. Immer mehr im gleichen Zeitraum erledigen, immer schneller, immer gedankenloser singen wir ein Loblied auf das Fast-Life. Dumm nur, wenn wir am Ende feststellen, dass wir gelebt wurden. Dass wir dem Leben zugesehen und es nicht selbst aktiv gestaltet haben. Denn schon bei Michael Endes Momo lassen sich die Figuren um ihre Zeit betrügen, vergessen, im Hier und Jetzt zu leben und entsprechend Widerstand zu leisten. Slow als Akt der Verweigerung Genau für diesen Widerstand in allen Lebensbereichen macht sich Hille allerdings stark. Wir verbringen etwa sechs Jahre unseres Lebens im Internet. Im Urlaub haken wir getrieben die Liste von Sehenswürdigkeiten ab, blicken öfter aufs Smartphone anstatt in die Landschaft. Für unsere Kinder spielen wir Entertainer und Beschäftigungstherapeut, anstatt den Nachwuchs als Vorbild zu nehmen: Einfach mal trödeln, bummeln bzw. verträumt in die Gegend schauen kommt uns überhaupt nicht in den Sinn. Wir rennen durch Jahr und Tag. Aus diesem Grund sind selbst die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit längst verschwommen. Wir können nicht mehr abschalten, nicht mal beim Sport, beim Essen oder in der Liebe. Kein Wunder also, dass die Zeit ab einem gewissen Alter gefühlt immer schneller vergeht. Ein Teufelskreislauf, der zur Frust, Depressionen und Burnout führen kann und zu dem beängstigenden Gefühl, ständig etwas zu verpassen. Dafür haben amerikanische Wissenschaftler sogar einen Begriff erfunden: Fomo – Fear of Missing out. Slow Stopper für Geist und Seele In kurzen, wohldosierten Kapiteln gibt Slow Handlungsempfehlungen für eine neue „Windstille der Seele“, darunter kleine Rituale für den Alltag. Und die können so einfach und doch so schwer sein, etwa den Computer oder das Smartphone an einigen Abenden der Woche auszuschalten, langsamer zu arbeiten oder sich in der Kunst von Slow Travel und Slow Walking zu üben. „Und: dass wir uns dafür entscheiden, unsere Zeit souverän zu nutzen und sie nicht von anderen benutzen zu lassen. Dass wir aufhören zu funktionieren. […] Wir müssen im digitalen Zeitalter wieder ganz neu lernen, geistig offline zu gehen.“ Fazit: Locker-leichte Lektüre mit authentischem Tiefgang und Gespür fürs Wesentliche zu einem existentiellen Lebensthema, das der Autor spürbar selbst durchlebt und durchdacht hat.

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