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Rezension zu
Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Eine traurige und bewegende Geschichte.

Von: Lesen ist
26.05.2016

In seinem zweiten Jahr an der Universität, genauer gesagt von Juli bis Januar, dachte Tsukuru Tazaki an nichts anderes als an den Tod. Er stand dem Tod sogar näher als das Leben, aber den letzten Schritt ist er nicht gegangen. An der Oberschule war er Teil einer Clique von fünf Freunden, drei Jungs und zwei Mädchen. Sie lebten in Nagoya und Tsukuru ging als einziger danach nach Tokio, um zu studieren, die anderen blieben in Nagoya und gingen dort zur Uni. Ihre Freundschaft war einmalig und harmonisch, sie ergänzten sich auf einzigartige Weise. Immer wenn es Ferien gab fuhr Tsukuru nach Nagoya um Zeit mit seinen Freunden zu verbringen. Und dann, ohne jegliche Vorwarnung, teilten seine Freunde ihm mit, dass sie ihn nie wieder sehen oder mit ihm sprechen wollten. Sie nannten ihm keinen Grund und er hatte nicht gewagt zu fragen. Dieses erbarmungslose Urteil, das so unvermittelt ausgesprochen wurde, brachte Tsukuru an den Rand eines Abgrunds. Hätte es eine einfache Tür gegeben, die zum Tod geführt hätte, wäre er hindurchgegangen. Aber er hat es überlebt, gerade mal so, hat sein Studium beendet und ist in Tokio geblieben. Er unternahm keinen Versuch seine Freunde zu kontaktieren, wollte einfach vergessen, was sie ihm angetan hatten. Aber so einfach geht das nicht. Jetzt, 16 Jahre später, lernt Tsukuru eine Frau kennen; Sara. Zum ersten Mal spricht Tsukuru darüber, was damals passiert ist. Tsukuru ist tatsächlich zu einem eher farblosen Mann Mitte dreißig geworden, obwohl dieses »Farblos« im Titel einen anderen Bezug hat. Im Beruf macht er genau das, was er schon immer machen wollte, aber privat ist sein Leben eher trostlos, ohne Farbe. Es ist ihm nicht bewusst, wie tief die Verletzung von damals geht. Das Erlebte hat ihn nicht nur psychisch, sondern auch physisch stark verändert. Die Verstoßung durch seine Freunde hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht, einen introvertierten und wortkargen Mann, der sich niemanden mehr wirklich öffnet. Die Angst, wieder so verletzt zu werden, sitzt tief, obwohl es ihm nicht einmal wirklich bewusst ist. Auch sein Selbstbewusstsein hat gelitten, sodass er sich nicht liebenswert findet, sich selbst als leer empfindet, wie ein Gefäß ohne Inhalt. Ich hatte Mitleid mit dem Protagonisten, weil er in meinen Augen beraubt wurde. Sein Charakter, 16 Jahre später, ist sehr passiv, wenn nicht sogar langweilig. Wenn man allerdings berücksichtig wie nah am Abgrund er sich befand und wie tief die Verletzung ging, kann man seine Zurückhaltung in jede Art von zwischenmenschlicher Beziehung verstehen. Wie sehr kann ein so einschneidendes Erlebnis die Weiterentwicklung des Charakters beeinflussen? Die Menschen sind sehr verschieden. Ein anderer als Tsukuru, jemand, der bereits genug Selbstbewusstsein entwickelt hat, hätte schon damals darauf bestanden zu wissen, warum er so brutal verstoßen wird. Tsukuru hat sich nicht getraut zu fragen. Später im Buch kommt der Vergleich, dass es für ihn ähnlich war, als hätte man ihn von einem Schiff gestoßen und allein im eiskalten Meer zurückgelassen. Ganz klar ist, in unserer doch eher aufgeklärten Zeit, dass Verdrängen nicht helfen kann. Nur eine Aussprache, ein klärendes Gespräch, kann helfen und vielleicht auch eine Heilung stattfinden. Nachdem Tsukuru sich seiner neuen Freundin geöffnet hat, erkennt sie, dass er noch einen schwierigen Weg vor sich hat. Sie will ihm helfen und doch stürzt sie ihn dann selbst in eine neue Krise! Die Themen sind Freundschaft, Zurückweisung, Depression, Einsamkeit. Es gibt aber auch Hoffnung auf einen Neuanfang. Man könnte denken, es wäre ein langweiliges Buch, vor allem, weil der Protagonist tatsächlich farblos ist. Man möchte den Mann wachrütteln und natürlich will man unbedingt erfahren, wieso seine Clique von damals ihn auf so erbarmungslose Weise verstoßen hat. Was ans Licht kommt ist wirklich ungeheuerlich! Im Grunde hat seine Ächtung von damals die gesamte Gruppe in Mitleidenschaft gezogen. Beim Lesen darf man die japanische Mentalität nicht vergessen. Ihre Einstellung zum Tod ist eine andere, Vergänglichkeit ist der natürliche Kreislauf des Lebens. Gefühle werden nicht gezeigt, sie zu verbergen ist eine Tugend. Niemals das Gesicht zu verlieren ist extrem wichtig! Haruki Murakami steigt mit dem Leser hinab in die verletzte Seele eines Mannes, der dem Tod gerade so noch entronnen ist. Er zeigt uns seine Gedanken und seine Träume und eine Gefühlswelt, die Tsukuru niemals einen anderen zeigen würde. Das Ende war für mich persönlich etwas unbefriedigend, aber die Geschichte selbst berührt und macht nachdenklich, in einer schönen und auch poetischen Sprache. Sie wird mich eine Weile begleiten. Eine traurige, bewegende Geschichte über Zurückweisung, Depression, Einsamkeit aber auch Hoffnung und Freundschaft. Ein einziges Erlebnis, das den jungen Menschen zu einem anderen Mann formt, als er vielleicht sonst geworden wäre. Nur den Dämonen seiner Vergangenheit zu begegnen kann sein Leben wieder Farbe und Hoffnung geben. Eine Geschichte, die nachdenklich macht.

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