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Rezension zu
Der Psychopath

Atmosphärisch dichter und psychologisch ausgefeilter Thriller

Von: Claudia Bett
20.04.2016

Inhalt: Der elfjährige Sam ist kein fröhliches, liebenswürdiges Kind, das ausgelassen mit Freunden spielt und sich einfach nur hin und wieder lustige Streiche ausdenkt. Er ist verschlossen, unnahbar, aufbrausend, voller Wut und Zorn und nicht in der Lage Empathie zu empfinden. Es bereitet ihm offenbar großes Vergnügen, andere zu quälen, zu beleidigen und zu verletzen, Tiere zu töten und zu misshandeln und Dinge zu zerstören. Sams Aggressionen richten sich auf alles und jeden in seiner Umgebung, und so ist es nicht verwunderlich, dass er Schwierigkeiten hat, Kontakte zu knüpfen und Anschluss zu finden. Seine Eltern merken schon seit langem, dass Sam anders ist als andere Kinder, doch während seine Mutter sicher ist, dass ihr Sohn nur ungerecht behandelt wird und sich lediglich gegen Mobbingattacken zur Wehr setzt, ist sein Vater Chris davon überzeugt, dass in seinem Kind ein Ungeheuer steckt. Chris ist Arzt, kennt sich aus mit verhaltensauffälligen Kindern, besucht Fortbildungen, sammelt Fachartikel über Psychopathie bei Kindern und gelangt dabei immer mehr zu der Gewissheit, dass sein Sohn ein gefährlicher Psychopath ist, dem keine Therapie und kein Medikament der Welt helfen und niemand Einhalt gebieten kann. Nach einem schrecklichen Ereignis auf Sams Geburtstagsfeier ist für Chris endgültig klar, dass die Streiche seines Sohnes inzwischen jegliche kindliche Unschuld verloren haben und sieht nur noch eine Möglichkeit, Sam aufzuhalten und die Gesellschaft vor ihm zu beschützen – er muss sein eigenes Kind töten. Meine persönliche Meinung: Als ich den Klappentext von Bram Dehoucks 'Der Psychopath' gelesen hatte, war mein Interesse an diesem Buch sofort geweckt, denn was, so fragt man sich, kann einen Vater nur dazu veranlassen, sein eigenes Kind töten zu wollen? Schon nach wenigen Seiten war ich von diesem Buch so gefesselt, dass ich es nicht mehr weglegen konnte und dann in einem Rutsch innerhalb weniger Stunden durchgelesen habe. Dies ist bei gerade mal 224 Seiten zwar keine große Kunst, kommt bei mir jedoch trotzdem recht selten vor und zeugt von der ungeheuren Sogwirkung des Buches. Der flüssige Schreibstil und die kurzen Kapitel, sorgen für ein rasantes Tempo und lassen den Lesefluss nicht abreißen. In diesem Thriller werden mehrere Handlungsstränge miteinander verknüpft, die zu einem überraschenden und vollkommen verstörenden Ende zusammenlaufen. Zum einen begleitet der Leser Chris, dem es gelingt, seinen Sohn zu einem gemeinsamen Ausflug in den Wald zu überreden, wo er sich bereits einen geeigneten Ort ausgesucht hat, an dem er Sam töten und seine Leiche ablegen will. In einem weiteren Handlungsstrang wendet sich Sams Mutter Charlotte nach dem Verschwinden ihres Sohnes verzweifelt an die Polizei, weil sie ahnt, was ihr Ehemann vorhat. Besonders spannend ist hierbei natürlich vor allem die Frage, ob die Polizei Sam und seinen Vater rechtzeitig findet, bevor dieser sein Vorhaben in die Tat umsetzen kann. Parallel zu den polizeilichen Ermittlungen und der Suche nach Sam und Chris, erfährt man in zahlreichen Rückblenden, was sich in der jüngsten Vergangenheit in der Familie zugetragen hat, wie sich dieser familiäre Konflikt immer mehr zuspitzte und wie Chris letztendlich zu der Überzeugung kam, sein Sohn sei ein gefährlicher Psychopath, den er unschädlich machen müsse. Außerdem blickt man zurück in Chris‘ eigene Kindheit, die von einem schrecklichen Ereignis überschattet wurde. Besonders tiefe Einblicke erhält man dabei in die Gedanken und Gefühle von Chris. Sein Charakter wird äußerst detailliert und fein gezeichnet; man lernt ihn als einen sensiblen, nachdenklichen, aber auch zutiefst resignierten Mann kennen, der seinen Sohn durchaus liebt und sich nach einem harmonischen Familienleben sehnt. Er macht sich die Entscheidung nicht leicht, gerät immer wieder ins Wanken, sucht verzweifelt nach Alternativen, beschäftigt sich akribisch mit Psychopathie bei Kindern, ist aber irgendwann sicher, dass es für Sam weder wirksame Heilmittel noch Therapien gibt und sieht deshalb keine andere Möglichkeit, als sein eigenes Kind zu töten. Was ich dabei besonders schockierend fand und mich auch jetzt noch erschreckt, ist die Tatsache, dass ich Chris im Lauf der Geschichte immer besser verstehen konnte. Sieht man seine Entscheidung vor dem Hintergrund seiner eigenen Kindheitserlebnisse, kann man auch durchaus nachempfinden, warum er glaubt, nicht anders handeln zu können. Während Chris sehr präzise porträtiert wird, bleiben Sam und seine Mutter Charlotte leider ziemlich blass und konturlos, da man zwar miterlebt, wie sie handeln und agieren, aber nicht erfährt, was sie denken und fühlen und es mir deshalb sehr schwerfiel mich in diese beiden Protagonisten einzufühlen. Man lernt Sam als ein Kind kennen, das über keinerlei liebenswürdige Verhaltensweisen verfügt, was es recht schwierig macht, Mitleid oder Verständnis für ihn zu entwickeln. Dieses Kind ist nicht einfach nur unsympathisch oder frech, es ist durchtrieben, grausam, brutal und vollkommen empathie- und skrupellos. Seine Mutter Charlotte ging mir furchtbar auf die Nerven. Mit fürsorglicher und bedingungsloser Mutterliebe hat ihr Verhalten recht wenig gemein, denn diese Frau ist einfach nur naiv und einfältig. Statt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, dass mit ihrem Kind etwas ganz und gar nicht stimmt, der Realität ins Auge zu blicken und nach Möglichkeiten zu suchen, das Problem anzugehen, sucht sie die Schuld stets bei anderen, nimmt ihren Sohn immer wieder in Schutz und neigt dazu, sich alles schönzureden. Sie überschüttet ihren Sohn mit Liebe, will nicht wahrhaben, dass er nicht wie andere Kinder ist, sucht ständig nach Erklärungen, die sein Verhalten entschuldigen, und so eskaliert dieser familiäre Konflikt nicht zuletzt aufgrund ihrer Unfähigkeit die Problematik zu erkennen und auch an der Kommunikationslosigkeit zwischen dem Elternpaar. Vielleicht wäre Charlottes Handeln etwas besser nachvollziehbar gewesen, wenn man auch etwas tiefere Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt bekommen hätte. Trotz dieses Mankos gelang es Bram Dehouck, einen atmosphärisch dichten und durchgehend fesselnden Thriller zu schreiben, der sehr schockierend ist und mit einem überraschenden Ende aufwarten kann. Dabei verzichtet der Autor nahezu vollkommen auf blutige Details, sondern setzt stattdessen auf eine psychologisch ausgefeilte Handlung. Dieser Thriller ließ mich äußerst verstört zurück, denn ich habe mich dabei erwischt, tatsächlich Verständnis und Mitleid für einen Vater zu empfinden, der sein Kind töten will, um die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Somit war 'Der Psychopath' für mich nicht nur ein rasanter und beklemmender Thriller, sondern ein Buch, das mich sehr nachdenklich stimmte und mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

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