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Rezension zu
89/90

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Mit Peter Richter "89/89" in Dresden

Von: Nele Thiemann
17.03.2016

Während sich das halbe Leseland auf der Leipziger Buchmesse gütlich tut, sitze ich krank auf dem Sofa. Es ist frustrierend! Dabei habe ich es nicht weit. Ich wohne ja vor Ort! Doch es nützt alles nichts - vielleicht geht es mir morgen gut genug. Dass ich mir vorerst keine neuen Bücher ins Wohnzimmer schaufeln kann, ist vielleicht auch gar nicht so schlecht. Denn auch ich habe davon nicht eben wenige und etliche warten noch auf ihre Rezension. Dann beginne ich eben damit, meinen Schuldenberg abzutragen. Ich fange mit Peter Richters "89/90" an. Obwohl mich dieser Wenderoman schon kurz nach seiner Veröffentlichung bezaubert hatte, war die Rezension liegengeblieben. Wie es im Leben so ist. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Geschichte setzt ein in einem Vorwendesommeridyll in Dresden. Man trifft sich im nachts im Freibad und für den Erzähler und seine Freunde sind echte Kommunisten schon exotischer als Transvestiten. Natürlich ist die ganze Szenerie komplett ostig. Als Übersetzungshilfe für Westler und Nachgeborene mit fehlender Kulturkompetenz gibt Richter ein ganzes Arsenal an Fußnoten, die beispielsweise erklären warum das Wort 'Fete' dem Wort 'Party' vorgezogen wurde, was Abkürzungen wie POS oder EVP bedeuten oder warum man in einem bestimmten Alter unbedingt einen Hirschbeutel brauchte. Wer sich eine zusätzliche Dimension Lebensgefühl einschalten möchte, kann die Playlist zum Buch auf der Seite des Luchterhand-Verlages anklicken. Was für einen fundamentalen Einschnitt in die Lebenswelt die Wende bedeuten würde, war jedenfalls für die Jugendlichen im Schwimmbad nicht zu erahnen: Hätte man damals schon sagen können, wer dort eines Tages wem einen Baseballschläger über den Kopf hauen würde? Hätte man damals schon herumgehen können und sagen Du, mein Freund, wirst mal den Drogen zum Opfer fallen, und du da wirst sie ihm verkaufen; du daneben wirst mit Immobilien viel Geld verdienen, du hier wirst vorher für ihn auf den Strich gehen, du dort drüben wirst in München eine Karriere machen, während der dahinten in zwanzig Jahren Mülltonnen nach Pfandflaschen durchsucht...? (Seite 19) Damit zeigt Peter eine ähnliche Situation wie schon Clemens Meyer in Als wir träumten. Tatsächlich denke ich, dass die Lebensgeschichten der Jugendlichen in Leipzig und in Dresden in dieser Zeit viele Parallelen aufweisen. Im luftleeren Raum ohne erwachsene Bezugspersonen entdecken die Kids Gewalt, Drogen und Waffen. Aber eigentlich trifft sie die Wende in einer Situation, in der sie scharf sind auf ihre erste Freundin und eben hganz normale pubertäre Probleme haben. Das alles wollte erstmal eingeordnet werden, zwischen dem neuen Stundenplan, neunen Bekanntschaften und dem Spielplan der Fußball-Oberliga. (Seite 157) Dabei musste ich beim Wiederlesen an den Siebtklässler Mirco Watzke aus Mawils Kinderland denken, der nach dem Mauerfall ganz und gar keine Zeit hat, mit seinen Eltern in den Westen zu fahren, weil er VERDAMMTNOCHMAL ein Tischtennisturnier zu organisieren hat. Später, im Jahr 1990, gerät das Jugendleben völlig aus den Fugen. Der Erzähler und sein Freund S. werden mit einer Übermacht an Neo-Nazis konfrontiert, sie man sich im Westen, aber auch im heimischen Elternhaus kaum vorstellen kann. Der Techno vereint später die verschiedenen Subkulturen. Den Krieg der Nazis gegen die Zecken kenne ich selbst noch aus Leipzig Mitte der 90er Jahre. Das Thema ist ja auch dieses Jahr wieder akutell gewesen. Peter Richters Roman kann ich jedem empfehlen: sowohl denen, die dabei waren, als auch denen, die noch die davon gehört haben. Er bringt alles zusammen.

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