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Rezension zu
Achtsam morden

Sympathisch respektlos!

Von: Michael Kothe, Autor aus Unterschleißheim
08.05.2021

Für Eilige: »Achtsamkeit kennt keine Gnade, Achtsamkeit kennt kein Pardon!« Die abgewandelten Verse aus dem Film mit Hape Kerkeling möchte man anstimmen, wenn man Karsten Dusses »Achtsam morden« zusammenfassen soll. Spätestens aber, wenn man sich entschließt, es zu rezensieren, weil es einem so gut gefallen hat. Kein Pardon kennt Dusse, sobald es um das Zwerchfell oder andere humorgesteuerte Körperteile des Lesers geht. Wobei ich es vorzog, genussvoll zu schmunzeln und den einen oder anderen Abschnitt mit einem breiten Grinsen noch einmal zu lesen. Als Strafverteidiger weiß der Autor, worüber er schreibt. Nur hoffe ich für ihn, »Achtsam morden« trage keine autobiografischen Züge, wenn der Protagonist zusammen sich mit seinem Stress auch der Widersacher entledigt. Mit Absicht oder mal eben so. Inhalt ohne Spoiler: Der Anwalt Björn Diemel betreut in einer renommierten Kanzlei die Schmuddelkinder unter den Mandanten. Nicht nur die Einsicht, dass ihn das zum »Bäh«-Anwalt ohne berufliche Perspektive macht, sondern auch der Umgang der Kanzleiinhaber mit ihm verursachen Stress. Als seine Frau ihn zwingt, dem Burnout durch einen »Achtsamkeitskurs« vorzubeugen, tut sie ihm Gutes: Die Konzentration auf sein Ego und dessen Wohlergehen lässt Diemel aktiv gegen die Probleme vorgehen, gegen die daraus resultierenden Stresssituationen und gegen Personen, die die Probleme verursachen oder die sie selbst darstellen. Allerdings folgen aus der Lösung eines einzelnen Problems unweigerlich mehrere neue. Wird er diese Kettenreaktion beherrschen und mit Frau und Tochter zum harmonischen Familienleben finden oder geht er in dem Strudel unter, den die Befolgung des Achtsamkeitsratgebers durch das Ziehen immer weiterer Kreise antreibt? Schreibstil: Political Correctness, Vermeidung von Klischees und Diskriminierung. Das sind Tipps, die ich aus Schreibratgebern für meine eigenen Bücher mitgenommen habe. Zumindest so lange, wie ich mich als ernsthaften Schriftseller sehe. Davon hat Dusse wohl noch nie etwas gehört. Auf Klischees basiert die Handlung, Diskriminierung charakterisiert sämtliche Figuren außer dem Protagonisten und seiner Familie, und politisch korrekt kommt zu meinem Vergnügen gar nichts rüber. So stammen die Bösewichter aus osteuropäischen Ländern, zwangsläufig handeln sie aus niedrigen Motiven oder aus ihrer vom Protagonisten pauschal unterstellten Dummheit, und der unbeschwerte Umgang mit sexistischen, sozialen oder historischen Tabus poppt immer wieder hoch. Diese Respektlosigkeit, das ironische Zitieren des Achtsamkeitsratgebers und die von Diemel daraus gezogenen Schlussfolgerungen machen das Buch richtig sympathisch. Erfrischend lebendig präsentiert sich der ständige Wechsel seines Blickwinkels, mal fokussiert auf Tochter Emily (Vergessen Sie nie ihren Namen!), mal auf seine Widersacher (Vergessen Sie nie Emilys Namen!). Dusse bindet den Leser nicht nur ins Geschehen ein, auch an Diemels Gefühlen lässt er ihn teilhaben: Aufregung bei der Analyse der Probleme und Gleichmut, wenn er seine Lösung erdacht hat. Herrlich, wie die spritzig-freche Sprache sich anpasst! Unvollständige Sätze signalisieren Hektik, Schlangensätze weisen auf Logikketten hin, die der Leser besonders genießt, wenn er die zitierten Achtsamkeitsgrundsätze aufmerksam studiert und verinnerlicht. Darin liegt Wahrheit, ihre Umsetzung beschert Kurzweil. Fazit: Spießer und Gutmenschen werden keinen Gefallen an »Achtsam morden« finden. Für Spießer zu frech geschrieben, Gutmenschen werden in ihrer Gesinnung verunsichert. Für alle anderen und für jene, die sich einen Krimi mit Humor wünschen, ist das Buch ein Must-Read. Selten hatte ich ein Buch in der Hand, das durchgängig so ironisch, so respektlos und dennoch so sympathisch überzeichnet. Karsten Dusse hat mir mit seinem Debütroman nicht nur unvergessliche Lesestunden beschert, sondern verlangt mit der zugrundeliegenden Konsequenz, dass ich auch die weiteren Bücher der Reihe lesen muss. Das tue ich gern!

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