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Rezension zu
Über Menschen

Romeo und Julia in Bracken…

Von: Peter Schlegel aus Sindelfingen
27.10.2021

Den Kernsatz, der dieses großartige Werk für mich auf den Punkt bringt, findet man eher beiläufig auf Seite 162. Dort heißt es: » Es geht nicht darum Widersprüche aufzulösen, sondern sie auszuhalten «. Wie schwer das umsetzbar ist, wird den Lesenden Seite um Seite bewusst gemacht, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional, denn die Geschichte 'wühlt auf'. Es ist ein Roman, der in keine Schublade so richtig passt, und es liegt einzig am Rezipienten, in welches Regal er am Ende gestellt wird. Da ist zum einen ein Liebesdrama, das dem Vergleich mit Romeo und Julia locker standhält. Die unversöhnlichen Gegensätze, die im Verona der Renaissance die verfeindeten Häuser Montague und Capulet repräsentierten, werden greifbar und verstehbar in die Gegenwart transformiert: Stadt vs. Land, Linke vs. Rechte, Hygieneaktivisten vs. Coronaignoranten, Hipster vs. AfD'ler ... die Liste lässt sich noch fast endlos weiterführen. Es sind Gruppen (Großfamilien), die ihre Identitäten aus ihren Lebensentwürfen ableiten, die von ihren Milieus und ihren politischen Umfeldern bestimmt werden, wobei die Gräben dazwischen immer unüberbrückbarer werden. Zwar ist das Ende ganz anders als in Verona, aber es trifft den Lesenden genauso mitten ins Herz, '... denn niemals gab es ein so herbes Los, als Julias und ihres Romeos.' Gleichzeitig ist der Roman auch ein zeitgeschichtliches Dokument, das in Zeiten von Corona neu entdeckte existenzielle Fragen und Widersprüche festhält und damit auch dokumentiert. Wie ein unabhängiger Chronist beschreibt Juli Zeh diese Zeit. Fast wie bei einer Zenmeisterin ist ihr Blick auf die Wirklichkeit klar, ohne Schnörkel und gnadenlos. Dass der Roman dennoch locker und leicht daherkommt, so dass man ihn ohne weiteres in einem Zug lesen möchte, ist kein Widerspruch aber dennoch erstaunlich. Ich vermute, es liegt daran, dass die Autorin aus einem tiefen sicheren Grund schöpft. Letztendlich ist es aber auch ein politisch-philosophischer Roman mit einer klaren Botschaft. Nur wenn wir bereit sind zu lernen, auch Widersprüche auszuhalten, besteht noch Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Aus meiner Sicht ist dieses Werk der weitaus beste Roman von Juli Zeh in der Reihe der guten und sehr guten Romane, die ich bisher von ihr gelesen habe. Ich kann ihn deshalb nur allerbestens empfehlen.

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