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Rezension zu
Stadt der verschwundenen Köche

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Buch zum Genießen

Von: Eva-Maria Obermann
10.12.2015

Carl Juniper ist Schiffskoch und genötigt auf einem alten Kahn anzuheuern, der prompt untergeht. Als einziger überlebt Juniper, nur von einem Meeresstrudel erfasst zu werden. Doch plötzlich ist er nicht mehr im Ozean, sondern prallt auf den harten Boden des Greenwich Parks in London. Dort stellt er fest, dass alles sich verändert hat. Kinder werden vom Staat erzogen, Arbeiter ackern stupide vor sich hin und Essen gibt es nicht mehr, nur noch Einheiten, ein angerührter, geschmackloser Brei. Erst als Juniper in eine geheime Küche stolpert findet er den Genuss und seine Lebensfreude wieder und trifft obendrein die Liebe seines Lebens. Aber Köche sind zu einem Leben im Untergrund verdammt und stets in der Gefahr, entführt zu werden. Ein Leben ohne Essen, ein Leben ohne Kochen, ohne Geschmack und Genuss. Gerade zur Weihnachtszeit klingt das für mich so furchtbar wie einleuchtend. Neid und Ehrgeiz wird gleichermaßen unterdrückt, der Mensch selbst zu nicht mehr als einer Einheit gemacht, die produzieren soll. Eine Erlösung, ein Etwas, auf das hingearbeitet wird, gibt es in dieser Welt nicht. Die Arbeiter bekommen von der Oberschicht nichts mit und stellen auch keinerlei Fragen. Sie haben das Nachdenken selbst schlicht vergessen. Und ausgerechnet ein Schiffskoch, der sich Zärtlichkeiten bei Hafenhuren sucht und gerne mal einen über den Durst trinkt landet in dieser Welt. Diese Mischung aus Seemann und eben auch nicht Seemann, denn Juniper hat vom Seefahren selbst keinerlei Ahnung, macht ihn bereits zum Zwitterwesen. Genauso die Leidenschaft für das Meer und der stille Traum, irgendwann irgendwo mit einer Frau sesshaft zu werden. Von Anfang an, so kam es mir vor, wandelt Juniper zwischen den Welten, was die Reise in die zweite Welt nur verdeutlicht. Denn auch dort kommt Juniper nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut zu Recht, findet sich ein in den Alltag aus Arbeit, Tageskarten und den immer gleichen Einheiten. Er lebt und lebt doch nicht. Das Entdecken der Küche ist wie ein Erwachen für ihn. Eine Bestätigung, dass er sich sein bisheriges Leben nicht nur eingebildet hat, eine Art Wiedergeburt, als Mensch und als Koch. Und als Liebender. Die zwei Welten sind hier gleichzeitig getrennt und doch verwoben. Der Zugang durch das Gefühl des Ertrinkens und durch das Wasser selbst ist im Grunde das einzige fantastische Element. In der Parallelwelt, die genauso gut eine Zukunftsvision sein könnte, arbeitet alles mit Dampf, Elektrizität existiert nahezu nicht. Die Luft beißt und die vielen Fabriken erinnern an die industrielle Revolution. Darin ist Juniper, hier wir dort, zwischen seinen Erinnerungen und denen seiner Umwelt gefangen, gehört nirgends ganz dazu und sucht sich doch immer einen Platz – über das Kochen. Dabei lässt der Erzähler durchblicken, dass er durchaus in der Lage wäre, die entscheidende Frage des Endes zu beantworten, ist er doch nur scheinbar personal und driftet hier und da zu anderen Personen ab, wirft neue Erzählstränge auf, die ohne Ende bleiben, und erschafft ein Mysterium, das den Leser noch lange nach der letzten Seite beschäftigt. Das Ende ist, wie vielen an dem Roman, reine Ansichtssache, dem fantastische positiven oder realistisch nüchternem Blick des Lesers überlassen. So gelungen dies auch ist und so sehr mich die Geschichte gefesselt hat, bleiben Ungereimtheiten und Leerstellen, diese kleinen Momente der Irritation, die dieses gute Buch von einem brillanten trennen. Vielleicht eine große Stärke des Romans aber am Ende eben auch seine Schwäche. Dennoch lege ich das Buch allen, die gerne lesen und leben, gerne kochen und genießen, gerne in andere Welten abtauchen, ohne gleich Vampirzähne sehen zu wollen, ans Herz. Es ist es wert, gelesen zu werden.

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