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Rezension zu
Gehen, ging, gegangen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz

Von: Marcus@BücherKaffee
12.11.2015

In den Medien erfährt Richard von den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen. Er hört von Asylanten, die in seiner Heimatstadt Berlin für eine bessere Behandlung protestieren. Er fragt sich, wer diese Menschen sind, die aus Ländern stammen, von denen er weder die Hauptstadt nennen kann noch wo genau die sich auf dem afrikanischen Kontinent befinden. Um Antworten zu finden auf seine Fragen macht er das für ihn einzig sinnvolle: er sucht sie auf um sie zu befragen. Und so lernen er und wir als Leser einige der jungen Männer kennen, die nach ihrer langen Flucht in Berlin gelandet sind. Täglich hören oder lesen wir von den vielen Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Von dem nicht abreißenden Strom derer, die vor Krieg und willkürlicher Gewalt fliehen, die Freunde und Familie zurücklassen oder verloren haben und in Europa, in Deutschland, Sicherheit und eine stabile Zukunft suchen. Die abstrakten Zahlen, die auf uns niedergehen, lassen viele abstumpfen, man gewöhnt sich daran. Jenny Erpenbeck gelingt es mit ihrem Buch, diese Distanz zu überbrücken. Sie beschreibt die Grausamkeiten, die viele der Flüchtlinge erlebt haben, die Wege, die Tausenden das Leben kosten und die Ungewissheit, wann und wo es für sie eine neue Existenz geben kann. Sie entlarvt aber auch die abstruse Logik derer, die die Grenzen dichtmachen wollen und ihre Hilfe verweigern. „Führt der Frieden, den sich die Menschheit zu allen Zeiten herbeigesehnt hat und der nun in so wenigen Gegenden der Welt bisher verwirklicht ist, denn nur dazu, dass er mit Zufluchtsuchenden nicht geteilt, sondern so aggressiv verteidigt wird, dass er beinahe schon selbst wie Krieg aussieht?" (Seite 298) Die allermeisten Orte in Deutschland werden Flüchtlinge aufnehmen, und ich bin erleichtert, dass sich auch in meiner Umgebung eine positive Willkommenskultur durchgesetzt hat. Es muss eine große Erleichterung sein für jemanden, der in einem fremden Land mit fremder Sprache ankommt, wenn er freundlich empfangen wird und ihm geholfen wird. So viel Menschlichkeit sollte eigentlich selbstverständlich sein. Die jungen Männer dürfen nicht arbeiten und sie dürfen nicht reisen. Die Bürokratie und die Gesetzgebung der EU verdammen sie zum Nichtstun. Ich bekomme durch das Buch ein Gespür dafür, dass die Politik der Situation nicht gewachsen ist. Eine effektive Lösung ist in nächster Zeit wohl leider auch nicht zu erwarten. Hut ab vor all den Menschen und Organisationen, die hier einspringen und die Hilfebedürftigen auch durch den Paragraphenwald lotsen. Richard lebt in Ostberlin, und so wurde er nach dem Fall der Mauer vom „Ossi" zum „Wessi". Ich finde es sehr bemerkenswert, wie die Autorin Richards Leben und damit auch die deutsche Geschichte mit in das Geschehen einbindet. Er weiß, dass die Gesellschaft sich immer wieder verändert. Daher steht er den Fremden völlig aufgeschlossen gegenüber. In einer sehr nüchternen Art betrachtet er, wie mit den Asylsuchenden umgegangen wird. [Persönliches Fazit] Für mich ist das Buch ein großer Wurf. Mit einer kräftigen Sprache und ohne Pathos bringt mich Jenny Erpenbeck ganz nah ran an das Schicksal der afrikanischen Flüchtlinge. Mit Wortwitz und Ironie ist es ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz und ist dabei politisch und gesellschaftlich kritisch. Trotz komplexer Zusammenhänge ist es wunderbar klar zu lesen. Völlig zu Recht ist es auf der Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises zu finden. © Rezension: 2015, Marcus Kufner

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